Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Les Indes galantes
(Die galanten Indien)

Ballet-héroïque (Ballett-Oper) in einem Prolog und vier Akten
Text von Louis Fuzelier
Musik von Jean-Philippe Rameau

in französischer Sprache mit englischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 20' (eine Pause)

Koproduktion mit dem Théâtre du Capitole Toulouse und der Opéra National de Bordeaux

Premiere im Opernhaus Nürnberg am 3. April 2016
(rezensierte Aufführung: 05.05.2016)




Staatstheater Nürnberg
(Homepage)

Reise vom Garten Eden in die vier Indien 

Von Thomas Molke / Fotos von Ludwig Olah

Jean-Philippe Rameau zählt zu den bedeutendsten französischen Komponisten der Aufklärung. Auch wenn - oder gerade weil? - er sich erst relativ spät mit der Gattung Oper beschäftigte, hat er einen großen Beitrag zur Entwicklung der Bühnenwerke weg von der höfischen Tragédie-lyrique eines Jean-Baptiste Lully hin zu einer neuen Gewichtung des Tanzes geleistet, der nun nicht mehr nur die Funktion eines Divertissements übernimmt, sondern direkt in die Handlung eingreift. Seine erste Oper Hippolyte et Aricie aus dem Jahr 1733 war ein absolutes Novum und löste große Empörung bei den Traditionalisten aus, die am genuin französischen Stil eines Lully festhielten und die Einführung italienischer Musik wie bei Marc-Antoine Charpentier oder André Campra ablehnten. Letzterer inspirierte Rameau zu seinem zwei Jahre später folgenden ersten Ballet-héroïque: Les Indes galantes. Handelt Campras Oper L'Europe galante noch von der Liebe in verschiedenen europäischen Nationen, gehen Rameau und sein Librettist Louis Fuzelier über Europa hinaus nach Indien. Dass es hierbei nicht um das tatsächliche Indien geht, sondern mit "den Indien" (Les Indes) verschiedene exotische Gegenden im Osten und Westen gemeint sind, mag den heutigen Opernbesucher verwirren. Das damalige Publikum war mit dieser Bezeichnung vertraut.

Bild zum Vergrößern

Hébé (Michaela Maria Mayer, oben) mit ihrem Gefolge (Tanzensemble) im Garten Eden

Das Stück beginnt mit einem Prolog, in dem Hébé, die Göttin der Jugend beklagt, dass die Kriegsgöttin Bellone junge Männer umwirbt, um sie in den Krieg zu führen, was in Wirklichkeit nur Unglück auf der Erde verbreite. Amour, der Liebesgott, soll ihr helfen, den Menschen die Augen darüber zu öffnen, indem in vier Geschichten aus fernen Ländern die Allmacht der Liebe beschrieben wird. Dazu sendet Amour drei Amoretten aus, um die Geschehnisse einerseits zu beobachten und andererseits bisweilen auch helfend einzugreifen. Während es nicht weiter überrascht, dass die Partie des Amour als Hosenrolle mit einem Sopran besetzt ist, wird Bellone von einem Bass gesungen, um anzudeuten, dass mit der tiefen Stimme auch die Gefahr in eine heile Welt eindringt. Laura Scozzi hat mit ihrem Regie-Team für diesen Prolog einen Garten Eden entworfen, in dem das Tanzensemble - inspiriert von zahlreichen Darstellungen auf Gemälden von Ernst Kranach und Albrecht Dürer - nackt in kindlicher Unschuld tobt. Das Ensemble bewegt sich mit einer solchen Natürlichkeit, dass die Szene nicht anstößig wirkt. Nur Michaela Maria Mayer darf als Göttin Hébé ein leicht durchsichtiges Kleid tragen. Ob die Äpfel, die die Tänzerinnen während der Divertissements essen, vom Baum der Erkenntnis sind, bleibt offen. Mit der Kriegsgöttin Bellone (Florian Spiess) dringt auch die westliche Welt in Form von Klerikern und Touristen in dieses Paradies ein und hinterlässt eine Müllhalde. Da muss sich Amour (Csilla Csövari als kecker Lausbube) schon sputen, um die Welt noch vor dem Untergang zu retten. Mit Cécile Theil-Mourad, Fanny Rouyé und Laetitia Viallet hat Scozzi drei in der Mimik und Gestik urkomische Amoretten als stumme Rollen eingeführt, die nun die Reise mit "Eden Airlines" zu den einzelnen Geschichten antreten. Dass Viallet zunächst nicht ins Flugzeug gelassen werden soll, da sich in ihrem Koffer die Liebespfeile befinden, ist nur einer der zahlreichen Gags, die beim Publikum für Lacher sorgen.

Bild zum Vergrößern

Osman (Vikrant Subramanian) umwirbt Emilie (Hrachuhí Bassénz), doch diese denkt an Valère (im Hintergrund: die Amoretten (von links: Fanny Rouyé, Laetitia Viallet und Cécile Theil-Mourad)).

