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Traditionslinien, abstrakt
Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt
Es mag die Sehnsucht nach absoluter Schönheit gewesen sein, die Frederick Ashton kurz nach dem Kriegsende veranlasste, ein abstraktes Ballett zu kreieren, dass sich frei macht vom Ballast irgendwelcher Geschichten und Botschaften. Die Musik, César Francks Variations symphoniques für Klavier und Orchester, hatte den englischen Choreogrphen bereits längere Zeit durch die Kriegsjahre hindurch beschäftigt. Mit dem Londoner Sadler's Wells Ballet wurde die Choreographie am 24. April 1946 im Royal Opera House Covent Garden uraufgeführt und schnell als eine der herausragenden Arbeiten der Zeit gefeiert - in der lyrischen Poesie spiegelte sich auch der Neubeginn (1948 war die Produktion auch als Gastspiel in Düsseldorf zu sehen). Das Bühnenbild von Sophie Fedorovitch, eine abstrakte Landschaft in orange-grün, von Wellenlinien durchzogen, verblüfft auch bei dieser Neueinstudierung (während die Kostüme - weniger die weißen Kleidchen der Damen, stärker die sich von der rechten Schulter schräg zur linken Hüfte ziehenden Oberteile der Herren und die merkwürdigen Kopfbedeckungen - doch ziemlich drollig wirken).
Die vordergründige Leichtigkeit ist allerdings hart erkauft und fordert höchste Anstrengung von den je drei Tänzerinnen und Tänzern. Immer wieder tanzen die Damen auf Spitze, mitunter endlos lang, und dass die halb entblößten Oberkörper der Herren am Ende schweißnass glänzen, gehört wohl auch zum Programm Ashtons. Mit dem klassischen Vokabular folgt er sehr genau der Komposition und deren dialogischem Charakter: Die Damen sind, vereinfacht gesagt, dem Klavier, die Herren dem Orchester zugeordnet. Es gibt keine festen Paare, sondern Ashton variiert entsprechend dem Aufbau der Musik die Konstellationen vom Solo bis zum Ensemble. Die Tänzer haben ihre individuelle Persönlichkeit aufgegeben, sind vielmehr Ausführende eines hochartifiziellen Programms (wobei das penetrante Dauerlächeln schon ein wenig anstrengend ist - ganz frei vom Staub der Historie sind die Symphonic Variations bei aller Faszination dann doch nicht). Mit Rink Sliphorst, Eric White und Brice Asnar stellen sich drei Tänzer vor, die neu im Ensemble sind, und zusammen mit So-Yeon Kim, Ann-Kathrin Adam und Doris Becker bewältigen sie die immensen Anforderungen beeindruckend. Die Düsseldorfer Symphoniker unter Leitung von Wen-Pin Chien und Cécile Tallec am Klavier begleiten recht pauschal und geheimnislos. Symphonic Variations: Brice Asnar, Rink Sliphorst, Eric White Düsseldorfs Ballettdirektor Martin Schläpfer hat Ashtons Choreographie geschickt in die Mitte eines dreiteiligen Abends gestellt, der die Leitlinien zeigt, die von Ashton zu zwei der ganz großen zeitgenössischen Choreographen führen: William Forsythe und Hans van Manen. Am Beginn steht workwithinwork, von Forsythe 1998 für das Frankfurter Ballett entworfen zu Musik von Luciano Berio - 34 kurzen Duetten für zwei Violinen, geschrieben als eine Art Schulwerk für zeitgenössische Musik. Forsythe nimmt diese ziemlich spröden Miniaturen als Vorlage, um Bewegungsfolgen des klassischen Balletts aus dem Zusammenhang zu reißen, neu zu montieren und mit scheinbaren Alltagsbewegungen, die allerdings höchst komplex ablaufen, zu verbinden. Auch hier gibt es keine Handlungselemente, höchstens blitzlichtartige Momente von assoziativem Gehalt. Da wirbelt eine Tänzerin mit den Armen wie eine hysterische Diva, da scheinen Paare miteinander zu ringen, prallen Köpfe beinahe gegeneinander und weichen sich doch auf geheimnisvollen Linien aus. Manche Bewegung sieht auf künstlerische Weise unbeholfen aus - da hat die Choreographie durchaus ihre komischen Momente.
