Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Horizontale Kollaboration einer Druidenpriesterin Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger
50 v. Chr.: Gallien ist von
den Römern besetzt, ganz Gallien. Doch der Widerstand gegen die
Besatzer gärt und wächst. Die Unterworfenen warten ungeduldig
auf das Zeichen zum Kampf, das ihnen von der Druidenpriesterin Norma im
Auftrag der Götter gegeben werden soll. Doch die hat private
Probleme mit dem römischen Prokonsul Pollione, ihrem Liebhaber und
Vater ihrer Söhne, der sich inzwischen der jungen Novizin Adalgisa
zugewandt hat. Die beiden Frauen entdecken das Spiel des Römers
und Norma ruft aus persönlicher Rache in die Schlacht, gibt diese
aber als den Willen der Götter aus. Am Ende wird dem Volk
offenbar, dass sie einer (Schein-)Heiligen vertraut haben, die die (u.
a. Keuschheits-)Regeln brach und aus Eigennutz handelte, doch nicht
zuletzt die Kinder erweichen die Herzen. Der Oberdruide Orovesco
verströmt Weisheit, Wohlklang und für die Sünderin
finale Vergebung. Norma übergibt ihm ihre Söhne und steigt
dann doch als persönliche Sühne und Brandopfer auf den
Scheiterhaufen. Pollione, der im Kampf gefangen genommen wurde und den sie mit
ihrer Rache verschont hat, folgt ihr in neu erwachter Liebe in die Flammen.
Es wird würdevoll geschritten und weihevoll gestanden. Heilige
Handlungen werden vollzogen und dabei dürfen die klassischen
Attribute wie goldene Sichel, Mistelzweig und auch ein tönendes
Erz nicht fehlen. Soweit Vincenzo Bellinis Norma, eine Oper, die aus
den Spielplänen nicht mehr wegzudenken ist – nicht nur wegen des
berühmten „Casta diva“ – sondern weil sie mit ihrer
Verbindung von Stimmvirtuosität und Ausdruckskraft ganz besonders
tiefe Eindrücke hinterlässt.
Ulrike Schneider (Adalgisa) und Hulkar
Sabirova (Norma) Zwar sind Anteile und
Gefühle der Liebesgeschichte in jeder Zeit wiederzufinden, doch
der ganze kultische Aspekt verlangt nach zeitlich realistischen
Bühnenbildern oder bildlicher Abstraktion, um nicht
unglaubwürdig oder lächerlich zu werden. Die Musik füllt
das Ganze dann mit Leben und steht im wohlverdienten Mittelpunkt. Aber
Regisseurin Yona Kim vertraut weder auf die Kraft der Musik noch auf
die Darstellungskraft der Sänger, verlegt die Handlung in die Zeit
nach dem 2. Weltkrieg, scheitert damit ärgerlich und beschert dem
Staatstheater Kassel einen unglücklichen Start in die neue
Opernsaison. Besonders tragisch ist dabei,
dass der Regisseurin nichts wirklich Erhellendes oder Sinnspendendes
eingefallen ist, sie hat einfach in die nun auch schon reichlich
angestaubte Mottenkiste des modernen Regietheaters gegriffen und alles
Abgegriffene zum Thema Krieg hervorgekramt – ob es nun passt oder
nicht. Und das meiste passt nicht. Würde sich in der Zeit des
Zweiten Weltkrieges ein besiegtes Volk oder auch nur eine Gruppe
von Partisanen von kultischen Handlungen und dem Zeichen einer
Wahrsagerin/Hexe/Priesterin/Heiligen... abhängig gemacht haben?
Ständig wird mit Pistolen herumgefuchtelt, Widerstandskämpfer
kriechen aus Kellerfenstern, Soldaten werden in einem zwielichtigen
Etablissement gezeigt und eine halbnackte, missbrauchte, psychotische
Frau taucht auch immer mal wieder auf der Bühne auf. Frauen mit
Brautschleiern stürzen sich auf Männer, von denen es nach dem
Krieg nur noch wenige gab, im Opernchor aber reichlich, so dass sich
diese Übertragung genauso wenig erschließt wie die meisten
anderen. Ein offenes Feuer, über dem Norma die Milch (ein
szenisches Leitmotiv) für ihre Kinder erwärmt, könnte
den Scheiterhaufen des Finales vorwegnehmen – doch der wird am Ende gar
nicht bemüht. Die heilige Handlung besteht darin, dass Norma
fünf dürre (Mistel-?)Zweige verbrennt. Die drei Schläge
auf das tönende Erz sind drei Schüsse. Ach ja, zwischendurch
schneit es auch zweimal – das wird ja auch immer wieder gern genommen.
