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Eugen Onegin

Lyrische Szenen in drei Aufzügen
Dichtung von Konstantin S. Schilowskij nach dem gleichnamigen Versroman von Alexander Puschkin
Musik von Peter Iljitsch Tschaikowskij


in deutscher Sprache mit verschiedensprachigen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere an der Komischen Oper Berlin am 31. Januar 2016


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Komische Oper Berlin
(Homepage)
Eine Sommerwiese fürs ganze Leben

Von Roberto Becker / Fotos von Iko Freese - drama-berlin.de

Dass nicht mehr um jeden Preis Deutsch gesungen wird, das ist schon lange so an der Komischen Oper. Und seit es die schmucke Übersetzungsanlage in den Sitzlehnen gibt, ist es auch kein Problem fürs Publikum. Doch wenn der Vorhang zum neuen Jewgeni Onegin an diesem Abend aufgeht, ist dann doch eine Überraschung perfekt: Eine so üppige und sattgrüne Wiese mitten in einem Wäldchen, sieht man heutzutage selten auf den diskurs- und hinterfragungsverliebten Opernbühnen. Hier grünt es, wie man hört, dank alter Webstühle und sächsischer Handarbeit. Der Aufwand hat sich gelohnt. Man wird sich diese Wiese merken, noch lange nachdem ein Landregen, passend zum großen und endgültigen Abschied von Tatjana und Onegin, im wahrsten Wortsinn und mit metaphorischer Emphase niedergegangen ist.

Vergrößerung Perfekte Landidylle mit Mama und Oma beim Marmeladeabfüllen und den Töchtern, die gerne naschen.

Und doch ist keine Spur von Folklore-Kitsch zu erleben, denn Barrie Kosky führt Regie. Und der liebt zwar die große Show - wenn es sein muss auch mit Revuetreppe und Federboa. Aber er kann bekanntlich auch ganz anders. Von Monteverdi bis Schönberg. Von Rameau bis Prokofjew. Kosky ist einer der klugen und sinnlichen Regisseure im Land, der sich auch auf Personenregie bestens versteht.

Diesmal umspielt die sommerliche russische Landidylle der Eröffnungsszene die Zuschauer. Und lässt sie bis zum Ende nicht mehr los! Auch der Ausflug nach Sankt Petersburg, ins Palais des Fürsten Gremin, ändert daran nichts. Denn die Wiese bleibt, was sie wirklich ist. Eine Wiese mit besonderem Tschechow-Reiz halt. Und sie bleibt, was sie zugleich auch ist: Nämlich eine Traumlandschaft, in der Sehnsüchte gedeihen und zerplatzen, in der gefeiert und geschossen wird. In der man sich begegnet und auf immer trennt.

Vergrößerung

Auch beim Trubel zu ihrem Namenstag sitzt Tatjana verträumt abseits

Die atemberaubende Waldwiese, die Rebecca Ringst da auf die Drehbühne gezaubert hat, bleibt immer der Ort, an dem Tatjana lebt und liebt, sich sehnt und leidet. Die üppigen Räume des Palais des Fürsten Gremin wirken (und sind es bei Kosky) wie hohe, hineingestellte Kulissenwände. Was den Vorteil hat, dass man sie auf offener Szene (Respekt für die Technik des Hauses!) auch einfach wieder entfernen kann, wenn zwischen Tatjana und Onegin in ihrer letzten Begegnung die ungleich verteilte Leidenschaft der ersten wieder aufscheint.

Für den zweiten Anlass der Begeisterung sorgt die Personenführung, mit der Kosky hier die schauspielerischen und vokalen Möglichkeiten seiner Protagonisten ausspielt. Das fängt mit der Eingangsszene an, bei der Margarita Nekrasova als eine russische Babuschka wie aus dem Bilderbuch und Christiane Oertel als Gutsherrin Larina Marmelade in Gläser füllen und dabei an die alten Zeiten zurückdenken. Und dann kommen zwei junge Mädchen in Sommerkleidern aus dem Wald, naschen von der Marmelade und legen sich zu den beiden Frauen ins Gras. Asmik Grigorian und Karolina Gumos sind ebenso verblüffend glaubwürdig als Tatjana und Olga wie die beiden Männer, die mal eben zum Guten-Tag-Sagen vorbeikommen.


