Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Die Stasi hört auch in der Nacht der Liebe mitVon Stefan Schmöe / Fotos von Thomas Jauk / Stages Pictures GmbHEs wird viel geraucht an diesem Abend. Schon gleich zu Beginn, da raucht ein Mann im Unterhemd, barfuß, zitternd. Ein Offizier unterschreibt etwas, ein Soldat verbindet dem Mann die Augen und führt ihn ab. Hinter der Bühne fällt ein Schuss. Dazu spielt das Orchester eher unpassend das Vorspiel zu Tristan und Isolde. Die Aura der Gewalt jedenfalls scheint wichtiger als die Musik. Der dienstbeflissene Offizier, das ist übrigens Tristan, und die Dienststube wird zur Passkontrolle genutzt - immer wieder betreten eingeschüchterte Menschen mit Koffer den Raum, zeigen dem schneidend arroganten Soldaten (der natürlich raucht) den Pass vor. Darunter sind auch Isolde und Brangäne. (Warum die beiden allerdings - es handelt sich immerhin um die Braut des Junta-Chefs, dessen Bild alle Räume ziert, samt Begleiterin - auf die gleiche Weise schikaniert werden, entzieht sich der Logik). So trank man wohl Liebestränke und dergleichen in den Diensträumen der Staatssicherheit: Bühnenbildner Mathis Neidhardt setzt auf poststalinistische Hässlichkeit. Tristan und Isolde kommen sich da ziemlich unromantisch näher.
Tristan als überaus korrekter Staatsdiener in einer Militärdiktatur, das mag als Hintergrund für den sich anbahnenden Konflikt noch angehen: Staatsraison und Liebe, das ist ja seit eh und je eines der großen Themen des Theaters (wenn auch nicht unbedingt von Tristan und Isolde). Im Glauben, durch einen Gifttrank dem Tode nahe zu sein, wirft Tristan seine zuvor überaus korrekte Haltung ab, und die beiden albern derart überzogen herum, dass für Kurwenal und Brangäne fremdschämen angesagt ist (und für das Publikum gleich dazu). Der Regie führende Dortmunder Intendant Jens-Daniel Herzog trägt nicht nur hier mächtig dick auf, auch in vielen anderen Szenen drängt die Inszenierung nervend in den Vordergrund, stört mit unnötigen Aktionen die Musik und lenkt ab. Mit aller Macht wird hier ein totalitärer Überwachungsstaat des analogen Zeitalters (Akten aus Papier, klobige Röhrenmonitore) vorgeführt, bei dem Folter und Sadismus auf der Tagesordnung stehen. Spätestens im zweiten Akt kippt das Stück, da werden Libretto und Musik mehr und mehr zur Nebensache, und das eigentliche Thema wird: Wie überlebe ich dieses System? Warum Tristan und Isolde da ewig lange von Liebe und Nacht faseln, zeugt bestenfalls von deren fortschreitendem Realitätsverlust. Purer Zynismus, wenn Marke von Ehre singt und gleichzeitig Tristan ins Gesicht schlagen lässt. (Dabei hat er doch einen großartigen Monolog zu singen, der textlich und musikalisch ungleich komplexer ist als die hier dargestellte Schurken-Version.) Um das Licht zu löschen, muss Isolde schon die Hauptsicherung mit der Axt traktieren. Kein Wunder, dass das nicht lange gut geht.
Mit einer ganz ähnlichen Sichtweise ist gerade Katharina Wagner in Bayreuth an Tristan und Isolde gescheitert. Hier wie dort wird Wagners alle Konventionen negiererender Gegenweltentwurf zu einem banalen Thriller mit eindimensionalen Figuren (und bei Herzog mit erhöhtem Gewaltpotenzial) banalisiert, und es ist schwer zu sagen, welche Inszenierung die schlechtere ist - beide sind ärgerlich in ihrer Kleingeisterei, einfache Erklärungsmodelle für das große Stück finden zu wollen. Beide enden mit einem von Marke inszeniertem Schlussbild, das alles wieder ins Lot des Schurkenstaats bringt (wenn Herzog schnell noch ein Bild nachschiebt, dass eine Vereinigung der Liebenden im Jenseits andeutet, wirkt das - gewollt oder ungewollt - wie der unbeholfene Versuch einer Abgrenzung gegenüber der ansonsten ganz ähnlichen Bayreuther Version). Nebenbei: John Dew, einer von Herzogs Amtsvorgängern, hat so etwas vor 20 Jahren schon inszeniert (was seinerzeit sogar irgendwie provokativ war). Nicht, dass man Opern nicht gegen den Strich bürsten darf, wenn man eine gute Idee hat - aber die muss man eben haben. Die Schrecken einer Militärdiktatur aus dem vorigen Jahrhundert in der Bühnenbildästhetik der späten DDR, das ergibt noch keine Geschichte, die über rund fünf Stunden erzählenswert wäre. "Wohin nun Treue, da Tristan mich betrog?" An einer Antwort ist Marke allerdings nicht weiter interessiert, denn in seinem Reich löst man Probleme wahlweise mit Schlägen oder Pistolenkugeln.
