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Die Meistersinger von Nürnberg

Oper in drei Aufzügen
Musik und Text von Richard Wagner

Aufführungsdauer: 5 Stunden, 40 Minuten (2 Pausen)

Premiere am Theater Chemnitz am 19. März 2016
(rezensierte Vorstellung: 27. März 2016)


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Theater Chemnitz
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Nachts im Museum

Von Bernd Stopka / Fotos von Dieter Wuschanski / Die Theater Chemnitz gGmbH 

Richard Wagner liebte Mythen und Legenden, Geschichten und Erzählungen – historisch Verbürgtes und gut Erfundenes. Und das nicht nur in seinen Dramen, sondern auch in seinem Leben, wobei er sich da gern selbst in ein verklärtes Licht setzte und sich als von einer höheren Macht geschützt, gestützt, zu seinem Werk berufen und in ihm bestätigt darstellte. Das konnte er im Kleinen wie im Großen. Sei es, dass er zunächst behauptete, die Musik zum Karfreitagszauber sei ihm an einem Karfreitagmorgen in den Sinn gekommen (was er Cosima gegenüber später richtigstellte, in dem er sagte, so hätte er sich einen Karfreitagmorgen vorgestellt…), bis zur gedichteten Schmeichelei, er hätte den Parsifal am Geburtstag seines Gönners Ludwig II vollendet – obwohl er schon ein paar Tage vorher fertig geworden war. Inwieweit Wagner den Beschluss Die Meistersinger von Nürnberg auszuführen tatsächlich wie von ihm behauptet beim Betrachten von Tizians Gemälde Mariä Himmelfahrt gefasst hat oder ob dies ebenfalls in den Bereich der Berufungsmythen gehört, ist nicht nachzuweisen. Aber die Geschichte ist schön und bewirkte bei Regisseur Michael Heinicke und Bühnen- und Kostümbildner Peter Sykora eine Regieidee für die Neuinszenierung dieses Werks am Opernhaus Chemnitz: Sie lassen Die Meistersinger von Nürnberg in einem Museum spielen.

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Eva (Maraike Schröter) und Stolzing (hier: Thomas Piffka)

Noch vor Beginn des Vorspiels streift neben anderen Besuchern unverkennbar der Dichterkomponist durch einen Ausstellungssaal. Zwei aus einem Altar entlehnte Apostelgemälde weisen auf die viel genannte Konstellation Hans Sachs + 12 Meistersinger = Christus + 12 Apostel hin (wenn man den erkrankten Meister Niklas Vogel mitrechnet). Hans Sachs sehen wir rechts überlebensgroß in Bronze gegossen. Wagner entdeckt das genannte Gemälde und mit dem oben beschriebenen Gedanken setzt die Musik ein. Er dreht das auf einer Staffelei stehende Werk in Position, so dass sich die Kunstgemeinde davor sammeln und ihren Choral singen kann. Mit ihrem Auftritt wechseln die Kostüme aus Wagners Zeit zur deutschen Renaissance, doch diese Kostüme sind gar zu aufwändig und phantasiereich, mehr historisierend als historisch – und vor allem sind sie viel zu neu. Einen Moment könnte man sie für Karikaturen halten. Doch das trifft höchstens auf Beckmesser zu, der aussieht wie eine Fledermaus mit gelben Schuhen. Sind das verkleidete Kunstfreunde? Oder lebendig gewordene Gemäldefiguren? Die Geschichte wird jedenfalls wie bekannt und im Libretto wiederzufinden erzählt, aber mit allerlei neckischen und netten Aktionen angereichert, die das Humoristische dieses außergewöhnlichen Wagner-Werkes unterstreichen, aber auch nachdenkliche Akzente setzen – wie das Entsetzen über Pogners Vorschlag (das aber so gar nicht zum gesungenen Jubel passen will). Dass sich die Meistersinger/Kunstfreunde im Museumssaal zu ihrer Vereinssitzung treffen ist zwar eher unwahrscheinlich aber doch hinreichend möglich. Soweit funktioniert die Idee.

Doch spätestens im zweiten Akt stolpert das Regieteam über das eigene Konzept. Das Einheitsbühnenbild „Museumssaal“ wird zu Künstlerwerkstätten, in der die Lehrbuben der Maler, Grafiker und Bildhauer nachts (nach Feierabend?) aktiv sind. Eine rundum laufende Galerie bietet eine zweite Spielebene. Doch warum sollte Beckmesser hier für Eva sein Ständchen singen? Warum werkelt Sachs an Backmessers Schuhen herum (er repariert die alten, macht ihm keine neuen). Und nun muss Hans Sachs nicht  nur „Schuhmacher und Poet dazu“ sein, sondern auch noch Freizeitmaler, was denn doch ein bisschen sehr darum bemüht wirkt, die Regieidee zu rechtfertigen. Die Prügelei wird hauptsächlich unter den Meistern ausgetragen. Aber wenigstens bekommt David von Sachs seinen librettogemäßen Fußtritt in den Hintern während der Nachtwächter aussieht wie ein verängstigter Dschingis Khan. Es ist so einiges los, nachts im Museum.

