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Tree of Codes

Cut-outs in time - eine Oper (2013 - 2015)
Libretto von Liza Lim frei nach Jonathan Safran Foers Tree of Codes und Bruno Schulz' Die Zimtläden
Musik von Liza Lim


in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 20' (keine Pause)

Eine Auftragskomposition der Oper Köln, Ensemble Musikfabrik und Hellerau - Europäisches Zentrum der Künste Dresden
in Kooperation mit der Akademie der Künste der Welt Köln


Uraufführung im Staatenhaus Köln-Deutz (Saal 3) am 5. März 2016


Logo: Oper Köln

Oper Köln
(Homepage)

Transformationen im Labortest

Von Stefan Schmöe / Fotos © Paul Leclair

Man muss diesen tree of codes als ein Gesamtkunstwerk auffassen, ein Zusammenspiel von Komposition und Performance, und zwar ein ziemlich kompliziertes. Das beginnt bei der literarischen Grundlage. Zunächst sind da Die Zimtläden, eine Sammlung von Kurzgeschichten des jüdisch-polnischen Schriftstellers Bruno Schulz, 1892 geboren und aufgewachsen in Drohobycz auf dem Gebiet der heutigen Ukraine und schließlich 1942 dort im Ghetto ermordet. Die 15 zwischen Realismus und Phantastik schwankenden Geschichten erzählen vom Erwachsenwerden des Ich-Erzählers, während der Vater, im Hauptberuf ein Fabrikant und dazu ein Forscher und Sinnsucher, immer mehr den Kontakt zur Realität verliert, gleichzeitig für die Familie immer weniger greifbar wird und sich möglicherweise (um Eindeutigkeit geht es Schulz gerade nicht) in einen Vogel, dann in eine Kakerlake verwandelt. Die Hausangestellte Adela wird zu seinem rational-pragmatischen Gegenpol. Schulz erzählt in einer ungeheuer bildreichen Sprache, in der die Natur mit ihren Veränderungen oft der eigentliche Hauptdarsteller ist. Dieses an sich also schon nicht eindeutige Werk hat Jonathan Safran Foer genommen und einzelne Wörter regelrecht herausgeschnitten, sodass man durch die Löcher im Buch auf andere Seiten schauen kann. Foer hat den Wörtern somit neue Bedeutung gegeben an der Grenze von Literatur und bildender Kunst. In einer der Geschichten beschreibt Schulz, wie das kleinstädtische Idyll der Zimtläden regelrecht verschlungen wird durch die moderne Krokodilstraße, in der englischen Übersetzung: Street of crocodiles. Durch Ausschneiden einiger Buchstaben wird daraus der vielsagende Titel tree of codes.

Szenenfoto

Der Sohn, gleich doppelt: Links Bariton Christian Miedl, rechts Schauspieler Stéphane Vecchione

Daraus wiederum haben die australische Komponistin Liza Lim (*1966), der schweizerisch-italienische Performancekünstler Massimo Forlan als Regisseur und die französische Dramaturgin Claire de Ribaupierre ein Musiktheater gemacht - in enger Zusammenarbeit schon während der Entstehungsphase mit dem Ensemble Musikfabrik Köln, das typischerweise da zum Einsatz kommt, wo "normale" Orchester bei moderner Musik aufgeben. Das betrifft hier noch am wenigsten die mitunter ungewöhnlichen Spieltechniken, sondern mehr die Spezialinstrumente (Blechbläser mit Doppeltrichter, eine Bratsche mit Trichter statt Resonanzkörper), und dann müssen die Instrumentalisten auch noch (eher schlichte) Percussionsinstrumente bedienen und (schon anspruchsvoller) singen - das hat nach Aussage von Trompeter und Ensemblesprecher Marco Blaauw erst einmal Überwindung gekostet. Handelnde, auch szenisch spielende Akteure auf der Bühne sind sie sowieso. Liza Lim hatte zudem genau vor Augen und Ohren, für wen sie da komponiert, und in Teilen ist die Musik wohl auch in Rückkopplung mit den Musikern entwickelt worden.

Szenenfoto

Für einen Fagottistin (Lorelei Dowling) unübliche Arbeitskleidung - hier mit dem Sohn-Schauspieler Stéphane Vecchione

Dramaturgin Claire de Ribaupierre und die Komponistin haben aus der mehrschichtigen Vorlage eine Textstruktur mit Restbeständen an narrativen Elementen destilliert, die von der Regie sehr frei aufgegriffen werden. Ort des Geschehens ist hier ein surreales Labor, in dem bereits die Musikinstrumente bereit stehen. Die 16 Instrumentalisten streifen sich auf offener Bühne weiße Kittel über und bevölkern den merkwürdigen Raum. Zwei Gesangspartien hat Liza Lim auskomponiert: Zum einen den Sohn, das Ich der Schulz'schen Geschichten, der hier der Laborleiter ist und den Christian Miedl lyrisch-geschmeidig mit schönem Bariton singt, und die Hausangestellte Adela (hier merkwürdigerweise ebenfalls eine Forscherin), glockenhell und mit bestechend klarer Höhe von Emily Hindrichs gesungen (später verwandelt sie sich in einen Baum). Beide werden von Schauspielern (Anne Delahaye, Stéphane Vecchione) gedoublet, wobei der tiefere Sinn dieser Verdopplung unklar bleibt. Der Vater (Yael Rion) ist eine stumme Rolle, dann gibt es noch eine rätselhafte Frau, die Touya - in den Geschichten eine Verrückte, die hier ein wenig wie eine frühzeitliche Gottheit wird.