Dabei gäbe die fabelhafte Besetzung genug Anlass, das Stück aus dem Geist der Musik heraus zu interpretieren. Lance Ryan singt an den ganz großen Häusern, war als Siegfried in Bayreuth zu hören. Als Tristan hat er (der Vergleich auf diesem Niveau ist angebracht) nicht das dunkle Timbre seines Bayreuther Kollegen Stephan Gould, und im Piano wackelt die Stimme auch schon mal ein wenig, aber die Stimme hat Glanz und Durchschlagskraft, bleibt aber auch in den lyrischen Passagen beweglich. In den Fieberfantasien des dritten Aufzugs hat Ryan ganz starke Momente. Und auch Allison Oakes, die Sängerin der Isolde, hat Bayreuth-Erfahrung (als Gutrune in der Götterdämmerung). Sie bestzt nicht allzu viele Klangfarben und eine eher dünne tiefe Lage, aber sie singt die Partie mit schön gestalteten Bögen sorgfältig und ohne hörbare Anstrengung aus, und die eher jugendlich als hochdramatisch timbrierte Stimme hat Durchschlagskraft und kann in der hohen Lage bei Bedarf immer noch zulegen. Ziemlich viel Theaterblut, das Kurwenal da auftragen muss, aber er steht nun mal auf der falschen Seite. Später wird er eher beiläufig hingerichtet werden.
Als Brangäne imponiert Martina Dike (auch sie u.a. als Fricka in der Walküre mit Bayreuth-Erfahrung) mit immenser dramatischen Energie. Auch ihr fehlt es etwas an Tiefe und an den dunklen Klangfarben, aber die Präsenz der Stimme in der Höhe und die packende Gestaltung verleihen der Figur Wucht. Imposant ist ebenso der Kurwenal von Sangmin Lee, mit großer Stimme und sonorem, klangvollen Ton gesungen. Karl-Heinz Lehners Bass ist für den Marke inzwischen ein wenig unausgeglichen, schlank fokussierte Töne stehen da mitunter neben satten Bässen, aber die Stimme hat Wucht und die Partie ist klug gestaltet - wenn die Regie das nicht durch die Überzeichnung der Figur zum Superbösewicht hinfällig machen würde! Lucian Krasznec gibt einen nicht zu leichten Steuermann und Hirten. Da fällt der nicht schlechte, aber eher unauffällige Melot von Gerardo Garciacano schon ein wenig ab. Chefdirigent Gabriel Feltz dirigiert die Dortmunder Philharmoniker sehr sängerfreundlich, nimmt die Lautstärke oft zurück bis in ein schwebendes Pianissimo. Die Dortmunder Philharmoniker setzen das recht ordentlich um, leisten sich aber auch die eine oder andere Unkonzentriertheit an prominenten Stellen. Aber insgesamt gelingt der Spannungsaufbau doch sehr gut, Feltz zeigt Gespür für die Dimensionen des Werkes. So gab es zu Recht einhelligen Jubel für die musikalische Seite - und wenig Zustimmung für die Regie. FAZITTristan und Isolde als Opfer des ultrabösen König Marke - wer die Neuinszenierung der Bayreuther Festspiele gesehen hat, erlebt in Dortmund ein ärgerliches déja-vú: Hier wird das Werk szenisch in ganz ähnlicher Weise verspielt. Sehr eindrucksvoll ist dagegen die musikalische Seite. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Tristan
Marke
Isolde
Kurwenal
Melot
Brangäne
Hirt
Ein junger Seemann
|
© 2015 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de