Zickenkrieg im Theater
Von Thomas Molke /
Fotos von Barbara Aumüller
Obwohl Valentino Fioravanti Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts in ganz
Europa riesige Erfolge feiern konnte und er mit über 70 Opern sehr produktiv
war, dürfte er als Komponist heute nur noch wenigen Opern-Enthusiasten bekannt
sein. Mit seinen Werken traf er genau den Zeitgeist und führte die Opera buffa
nicht nur zu einer neuen Blüte, sondern darf wohl auch als bedeutender
Wegbereiter für den jungen Rossini betrachtet werden. Le cantatrici villane
gilt als seine populärste Oper, die ihn 1799 weit über die Grenzen Neapels
bekannt machte. Sogar Goethe war von dem Werk so angetan, dass er es 1812 in
Weimar inszenierte. Zahlreiche Komponisten griffen bis zur Mitte des 19.
Jahrhunderts auf Fioravantis Dramma giocoso als Vorlage für eigene Vertonungen
über das "Theater im Theater" zurück, beispielsweise auch Antonio Cagnoni,
dessen Don Bucefalo 2014 beim Wexford Festival Opera zu erleben
war (siehe auch
unsere Rezension). Im
Bockenheimer Depot, das sich seit einigen Spielzeiten zu einem prädestinierten
Ort für Opernausgrabungen entwickelt hat, ist nun mit Fioravantis Oper die
Vorlage zu den zahlreichen Vertonungen zu erleben.
Rosa (Jessica Strong, links),
Nunziella (Katharina Ruckgaber, Mitte) und Agata (Karen Vuong) träumen von einer
Karriere als Sängerin.
Das Dramma giocoso handelt von dem windigen Kapellmeister Don Bucefalo, der in
einem Dorf bei Rom gleich vier jungen Frauen verspricht, ihr musikalisches
Talent zu fördern und sie zu großen Opern-Diven zu machen. Zwar hätten sie keine
musikalische Ausbildung, aber ein gutes Gehör, was für eine Karriere völlig
ausreichend sei. Unterstützt wird sein Vorhaben von seinem Musikschüler Don
Marco, der zwar vermögend, dafür allerdings völlig untalentiert ist. Immerhin
besitzt er ein Cembalo, was für Bucefalo ein entscheidendes Kriterium ist.
Gemeinsam planen beide Männer, sich bei diesem Unternehmen eine wohlhabende
Witwe zu angeln, die sie glauben, in Rosa gefunden zu haben, da ihr Mann,
Carlino, nicht aus Spanien zurückgekehrt ist. Doch Carlino taucht während der
Proben inkognito auf und verdächtigt seiner Frau der Untreue. So kommt es
während der Arbeit an Glucks Oper Ezio zu zahlreichen Verwicklungen, die
auch noch von dem Konkurrenzkampf der vier Primadonnen untereinander befeuert
werden. Jede hält sich nämlich für die beste Sängerin und zeigt sich den
Mitstreiterinnen gegenüber äußerst missgünstig. Während Nunziella aus dem Kampf
aussteigt, um sich Don Marco als finanzkräftigen Gatten zu angeln, wird der
Showdown zwischen Rosa und Agata von Rosas Mann Carlino unterbrochen. Es kommt
zu einem großen Tumult, bei dem sich Carlino schließlich zu erkennen gibt. Rosa
kann ihm versichern, dass sie ihm treu geblieben ist, und so gibt es für alle
ein Happy End. Einer Aufführung der geplanten Oper steht nun nichts mehr im
Wege.