Vergrößerung Tatjana und Onegin kommen nie von dieser Wiese los

Man kann nicht nur wegen der musikalischen Imagination, sondern zugleich wegen einer charismatischen Intensität des natürlichen Spiels (zu dem auch Aleš Briscein als Lenksi und Günter Papendell als Onegin vom ersten Augenblick an finden) alles, was erzählt wird, unmittelbar nachvollziehen. Lenskis und Olgas trotzige Unreife, die beide mit dem Feuer spielen lässt, das dann ja auch tatsächlich ausbricht und Lenksi das Leben kostet. Dabei kann es sich Kosky leisten, das Duell in den Wald zu verlegen, so dass wir davon nur das sehen und hören können, was auch Tatjana sieht, wenn sie vergeblich herbeistürzt, um das Schlimmste zu verhindern.

Dank Asmik Grigorians phantastischem Spiel ist ihre Tatjana noch mehr die Sympathieträgerin im Stück als ohnehin schon. Wie sie uns mit dem Blick nach hinten in den Wald allein über die Körpersprache vermittelt, was sie gerade fühlt - das muss man gesehen haben! Zudem ist sie hier nicht nur ein pubertierendes Dummerchen, das sich mit ihrer Leidenschaft in der Zielgruppe vertan hat. Sie sucht sich die Sätze für ihren Brief an Onegin aus dem Buch zusammen, dass sie gerade liest. Sie unterstreicht, reißt Seiten heraus. Für die Intimität dieser Szene genügt ein Lichtkegel am Wiesenrand. Sie macht das wohl auch, weil sie genau hingehört hat, als die Großmutter davon erzählte, wie sie mit 13 Jahren verheiratet wurde. Man traut dieser Tatjana schon da viele Wege zu sich selbst zu. Auch den an die Seite des Fürsten, den sie schließlich einschlägt. Auch als Fürstin hat sie sich die Natürlichkeit ihrer Jungmädchenjahre bewahrt, der aber souverän die Eleganz der Fürstin hinzugefügt, die die noch einmal aufbrechende Leidenschaft von ehedem mit großer Anstrengung wieder in den Griff bekommt. Kann gut sein, dass ihr Fürst (Alexey Antonov behandelt sie zuvorkommend, behütet sie aber bei seinem Monolog auch wie einen wertvollen Schatz) ahnt, welchen potenziellen Gefühlsvulkan er an seiner Seite hat.

Vergrößerung

Zu spät - er wird sie nicht mehr einkriegen

Mit einer für ihn doch überraschenden Subtilität erzählt Kosky nicht nur da von diesen Subtexten der Leidenschaften und Gefühle. Auch das Verhältnis von Onegin zu seinem Freund Lenksi wird so ausgelotet. Er braucht dazu keine Andeutung von Zuneigung auf offener Szene - dass Onegin total besoffen zum Duell erscheint, das er nicht verhindern konnte, und dann, nach dem tödlichen Schuss, den wir nur hören aber nicht sehen, mit einem blutverschmierten Hemd an der wartenden Tatjana vorbei torkelt und flieht, das er nur bei einer Umarmung des Toten so eingesaut haben kann, genügt völlig für diese Geschichte. Kosky gelingt dieses große Kino der Gefühle, das gar keinen offenkundigen Showdown braucht und trotzdem Bilder bietet, die sich einbrennen, diesmal durchweg. Ein Meisterwerk!

Und seine fabelhaften Protagonisten, der Chor in Hochform und auch Henrik Nánási am Pult des Orchesters der Komischen Oper tragen es musikalisch mit. Wobei es aus dem Graben mitunter eine Spur eindeutiger und ruppiger zugeht als auf der Bühne. Doch diese gelegentliche Spannung ist eher ein produktiver Treibsatz für die durchschlagende Wirkung eines exemplarisch gelungenen Gesamtkunstwerkes.


FAZIT

Barrie Kosky gelingt mit dieser Inszenierung ein Wurf, den man sich nicht entgehen lassen sollte.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Henrik Nánási

Inszenierung
Barrie Kosky

Bühne
Rebecca Ringst

Kostüme
Klaus Bruns

Licht
Franck Evin

Chor
David Cavelius

Dramaturgie
Simon Berger



Chorsolisten und Komparsen
der Komischen Oper Berlin

Orchester der Komischen Oper


Solisten

Eugen Onegin
Günter Papendell

Tatjana
Asmik Grigorian

Olga
Karolina Gumos

Lenski
Aleš Briscein

Larina
Christiane Oertel

Fürst Gremin
Alexey Antonov

Filippewna
Margarita Nekrasova

Zarezki
Yakov Strizhak

Triquet
Christoph Späth

Ein Hauptmann
Carsten Lau

Guillot
Jan-Frank Süße
Yuhei Sato



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Komischen Oper Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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