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Pique Dame

Oper in drei Akten
nach einer Erzählung von Alexander Puschkin, deutsche Textfassung von Bettina Bartz und Werner Hintze
Musik von Peter I. Tschaikowsky

in deutscher und russischer Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Staatstheaters Braunschweig am 5. März 2016
(rezensierte Vorstellung: 20. März 2016)

 



Staatstheater Braunschweig
(Homepage)

Pique Dame mit Grande Dame

Von Bernd Stopka / Fotos von Volker Beinhorn

Sie steht im Schatten ihrer Schwesternoper, die eigentlich ein Bruder und noch viel mehr ein  Vorfahre ist: Tschaikowskys Pique Dame hat so viele Ähnlichkeiten mit Eugen Onegin, dass man durchaus ein gleiches Schema entdecken kann. Doch trotz aller Inhalts- und Aufbauparallelen und dem unüberhörbaren Stil Tschaikowskys ist Pique Dame ein höchst  individuelles Werk, in dem der Komponist sein Liebes- und Lebensdrama ebenso wie seine Todessehnsucht wiedergefunden und in Musik gesetzt hat.

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Orhan Yildiz (Fürst Jeletzkij) Nadja Stefanoff (Lisa), Dame Gwyneth Jones (Gräfin)

Drei Elemente sind an drei Personen gekoppelt: Die unglückliche Liebe der Lisa, die Sehnsucht nach gesellschaftlicher Dazugehörigkeit und finanzieller Unabhängigkeit des Hermann und die Verbitterung, die die alte Gräfin so grantig sein lässt. Für seine Neuinszenierung am Staatstheater Braunschweig, hat  Regisseur Philipp Kochheim diese drei Elemente  mit dem Bühnenbildner Thomas Gruber und der Kostümbildnerin Gabriele Jaenecke in drei Bilder umgesetzt: Die Welt, in der sich Hermann gern aufhält ohne wirklich dazuzugehören ist ein mondäner  Salon oder Club, dessen rohe Steinmauern durch die entsprechenden Accessoires edel aussehen, die Dekadenz der sich hier heimisch fühlenden Gesellschaft aber nicht verbergen können. Börsenstände sind auf Bildschirmen verfolgbar, im Nebenraum steigt eine Party. Der Maskenball des zweiten Aktes ist eine Hochzeit, die auch hier gefeiert wird und auf der eine der aufreizend gekleideten Bedienungen als besungene Zarin verkleidet wird. Es wird viel getrunken und man raucht Shisha. An PCs werden Geschäfte getätigt. Lisa lebt mit und in ihrer Garderobe. Sie definiert sich offensichtlich zunächst durch ihr Äußeres, eine Hülle, die sie im Laufe der Geschichte immer mehr fallen lässt, bis sie am Ende im schwarzen Unterkleid fast nackt und gänzlich verletzlich dasteht. Das Bühnenbild, dass Lisa zugeordnet ist, zeigt daher auch einen übergroßen Kleiderschrank bzw. ein  Ankleidezimmer. (Für eine Frau stehen darin aber eigentlich viel zu wenig Schuhe…). Die Gräfin steht für die Vergangenheit, in der sie eine große Diva war. Die Möbel in ihrem Zimmer sind mit weißen Tüchern abgedeckt unter denen die Geister der Vergangenheit leibhaftig hervorkriechen, um den Raum zu bevölkern. Ein Gartenpavillon schwebt vom Schnürboden herab und erinnert an eine Zeit, in der Gesellschaften und Einladungen zum Tee noch eine ganz andere Bedeutung hatten.

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Nadja Stefanoff (Lisa), Kor-Jan Dusseljee (Hermann)

In diesen drei Bühnenbildern spielt die ganze Geschichte. Es gibt keine Petersburger Promenade, kein Schäferspiel, keine Kaserne, kein Newa-Ufer – aber das erwartet man ja auch nicht wirklich. Im ersten Akt funktionieren die Bilder auch sehr gut und man erlebt eine durchaus stimmige Übertragung in die Jetztzeit, in der die russische Geschichte (politisch und künstlerisch)  angedeutet oder deutlich gezeigt wird (von Lenin über Kandinsky bis zu Putin). Im weiteren Verlauf überzeugt die Umsetzung dann weniger. Vor allem die Szene im Gemach der Gräfin ist völlig überladen und damit ihrer ganz besonderen Dämonie beraubt. Dass Lisa Hermann zu sich nach Hause zur Aussprache einlädt ist eher unwahrscheinlich und  nimmt ihr auch die Gelegenheit sich in die Fluten der Newa zu stürzen. Warum man das finale Kartenspiel über die Computer spielen muss, erklärt sich nicht wirklich, denn auch heute noch werden mit echten Karten Vermögen verspielt und gewonnen und es wird auch in dieser Produktion an anderer Stelle ganz klassisch mit Karten gespielt. Da sind wohl die Modernisierungspferde mit dem Team durchgegangen. Auf diese Weise wird auch nicht klar, dass Hermann – sich seiner Sache absolut sicher – am Schluss aus Versehen die falsche Karte spielt. Etwas zu plakativ ist auch sein Untergang bebildert, der zeigt, wie er sich in der Kabellage seines Verlierercomputers verheddert oder gar stranguliert.

