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Musiktheater
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Norma

Tragische Oper in zwei Aufzügen
Text von  Felice Romani
Musik von Vincenzo Bellini

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Opernhaus des Staatstheaters Kassel am 3. Oktober 2015

 



Staatstheater Kassel
(Homepage)

Horizontale Kollaboration einer Druidenpriesterin

Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger

50 v. Chr.: Gallien ist von den Römern besetzt, ganz Gallien. Doch der Widerstand gegen die Besatzer gärt und wächst. Die Unterworfenen warten ungeduldig auf das Zeichen zum Kampf, das ihnen von der Druidenpriesterin Norma im Auftrag der Götter gegeben werden soll. Doch die hat private Probleme mit dem römischen Prokonsul Pollione, ihrem Liebhaber und Vater ihrer Söhne, der sich inzwischen der jungen Novizin Adalgisa zugewandt hat. Die beiden Frauen entdecken das Spiel des Römers und Norma ruft aus persönlicher Rache in die Schlacht, gibt diese aber als den Willen der Götter aus. Am Ende wird dem Volk offenbar, dass sie einer (Schein-)Heiligen vertraut haben, die die (u. a. Keuschheits-)Regeln brach und aus Eigennutz handelte, doch nicht zuletzt die Kinder erweichen die Herzen. Der Oberdruide Orovesco verströmt Weisheit, Wohlklang und für die Sünderin finale Vergebung. Norma übergibt ihm ihre Söhne und steigt dann doch als persönliche Sühne und Brandopfer auf den Scheiterhaufen. Pollione, der im Kampf gefangen genommen wurde und den sie mit ihrer Rache verschont hat, folgt ihr in neu erwachter Liebe in die Flammen. Es wird würdevoll geschritten und weihevoll gestanden. Heilige Handlungen werden vollzogen und dabei dürfen die klassischen Attribute wie goldene Sichel, Mistelzweig und auch ein tönendes Erz nicht fehlen. Soweit Vincenzo Bellinis Norma, eine Oper, die aus den Spielplänen nicht mehr wegzudenken ist – nicht nur wegen des berühmten „Casta diva“ –  sondern weil sie mit ihrer Verbindung von Stimmvirtuosität und Ausdruckskraft ganz besonders tiefe Eindrücke hinterlässt.

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Ulrike Schneider (Adalgisa) und Hulkar Sabirova (Norma)

Zwar sind Anteile und Gefühle der Liebesgeschichte in jeder Zeit wiederzufinden, doch der ganze kultische Aspekt verlangt nach zeitlich realistischen Bühnenbildern oder bildlicher Abstraktion, um nicht unglaubwürdig oder lächerlich zu werden. Die Musik füllt das Ganze dann mit Leben und steht im wohlverdienten Mittelpunkt. Aber Regisseurin Yona Kim vertraut weder auf die Kraft der Musik noch auf die Darstellungskraft der Sänger, verlegt die Handlung in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg, scheitert damit ärgerlich und beschert dem Staatstheater Kassel einen unglücklichen Start in die neue Opernsaison. Besonders tragisch ist dabei, dass der Regisseurin nichts wirklich Erhellendes oder Sinnspendendes eingefallen ist, sie hat einfach in die nun auch schon reichlich angestaubte Mottenkiste des modernen Regietheaters gegriffen und alles Abgegriffene zum Thema Krieg hervorgekramt – ob es nun passt oder nicht. Und das meiste passt nicht. Würde sich in der Zeit des Zweiten Weltkrieges ein besiegtes Volk oder auch nur eine Gruppe von  Partisanen von kultischen Handlungen und dem Zeichen einer Wahrsagerin/Hexe/Priesterin/Heiligen... abhängig gemacht haben?

Ständig wird mit Pistolen herumgefuchtelt, Widerstandskämpfer kriechen aus Kellerfenstern, Soldaten werden in einem zwielichtigen Etablissement gezeigt und eine halbnackte, missbrauchte, psychotische Frau taucht auch immer mal wieder auf der Bühne auf. Frauen mit Brautschleiern stürzen sich auf Männer, von denen es nach dem Krieg nur noch wenige gab, im Opernchor aber reichlich, so dass sich diese Übertragung genauso wenig erschließt wie die meisten anderen. Ein offenes Feuer, über dem Norma die Milch (ein szenisches Leitmotiv) für ihre Kinder erwärmt, könnte den Scheiterhaufen des Finales vorwegnehmen – doch der wird am Ende gar nicht bemüht. Die heilige Handlung besteht darin, dass Norma fünf dürre (Mistel-?)Zweige verbrennt. Die drei Schläge auf das tönende Erz sind drei Schüsse. Ach ja, zwischendurch schneit es auch zweimal – das wird ja auch immer wieder gern genommen.

