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Musiktheater
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La Bohème

Szenen aus Henri Murgers La Vie de Bohème in vier Bildern
Text von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica
Musik von Giacomo Puccini


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Staatenhaus Köln-Deutz (Saal 2) am 22. November 2015


Logo: Oper Köln

Oper Köln
(Homepage)

Wie der Mond so schön scheint über Paris

Von Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclaire

Die Kölner Oper wünscht schon mal frohe Weihnachten. Auf die ziemlich späte, aber ambitionierte Saisoneröffnung mit Berlioz' Benvenuto Cellini (die ja eigentlich auch die Wiedereröffnung des sanierten Opernhauses werden sollte, woraus bekanntlich nichts wurde), folgt in kurzem Abstand Puccinis unverwüstliche Bohème, die das Publikum in Scharen ins Theater locken soll, weihnachtskompatibel (auch am ersten Feiertag wird gespielt) und familientauglich. Bei der Regie geht man auf Nummer sicher: Von Altmeister Michael Hampe, von 1975 - 1995 Intendant der Kölner Oper und so etwas wie Verkörperung der "guten alten Zeiten", muss man ganz sicher keine bösen Überraschungen fürchten. Der inszeniert das, was in Partitur und Libretto steht.

Szenenfoto

So schön ist Paris bei Nacht: Erste Begegnung von Rodolfo und Mimi.

Der radikalste Eingriff besteht auch schon darin, dass er die Handlung in die 1920er-Jahre verlegt. Da kann Musetta per Automobil vor dem Café Momus vorfahren, und an der Zollschranke wird ein echter Radfahrer kontrolliert. Wobei die zeitliche Festlegung so ganz eindeutig dann doch nicht ist. Ausstatter German Droghetti projiziert im ersten und vierten Akt einen wahrlich den Atem raubenden Blick durch das offenbar sehr hoch gelegene Mansardenfenster auf die Pariser Stadtlandschaft (in dieser Lage dürfte das eine absolute Top-Immobilie zu internationalen Spitzenpreisen sein, die von den Bohèmiens bewohnt wird) inklusive Abenddämmerung in Echtzeit und Illumination der Häuser, und das aufleuchtende Lichtermeer entspricht in seiner Fülle doch eher unserer Gegenwart als der Zwischenkriegszeit des vorigen Jahrhunderts. Verblüffenderweise hat die draußen so verschwenderisch verwendete Elektrizität aber noch keinen Einzug ins Innere des Appartements gehalten, da behilft man sich, das Libretto will es ja so, mit Kerzen. An solchen Widersprüchen ist die Inszenierung reich, und das wäre nebensächlich, wären Hampe und Droghetti nicht an vielen Stellen auf geradezu filmische Genauigkeit aus.

Szenenfoto

Weihnachtsfeier im Quartier Latin: Musetta lässt sich auf Händen tragen.

Da ja nicht in einem Theaterbau, sondern auf der Behelfsbühne im Staatenhaus gespielt wird, müssen die großen Kulissenteile auf offener Bühne (einen Vorhang gibt es nicht) verschoben werden. Hampe versucht, aus der Not eine Tugend zu machen, inszeniert die Umbauten regelrecht (die Übertitelungsanlage blendet tatsächlich "- Umbau -" ein), lässt vor dämmrigen Hintergrund die Bühnenarbeiter wie als Schattenriss erscheinen, arrangiert entsprechend Chor und Statisterie, um dann auf Fingerschnippen mit dem ersten Ton der Musik das Quartier Latin erscheinen zu lassen (die Projektionstechnik macht's möglich). Das gibt spontan Szenenapplaus, ist ja auch verblüffend, zeigt aber auch, wo der Schwerpunkt der Regie liegt: Auf dem Bildeffekt. Punktgenau leuchtet der Vollmond auf. Der dritte Aufzug zeigt die Zollstation am Stadtrand mit verblüffender perspektivischer Tiefenwirkung. Aber irgendwie hat Hampe geglaubt, da noch etwas aufsetzen zu müssen, was über die Superrealität hinaus geht. Dreimal endet die Szene glücklich mit einem verliebten Paar, und dreimal überblendet die Regie das ohnehin schon tendenziell überfrachtete Bild mit einem Gemälde, vermutlich Chagall (es ist ja alles so vollgestellt, dass man das nur erahnen kann). Das ist eindeutig zu viel, zu bunt, zu kitschig (und nach dem zweiten Akt beginnen die Bilder auch noch zu tanzen). Im vierten Akt gibt es kein Happy End, als auch keinen Chagall, da friert das Hintergrundfoto förmlich ein. Das sollte Hampe ganz schnell noch korrigieren.

Szenenfoto

An der Zollschranke: Mimi friert.

