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Surreales AlptraumtheaterVon Christoph Wurzel / Fotos: A. T. SchaeferTheater? Kunstschule? Kneipe? Oder Museum? Das bleibt anfangs rätselhaft. Bevor überhaupt die Musik einsetzt, können wir die Szenerie studieren. Hinten ist eine Bestuhlung aufgebaut wie im Theater, in der Mitte taxieren drei Aktzeichner an ihren Modellen die Dimensionen weiblicher Schönheit. Links an der Bar wäscht jemand Gläser aus. Von einem Mann im Handwerkerkittel wird eine Besuchergruppe durchgeführt und erkundet interessiert diese Umgebung. Erst nach den kurzen Takten des Vorspiels kommt wirkliches Leben hinein: „Inneres einer deutschen Weinstube“ - in der Hoffmanns Erzählungen beginnen. Im Panoptikum der üblen Träume: Torsten Hofmann (Andres) Alex Esposito (Lindorf) und Statsterie Am Schluss wissen wir, dass sich die vier Liebesdramen des Dichters an diesem Ort vollziehen, dem Raum seiner alptraumhaften Phantasien: außer der Weinstube auch in dem Kabinett, wo Spalanzani (im Frankenstein-Look: Graham F. Valentine) sein Geschöpf, die Puppe Olympia, vorführt; in der Stube in Krespels Haus, in der er seine Tochter Antonia vor der Welt abschirmt; dann, ergänzt durch ein paar Billardtische, in dem venezianischen Palast des vierten Akts und schließlich wieder der Weinstube, wo Hoffmann mit seinem Liebessehnsüchten endgültig scheitert. Denn die angebetete Sängerin Stella stößt ihn nur -eine Besonderheit dieser Produktion- mit einer Schimpfkanonade („Schleicht euch, ihr Schwächlinge...“- Worte von Fernando Pessoa) in die allertiefste finale Verzweiflung. So gibt dieser Einheitsort den Raum für die Außenwelt von Hoffmanns Innenwelt ab, und die Regie zeigt uns die Handlung wie eine Folge von Alpträumen in der Erzähllogik derartiger Träume - absurd und surreal; aber vor allem nicht ohne skurrile Komik, wenn Kellner mit ihren Tabletts zusammenklappen, als hätte man Marionetten die Fäden abgeschnitten oder wenn sich unter den Gästen bei der Vorführung Olympias die absonderlichsten Typen finden, darunter mehrere bärtige Männer in Frauenkleidern. Bastelt noch an Olympia: Spalanzani (Mitte: Graham F. Valentine) und v.l.:Tänzer, Dominic Große (Hermann) und Thomas Elwin (Nathanael) Zu dieser Rauminstallation hatte sich die Bühnenbildnerin Anna Viebrock vom Circulo de Bellas Artes inspirieren lassen, einer der bedeutendsten Kulturstätten in Madrid, wo diese Produktion in der Regie von Christoph Marthaler am Teatro Real erstmals gezeigt wurde. Gerard Mortier, damals Intendant der Madrider Oper, hatte während der Vorbereitungen das Team in den Circulo geführt, durfte die Realisierung der Pläne jedoch nicht mehr erleben. Sylvain Cambreling, der auch die Madrider Aufführungen dirigierte, hat die Produktion nun an die Stuttgarter Staatsoper geholt und damit auch zum ersten Mal eine Inszenierung von Christoph Marthaler als Debut an diesem Haus. Für Viebrock und Marthaler erwies sich offenbar der Circulo, Ort multidisziplinärer Kunstproduktion, als ideale Chiffre zur Darstellung der überquellenden und unbeherrschbaren Fantasien eines in seinen Leidenschaften vollkommen überreizten und überspannten Opernhelden wie Offenbachs Hoffmann, der sich seine verkorksten Liebesgeschichten in zunehmendem Delirium zurecht fantasiert. Aus dem Steinbruch des vorhandenen Notenmaterials von Offenbachs unvollendet hinterlassener Oper hat Cambreling eine