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Jérusalem

Oper in vier Akten (sieben Bildern)
Libretto von Alphonse Royer und Gustave Vaëz nach dem Libretto I Lombardi alla prima crociata von Temistocle Solera
Musik von Giuseppe Verdi

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 10' (eine Pause)

Eine Koproduktion mit dem Theater ABAO Bilbao

Premiere im Opernhaus Bonn am 31. Januar 2016


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Theater Bonn
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Ein Licht am Ende des Tunnels

Von Thomas Molke / Fotos von Thilo Beu

Wie zahlreiche andere international erfolgreiche Komponisten versuchte sich auch Giuseppe Verdi in Paris an der Gattung Grand Opéra. Während er mit der 1855 uraufgeführten Les vêpres siciliennes und dem 10 Jahre später komponierten Don Carlos allerdings ganz neue Werke für die Pariser Oper kreierte, griff er bei seiner ersten Arbeit für Paris auf ein Werk zurück, das er bereits vier Jahre zuvor mit überwältigendem Erfolg an der Mailänder Scala zur Uraufführung gebracht hatte: I Lombardi alla prima crociata. Dabei ließ er aber von seinen beiden Librettisten Alphonse Royer und Gustave Vaëz den italienischen Text von Temistocle Solera nicht einfach nur übersetzen, sondern verlegte einerseits die Handlung von der Lombardei nach Toulouse und änderte andererseits die Figurenkonstellation großteilig ab. Dem Werk war nur ein mäßiger Erfolg in Paris beschieden. Auch die von Calisto Bassi ins Italienische zurückübersetzte Fassung Gerusalemme konnte in Italien nicht an den Erfolg von I Lombardi anknöpfen, so dass es relativ schnell von den Spielplänen verschwand. Die Oper Bonn, die sich schon seit einigen Spielzeiten frühen Verdi-Opern widmet, die zu Unrecht im Schatten der späteren Meisterwerke stehen, präsentiert nun als Koproduktion mit dem Theater ABAO Bilbao die szenische deutsche Erstaufführung des französischen Originals und arbeitet musikalisch überzeugend heraus, wie viel Potenzial in diesem völlig unbekannten Werk liegt.

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Hélène (Anna Princeva) und Gaston (Sébastien Guèze)

Während bei I Lombardi die beiden Brüder Arvino und Pagano die gleiche Frau lieben und Pagano seinen Bruder aus Eifersucht töten will, liebt in Jérusalem Roger Hélène, die Tochter seines Bruders, des Comte von Toulouse. Diese wiederum liebt den jungen Gaston, Vicomte von Béarn, den sie nach dem erfolgreichen Kreuzzug auch heiraten soll. Roger will Gaston töten lassen, doch der gedungene Mörder verübt durch ein Missverständnis einen Anschlag auf den Comte. Gaston wird dafür verantwortlich gemacht und muss ins Exil nach Palästina. Von Schuldgefühlen geplagt begibt sich Roger als Einsiedler ebenfalls dorthin und erfährt, dass sein Bruder noch lebt und nun vor den Toren Jerusalems steht, um die Stadt für die Kreuzritter einzunehmen. Hélène ist mittlerweile in die Gefangenschaft des Emir von Ramla geraten, wo sie erneut auf ihren Geliebten Gaston trifft. Als ihr Vater mit seinen Kreuzrittern in den Palast eindringt, und seine Tochter mit Gaston dort vorfindet, ordnet er sofort Gastons Hinrichtung an. Doch Roger befreit Gaston und lässt ihn als unerkannten Ritter an der Spitze der Kreuzfahrer gegen Jerusalem ziehen. Gaston gelingt es, die Stadt einzunehmen. Als er sich dem Comte zu erkennen gibt, bekennt der in der Schlacht tödlich verwundete Roger, dass er selbst für den Anschlag verantwortlich gewesen sei. Er bittet seinen Bruder um Gnade und möchte sterbend noch einmal die heilige Stadt sehen.

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Verzweiflung nach dem Anschlag auf den Comte (Csaba Szegedi, rechts liegend) (vordere Reihe von links: Hélène (Anna Princeva), Gaston (Sébastien Guèze), Raymond (Christian Georg) und Isaure (Brigitte Jung), dahinter Chor und Extrachor)

Das Regie-Team um Francisco Negrin verzichtet in der Inszenierung auf eine Aktualisierung der Geschichte und wählt einen relativ abstrakten Ansatz. Zu Beginn des Abends sieht man auf dem geschlossenen schwarzen Vorhang eine Projektion, die Jerusalem darstellen soll. Während der Ouvertüre führt eine Art unterirdisches Rohr wie in Dantes Divina Commedia hinab ins Inferno, wobei man viele Windungen wie beispielsweise die Vorhölle passiert, bevor man schließlich im Inferno ankommt. Von dort führt der weitere Abstieg wieder in die Stadt. Das Bühnenbild von Paco Azorín greift diesen Abstieg in einem riesigen Tunnel wieder auf, in den die Figuren an einzelnen Stellen regelrecht hineingesogen werden. Rote Vorhänge trennen hierbei einzelne Bereiche ab, wie beispielsweise Hélènes Schlafgemach, in dem sie nach der Ouvertüre die traute Zweisamkeit mit ihrem Geliebten Gaston genießt. Wenn Roger den Plan fasst, seinen Nebenbuhler töten zu lassen, heben sich einzelne Teile des Tunnels und lassen aus dem Untergrund Mitglieder des Chors emporsteigen, die wie Stimmen aus der Hölle Roger bei seinem teuflischen Vorhaben unterstützen. Auch der Palast des Emirs wird durch einen roten Vorhang von den nahenden Kreuzrittern abgetrennt. Wenn dann am Ende Jerusalem eingenommen wird, sieht man ein helles Licht am Ende des Tunnels, das bald einen großen Teil der Bühnenrückwand weiß erstrahlen lässt. In dieses Weiß treten Gaston, Hélène und die Kreuzritter beim jubelnden Schlusschor.

