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Derber Humor in russischer Gesellschaftssatire
Von Thomas Molke / Fotos von Hans Jörg Michel
Nikolai Rimski-Korsakows Oper Der goldene Hahn nimmt im Schaffen des russischen Komponisten eine besondere Stellung ein. Zum einen ist es die letzte Oper, die er komponierte, und basiert zudem auch noch auf dem letzten Märchen, was Alexander Puschkin gut 70 Jahre früher verfasst hatte. Zum anderen bezieht Rimski-Korsakow mit dieser Satire auf russische Herrschaftsstrukturen erstmals politisch Stellung, so dass die russische Zensur die Aufführung dieses Werkes zunächst verhinderte. Da Rimski-Korsakow nicht bereit war, auf den von der Zensur geforderten Verzicht des Prologs und Epilogs und die Streichung weiterer Verse einzugehen, erlebte er selbst die Uraufführung seines Werkes nicht mehr. Diese fand erst ein Jahr nach seinem Tod mit den geforderten Änderungen im Solodownikow-Theater in Moskau statt. 1914 brachte dann Sergej Diagilew mit dem Ballets Russes in Paris die ungekürzte Fassung - allerdings als Ballett-Oper - heraus, was wiederum bei Rimski-Korsakows Erben auf Missfallen stieß. Dennoch konnte das Werk dort einen riesigen Erfolg verbuchen und schlug gewissermaßen den Bogen von der russischen Klassik hin zur Moderne. Während die Oper heutzutage in Russland zum gängigen Repertoire zählt, steht das Werk in Deutschland eher selten auf den Spielplänen. Große Politik in der Badewanne: von links: Prinz Afron (Roman Hoza), König Dodon (Boris Statsenko), General Polkan (Sam Luttinen) und Prinz Gwidon (Corby Welch) Das Märchen handelt von dem fiktiven Zaren Dodon, der bei Puschkin als Anspielung auf die beiden russischen Herrscher Nikolai I. (1825 - 1855) und Alexander I. (1801 - 1825) gelesen werden kann. Dodon ist des Kämpfens überdrüssig und wünscht sich ein bequemes Leben. Als ihm seine beiden einfältigen Söhne Gwidon und Afron ebenso wenig einen brauchbaren Rat geben können wie sein General Polkan, tritt ein Astrologe auf, der dem Zaren einen goldenen Hahn anbietet, der ihn durch sein Krähen vor jeglicher Gefahr warnen soll. Die Belohnung hält sich der Astrologe für einen späteren Zeitpunkt offen, wenn das Tier seine Qualitäten unter Beweis gestellt hat. Schon bald deutet der Hahn durch sein Krähen Gefahr für das Reich an, und Dodon lässt seine beiden Söhne zum Schutz des Vaterlandes in den Krieg ziehen. Doch der Feldzug ist nicht von Erfolg gekrönt, und Dodon muss selbst zu den Waffen greifen. Allerdings trifft er auf keinen Feind, sondern nur auf die schöne Königin von Schemacha, die ihn verführt und dazu bringt, sie zur neuen Zarin zu ernennen. Gemeinsam mit ihr kehrt er unter großem Jubel des Volkes in sein Reich zurück. Nun fordert der Astrologe allerdings die Königin als Belohnung für die Dienste des goldenen Hahns. Dodon weigert sich und tötet den Astrologen, woraufhin ihn der goldene Hahn zu Tode hackt und mit der Königin verschwindet. Das Volk bleibt hilflos zurück. In einem Epilog erklärt der Astrologe, dass alles nur ein Märchen gewesen und nur er selbst und die Königin reale Personen seien. Der Astrologe (Cornel Frey) und der goldene Hahn (Eva Bodorová) (im Hintergrund: Chor) Für die Regie hat man an der Deutschen Oper am Rhein Dmitry Bertman engagiert, der 1990 die Moskauer Helikon Oper gründete, die bereits 1993 den Status eines Nationaltheaters erhalten und sich seitdem mit über 100 Produktionen auch international einen renommierten Ruf erarbeitet hat. Um die Poesie der russischen Sprache spürbar zu machen, werden die Übertitel in Versform eingeblendet. Bertman legt mit seinem Regie-Team ein besonderes Augenmerk auf den Humor des Stückes, der für russische Opern - so Bertman - eigentlich recht untypisch sei. Das mag in dem einen oder anderen Fall vielleicht etwas derb oder klamaukig ausfallen, passt aber alles in allem zu der recht abstrusen Handlung. Im Prolog lässt Bertman den Astrologen bereits mit der Königin von Schemacha und dem goldenen Hahn auftreten, was suggeriert, das auch der Hahn eine Figur außerhalb des Märchens ist. Die Kostüme, für die Ene-Liis Semper verantwortlich zeichnet, wirken bei den drei Figuren absolut märchenhaft. Die Königin erinnert in ihrem Goldschmuck einerseits an eine orientalische Schönheit und greift andererseits mit dem Gold auch die Farbe des Hahns auf, dessen Kostüm mit den goldenen Flügeln von einem Bild im Programmheft von einer Aufführung des Stückes aus dem Jahr 1932 inspiriert zu sein scheint. Die Welt des Zaren ist im Bühnenbild von Semper eher abstrakt und zeitlos gehalten. Witzig ist der Einfall, den Zaren zu