Bei den folgenden Geschichten ist es Scozzi daran gelegen, einen aktuellen politischen Bezug zu dem jeweiligen Land zu ziehen. Den Anfang macht die Türkei: Le Turc généreux. Dabei dürfte einem der "großzügige Türke" Osman, der sich in die Europäerin Emilie verliebt hat, die von Piraten verschleppt und in seinen Harem gebracht worden ist, aus Mozarts Die Entführung aus dem Serail äußerst bekannt vorkommen. Bei Rameau ist es Emilies Geliebter Valère, der von einem Unwetter ans Land gespült wird und dort auf seine Geliebte Emilie trifft, und natürlich zeigt sich auch Osman großzügig und lässt die beiden Liebenden ziehen. Scozzi spricht in der Geschichte die aktuelle Flüchtlingskrise und die daraus resultierende Situation in der Türkei an. So stranden zahlreiche Menschen in der Türkei und bemühen sich, ein Visum für die Einreise in die EU zu bekommen. Dabei treten die drei Amoretten nicht nur als Bootsführer auf, um die Boote der Flüchtlinge beim Sturm an den türkischen Strand zu bringen beziehungsweise später in Richtung Griechenland zu lenken - auch wenn sie sich dabei nicht so ganz einig sind, in welcher Richtung Griechenland eigentlich liegt -, sondern sorgen auch erneut wieder für große Komik, wenn beispielsweise Viallet gegen den tosenden Sturm im Meer ankämpft und immer wieder ins Wasser fällt. Beim Ende der Geschichte nimmt sich Scozzi einige Freiheiten. So erkennt Emilie nämlich, dass sie Osman wegen seiner Großmütigkeit viel mehr liebt als Valère.

Bild zum Vergrößern

Huascar (Marcell Bakonyi, Mitte) bedroht Phani (Michaela Maria Mayer) (rechts: Carlos (Martin Platz)).

Von der Türkei geht dann der Flug auf einer Videoprojektion von Stéphane Broc nach Peru. In Les Incas au Pérou liebt Phani eine junge Priesterin den spanischen Eroberer Carlos und will ihr Volk aus der Tyrannei des Huascar befreien. Doch Huascar, der Phani begehrt, will sie nicht gehen lassen und löst eine Naturkatastrophe aus, bei der er sich am Ende selbst in die Flammen stürzt. Scozzi deutet den Tyrannen Huascar als Vertreter der maoistischen Terrororganisation "Sendero Luminoso" (Leuchtender Pfad), dem es nur darum geht, den internationalen Drogenhandel zu kontrollieren. So muss der Chor als geknechtetes Volk Koka-Pflanzen anbauen. Marcell Bakonyi legt die Partie des Huascar mit schwarzem Bass als üblen Verbrecher an, mit dem man eigentlich kein Mitleid hat, wenn er sich am Ende in die brennenden Felder stürzt. Ob das Volk von seinem Untergang allerdings tatsächlich profitiert, bleibt fraglich. Schließlich ist auch Carlos (Martin Platz) kein glaubwürdiger Heilsbringer.

Bild zum Vergrößern

So hat sich Fatime (Hrachuhí Bassénz, vorne) das Leben mit Tacmas (Martin Platz mit Tänzerinnen) wohl nicht vorgestellt.

In der dritten Geschichte, Les Fleurs, nimmt Scozzi inhaltlich die wohl größten Eingriffe vor. Ursprünglich handelt es sich dabei um ein fröhliches Divertissement in Persien, das erst im Laufe des ersten Aufführungsreihe in das Stück eingebaut worden ist. Fatime glaubt, dass ihr geliebter Tacmas sie mit der schönen Atalide betrügt, und hat sich deshalb als Mann verkleidet, um die beiden auf frischer Tat zu ertappen. Als sie auf Atalide trifft, erkennt diese sie nicht und beklagt sich bei Fatime, dass der von ihr verehrte Tacmas nur Augen für Fatime habe. Nun tritt Tacmas auf, erkennt Fatime, und die Geschichte endet in einem Blumenfest. Dieses Fest nutzt Scozzi nun, um mit der Unterdrückung der Frau in weiten Teilen der Welt abzurechnen. So werden einige Tänzerinnen zunächst in weißer Unterwäsche mit hochhackigen Schuhen und blonden Perücken zum Sex-Symbol ausstaffiert, bevor die Männer sie mit einer Burka bedecken und in eine untergeordnete Rolle zwingen. Auch Fatime erleidet hier das gleiche Schicksal, während sich Tacmas mit sechs leicht bekleideten Frauen vergnügt. Für einen komischen Moment sorgen eigentlich nur die Amoretten, wenn sie zu Beginn der Geschichte auf ihrem Gebetsteppich in die falsche Richtung beten.

Bild zum Vergrößern

Alvar (Florian Spiess, links), Damon (Martin Platz, Mitte) und Adario (Vikrant Subramanian, rechts) buhlen um Zimas (Csilla Csövari) Gunst.