Szenenfoto

Adela - die Sängerin Emily Hindrichs links, Schauspielerin Anne Delahaye liegend, der Vater (Yael Rion) rechts

Der Vater verwandelt sich in Vogel und Kakerlake, der Vater stirbt und wird im Leichenzug unter getragenen Blechbläserakkorden weggetragen - es gibt eine Fülle surrealer Szenen (ab und zu kommen Videos dazu), die sich aber nicht zum narrativen Handlungsbogen verbinden. Die Musik, die auch schrille Vogelstimmen vom Band einbaut, behandelt die Instrumente fast durchweg solistisch, gibt ihnen zerklüftete Linien, und lässt hier und da traditionelle Muster erahnen oder auch deutlicher durchschimmern. Das große Thema der Aufführungen sind die dauerhaften Transformationen: Nichts bleibt, wie es ist, und nichts ist, wie es scheint. Die Aufführung wird zum totalen Realitätslabor. Das ist in den zerklüfteten Instrumentallinien von großem Reiz, vor allem da, wo die Musik zu sich selbst findet und sich Zeit nimmt.

Szenenfoto

Touva (Diane Decker, auf dem Tisch) beschwört Kakerlaken

Daneben bleibt ein permanentes Unbehagen, ob nicht manches an diesem Gesamtkunstwerk Selbstzweck ist, der den eigentlichen Kern eher verwässert - und dieser tree of codes gleichzeitig nicht konventioneller ist, als er sich ausgibt. Die singenden Instrumentalisten etwa: Man kann und soll darin wohl eine dieser Transformationen (vom Instrument zur Stimme) sehen, aber das ist doch ziemlich oberflächlich gedacht, und ein "echter" Chor könnte diesen Part musikalisch noch intensiver gestalten. Auch ist fraglich, ob die rätselhaften Instrumente mit zwei Trichtern ein künstlerischer Mehrwert sind - wobei die großartigen Musikerinnen und Musiker der Musikfabrik unter der umsichtigen Leitung von Clement Power schon hinreißend spielen. Die surreale Inszenierung überfrachtet die ohnehin komplexe Struktur, da wären größere ästhetische Strenge, klarere Bildlösungen und ein anderer, nicht noch zusätzliche Probleme aufwerfender Ansatz, kurzum: größere szenische Strenge und Reduktion, mehr gewesen. Nebenbei: Ausgesprochen konventionell ist die Anordnung als Guckkasten-Bühne, obwohl das Staatenhaus als Spielort originellere Raumlösungen fast schon aufdrängt. Dagegen sind die Instrumentalisten auf der Bühne zwar nett anzusehen (und Klarinettist Carl Rosman hat als mutant bird sogar eine "richtige" szenische Rolle), aber auch hier lenken die vielen Aktionen eher ab als dass sie weiterhelfen.

Szenenfoto

Der Vater wird zum Vogel

"Die Realität ist dünn wie Papier", raunt es in der Finalszene ein wenig pathetisch und dadurch unnötig banalisierend, weil das Stück sich noch einmal selbst erklären möchte. Finde Dich damit ab, dass nichts Bestand hat und alles permanenter Veränderung unterworfen ist - in etwa mit dieser Botschaft wird man entlassen, und das ist als Fazit doch recht geraten, wo doch vorher allerlei alptraumhafte Mutationen zu bestaunen waren. Das hätte aus den vorangegangenen 80 Minuten auch ohne solchen Epilog deutlich werden können und sollen. Aber dafür kreist das Gesamtkunstwerk ein bisschen viel um sich selbst.


FAZIT

Dieser tree of codes hinterlässt ambivalente Eindrücke: Allerlei Brimborium auf der Bühne verstellt den Blick auf das Wesentliche und lenkt von der Musik ab. Die immerhin wird eindrucksvoll dargeboten.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Clement Power

Inszenierung
Masimo Furlan /Numero23Prod

Bühne
Antoine Frederici
Massimo Furlan

Kostüme
Sèverine Besson

Masken
Julie Monot

Video
Bastien Genoux Detours Films

Licht
Antoine Frederici

Klangregie
Paul Jeukendrup

Dramaturgie
Claire de Ribaupierre


Ensemble Musikfabrik


Solisten

Adela (Sängerin)
Emily Hindrichs

Son / Doctor (Sänger)
Christian Miedl

Mutant bird (Klarinette)
Carl Rosman

Father (Schauspieler)
Yael Rion

Octopus / Touya (Schauspielerin)
Diane Decker

Adela (Schauspielerin)
Anne Delahaye

Son (Schauspieler)
Stéphane Vecchione



Weitere
Informationen

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