Die Kostüme (Stephen Galloway) sehen auf den ersten Blick aus wie Trainingskleidung, eine Spur lässig, sind aber ebenfalls sehr genau durchgestaltet. Wie sich die Körper verhaken und wieder lösen, Gruppen sich finden und auflösen, die kleingliedrige Musik die Abläufe strukturiert und die Ablösung der unterschiedlichen Formationen doch über die einzelnen Musiknummern verbindet, das alles scheint einem geheimnisvollen Mechanismus unterworfen. Forsythe hat das ungeheuer konzentriert choreographiert, die Abläufe verdichtet, sodass keine Bewegung überflüssig erscheint. Wo Ashton in der Schönheit der Bewegung (und des Balletts) schwelgt, zeigt Forsythe eine maschinenhafte Notwendigkeit, die sich in einem eigenen ästhetischen Raum entfaltet (und man kann sich keine passendere Musik vorstellen als die von Berio, die vom Band kommt). Vom Publikum wurde das ungeachtet der in der hier besprochenen Aufführung allerdings ziemlich unterkühlt aufgenommen. Two Gold Variations: Marlúcia do Amaral, Alexandre Simões
Hans van Manen, der mit Two Gold Variations den Schlusspunkt setzt, gibt sich da vergleichsweise versöhnlich, geht es ihm in diesem 1999 für das Nederlandse Dans Theater choreographierten 20-Minuten-Stück doch einmal mehr um die Beziehung zwischen Mann und Frau. Zweimal (und später noch ein drittes Mal) umfasst der groß gewachsene, muskulöse Alexandre Simoes die zierliche Marlucía do Amaral (die doch so groß wirkt, sobald sie zu tanzen beginnt, hier aber fast verschwindet in den Armen ihres Partners), und es entwickeln sich zwei Variationen von Begegnung , teilweise mit sechs weiteren Paaren vervielfacht oder auch kontrastiert. Der Titel des Stücks bezieht sich auf die Musik - das etwas reißerische Goldrush Concerto des niederländischen Komponisten Jacob ter Veldhuis für Schlagzeug-Duo und Orchester, sehr farbig gespielt von Kevin Anderwaldt und Rafael Sars und wiederum den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von Wen-Pin Chien. Van Manen greift den showhaften Charakter in seinen Ensembles auf, stellt aber das ausgesprochen intensive Ertasten des Raums durch do Amaral und Simoes dagegen. Ein Handlungsballett ist Two Gold Variations aber nicht, vielmehr scheint sich die Spannung des Paars auf den Raum und das Ensemble zu übertragen, löst sich sozusagen ab und sucht sich eigene Wege - auch hier eine Form von Abstraktion. Eingebaut sind ein paar überraschende, auch sehr witzige Momente. Ob sie am Ende zueinander finden? Sieht ganz danach aus, aber zu sicher darf man sich bei van Manen nicht sein.
Ein geschickt konzipierter, relativ kurzer Tanzabend ohne Uraufführung und ohne eine eigene Choreographie von Martin Schläpfer - aber Pflege von Repertoire und Tradition auf ganz hohem Niveau. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteamworkwithinwork
Choreographie und Bühne
Kostüme
Licht
Choreographische Einstudierung Tänzerinnen und TänzerCamille AndriotDoris Becker Odsuren Dagva Feline van Dijken Sonia Dvorak Michael Foster Filipe Frederico Nathalie Guth Philip Handschin So-Yeon Kim Helen Clare Kinney Alban Pinet Friedrich Pohl Boris Randzio Virginia Segarra Vidal Irene Vaqueiro Symphonic Variations
Choreographie
Bühne und Kostüme
Licht
Choreographische Einstudierung
Klavier
Musikalische Leitung Die Düsseldorfer Symphoniker Tänzerinnen und TänzerAnn-Kathrin AdamDoris Becker So-Yeon Kim Brice Asnar Rink Sliphorst Eric White Two Gold Variations
Choreographie
Bühne und Kostüme
Licht
Choreographische Einstudierung
Musikalische Leitung
Schlagzeug-Solo Die Düsseldorfer Symphoniker Tänzerinnen und TänzerMarlúcia do AmaralAlexandre Simões Wun Sze Chan Tomoaki Nakanome Sabrina Delafield Vincent Hoffman Nathalie Guth Odsuren Dagva Norma Magalhães Bruno Narnhammer Asuka Morgenstern Richard Jones Irene Vaqueiro Friedrich Pohl
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