Auch die letzte Geschichte, Les Sauvages, ist erst später in die Oper eingefügt worden. Von Persien geht es nun nach Nordamerika. Der Indianer Adario verteidigt mit seinem Volk ein Gebiet, das der Spanier Alvar und der Franzose Damon in ihren Besitz bringen wollen. Doch die beiden Europäer haben nicht nur Interesse an dem Land, sondern wollen auch das Herz der schönen Zima gewinnen. Während Damon mit der Leichtigkeit der Liebe wirbt und Alvar versucht, durch Beständigkeit bei Zima zu punkten, weist Zima beide ab und entscheidet sich in einem rührenden Schlussduett für Adario. Bühnenbildnerin Natacha Le Guen de Kerneizon hat große Baumstämme auf die Bühne gestellt, deren Abholzung die Einwohner hier zu verhindern versuchen. Davor werden dann Werbeplakate aus Möbelhäusern aus dem Schnürboden herabgelassen, mit denen Alvar und Damon die Gunst Zimas gewinnen wollen. Damon wirbt natürlich mit einem Schlafzimmer, da seine Gefühle rein sexueller Art sind, während Alvar sich in einer Einbauküche eher ein Heimchen am Herd wünscht. Mit bitterer Komik wird dann am Schluss der Wohlstandstraum geträumt, der von trautem Heim mit Fernseher über genmanipuliertes Essen mit riesigem Braten führt.

Von dort geht es dann wieder mit dem Flugzeug zurück in den Garten Eden. Die Liebe scheint letztendlich doch gesiegt zu haben, was ein altes Pärchen suggeriert, das in trauter Zweisamkeit - natürlich nackt - durch den Garten schlendert. Und auch für den Nachwuchs ist gesorgt. So sieht man eine Schwangere mit einem Apfel über die Wiesen streifen. Volker Hiemeyer führt die Staatsphilharmonie Nürnberg mit sicherer Hand durch die vielschichtige Partitur, auch wenn er an einigen Stellen mit etwas zu lautem Klang die Solisten überdeckt. Hrachuhí Bassénz lässt sich zwar noch als leicht indisponiert ansagen, meistert die Partien der Emilie und der Fatime aber mit rundem Sopran und gewohnt klaren Höhen. Michaela Maria Mayer begeistert darstellerisch als Hébé mit jugendlicher Leichtigkeit und punktet stimmlich mit frischem Sopran und sauberen Höhen. Als Atalide zeigt sie sich auch von ihrer komischen Seite, während sie als Priesterin Phani ernstere Töne anschlägt. Martin Platz verfügt über einen leichten Spieltenor, der für die Partien des Valère und Carlos noch ein bisschen ausbaufähig ist. Als Damon begeistert er mit großartiger Komik und mimt in Les Fleurs einen glaubhaft schmierigen und unsympathischen Tacmas. Csilla Csövari überzeugt als Amour und als Zima mit lieblichen Höhen. Florian Spiess verleiht der Kriegsgöttin Bellone und dem Spanier Alvar mit profundem Bass beeindruckende Autorität, und auch Vikrant Subramanian überzeugt als Adario und Osman mit soliden Tiefen. Stars des Abends sind allerdings die drei Amoretten Cécile Theil-Mourad, Fanny Rouyé und Laetitia Viallet mit ihrem herzerfrischenden Spiel. So gibt es für alle Beteiligten großen Applaus.

FAZIT

Laura Scozzis Inszenierung zeigt, dass Jean-Philippe Rameaus Opernschaffen zu Unrecht in Deutschland vernachlässigt wird. Von diesem Komponisten möchte man gerne mehr hören. Im Falle von Les Indes galantes hat man dazu auch die Gelegenheit, da das Stück auch bei den diesjährigen Münchner Opernfestspielen neu inszeniert wird.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Volker Hiemeyer

Inszenierung und Choreographie
Laura Scozzi

Bühne
Natacha Le Guen de Kerneizon

Kostüme
Jean-Jacques Delmotte

Licht
Karl Wiedemann

Video
Stéphane Broc

Chor
Tarmo Vaask

Dramaturgie
Kai Weßler


Chor und Statisterie
des Staatstheater Nürnberg

Staatsphilharmonie Nürnberg

Cembalo
Martina Fiedler

Violoncello
Arita Kwon


Solisten

Hébé, Göttin der Jugend
Michaela Maria Mayer

Bellone, Göttin des Krieges
Florian Spiess

Amour, Gott der Liebe
Csilla Csövari

Emilie
Hrachuhí Bassénz

Osman
Vikrant Subramanian

Valère
Martin Platz

Phani
Michaela Maria Mayer

Carlos
Martin Platz

Huascar
Marcell Bakonyi

Tacmas
Martin Platz

Atalide
Michaela Maria Mayer

Fatime
Hrachuhí Bassénz

Roxane
Csilla Csövari

Alvar
Florian Spiess

Zima
Csilla Csövari

Adario
Vikrant Subramanian

Damon
Martin Platz

Drei Amoretten
Cécile Theil-Mourad
Fanny Rouyé
Laetitia Viallet

Tanzensemble
Carole Bordes
Salomè Curco
Charlie-Anastasia Merlet
Maud Payen
Muriel Trupin
Angela Vanoni
Victor Duclos
Mathieu Hautot
Olivier Sferlazza
Nicola Vacca
Rodolphe Viaud


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Staatstheater Nürnberg
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2016 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -