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La Juive

Opéra in fünf Akten
Libretto von Augustin Eugène Scribe
Musik von Fromental Halévy

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: ca 3 ½  Stunden – eine Pause

Koproduktion des Nationaltheaters Mannheim mit dem Kunsthuis Opera Vlaanderen (Belgien)

Premiere im Nationaltheater Mannheim am 10. Januar 2016


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Nationaltheater Mannheim
(Homepage)
Unversöhnlich bis in den Tod

Von Christoph Wurzel / Fotos von Hans Jörg Michel

Wieder ein großer Wurf in Mannheim – und dabei spielt es keine Rolle, dass es sich „nur“ um eine Koproduktion mit der Flämischen Oper in Antwerpen und Gent  handelt. Nach der belgischen Premiere im April 2015 kam La Juive von Fromental Halévy nun auch am Nationaltheater heraus. Die Inszenierung von Peter Konwitschny ist so bühnenstark, dass sie dort (siehe unsere Rezension) wie hier ihre Wirkung nicht verfehlt.

Zu danken ist dies einmal der klugen Regie, welche Halévys Grand Opéra von 1835 bedacht in Bezug zu unserer Zeit rückt, ohne dabei auf vordergründige Effekte zu setzen; dies auf der gesellschaftlich – politischen Ebene ebenso wie in der psychologischen Zeichnung der Charaktere. Die auf tragische Weise liebende (vermeintliche) Jüdin Rachel wird hier zur modernen, ihre Ansprüche selbstbewusst formulierenden Frau. Ihre Selbstaufopferung am Schluss, wo sie alle „Schuld“ an der verbotenen Liebe einer Jüdin zu einem Christen allein auf sich nimmt und ihren Geliebten Léopold vor schwerer Strafe bewahrt (was er in keinerlei Weise verdient), wird überzeugend entwickelt. Konwitschnys Personenregie beweist gerade an dieser Figur ihr großes Format.

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Dem christlichen Mob gnadenlos ausgesetzt: Rachel (Astrid Kessler) und Eléazar (Zurab Zurabishvili) und Chor

Exzellent und bedrückend zugleich ist auch die Zeichnung des Chors als geifernder Mob. An der christlichen Volksmenge und ihrem Geschrei nach dem „Tod für die Juden!“ wird deutlich, dass Hohn, Spott und Verachtung auch Mordinstrumente sein können. Damit legt die Inszenierung das Thema dieser Oper kompromisslos und ungeschminkt frei: wie religiöser Fundamentalismus wirkt und wohin er führt. Auf dem Höhepunkt des Konflikts, im Finale des 3. Akts, treibt Konwitschny seine Aussage in beklemmender Weise auf die Spitze. Die Unversöhnlichkeit zwischen den beiden religiös motivierten Positionen vereint beider Vertreter auf paradoxe Weise in ihrer aggressiven Mobilmachung, indem sie Seit an Seit ganze Batterien  von Sprengstoff zum hämmernden Orchesterrhythmus zusammenpacken. Auch zeigt der Text an dieser Stelle  Furcht erregende Parallelen, denn alle berufen sich auf (ihren) Gott. Und doch sind sie als Menschen alle gleich, nur in der Farbe der Hände nicht.

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Mobilmachung zum Kampf der religiösen Gruppen (Ensemble)

Das praktikabel bespielbare (ein Stahlgerüst) und doch zeichenhafte (gotisches Kirchenfenster) Bühnenbild von Johannes Leiacker verbindet die historisch verortete Handlung mit der Moderne und wirkt eindrücklich stark. Eine kluge Entscheidung ist auch, dass die Regie diese Handlung nicht rein naturalistisch auf die Bühne stellt, sondern sie mit theatralisch starken Mitteln teilweise verfremdet, um sie deutlicher wirken zu lassen. Wenn Rachel in ihrer Verzweiflung über den Liebesverrat Léopolds am liebsten weit fliehen möchte, flieht sie ins Publikum und wird so gleichsam zu unserer Zeitgenossin. Auch Eléazar trägt seine große Arie im 4. Akt  "Rachel, quand du Signeur" vom vorderen Rand des Orchestergrabens in der 1. Stuhlreihe vor. Hier kommt sein ganzes Leid, die innere Zerrissenheit zwischen seinen antichristlichen Rachegefühlen und der Liebe zu seiner Tochter erschütternd zum Ausdruck und uns Zuschauern bedrückend nah. Gleich wie Lessings Nathan hat er anstatt seiner eigenen, bei einem Pogrom vernichteten Kinder ein Christenkind angenommen, im Gegensatz aber zu dem Juden der Aufklärung kann er von seinem Christenhass nicht lassen, ja wird im Verlauf der Handlung immer wieder gerade durch christliches Verhalten darin bestärkt.

Derartige starke Bilder sind es, die diese Inszenierung lange im Gedächtnis haften lassen. Doch großen Eindruck macht auch das Mannheimer Ensemble, das sich durch große Energie in Darstellung und Gesang in dieser Produktion auszeichnet. Bis auf  Zurab Zurabishvili in der Partie des Eléazar sind alle Sängerdarsteller aus dem Mannheimer Ensemble und Debutanten in ihren jeweiligen Rollen. Nichts desto weniger überzeugen alle souverän in ihren Partien,  vielleicht abgesehen von einiger Premierennervosität hier oder da.

Stark ist das Rollenportrait Astrid Kesslers in der Hauptrolle der Rachel. Gesanglich lässt sie keinerlei Wünsche offen, ist enorm bühnenpräsent und ihre Stimme  strahlt in natürlicher Schönheit, wie es der Rolle geziehmt. Als Eudoxie erfüllt Estelle Kruger ebenso umfassend die Anforderungen ihrer Rolle, die der Komponist noch in der Tradition der Belcantooper angelegt hat. Als Léopold zeigt Juhan Tralla eindrücklich die Schwäche dieses Christenfürsten zwischen realitätsvergessener Schwärmerei für Recha und seiner Unfähigkeit, sich der Verantwortung für den doppelten Treuebruch (an seiner Frau Eudoxie und eben an Recha zu stellen.

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Der Christ erspürt in der Jüdin sein eigenes Kind (Sung Ha als Brogni und Astrid Kessler als Rachel)

Einen starken Akzent auf den unbewusst liebenden Vater legt Sung Ha mit eher sanft klingendem Bass in der Rolle des Kardinals Brogni, der in Recha seine leibliche Tochter zu erspüren scheint. Dass eben diese “Jüdin” tatsächlich sein tot geglaubtes Kind ist, hält Eléazar bis zum Schluss als Faustpfand seiner Rache für den Christen zurück.  Zurab  Zurabishvili stellt sich dieser anspruchsvollen Partie mit beeindruckender darstellerischer Intensität und stimmlichem Ausdrucksreichtum. Großartig wie er in der erwähnten Arie die ganze Bandbreite expressiver Möglichkeiten ausschöpft und dabei vokal extrem beherrscht und klangschön singt. Nicht zuletzt trägt das Orchester zur spannungsgeladenen Dramatik der Aufführung bei. Alois Seidlmair treibt am Pult den musikalischen Fluss energisch voran und stellt die Kontraste scharf heraus. Zugleich spielt das Orchester feinnervig und nuanciert. Besonders die Holzbläser, denen Halévy prominente Stellen zugedacht hat, bestechen durch schönen Klang. Auch die Balance zwischen Graben und Bühne hat Seidlmeier hervorragend im Griff. Die Textverständlichkeit der Sänger  ist nahezu vollkommen. So ist auch musikalisch diese Premiere in Mannheim ein großer Wurf.

FAZIT

Uneingeschränkte Zustimmung des Publikums bei der Premiere belohnte den Einsatz des Mannheimer Nationaltheaters für diese Oper. Peter Konwitschny fährt mit dieser Doppelinszenierung einen grandiosen Erfolg ein. Nicht zuletzt aber triumphiert Halévys zu selten gespieltes Werk - zumal in einer Zeit, in die es nicht besser hineinpassen würde.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alois Seidlmeier

Inszenierung
Peter Konwitschny

Bühne und Kostüme
Johannes Leiacker

Licht
Manfred Voss

Konzeptionelle Mitarbeit
und Dramaturgie

Bettina Bartz

Dramaturgische Betreuung
Mannheim

Merle Fahrholz

Chor
Francesco Damiani



Chor und Statisterie
des Nationaltheaters Mannheim

Orchester des
Nationaltheaters Mannheim

Solisten

*Premierenbesetzung

Rachel, Tochter Eléazars
*Astrid Kessler /
Ludmila Slepneva

Éléazar, der Jude
Roy Cornelius Smith /
*Zurab Zurabishvili

Kardinal Brogni, Präsident des Konzils

John In Eichen /
*Sung Ha

Reichsfürst Léopold
Randall Bills /
*Juhan Tralla

Prinzessin Eudoxie, Nichte des Kaisers
Vera-Lotte Böker /
*Estelle Kruger

Ruggiero, Bürgermeister von Konstanz
Joachim Goltz /
*Jorge Lagunes






Weitere Informationen
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Nationaltheater Mannheim
(Homepage)



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