Die Protagonisten als Zuschauer:
von links: Carlino (Michael Porter), Rosa (Jessica Strong), Don Bucefalo (Björn
Bürger), Don Marco (Thomas Faulkner), Giannetta (Maren Favela) und Agata (Karen
Vuong)
Das Regie-Team um Caterina Panti Liberovici inszeniert die Geschichte über das
Theater in einem gespiegelten Zuschauerraum. Bühnenbildner Sergio Mariotti hat
einen Großteil der Bühne mit roten Theatersitzen ausgestattet, in dem die
Protagonisten und die Statisten während der Ouvertüre wie Zuschauer Platz
nehmen. So entdeckt Don Bucefalo, der in einer
Zuschauerreihe auf Höhe des Orchesters in Richtung Bühne
sitzt, die vier singenden Frauen nicht auf dem Feld sondern direkt im Theater
und macht aus den Besucherinnen Bühnenfiguren, indem er ihnen die
Alltagskleidung auszieht und die Perücken abnimmt und aufwändige Kostüme aus
unterschiedlichen Epochen auffährt, die die Frauen sofort von einer steilen
Karriere träumen lassen. Mit beweglichen Bühnenelementen, werden dann Garderoben
und Probebühnen herein- und wieder herausgefahren, und ermöglichen so einen
schnellen Szenenwechsel. Dass Liberovici, die seit 2009 als Regie-Assistentin in
Frankfurt gearbeitet hat, mit der Frankfurter Oper recht vertraut ist, wird in
einigen Anspielungen deutlich. So verspricht Bucefalo beispielsweise Rosa und
Agata zu Stars wie "La Murrihy" (gemeint ist Paula Murrihy, die in Frankfurt
2013 in Glucks Ezio als Fulvia begeisterte) und "La Mahnke"
(gemeint ist Claudia Mahnke, die auch in Frankfurt in den letzten Jahren große
Erfolge gefeiert hat) zu machen. Außerdem soll die Aufführung von Glucks Ezio
im Bockenheimer Depot stattfinden, und ein Bühnenprospekt zeigt einen Blick auf
den Eingang der Spielstätte.
Don Bucefalo (Björn Bürger) in
Bedrängnis (um ihn herum: Statisten als Double von Carlino und die Sängerinnen
(Katharina Ruckgaber, Karen Vuong, Jessica Strong und Maren Favela))
Musikalisch und textlich wurden vom Regie-Team einige
Änderungen vorgenommen. So wird Rosas Arie, in der Fioravanti sie bei der
Interpretation der Fulvia scheitern lässt, durch Glucks Originalarie "Ah! non
son io que parla" ersetzt, in der Rosa beweisen darf, dass sie wirklich das Zeug
zu einer Primadonna hat und somit nicht der Lächerlichkeit preisgegeben wird. An
dieser Stelle erlebt man einen kurzen Moment Opera seria, bevor Agata mit ihrem
Versuch, die Arie Onorias im Anschluss zu präsentieren, von dem vor Eifersucht
rasenden Carlino unterbrochen wird und in einem chaotischen Tumult mit witzigen
Slapstick-Einlagen der Buffo-Ton wieder aufgegriffen wird. Auch das Duett
zwischen Don Marco und Nunziella, in dem er beschließt, mit seinem Geld
Intendant und Kapellmeister zu werden, und Nunziella sich in einen blonden Vamp
verwandelt, um sich ihn als Ehemann zu angeln, wird vom ersten in den zweiten
Akt verschoben, wodurch der eigentliche Gegenspieler Carlinos um die Gunst Rosas
beim großen Tumult eigentlich nur noch Don Bucefalo ist. Wenn dieser auf Rosas
Verführungsversuche damit reagiert, dass er eigentlich gerne mit dem wertvollen
Cembalo das Weite suchen will, entwickelt auch diese Szene eine ganz eigene
Komik. Damit der neapolitanische Dialekt, in dem das Libretto ursprünglich
geschrieben ist, mit seinen Abweichungen vom "gewöhnlichen italienischen
Sprachgebrauch" die Solisten nicht einschränkt, verwendet man in Frankfurt eine
Fassung, die ins Italienische übertragen worden ist. Der eingefügte
Regieassistent (Christof M. Fleischer) spricht zwischendurch auch schon einmal
Deutsch, um zu demonstrieren, dass das Stück ein Stück Theatergeschichte
erzählt, die auch heute noch auf deutschen Bühnen so zu finden ist.
