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Belcanto-Gesang
trifft auf Pasolini-Texte Von Thomas Molke / Fotos von Karl und Monika Forster
Hrachuhí Bassénz als Norma Während Cecilia Bartoli für die Produktion der Salzburger Pfingstfestspiele 2013 die Partitur der Besetzung der Uraufführung in einer kritischen Neuausgabe rekonstruieren ließ und damit die Partie der Titelfigur ins Mezzo-Fach verschob, haben nun Maurizio Biondi und Riccardo Minasi in Zusammenarbeit mit Francesco Izzo auf Grundlage einer handschriftlichen Partitur Bellinis, der durch seinen frühen Tod 1835 keine endgültige Fassung seiner Oper hinterlassen hatte, eine kritische Neuausgabe angefertigt, die am Musiktheater im Revier zum ersten Mal auf einer deutschen Bühne szenisch zu erleben ist. So klingt hier musikalisch einiges anders als man es auf diversen CD-Einspielungen des letzten Jahrhunderts kennt. Adalgisa ist in der Neuausgabe - wie schon bei den Salzburger Pfingstfestspielen - mit einem Sopran besetzt und wird damit als junge Novizin auch durch eine hellere Stimme charakterisiert als die dunkler timbrierte und dramatischere Norma. Normas Vertraute Clotilde ist in der Gelsenkirchener Aufführung gestrichen. Pollione (Hongjae Lim) liebt Adalgisa (Alfia Kamalova). Die Geschichte spielt zur Zeit der römischen Besetzung Galliens im ersten Jahrhundert vor Christus. Der römische Prokonsul Pollione hat ein Verhältnis mit der Oberpriesterin Norma, der Tochter des höchsten Druiden Oroveso. Doch obwohl aus dieser Verbindung schon zwei Kinder hervorgegangen sind, die Norma vor ihrem Vater und ihrem Volk versteckt hält, verliebt sich Pollione in die Novizin Adalgisa und bedrängt sie, ihm nach Rom zu folgen. Adalgisa kämpft gegen ihre Gefühle für Pollione und vertraut sich Norma an. Zunächst zeigt diese großes Verständnis, da sie sich selbst in Adalgisa wieder erkennt. Als Norma jedoch erfährt, dass beide denselben Mann lieben, verflucht sie Pollione und will sich an ihm rächen. Zunächst plant sie, die gemeinsamen Kinder zu töten, bringt es aber nicht fertig. Adalgisa bietet ihre Hilfe an und will versuchen, Pollione mit Hilfe der Kinder wieder mit Norma zu versöhnen. Als der Versuch scheitert, ruft Norma die Gallier zum Kampf gegen die Römer auf. Pollione wird im Tempel aufgegriffen und soll auf Normas Befehl geopfert werden. Ein letztes Mal fordert sie ihn auf, von Adalgisa zu lassen, und droht ihm, andernfalls Adalgisa ebenfalls hinrichten zu lassen. Als sie erkennt, dass sie auch mit diesen Drohungen den Geliebten nicht zurückgewinnen kann, klagt sie sich selbst an, übergibt die Kinder der väterlichen Fürsorge und geht gemeinsam mit Pollione in den Tod. Norma (Hrachuhí Bassénz, Mitte) ruft die Gallier (Chor und Extrachor) zum Kampf gegen die Römer auf. Musikalisch ist an diesem Abend Belcanto vom Feinsten zu erleben. Bassénz begeistert als Norma mit großen dramatischen Bögen und sauberen Koloraturen, die in jedem Moment die Gefühle der Titelfigur widerspiegeln. Bei der großen Bravourarie "Casta diva" kann sie es durchaus mit den zahlreichen namhaften Interpretinnen vor ihr aufnehmen. Die weiteren Partien sind mit Ensemble-Mitgliedern hochkarätig besetzt. Zu nennen ist hier zunächst einmal Alfia Kamalova, die die Adalgisa mit strahlenden Höhen ausstattet und im großen Duett mit Bassénz, "Sì, fine all' ore estreme", zu einer bewegenden Innigkeit findet, die glaubhaft macht, dass die beiden Rivalinnen am Ende eine tiefe Freundschaft verbindet. Hongjae Lim punktet als von beiden geliebter Pollione mit lyrischem Tenor, der sich problemlos in die Höhen schwingt, ohne dabei zu forcieren. Gerade das Terzett zwischen Lim, Kamalova und Bassénz am Ende des ersten Aktes avanciert zu einem weiteren musikalischen Höhepunkt des Abends. Dong-Won Seo überzeugt als Normas Vater Oroveso mit markantem Bass und macht die Kompromisslosigkeit des höchsten Druiden spürbar. Fulminant tritt auch wieder der Chor unter der Leitung des scheidenden Chorleiters Christian Jeub auf. Valtteri Rauhalammi gelingt mit der Neuen Philharmonie Westfalen ein bewegender Klang aus dem Graben, der nur dann etwas hohl und blechern klingt, wenn er in einigen Passagen über die Lautsprecher verstärkt wird. Norma (Hrachuhí Bassénz) bittet ihren Vater Oroveso (Dong-Won Seo) um Vergebung. So hätte alles ein wunderbarer Abend werden können, wenn, ja wenn Elisabeth Stöppler nicht in ihrer Inszenierung einige Ideen gehabt hätte, die nicht nur undurchsichtig sind, sondern stellenweise auch den musikalischen Ablauf des Abends erheblich stören. So vermisst sie wohl, dass die Römer im Stück "keine eigene Stimme" haben. Nun, das hatten Bellini und sein Librettist Felice Romani so wohl nicht vorgesehen. Aber muss man deshalb den Römer Flavio als "Grenzgänger zwischen den Welten" (Zitat aus dem Programmheft) Texte des Dichters und Filmregisseurs Pier Paolo Pasolini sprechen lassen, deren Bezug zum Stück sehr konstruiert wirken? Natürlich hat Lars-Oliver Rühl als Flavio recht wenig zu singen, und durch seine ergreifende Intonation der fünf Monologe gelingt es ihm auch, seine Rolle aufzuwerten, aber inhaltlich bringt dieser Regie-Einfall überhaupt nichts, sondern führt lediglich dazu, dass der Abend trotz der wunderschönen Musik unnötige Längen entwickelt. Auch die christlichen Anspielungen wirken deplatziert. Wieso trägt Norma zu Beginn als Oberpriesterin eine Dornenkrone und wird am Ende bei der Hinrichtung in langem weißem Gewand in Kreuzposition gen Himmel (also Richtung Schnürboden) gezogen, und was sollen die Anspielungen auf den heiligen Sebastian, wenn Pollione sich am Ende einen weißen Pfeil in die Brust stößt?
Soll es zu einem Markenzeichen Stöpplers werden, dass in jeder Inszenierung ein
nackter Mensch (in diesem Fall eine junge Statistin) auf der Bühne auftreten
muss? Wenn die Novizin im ersten Akt geopfert werden soll, macht es ja
vielleicht noch Sinn, aber wieso sitzt die Statistin dann am Ende die ganze Zeit
nackt auf der Seitenbühne? Wieso müssen die anderen Novizinnen beim Kriegsaufruf
der Gallier brutal mit Stöcken niedergeschlagen werden? Auch das abstrakt
klobige Bühnenbild von Hermann Feuchter erschließt sich nicht und führt
lediglich bei den weiter außen sitzenden Zuschauern zu Sichtbehinderungen. So
gibt es auch bei der zweiten Aufführung am Ende Unmutsbekundungen für die
Inszenierung, bevor dann die Solisten, der Chor und Rauhalammi beim
Schlussapplaus mit großem Jubel bedacht werden.
FAZIT Musikalisch erlebt man in
Gelsenkirchen Belcanto vom Feinsten. Die eingefügten Pasolini-Texte und einzelne
Regie-Einfälle Stöpplers sind allerdings absolut überflüssig.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme Chor Licht Dramaturgie
Neue Philharmonie Westfalen Opern-
und Extrachor des Statisterie des Musiktheater im Revier
Solisten*rezensierte Aufführung Norma Adalgisa Pollione Oroveso Flavio Eine Jungfrau (Chorsolo) Normas Kinder
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