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Kor-Jan Dusseljee (Hermann), Dame Gwyneth Jones (Gräfin)

Eine große Stärke dieser Produktion ist die sehr intensiv gestaltete Personenregie, die selbst die kleinsten Rollen ganz individuell zeichnet. Eindrucksvoll erscheint die Entwicklung der Lisa von der kühlen verschacherten Verlobten zur romantischen, liebenden Frau bis zur wahnsinnig lachenden Abservierten, die sich nicht umbringt, sondern als Jeletzkis Gattin weiterleben muss. Noch eindrucksvoller entwickelt sich Hermann vom sehnsüchtig liebenden, mit dem Feuer spielenden, sich in Gefahr begebenden und darin umkommenden Außenseiter, der zu einer Gesellschaft dazugehören will, in die er nicht gehört. Schade nur, dass ausgerechnet die Vielschichtigkeit und Individualität der Gräfin nicht ausgearbeitet wurde. Als einzige wirkt sie wie eine Wachspuppe, der man weder die Giftigkeit oder den Lebensverdruss, weder die Herrschsucht über Lisa, noch die Sorge um sie und schon gar nicht das Dämonische, ja Mumienhafte ansieht. Das ist besonders schade, weil man mit der inzwischen 79jährigen (in diesem Alter darf man es nennen) Dame Gwyneth Jones eine Charakterdarstellerin erster Güte zur Verfügung hätte. Für die große Szene der Gräfin braucht man eigentlich nur sie selbst, vielleicht noch ein paar alte Bilder auf einer Kommode. Das ganze hier aufgefahrene Brimborium kann man sich sparen, aber es ist wohl dem Drang so vieler Regisseure geschuldet, alles überdeutlich zu zeigen und jedes Detail zu bebildern, anstatt auf die Gestaltungskraft der Sängerpersönlichkeiten zu vertrauen. Schade – aber dennoch bietet Dame Gwyneth eine beeindruckende Leistung, nicht nur trotz, sondern auch wegen zum Teil brüchiger Stimme. Es ist ein anrührendes Wiedersehen, mit einer der ganz großen Hochdramatischen des letzten Jahrhunderts, die immer noch eine enorme  Bühnenpräsenz hat. Eine Grande Dame par excellence. Die Idee, dass Hermann sich im Zimmer der Gräfin nicht versteckt, sondern in alten Filmrollen eine Aufnahme von Gwyneth Jones als Venus im Tannhäuser (mit Spas Wenkoff, Bayreuth 1978) aufsucht und abspielt, ist nicht nur eine Reminiszenz an die Künstlerin, sondern zielt auch darauf, dass man die Gräfin laut Libretto in ihren jungen Jahren als „Moskauer Venus“ bezeichnet hat.

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Kor-Jan Dusseljee (Hermann)

Gesungen wird in Braunschweig auf hohem Niveau, wobei man nicht vergessen darf, dass im Haus eine „Akustikverbesserungsanlage“ installiert ist, die die Stimmen größer  und voluminöser und das Orchester sehr präsent, ja zuweilen sogar zu laut klingen lässt. Nichtsdestotrotz entfesselt Dirigent Adrian Müller die Leidenschaften dieser grandiosen Musik ebenso intensiv wie die melancholisch-sehnsüchtigen Elemente. Das Staatsorchester folgt ihm mit der glücklichen Kombination von Leidenschaft und Exaktheit und auch der bestens einstudierte Chor hinterlässt einen sehr guten Eindruck. Kor-Jan Dusseljee setzt die oben beschriebene Entwicklung auch stimmlich um und ist für den gleichfalls unsteten wie leidenschaftlichen Hermann mit klangvollen, zuweilen leicht rauen Tönen eine gänzlich überzeugende Besetzung. Nadja Stefanoff begeistert und berührt als Lisa mit beseeltem und dabei doch immer klarem und ausdrucksvollem Sopran. Orhan Yildiz singt hochkultiviert den Fürsten Jeletzkij, Oleksandr Pushniak ist ein stimmvoller Graf Tomskij und sei stellvertretend für die kleineren Rollen genannt, die in dieser Produktion überzeugend bis luxuriös besetzt sind. Ein besonderes Lob gebührt der allgemeinen Textverständlichkeit, die für die hier gewählte Kombination von deutscher Übersetzung und russischer Originalsprache besonders wichtig ist.

FAZIT

Eine musikalisch und sängerisch herrliche und trotz gewisser szenischer Einschränkungen unbedingt lohnende und empfehlenswerte Produktion.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Adrian Müller

Inszenierung
Philipp Kochheim

Bühne
Thomas Gruber

Kostüme
Gabriele Jaenecke

Chor
Georg Menskes,
Johanna Motter

Dramaturgie
Sarah Grahneis

 
 

Staatsorchester Braunschweig

Chor des
Staatstheaters Braunschweig

Statisterie des
Staatstheaters Braunschweig

Solisten

*rezensierte Aufführung

Lisa
Nadja Stefanoff

Hermann
Kor-Jan Dusseljee*
Zurab Zurabishvili

Die Gräfin
Dame Gwyneth Jones

Fürst Jeletzkij
Orhan Yildiz

Graf Tomskij
Oleksandr Pushniak

Polina
Sofiya Palamar*
Anne Schuldt

Gouvernante
Sofiya Palamar*
Anne Schuldt

Tschekalinskij
Matthias Stier

Ssurin
Selçuk Hakan Tiraşoğlu

Tschaplitzkij
Michael Ha

Narumow
Rossen Krastev

Mascha
Jennifer Kreßmann



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Braunschweig
(Homepage)




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