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Dem Meerschweinchen jedenfalls scheint Lachemanns Musik zu gefallen
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Monika Rittershaus Ein kleines Mädchen erfriert in der Neujahrsnacht, angelehnt an eine Hauswand der Reichen. Wohin gehört so ein Opernstoff wenn nicht in Frankfurt? Dazu noch ein Text der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, die 1968 an einem Brandanschlag auf das Kaufhaus Schneider in Frankfurt beteiligt war, einem der Gründungsakte der RAF. Frankfurt, Stadt der Banken und ganz konkret auch noch Sitz der Europäischen Zentralbank - Helmut Lachemanns gar nicht so selten gespieltes Mädchen mit den Schwefelhölzern, uraufgeführt 1997 in Hamburg, ist an einem passenden Ort angekommen. Schauspieler Michael Mendl mit Meerschweinchen und Ensemble
So viel Überbau (oder Klischee) hätte der Oper mit allzu grob gestrickter Eindeutigkeit durchaus gefährlich werden können. Benedikt von Peter aber verbannt jede Anspielung auf Stadt und auf Tagesaktualität - jedenfalls was die eigentliche Inszenierung auf der Bühne betrifft. Als "Musik mit Bildern" hat Lachemann das Werk bezeichnet, das zwar in seiner Szenenfolge in etwa linear dem Märchen von Hans Christian Andersen folgt, aber weder Handlung noch handelnde Personen besitzt. Der Text ist aufgesplittert in kleine und kleinste Fragmente, nur ansatzweise zu verstehen und auf zwei Solo-Soprane und den Chor verteilt. Die besagten Bilder, auf die der Untertitel anspielt, sind da als Klangbilder zu verstehen. Von Peter lässt die Bühne hochfahren und platziert das Orchester auf dieser emporenartigen Erhöhung sowie in den Rängen, sodass ein Raumklang entsteht, der von oben, oder metaphorischer gesagt: aus höheren Sphären kommt. Auf dem überbauten Orchestergraben sind zusätzliche Sitzreihen mit Blick in den Saal gestellt, sodass sich das Publikum selbst betrachtet. Immer werden die Texte auf die Wände projiziert, fragmentarisiert zwar, aber doch so gut erkennbar, dass sie als konkreter Hintergrund präsent bleiben. Zudem werden die Titel der 24 Szenen, in die das Stück untergliedert ist, eingeblendet - so können Bilder wie z.B. "Schneeflocken" (so ist die 9. Szene überschrieben) im Kopf entstehen, ohne dass sie gezeigt werden müssten. Michael Mendl
Einen zur Nicht-Handlung "passenden" Bilderbogen möchte die Regie der Musik keinesfalls entgegen setzen und hat etwas ganz anderes gefunden: Ein lebendiges Meerschweinchen, das auf der kleinen Spielfläche auf einer Turnmatte sitzt und von Schauspieler Michael Mendl gefüttert, gestreichelt und gelegentlich auch schützend in den Arm genommen wird. Eine Live-Kamera überträgt das auf eine kleine Leinwand. Unglücklich wirkt das Tier (das, so steht's im Besetzungszettel, monatelang professionell "an die Musik und die Bühnensituation gewöhnt" wurde) dabei nicht. Das ist erst einmal eine bewusst unspektakuläre, sich aller Deutungssymbolik entziehende Bildlösung, die aber natürlich trotzdem allerlei Assoziationen zulässt. Man darf an das Haustier für Kinder denken, an die Geborgenheit der Familie als Gegenentwurf zum Märchen, an die Schutzlosigkeit des Tiers oder die Einsamkeit des Mannes, der während der gesamten Spieldauer auf dieses Tier fixiert ist. Christine Graham (Sopran)
Die konsequente Verweigerung konkreterer Bilder lenkt die Aufmerksamkeit auf die Musik (in den wenigen Aktionen der beiden Solosoprane tragen diese noch dazu demonstrativ Notenblätter im Saal herum). In der vorletzten (23.) Szene, die lapidar mit "Sho" überschrieben ist, spielt die Musikerin Mayumi Miyata eben diese Sho, eine chinesische Mundorgel, auf offener Bühne, stellt also die Musik ganz deutlich sichtbar ins Zentrum - ein elegischer, tieftrauriger (und wunderbar gespielter) Todesgesang. Das großartige Frankfurter Opern- und Museumsorchester musiziert unter der Leitung von Erik Nielsen mit großer, fast romantischer Expressivität, und dazu mit einer Selbstverständlichkeit, als sei solche Musik die normalste überhaupt (dabei erfordert diese in weiten Passagen völlig andere, geräuschhafte Spieltechniken als gewohnt). Herausragend die beiden Pianistinnen Yukiko Sugawara und Tomoko Hemmi. Die ebenfalls ganz ausgezeichneten Sängerinnen und Sänger des ChorWerk Ruhr und die Sopranistinnen Christine Graham und Yuko Kakuta bewältigen die Vokalpartien ebenso souverän. Nicht ganz so glücklich dagegen ist die Entscheidung, dass der Komponist persönlich als Sprecher des dritten Textes (in dem Leonardo da Vinci die zwischen Angst und Forscherneugier schwankenden Gefühle eines Wanderers vor einer unbekannten Höhle beschreibt) auftritt. Die Verfremdung vor allem durch Überbetonung der Konsonanten klingt bei ihm allzu brav und bemüht, die Szene wird zur musikalisch uninteressantesten des Abends. Michael Mendl
Allzu leichtfertig wird Das Mädchen mit den Schwefelhölzern als musikalische Beschreibung sozialer Kälte vereinfacht. Der Verzicht auf eine weitergehende Visualisierung öffnet die Ohren für die komplexe und vielschichtige Struktur dieser faszinierenden Musik, die eben in erster Linie - Musik ist (und nicht Transportmittel politischer Botschaften). Und dennoch geht die politische Komponente nicht verloren. Eine riesige aufblasbare Puppe eines Mädchens mit einer Streichholzschachtel schafft vor den Türen die Verbindung zur Umwelt, und per Lautsprecher und Flüstertüte wird der Besucher im Eingangsbereich und im Foyer auf den Inhalt eingestimmt. Das alles erscheint freilich ein wenig läppisch gegen die Kulisse der Bankentürme, die das kleine Frankfurter Opernhaus bedrängen, oder gegen die in ihrer demonstrativen Naivität ziemlich scheußliche Euro-Skulptur von Ottmar Hörl, die auf dem Willy-Brandt-Platz wie ein Menetekel gegenüber der Oper aufgestellt ist. Das alles ist von der Regie mitgedacht und macht es überflüssig, das auch noch auf der Bühne zu zeigen. Das unbedingt lesenswerte Programmheft erinnert dazu an die aktuelle Flüchtlingsproblematik, die man ja auch in das Märchen hineinlesen kann: Auch da sterben Menschen an den Mauern der Reichen. Es spricht für die Regie und für die Frankfurter Oper, dass sie dem Publikum das Mitdenken zutraut.
Das Mädchen mit den Schwefelhölzern ist natürlich ein hochaktuelles Werk - und die Stärke dieser faszinierenden Aufführung liegt darin, dass sie das nicht noch marktschreierisch unterstreicht. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Einstudierung Chor
Dramaturgie
Solisten
Sopran
Sopran
Shô
Piano 1
Piano 2
Sprecher
Schauspieler
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