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Sachs (Franz Hawlata) und Beckmesser (Roman Trekel)

Im dritten Akt hingegen wird die Regie versöhnlich und zeigt eine Bühne auf der Bühne, vielleicht auch ein lebendig werdendes Bild. Links eine Bibliothek vor der Sachs eingeschlafen ist und rechts eine kleine Schusterwerkstatt. Quicklebendig, mit Witz und Elan wird die Geschichte ganz realistisch wirkend erzählt, so wie man sich vielleicht eine der Komödien des historischen Hans Sachs vorstellen könnte. Herrlich ist die Szene zwischen Sachs und Beckmesser, rührend, wie Sachs es gerade so eben schafft, Evas weiblichen Reizen zu widerstehen und hochmusikalisch, wie das kurz-kurz-lang-Motiv nach dem Vorspiel zu Davids Anklopfzeichen wird. Zur Festwiese, oder besser Museumsfeier, muss zum szenisch nur bedingt stattfindenden Aufzug der Zünfte erst einmal der Müll der letzten Nacht aufgeräumt werden. Aber die typischen Attribute der Handwerker werden gezeigt und die „Mädels aus Fürth“ erscheinen als papagenahaft verkleidete alte Frauen ehe sie mit den Lehrbuben tanzen. Die Meister erscheinen wenig feierlich aber sichtbar lädiert und verfeindet mit Schärpen über den Schultern, die König Davids Harfe zeigen, während Sachs versonnen von der Seite hereinschlendert und noch ein paar Zeilen in sein Notizbuch schreibt. Das Podium wackelt tatsächlich und der gewichtige Hans Sachs muss Beckmesser erst beweisen, dass es wieder in Ordnung ist, bevor dieser sein Werbelied singt (im Ausdruck möglicherweise den entsprechenden Weisen der Meisterregeln angepasst, wie z. B. bei „garstig“ und „fein“).  Am Schluss kommt er dann von selbst wieder auf die Bühne, nimmt Magdalene den Lorbeerkranz vom Kissen und überreicht ihn Eva, die damit ihren Stolzing krönt. Als dieser die Meisterschärpe ablehnt, wird er von Sachs brutal zurechtgewiesen, in dem er ihn zu Boden stößt. Den angebotenen Lorbeerkranz weist er seinerseits zurück und verschwindet in der Menge. Beckmesser und Stolzing versöhnen sich per Handschlag und Stolzing nimmt die Schärpe von seinem zukünftigen Schwiegervater an – trägt sie aber andersherum, so dass man die Harfe nicht sieht. Bei der Dichtkunst hat er sich bekanntermaßen angepasst, nur musikalisch erlaubt er sich mit seinem Preislied erhebliche Freiheiten. Eva ist zufrieden. Kuss und Schluss.

Klassisch Erzähltes und eigenwillig Bebildertes charakterisieren diese Inszenierung, der jedoch ein großes Manko anhaftet: Wagner hat die Geschichte der Dichtkunst in einem weiten Rahmen von Natur (Flieder) und Gesellschaft in allen ihren Ausprägungen gestellt, hinterfragt und mit der Vielfalt des Lebens verknüpft. Hier köchelt die Kunst im Museum in ihrem eigenen Saft. Und ja, sie köchelt nur, sie kocht nicht einmal richtig auf, was spannender gewesen wäre und sicher auch die Schlafgeräusche im Publikum vermindert hätte. Die Brüche zwischen Wagner-Zeit, Sachs-Zeit und modernem Museumssaal reichen hierzu nicht aus. Genauso wenig, wie diese Regieidee für die ganzen Meistersinger.

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Sachs (Franz Hawlata) und Eva (Maraike Schröter)

Mit Franz Hawlata steht in Chemnitz ein Sängerdarsteller mit enormer Bühnenpräsenz auf der Bühne, ein „Musiktheater-Urviech“ im besten Sinne. Vor allem sein komödiantisches Talent kommt ihm in dieser Produktion zugute, wobei er aufpassen muss, dem Affen nicht zu viel Zucker zu geben – auch sängerisch, wenn er allzu frei mit seinen Einsätzen, seinem Text und der Vokalfärbung umgeht, was aber auch an einer Indisposition gelegen haben mag, denn in der hier besprochenen Aufführung war er erkältet, sang aber dennoch und ließ sie so nicht platzen. Dafür gebührt ihm Dank und Achtung. Ebenso Daniel Kirch, der schon eine Woche vorher in der Premiere als Stolzing eingesprungen war und nun seinerseits angeschlagen die Partie aber trotzdem ganz beachtlich sang und vor allem mit seinem lyrisch-warmem Timbre und sanft strahlenden Spitzentönen den Ohren schmeichelte, auch wenn man bei ihm ebenfalls geringe Beeinträchtigungen durch die Indisposition hören konnte. Roman Trekel ist ein ganz exzellenter Beckmesser, der die Partie hochkultiviert singt und die Figur überzeugend zwischen karikaturähnlichen Andeutungen und menschlicher Größe und Tragik darstellt. Selbst sein Harfenspiel wirkt täuschend echt. Kouta Räsänen geht den Pogner sehr vorsichtig an, so, als ob er noch etwas zu viel Respekt vor der Partie hätte, lässt aber mit satten Tönen aufhorchen und demnächst mehr erwarten. André Riemer hat den David gründlich einstudiert, singt ihn mit angenehmen Tönen, bleibt aber ein gar zu braver, etwas blasser Lehrbube. Matthias Winter ist ein stimmstarker Kothner, Johannes Wollrab ein beachtlicher Nachtwächter. Die sogenannten „kleinen Meister“ sind adäquat besetzt und machen besonders durch ihre ausgesprochen exakt einstudierten Ensembles aufmerksam. Kaum Wünsche lassen an diesem Abend die Damen offen: Tiina Penttinen singt die Magdalene charaktervoll und energisch. Ebenso Maraike Schröter, die die Eva als eine  selbstbewusste junge Frau, nicht als naives Mädchen darstellt, der Partie dabei ebenso wenig die lyrischen Momente wie dramatische Ausbrüche schuldig bleibt. Eine rundum überzeugende Interpretation.

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Sachs (Franz Hawlata) und Stolzing (hier: Thomas Piffka) mit den Meistersingern und dem Chor

Elanvoll schlank beginnt GMD Frank Beermann das Vorspiel, nimmt das Orchester dann aber – wahrscheinlich zugunsten der Sänger – immer mehr zurück. Das wird dann stellenweise etwas wenig für die eigentlich so vielfarbig zum Leuchten zu bringende Partitur. Doch sängerfrei, z. B. mit dem Vorspiel und der Pantomime im dritten Akt gelingen ihm sehr eindrucks- und stimmungsvolle Momente und im Finale erklingt dann auch die Festlichkeit, die er ansonsten zu vermeiden scheint. Es wird nicht ganz unfallfrei gespielt und gesungen, aber das Orchester klingt ebenso konzentriert und engagiert wie Chor und Extrachor.

Michael Heinicke war über 26 Jahre am Chemnitzer Haus aktiv und hat sich hier als Chefregisseur insbesondere auch mit den Werken Wagners auseinandergesetzt. Spektakulär und heiß geliebt war seine Ring-Inszenierung um die Jahrhundertwende, die Chemnitz in alter Tradition als „Sächsisches Bayreuth“ wieder erstehen ließ und die die Freunde von Wagners Werken zum Teil sogar mehrfach von weit her anreisen ließ. Mit diesen Meistersingern verabschieden sich Michael Heinicke als Chefregisseur und Frank Beermann als Generalmusikdirektor vom Chemnitzer Publikum.

FAZIT

Nicht jede Idee muss in einer Inszenierung enden. Zuweilen stellt man sich selbst ein Bein, wenn man sie zu hartnäckig verfolgt. Lebendig werdende Bilder in einem Museum wäre eine Idee, doch das Museum als Spielort funktioniert vor allem im zweiten Akt nicht und bleibt auch sonst der Vielfalt des Werkes zu viel schuldig. Gesanglich bewältigen Ensemble und Gäste dieses Wagnersche Ausnahmewerk beachtlich.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Frank Beermann

Inszenierung
Michael Heinicke

Bühne und Kostüme
Peter Sykora

Licht
Matthias Vogel

Chor
Stefan Bilz

Dramaturgie
Carla Neppl

 

Opern- und Extrachor
der Oper Chemnitz

Statisterie

Robert-Schumann-
Philharmonie Chemnitz


Solisten

Hans Sachs
Franz Hawlata

Veit Pogner
Kouta Räsänen

Kunz Vogelgesang
Tommaso Randazzo

Konrad Nachtigall
Andreas Kindschuh

Sixtus Beckmesser
Roman Trekel

Fritz Kothner
Matthias Winter

Balthasar Zorn
Marcus Sandmann

Ulrich Eisslinger
Edward Randall

Augustin Moser
Jürgen Mutze

Hermann Ortel
Andreas Beinhauer

Hans Schwarz
Thomas Mäthger

Hans Foltz
Wieland Müller

Walther von Stolzing
Daniel Kirch

David
André Riemer

Eva
Maraike Schröter

Magdalene
Tiina Penttinen

Nachtwächter
Johannes Wollrab



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Chemnitz
(Homepage)



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