Der beste Film taugt wenig, wenn die Hauptrollen schlecht besetzt sind. Entweder hat der Regisseur vergessen, mit Jacquelyn Wagner (Mimi) und Jeongki Cho (Rodolfo) zu proben, oder die beiden sind schauspielerisch denkbar untalentiert, sie dazu ein Stück größer als er und vom Ausstatter als tiefgraue Maus kostümiert. Wenn sie ihren Arm um ihn legt, dann sieht das aus, als tröste eine unbeholfene Gouvernante einen eingeschüchterten Konfirmanden. So wenig Erotik war nie in der Bohème. Rodolfos Freunde Marcello, Colline und Schaunard sind ja noch ganz originell gezeichnet (wobei der soziale Status völlig offen bleibt, auch das ist eine ärgerliche Ungenauigkeit, weil es darauf doch inhaltlich ankommt), zu den beiden Hauptfiguren aber ist der Regie gar nichts eingefallen. In seinen besseren Inszenierungen ist Hampe mit einer "konventionellen" Herangehensweise seinen Figuren nahe gekommen. Hier bleibt alles Dekoration. Das sieht schick aus, ist aber selbst für La Bohème, sicher kein Stück für's Regietheater, ziemlich wenig. Und trotzdem: Dem Großteil des Publikums hat diese massenkompatible Bohème offensichtlich gefallen.

Szenenfoto

Das Ende: Mimi stirbt, Rodolfo ist an ihrer Seite, hinten Schaunard.

Es ist aber auch nicht das erste Mal, dass ein paar Sänger in ein Bühnenbild gestellt werden und die Musik ansonsten für sich spricht. Am Pult des Gürzenich-Orchesters steht der junge italienische Dirigent Francesco Angelico, und der bemüht sich nach Kräften, ganz große Kunst zu machen. Er zelebriert die Partitur, zaubert mit den Klängen (vieles, nicht alles macht das Orchester mit) und kostet jeden Takt aus. Dabei verliert er sich aber immer wieder darin, lauter wunderschöne Stellen ohne den dramatischen Zusammenhang zu musizieren. Puccinis Musik ist eben nicht nur schön, sie ist auch funktional: Tonartwechsel oder absteigende Skalen haben über den Moment hinaus eine Bedeutung, und die fehlt hier. Besonders problematisch wird es, wenn Jeongki Cho singt. Der gibt dem Rodolfo zwar eine an sich schöne und volle Tenorstimme, wenn auch etwas eindimensional im Ausdruck und gegen Ende der Oper in der Höhe zunehmend eng, aber er baut allzu viele Verzögerungen und Rubati ein, überdehnt in jeder Phrase die Zieltöne, nicht ohne Geschmack, aber in der Summe zu viel (und zu schematisch), und er verschleppt dadurch immer wieder das Tempo - und die Musik tritt zäh auf der Stelle. Die Tendenz dazu hat auch Jacquelyn Wagner, die hier ein beachtliches Rollendebüt als Mimi gibt, aber doch noch zu sehr auf Sicherheit bedacht ist. In ihrer Sterbeszene hat sie sich frei gesungen, da zaubert sie mit einem substanzvollen Pianissimo; vorher fehlt es an Selbstverständlichkeit, wodurch vieles etwas neutral gerät. Aber sie ist schon eine sehr interessante Besetzung: Da wird man sicher noch von hören.

Aoife Miskelly ist eine kokette, sehr jung klingende Musetta - schön gesungen, aber dramaturgisch keine ideale Partie für sie, schließlich sollte die Musetta ja die im Vergleich zur femme fragile Mimi in Liebesdingen ungleich erfahrenere Frau sein, und das hört man ihr nun gar nicht an. Miljenko Turk singt einen stimmlich schlanken, präsenten Marcello, und Kihwan Sim als Colline und Wolfgang Stefan Schwaiger als Schaunard (kurzfristig für den erkrankten Luke Stoker eingesprungen) sind jugendliche und spielfreudige (Lebens-)Künstler mit nicht allzu klangvollen, aber doch durchsetzungsfähigen Stimmen. Sehr präzise singen der Opernchor sowie die Kinder des Kölner Domchors.


FAZIT

Schicke Bilder und Staunen über die Technik: Eine Regie hart am Musical. Und weil die Musik vor lauter Schönheit behaglich dahinzusterben droht, ist es auch ein klein wenig langweilig.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Francesco Angelico

Inszenierung
Michael Hampe

Bühne und Kostüme
German Droghetti

Mitarbeit Regie
Eike Ecker

Licht
Andreas Grüter

Video
Thomas Reimer

Chor
Andrew Ollivant

Dramaturgie
Tanja Fasching


Statisterie der Oper Köln

Mädchen und Knaben des Kölner Domchores

Chor der Oper Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

* Besetzung der Premiere

Rodolfo
* Jeongki Cho /
Ivan Magrì

Mimi
* Jacquelyn Wagner /
Justyna Samborska /
Yana Kleyn

Marcello
* Miljenko Turk /
Nikolay Borchev

Musetta
* Aoife Miskelly /
Emily Hindrichs

Schaunard
Luke Stoker /
* Wolfgang Stefan Schwaiger

Colline
* Kihwan Sim /
Lucas Singer

Benoît
Reinhard Dorn

Alcindoro
Alexander Fedin

Parpignol
Keith Bernard Stonum

Sergeant der Zollwache
Boris Djuric

Ein Zöllner
Matthias Hoffmann



Weitere
Informationen

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