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Gaston (Sébastien Guèze, Mitte oben) wird von allen (Chor und Extrachor) gedemütigt.

Während Azorín mit der Bühne bewegende Bilder schafft, kann die Personenregie von Negrin nur bedingt überzeugen. Man fragt sich, warum er die Protagonisten und den Chor mit ausladender Gestik derart übertreiben lässt. Das damit erzeugte Pathos wirkt aufgesetzt und lässt die sowieso schon hanebüchene Geschichte noch alberner erscheinen. Dass dann die Henker, die am Ende des dritten Aktes Gaston öffentlich demütigen, auch noch in albernen, heidnischen Kostümen auftreten, erschließt sich genauso wenig wie der häufig erhobene Zeigefinger oder die ausgestreckten Hände. Das alles kann aber den musikalischen Genuss des Abends keineswegs stören. Bei einer derart eingängigen Musik und zahlreichen Höhepunkten lässt sich wirklich schwer nachvollziehen, wieso dieser Oper immer noch so wenig Beachtung geschenkt wird. Die Chorpassagen können in ihrer Emotionalität und Fulminanz durchaus mit Werken wie Nabucco oder Aida mithalten. Der Chor und Extrachor des Theater Bonn ist von seinem Leiter Marco Medved für diese Aufgabe bestens präpariert worden und überzeugt mit sauberer Diktion und homogenem Klang. Auch das Beethoven Orchester Bonn arbeitet unter der umsichtigen Leitung von Will Humburg die Finessen der Partitur sorgfältig heraus und zieht das Publikum mit expressivem Spiel in seinen Bann.

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Ein Licht am Ende des Tunnels: Jerusalem (in der Mitte oben: Hélène (Anna Princeva) und Gaston (Sébastien Guèze), Mitte unten liegend: Roger (Franz Hawlata), rechts und links: Chor und Extrachor)

Hinzu kommt ein wunderbar aufgelegtes Solisten-Ensemble. Sébastien Guèze ist als Gaston nicht nur optisch ein strahlender Held, der bei allen Demütigungen und Erniedrigungen die Kreuzritter dennoch zum Sieg führen kann, sondern verfügt auch über einen grandiosen Tenor mit großer Strahlkraft in den Höhen, was sich vor allem in seinen beiden Arien im zweiten und dritten Akt äußert, wenn er in der Gefangenschaft des Emirs seine Flucht plant und seiner Hoffnung Ausdruck gibt, seine Geliebte Hélène noch einmal wieder zu sehen, oder später bereit ist, in den Tod zu gehen, solange nur seine Ehre wieder hergestellt wird. Mit Anna Princeva steht ihm als Hélène eine großartige Sopranistin zur Seite, die zum einen über eine warm timbrierte Mittellage verfügt und in den Höhen die Koloraturen absolut sauber aussingt. Ihre Arie im dritten Akt, "Que m'importe la vie", in der sie den Sinn ihres Lebens in Gefangenschaft hinterfragt, geht in Princevas Interpretation genauso unter die Haut wie das innige Duett mit Guèze im ersten Akt, wenn die beiden Liebenden voneinander Abschied nehmen müssen. Csaba Szegedi überzeugt als Hélènes Vater mit kräftigem Bariton. Franz Hawlata verfügt als Roger über eine schwarze Tiefe, während in den dramatischen Ausbrüchen nach oben seine Stimme allerdings ein bisschen heiser klingt. Dass er sich wie Lady Macbeth versucht, das Blut von den Händen zu wischen, gehört zu den unnötigen Einfällen der Personenregie. Von den kleineren Partien ist noch Priit Volmer als Adhémar hervorzuheben, der mit schwarzem Bass einen Furcht einflößenden päpstlichen Legaten mimt. So gibt es am Ende für alle Beteiligten lang anhaltenden und kräftigen Applaus.

FAZIT

Die Oper Bonn stellt unter Beweis, dass diese Verdi-Rarität in der Tat zu Unrecht vernachlässigt wird. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Inszenierungen dieses Stückes an den Opernhäusern folgen werden.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Will Humburg

Inszenierung
Francisco Negrín

Bühne
Paco Azorín

Kostüme
Domenico Franchi

Licht
Thomas Roscher

Video
Joan Rodón
Emilio Valenzuela Alcaraz

Choreinstudierung
Marco Medved

 

Chor und Extrachor des Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

*Besetzung der Premiere

Gaston, Vicomte de Béarn
*Sébastien Guèze /
Felipe Rojas Velozo

Le Comte de Toulouse
*Csaba Szegedi /
Giorgos Kanaris

Roger, le frère du Comte
*Franz Hawlata /
Martin Tzonev

Hélène, la fille du Comte
Anna Princeva

Isaure, la confidante d' Hélène
Brigitte Jung

Adhémar de Monteil, legat du pape
Priit Volmer

Raymond, l'ecuyer de Gaston
Christian Georg

L' Émir de Ramla
*Giorgos Kanaris /
Daniel Pannermayr

L' Officier de l' Émir
*
Christian Specht /
Josef Linnek

Un Herault
Egbert Herold

Un Soldat
Nicholas Probst


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