Eklat bei der Probe im
Bockenheimer Depot (in der Mitte von links: Don Bucefalo (Björn Bürger), Rosa
(Jessica Strong), Agata (Karen Vuong), außen: Carlino (Michael Porter) mit
Statisten als Double))
Musikalisch hat man das Gefühl, sehr viel Mozart und
bereits ein bisschen Rossini in Fioravantis Musik zu hören. Besonders das Finale
am Ende des ersten Aktes, das in Frankfurt erst nach der Pause gespielt wird,
lässt schon hören, was Rossini in seinen Farse und Opere buffe zur Perfektion
gebracht hat. Wenn Bucefalo zum einen von Carlino bedroht und von den
Sängerinnen bedrängt wird, erweist sich Fioravanti als musikalischer Meister der
Komödie. In der großen Wahnsinns-Arie des Bucefalo, in der dem Kapellmeister
kurz vor der Pause dunkle Schatten erscheinen, die die ausgesprochenen Drohungen
Carlinos vervielfachen und ihn schließlich ohnmächtig zusammenbrechen lassen,
lässt Mozarts Don Giovanni grüßen, als dieser schließlich kurz vor
seinem Ende auf den steinernen Gast trifft. Auch der Zickenkrieg unter den
Frauen birgt in Fioravantis Musik zahlreiche witzige Momente. Das durchweg junge
Ensemble begeistert dabei durch große Spielfreude und großes komisches Talent.
Allen voran ist hier Karen Vuong als Agata zu nennen. Mit großem Spielwitz
schießt sie ständig irgendwelche Pfeile gegen ihre Konkurrentinnen ab, trällert
dabei mit sauber angesetzten Koloraturen und macht trotzdem deutlich, dass diese
Agata immer hinter Rosa zurückstehen wird. Jessica Strong stellt als Rosa in der
großen Wahnsinns-Arie der Fulvia ihre Vormachtstellung als Primadonna im Stück
mit strahlenden Koloraturen und großer Dramatik unter Beweis. Auch sie
begeistert mit hervorragender Komik, wenn sie auf dem Cembalo versucht, Don
Bucefalo zu verführen. Maren Favela und Katharina Ruckgaber überzeugen mit
jugendlichem Sopran als Giannetta und Nunziella.
Der Don
Bucefalo, eine Paraderolle für jeden Buffo-Bariton, ist mit Björn Bürger
ebenfalls hochkarätig besetzt. Mit markanter Stimmführung und großem Tempo
zeichnet Bürger diesen windigen Charakter als liebenswerten Filou, dem man
eigentlich nichts übel nehmen kann. Großartig gelingen ihm die große
Wahnsinns-Arie vor der Pause, in der er sich von den Geistern Carlinos verfolgt
fühlt, und die Auseinandersetzung im ersten Finale. Thomas Faulkner begeistert
als Don Marco mit kräftigem Bass, obwohl es - wie bei Vuong - nicht sehr
glaubhaft wirkt, dass Marco eigentlich nicht singen kann. Auch er stattet seine
Partie mit großem Spielwitz aus. Michael Porter überzeugt als Carlino mit hellem
Tenor, der in den Höhen äußerst geschmeidig klingt. Die Regie lässt ihn als eine
Art schwarzen Ritter mit einer Maske auftreten. So wird glaubhaft, dass Rosa
ihren Gatten wirklich nicht erkennt. Dabei gelingt es Porter ebenfalls, dem
rachsüchtigen Ehemann komödiantische Züge zu verleihen. Karsten Januschke lotet
mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester Fioravantis leichtfüßig
klingende Musik differenziert aus, so dass es am Ende großen Beifall für alle
Beteiligten gibt.FAZIT
Diese Opernrarität im Bockenheimer Depot macht szenisch und musikalisch großen
Spaß. Als "Raritäten-Sammler" sollte man sich diese Produktion keinesfalls
entgehen lassen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Karsten Januschke Inszenierung
Caterina Panti Liberovici Bühnenbild
Sergio Mariotti Kostüme
Caterina Botticelli
Licht
Jan Hartmann
Dramaturgie
Deborah Einspieler Frankfurter Opern- und
Museumsorchester Statisterie der Oper Frankfurt
Solisten
*Premierenbesetzung
Don Bucefalo
Björn Bürger
Rosa
*Jessica Strong /
Nora Friedrichs
Carlino
Michael Porter
Agata
Karen Vuong
Don Marco
Thomas Faulkner
Giannetta
Maren Favela
Nunziella
Katharina Ruckgaber
Regieassistent (Sprechrolle)
Christof M. Fleischer
Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)
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