stringente eigene Fassung für Madrid und Stuttgart zusammengestellt, die größtenteils das Material der quellenkritischen Oeser-Fassung sowie weitere in den Archiven aufgefundene Passagen von Offenbachs Hand enthält. Ergebnis ist ein vierstündiger kurzweiliger, ungemein anregender Abend. Fängt gleich zu trällern an: Olympia (Ana Durlovski) mit ihrem Erschaffer Spalanzani (Graham F. Valentine) und Statisten Denn außer der vor geistreichen Einfällen blitzenden Szenerie ist es auch die musikalische Seite, die diese Produktion zu einer ganz besonderen macht. In seiner ganzen Breite zwischen federnder Leichtigkeit, ironischer Gravität und den ganz großen romantischen Gefühlen lotet Sylvain Cambreling Offenbachs musikalischen Radius weit aus. Das Orchester folgt mit hörbar großer Lust und sensiblem Klanggefühl. In der enorm fordernden Rolle des Hoffmann ist in dieser 4. Vorstellung Eric Cutler in vokaler Bestform zu erleben mit vielen Facetten, leichtgläubig, leichtsinnig, draufgängerisch, verbittert, larmoyant und am Schluss buchstäblich am Boden zerstört. Den realistischen Gegenpart des Niklas spielt Sophie Marilley mit cooler Lässigkeit, stimmlich vor allem in tieferen Lagen ein wenig klein, insgesamt aber überzeugend in der Vorstellung der Rolle. Hoffmanns drei Geliebte sind hier zu Recht mit drei im Stimmcharakter kontrastreichen Sängerinnen besetzt. Als Olympia brilliert Ana Durlovski gestochen klar in den Koloraturen, mit ironischer Mimink und Gestik betont sie das Kalte, Banale und Künstliche dieses Puppengesangs. Äußerlich eine Unschuld vom Lande, fehlt nur das Akkordion und ein neuer Volksmusikstar wäre geboren. Entsprechend blöde glotzt auch das Bühnenpublikum in Gestalt des Chors. Großartig als Antonia ist Mandy Fredrich mit herzöffnender lyrischer Emphase. Sirenenhaft schmeichelnd singt dazu Maria Theresia Ullrich den Geist der Mutter, der Antonia ins Totenreich lockt. Hochdramatisch füllt Simone Schneider ihren Part als Kurtisane Giulietta aus, die Hoffmann sein Spiegelbild abluchst und damit seine Seele zerstört. Doktor Mirakels Werk: Antonia zur Statue erstarrt (Mandy Fredrich und Alex Esposito als Mirakel); im Hintergrund Hoffmann (in der Premierenbesetzung Marc Laho) So konsequent die drei Frauen auf drei Sängerinnen verteilt sind, so konsequent lässt die Regie als teuflischen Verhinderer von Hoffmanns Glück nur einen Sänger agieren. Alex Esposito ist also Lindorf, Coppelius, Mirakel und Dapertutto in einem und gibt diesen zwielichtigen Intriganten, Doktor und Zuhälter als kalt berechnenden Strizzi mit beeindruckend wandlungsfähiger Stimme. Bewährt und unverwüstlich in Stuttgart ist immer wieder Roland Bracht, der vor allem als Antonias Vater Krespel großartige Bühnenpräsenz beweist. Und nicht zu vergessen der Herr über Anfang und Ende der ganzen Spukszenerie: Graham F. Valentine, der Mann im weißen Kittel, der am Schluss das Licht wieder ausknipst. FAZIT Ein reines Vergnügen für Kopf und Sinne Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Regie Mitarbeit
Bühne und Kostüme
Licht
Choreografie
Dramaturgie
Chor
Staatsorchester Stuttgart Statisterie der Oper Stuttgart Solisten
Hoffmann
Muse / Niklas
Lindorf / Coppelius /
Andres / Cochenille /
Olympia
Antonia
Giulietta
Stella
Stimme der Mutter
Nathanael
Hermann
Spalanzani
Schlemihl
Luther / Krespel
Tänzerinnen und Tänzer
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- Fine -