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Glitzerndes Dekorationstheater Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Oliver Berg
Die erste Oper der Spielzeit 2015-16 ist Les Contes d’Hoffmann, die „opéra fantastique“ von Jacques Offenbach in der Regie von Ulrich Peters, dessen Intendanz am Theater Münster erst kürzlich bis zum Jahr 2022 verlängert wurde. Offenbachs romantisches Meisterstück ist ein schwieriges, nicht autorisiertes Werk, das aufgrund seiner Metaphern und Symbole, Bearbeitungen und hintersinnigen Themen viele Fragen aufwirft. Was steckt z.B. hinter der Einsamkeit des Künstlers, Dichters, Komponisten und Malers, der sich voller Sehnsucht und Leidenschaft in Liebesabenteuer verliert, die allesamt zum scheitern verurteilt sind? Worin liegt die Bedeutung des Unheimlichen, Fantastischen? Peters führt dekorativ, mitunter humorvoll karikiert und stark überzeichnet Offenbachs romantische Künstlerwelt vor Augen, ohne die Figuren einer genaueren, einfühlsamen Personenregie und dramaturgischen Entwicklung zu unterziehen. Anstatt sie ernst zu nehmen, erscheinen sie - bis auf Hoffmann - als skurrile Traumgespinste. Die Inszenierung rutscht in ein operettenartiges Kuriositätenkabinett ab, in dem dekorativ ausgestellt, künstlich, stereotyp interagiert wird. 2. Akt: Hoffmann (Adrian Xhema), Olympia (Antje Bitterlich) und Opernchor Peters legt der Inszenierung die heute übliche Neuedition von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck zugrunde und lässt den Abend mit einer Introduktion der Muse beginnen, die von Lisa Wedekind mit klangvollem Mezzosopran dargestellt wird. Sie will den Dichter Hoffmann retten, ihn dazu bringen, sich von Diva Stella und den Idealen der bürgerlichen Gesellschaft loszusagen, um sich ganz der Kunst und Muse zu widmen. Am Ende ruft sie ihn, lädt ihn ein - nach eher gespenstisch, denn abgründigen Erlebnissen. Peters präsentiert die Figuren als fantastische Projektionen Hoffmanns. Coppelius, Mirakel und Dapertutto stellen sich als Varianten des Gegenspieler Hoffmanns um die Gunst Stellas heraus, des Stadtrats Lindorf. Alle diese Partien werden von Gregor Dalal gesungen. Sein kraftvoller Bariton passt gut, aber der Charakterisierung hätte eine deutlichere Hervorkehrung des Bösen, Dämonischen gut getan. Die Frauenfiguren für die Liebesabenteuer in den drei mittleren Akten - auch sie Spielarten der vergötterten, stummen Diva - werden von drei verschiedenen Sängerinnen übernommen. Antje Bitterlich ist eine bravouröse, mit langem Atem, lupenreinen Koloraturen und wunderbar mechanischem Gebärdenspiel ausgestattete Olympia. Netta Or übernimmt für die im Programmheft angekündigte Henrike Jacob die Rolle der Antonia. Mit hell timbriertem, klangvollem, schlanken Sopran und leichtem Vibrato wünscht sie ihre Liebe herbei - anrührend auch das Liebesduett mit Adrian Xhema „C’est une chanson d’amour“. Auch Sara Rossi Daldoss schillert in der Rolle der Giulietta mit kühl glühendem Stimmklang. Ebenso überzeugt Tenor Adrian Xhema in der Rolle des Hoffmann. Mal kultiviert im Stimmklang, mal farbenreich vermag er die seelische Vielfalt des Protagonisten nuanciert dazustellen. Ensembleszene aus dem 2. Akt: Niklaus (Lisa Wedekind), Hoffmann (Adrian Xhema), Olympia (Antje Bitterlich), Spalanzani (Youn-Seong Shim), Opern- und Extrachor Bühnenbildner Bernd Franke nutzt auch die Möglichkeiten der Projektion, um die kontrastreichen Schauplätze atmosphärisch, mit interpretatorischen Hinweisen zu füllen. Im dritten Akt bspw. lockt die prunkvolle Opéra Garnier, im vierten Akt glitzert der Vollmond auf dem Meer und halbnackte Nymphen laden ein. Schließlich verweist ein Medusenantlitz auf die tödliche Verzahnung von Eros und Thanatos in der Barcarole-Szene. Den Rahmen bildet eine enge, mit Tisch und zahlreichen Plakaten ausgestattete, typisch altdeutsche Schenke, in der ein zündender Männerchor aus Verbindungsstudenten den Refrain der Ballade von Klein-Zack anstimmt, während Adrian Xhema mit lyrisch gefärbtem Stimmklang als fulminanter, betrunkener Hoffmann auf dem Tisch stehend, derb und grob in Szene gesetzt erscheint. Götz Lancelot Fischers fantasievolle Kostüme unterstreichen den Aspekt von Künstlichkeit und verlorener Individualität und erinnern oftmals an gespenstische, grotesk pittoreske Gestalten der Stummfilmära. Auch wenn
es an diesem Premierenabend vor allem in den
Chorszenen der Schenkszene noch zu kleinen
Abstimmungsproblemen mit dem Orchester kam, die
musikalisch-atmosphärische Vielfalt und ihre
sinnfällige Gestaltung des Sinfonieorchester Münster
beseelen die Inszenierung. Anrührend sind die leise
glitzernden Chorpartien aus dem Off im vierten Akt
und die abschließende Szene des Epilogs gestaltet,
in der Hoffmann von der Muse geküsst endlich wieder
am Schreibtisch sitzt, während aus dem Off
„Des cendres de ton coeur réchauffe ton génie“ als
Chor erklingt. FAZIT Eine musikalisch passend besetzte Aufführung, ein bildlich überfrachtetes Dekorationstheater, das mangelnde Tiefe mit Humor zu kaschieren sucht
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
Opern- und Extrachor des Sinfonieorchester Münster
Solisten Olympia
Antonia Giulietta Andreas / Cochenille / Pitichinaccio / Franz Lindorf / Coppelius / Dapertutto / Mirakel Niklaus (Muse) Stimme der Mutter Hoffmann Spalanzani / Nathanael / Wolfram Luther / Crespel Schlehmihl / Hermann / Wilhelm
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