Dass Adalgisa sich vor dem
Treffen mit Pollione schminkt und entsetzt wieder abschminkt, versucht
eine Zigarette zu rauchen und sich dann eine falsche Seidenstrumpfnaht
auf die Beine malt ist genauso abstrus, wie der Umstand, dass sie sich
erstmal das Kleid richtig zuknöpfen muss, nachdem sie bei Norma
ihre erotische Situation beichten will. Sinnfällig ja – aber
genauso flach wie das Blut, dass Flavio auf die linke Wand schmiert.
Doch das ist alles noch nichts gegen das Finale: Adalgisa erscheint mit
Hütchen und Koffer, liebkost Polliones Pistole und erschießt
sich damit. Einige Frauen bespucken Norma und scheren ihr das Haar als
Strafe für ihre horizontale Kollaboration mit dem römischen
Befehlshaber. Die Besatzer stürmen unter Flavios Kommando die
Szene, Flavio erschießt Pollione und eine Gewehrsalve tötet
auch alle anderen, auch die, die sich versteckt hatten und nun als
Leichen aus fensterartigen Öffnungen fallen. Norma überlebt
mit ihren Kindern nebst Kinderfrau Clotilde. Nicht einmal das
Programmheft gibt einen Hinweis darauf, was das soll.
Hector Sandoval (Pollione) und Hulkar Sabirova
(Norma), Chor
Dabei hätte man im
Rahmen des Bühnenbildes von Etienne Pluss doch etwas wirklich
Spannendes machen können. Zwei große, hohe, matte
Metallwände begrenzen die Bühne schräg seitlich und
fokussieren den Blick auf eine Bühne auf der Bühne, zu der
vier bühnenbreite Stufen hinaufführen. Das wäre ein
optimaler und durch die Lichtreflexe besonders eindruckvoller Raum
für eine abstrahierende Inszenierung gewesen, auf die man beim
Eintreten in den Zuschauerraum vielleicht schon gehofft hatte.
Ganz besonders ärgerlich – und zuweilen fast schon eine Gemeinheit
gegen die Sänger/innen – ist die Unterminierung der Musik dadurch,
dass ständig irgendwelche Bebilderungen im Hintergrund
stattfinden, vorzugsweise bei den schönsten und eindringlichsten
musikalischen Stellen. Da werden die blutüberströmten Kinder
gezeigt, die Misshandlung der als unehrenhaft entlarvten Norma wird
vorweggenommen, Soldaten erscheinen, wo sie nicht hingehören,
Jungen hantieren mit Wasserpistolen und (zu) vieles mehr. Man kann den
Eindruck bekommen, dass die Regie Angst davor hat, ruhige Momente, die
nur der Musik gehören, auch nur wenige Minuten unbebildert stehen
zu lassen. Aber wir sind nicht in einem Videoclip und nicht im
Fernsehen, sondern in der Oper. Und da darf der Musik gegeben werden,
was der Musik gehört.
Paulo
Paolillo
(Flavio,
hinten
Mitte), Chor
Das hätten auch die
Sänger verdient. Hulka Sabirovas Sopran klingt sehr präsent,
zunächst mit reichlich Vibrato und nicht immer ganz lupenrein,
doch nachdem sie sich freigesungen hat, kann sie als Norma
überzeugen. Ganz exzellent gelingen ihr dann schwebende Piani im
zweiten Akt und wie Perlen glänzende Koloraturen. Ulrike Schneider
verleiht der Adalgisa mit ihrem bruchlos durch alle Register
geführten, hochkultivierten und klangvollen Mezzosopran Leben.
Unterschiedlich aber doch harmonisch erklingen die Stimmen der beiden
Hauptdarstellerinnen in den grandiosen Duetten. Hector Sandoval
lässt als Pollione einen ebenso kraftvollen wie
strahlkräftigen Tenor hören, der sich zuweilen vor
Spitzentönen leicht zurücknimmt, diese dann aber
zielsicher erreicht. Als Orovesco verströmt Hee Saup Yoon den
geforderten Wohl- und Schönklang, den er mit markanten,
ausdrucksvollen Tönen bereichert. Flavio wird von Paulo Paolillo
mit charakteristischem Tenor interpretiert, als Clotilde rundet Inna
Kalinina das Ensemble würdig ab. Wohl einstudiert bewältigt
der Chor seine nicht gerade kleine Aufgabe mit ausgewogenem Gesamtklang. Joakim Unander
steht als Gast am Pult und führt als musikalischer Motor durch die
Aufführung, bedient die schwungvollen Passagen ebenso wie er die
Sänger an den zartesten Stellen wie auf Händen
trägt. Das Orchester folgt ihm engagiert und konzentriert,
auch mit manch schöner solistischer Leistung. Eine ärgerliche Inszenierung, aber musikalisch gibt es einige schöne Momente. Doch der Schatten, den die außergewöhnliche, ja, grandiose Norma-Produktion aus den Jahren 1997/1998 in Kassel immer noch wirft, ist für diese Aufführung noch immer viel zu lang. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
|
© 2015 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de