Beginn mit seinen beiden Söhnen und dem General in der Badewanne zu zeigen, während die Parlamentsmitglieder in grauen Anzügen außerhalb des Geschehens zunächst auf Anweisungen aus dem Badezimmer zu warten, dann aber durch einen riesigen Bogen aufeinander loszugehen scheinen. König Dodon (Boris Statsenko) mit seiner Haushälterin Amelfa (Renée Morloc) bei den "Regierungsgeschäften" Ob man den orientalischen Zauber der Königin von Schemacha mit Paris verbinden und den zweiten Akt folglich in Frankreich spielen lassen sollte, ist Geschmacksache. Im zweiten Akt wird dieser Regie-Einfall noch nicht so deutlich, zumal auch die Tänzerinnen und Tänzer in ihren goldenen Kostümen wie die Königin zum einen orientalisch wirken, zum anderen eine Assoziation zu dem Hahn entstehen lassen, der seine Warnungen aus dem ersten Rang mal von der linken und mal von der rechten Seite vorbringt, während der eigentliche Hahn als goldene Figur in einem Käfig auf der Bühne steht. Erst bei der Rückkehr des Zaren mit der Königin an seiner Seite wird klar, dass nun der Luxus und Wohlstand im verarmten Russland Einzug halten. Während das Volk riesige Käserollen und Fleischprodukte und Wein einführt, haben sich die beiden Söhne, die in Bertmans Inszenierung noch leben, aufgetakelte It-Girls in mondänen Pelzmänteln geangelt, mit denen sie einem Leben im Luxus frönen. Unklar ist, wieso Dodons Haushälterin Amelfa im dritten Akt den Hahn geschlachtet haben soll. Renée Morloc verbreitet zwar großartige Komik, wenn sie das gebratene Hähnchen gierig auseinandernimmt, aber schlüssig ist dieser Ansatz nicht. Man fragt sich, wer denn den Zaren am Ende töten soll. Doch dafür findet Bertman eine plausible Lösung. Es ist Amelfa, die auf die neue Frau an Dodons Seite derart eifersüchtig ist, dass sie den Zaren mit dem gebratenen Hahn in der Hand von der Bühne jagt und erschlägt. Doch bei Bertman scheint am Ende auch der Zar selbst nicht tot zu sein. Nachdem der Astrologe nämlich im Epilog verkündet hat, dass alles nur ein Spiel gewesen sei und er und die Königin als einzige reale Personen existieren, öffnet sich die Bühne im Hintergrund und gibt den Blick frei auf einen äußerst lebendigen Monarchen, der sehr bedrohlich wirkt. Ist es also auch nur ein Märchen, dass man sich eines grausamen Potentaten tatsächlich entledigen kann? Die Königin von Schemacha (Antonina Vesenina) verführt den König Dodon (Boris Statsenko, rechts) (links: General Polkan (Sami Luttinen), im Hintergrund: Tänzerinnen). Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf hohem Niveau. Antonina Vesenina glänzt als Königin von Schemacha mit einem runden Sopran, der in den Höhen enorme Durchschlagskraft besitzt. Auch die verführerischen Momente gelingen ihr darstellerisch gut, so dass sie in ihrem glitzernden Kostüm eine durchweg gute Figur macht. Renée Morloc stellt optisch als bodenständige Haushälterin Amelfa das absolute Gegenteil dar und sorgt mit ihrer komödiantischen Darstellung für große Begeisterung im Publikum. Stimmlich überzeugt sie mit sattem Mezzo. Eva Bodorová aus dem Opernstudio verleiht der Titelfigur mit leuchtendem Sopran einen hellen Klang. Aufhorchen lässt auch Cornel Frey, der die extrem hoch angelegte Partie des Astrologen mit sauberen Spitzentönen meistert und der Figur etwas Magisches verleiht. Boris Statsenko spielt als Zar Dodon die Stimmungswechsel des unberechenbaren Herrschers glaubhaft aus und stattet die Partie mit kräftigem Bariton aus, der in den Höhen beweglich agiert und gleichzeitig über markante Tiefen verfügt. Sami Luttinen mimt den General Polkan wunderbar polternd, was er stimmlich noch durch seinen profunden Bass unterstreicht. Auch Corby Welch und Roman Hoza verleihen den beiden einfältigen Prinzen Gwidon und Afron darstellerisch eine komische Note und überzeugen stimmlich auf ganzer Linie. Der Chor unter der Leitung von Christoph Kurig präsentiert die Massenszenen mit imposantem Klang, und auch Axel Kober findet mit den Düsseldorfer Symphonikern mit großen orchestralen Bögen einen expressiven Zugriff zur Partitur. So gibt es für alle Beteiligten großen Beifall am Ende des Abends, in den sich auch das Regie-Team einreiht.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung Bühne und Kostüme Choreographie Licht Chorleitung
Dramaturgie
Chor der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorfer Symphoniker
Statisterie der
Solisten*Premierenbesetzung
König Dodon
Prinz Gwidon
Prinz Afron
General Polkan
Amelfa
Astrologe
Königin von Schemacha
Der goldene Hahn 1. Bojar 2. Bojar Tänzerin Tänzer
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