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Hulkar Sabirova (Norma), Carlos Weigel, Jaron Eliah Singer, Nelio Neumann und Yusuf Cetin (Normas Söhne)

Dass Adalgisa sich vor dem Treffen mit Pollione schminkt und entsetzt wieder abschminkt, versucht eine Zigarette zu rauchen und sich dann eine falsche Seidenstrumpfnaht auf die Beine malt ist genauso abstrus, wie der Umstand, dass sie sich erstmal das Kleid richtig zuknöpfen muss, nachdem sie bei Norma ihre erotische Situation beichten will. Sinnfällig ja – aber genauso flach wie das Blut, dass Flavio auf die linke Wand schmiert. Doch das ist alles noch nichts gegen das Finale: Adalgisa erscheint mit Hütchen und Koffer, liebkost Polliones Pistole und erschießt sich damit. Einige Frauen bespucken Norma und scheren ihr das Haar als Strafe für ihre horizontale Kollaboration mit dem römischen Befehlshaber. Die Besatzer stürmen unter Flavios Kommando die Szene, Flavio erschießt Pollione und eine Gewehrsalve tötet auch alle anderen, auch die, die sich versteckt hatten und nun als Leichen aus fensterartigen Öffnungen fallen. Norma überlebt mit ihren Kindern nebst Kinderfrau Clotilde. Nicht einmal das Programmheft gibt einen Hinweis darauf, was das soll.

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Hector Sandoval (Pollione) und Hulkar Sabirova (Norma), Chor

Dabei hätte man im Rahmen des Bühnenbildes von Etienne Pluss doch etwas wirklich Spannendes machen können. Zwei große, hohe, matte Metallwände begrenzen die Bühne schräg seitlich und fokussieren den Blick auf eine Bühne auf der Bühne, zu der vier bühnenbreite Stufen hinaufführen. Das wäre ein optimaler und durch die Lichtreflexe besonders eindruckvoller Raum für eine abstrahierende Inszenierung gewesen, auf die man beim Eintreten in den Zuschauerraum vielleicht schon gehofft hatte. Ganz besonders ärgerlich – und zuweilen fast schon eine Gemeinheit gegen die Sänger/innen – ist die Unterminierung der Musik dadurch, dass ständig irgendwelche Bebilderungen im Hintergrund stattfinden, vorzugsweise bei den schönsten und eindringlichsten musikalischen Stellen. Da werden die blutüberströmten Kinder gezeigt, die Misshandlung der als unehrenhaft entlarvten Norma wird vorweggenommen, Soldaten erscheinen, wo sie nicht hingehören, Jungen hantieren mit Wasserpistolen und (zu) vieles mehr. Man kann den Eindruck bekommen, dass die Regie Angst davor hat, ruhige Momente, die nur der Musik gehören, auch nur wenige Minuten unbebildert stehen zu lassen. Aber wir sind nicht in einem Videoclip und nicht im Fernsehen, sondern in der Oper. Und da darf der Musik gegeben werden, was der Musik gehört.

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Paulo Paolillo (Flavio, hinten Mitte), Chor

Das hätten auch die Sänger verdient. Hulka Sabirovas Sopran klingt sehr präsent, zunächst mit reichlich Vibrato und nicht immer ganz lupenrein, doch nachdem sie sich freigesungen hat, kann sie als Norma überzeugen. Ganz exzellent gelingen ihr dann schwebende Piani im zweiten Akt und wie Perlen glänzende Koloraturen. Ulrike Schneider verleiht der Adalgisa mit ihrem bruchlos durch alle Register geführten, hochkultivierten und klangvollen Mezzosopran Leben. Unterschiedlich aber doch harmonisch erklingen die Stimmen der beiden Hauptdarstellerinnen in den grandiosen Duetten. Hector Sandoval lässt als Pollione einen ebenso kraftvollen wie strahlkräftigen Tenor hören, der sich zuweilen vor Spitzentönen leicht zurücknimmt, diese dann aber  zielsicher erreicht. Als Orovesco verströmt Hee Saup Yoon den geforderten Wohl- und Schönklang, den er mit markanten, ausdrucksvollen Tönen bereichert. Flavio wird von Paulo Paolillo mit charakteristischem Tenor interpretiert, als Clotilde rundet Inna Kalinina das Ensemble würdig ab. Wohl einstudiert bewältigt der Chor seine nicht gerade kleine Aufgabe mit ausgewogenem Gesamtklang. Joakim Unander steht als Gast am Pult und führt als musikalischer Motor durch die Aufführung, bedient die schwungvollen Passagen ebenso wie er die Sänger an den zartesten Stellen wie auf Händen trägt.  Das Orchester folgt ihm engagiert und konzentriert, auch mit manch schöner solistischer Leistung.

FAZIT

Eine ärgerliche Inszenierung, aber musikalisch gibt es einige schöne Momente. Doch der Schatten, den die außergewöhnliche, ja, grandiose Norma-Produktion aus den Jahren 1997/1998 in Kassel immer noch wirft, ist für diese Aufführung noch immer viel zu lang.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Joakim Unander

Inszenierung
Yona Kim

Bühne
Etienne Pluss

Kostüme
Hugo Holger Schneider

Licht
Brigitta Hüttmann

Chor
Marco Zeiser Celesti

Dramaturgie
Ursula Benzing

 

Staatsorchester Kassel

Opern- und Extrachor

Statisterie



Solisten

Pollione
Hector Sandoval

Orovesco
Hee Saup Yoon

Norma
Hulkar Sabirova

Adalgisa
Ulrike Schneider

Clotilde
Inna Kalinina

Flavio
Paulo Paolillo


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Staatstheater Kassel
(Homepage)



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