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In den Wahnsinn geflohen
Von Joachim Lange / Fotos © A. T. Schaefer Vincenco Bellinis I Puritani sind von heute aus gehört und gesehen ein Stück Operngeschichte zwischen Räuberpistole und Schmachtfetzen, ein Mantel und Degenstück aus dem Bilderbuch der englischen Geschichte. Mit viel Vaterland-, Freiheit- und Ehre-Getöse. Samt dem für Bellini typischen Mix aus Liebe und Wahnsinn, versteht sich. Eins, das daran erinnert, dass auch die Briten ihre Revolution hatten, bei der das katholische Haupt von König Karl I. dem Henker Cromwells zum Opfer fiel und die, die genau wussten, was richtig ist, die Oberhand behielten. Als Regisseure haben Jossi Wieler und Sergio Morabito diese (letzte) Belcanto-Oper des Verdi voranstürmenden Italieners aus dem Jahre 1835 ans Ende ihrer Spielzeit gesetzt. Was eine ziemlich sichere Bank ist. Schon, weil auch in Stuttgart niemand mit Belcanto-Schmuckstücken überversorgt ist. Und weil sie mit La Somnambula vor Jahren schon einmal Furore gemacht haben. Woran die Ausstatterin der besten Arbeiten von Wieler, Anna Viebrock, mehr als eine Aktie hatte. Die ist wieder mit von der Partie, obwohl man ihre Handschrift diesmal kaum erkennt. Das Milieu einer heruntergekommenen, leicht ins rätselhafte verschobenen, eher geträumten als erinnerten Beinahe-Gegenwart kommt selbst nur als Erinnerung und spielerische Andeutung vor. Die Witwe des ermordeten Königs hat noch loyale Freunde
Dieser Raum mit den beiden beweglichen Seitenwänden, die von einem gewaltigen Stahlträger durchbrochen und verbunden werden, vereint einen historischen Quader für die Wände mit Industriehallenputz, ohne dass man sich auf eins von beiden festlegen würde. Die Rückwand mit ihren Säulen und der Kirchentür mit bleiverglastem Oberlicht ist so historisch wie die meisten Kostüme, die (bis auf das von Sir Giorgio) von der Mitte des 17. Jahrhunderts inspiriert sind. Die Neonröhren an der Decke und die verpackten Freischwingerstühle sind hingegen eindeutig Relikte unserer Gegenwart. Dazwischen agiert das Personal in einer Melange aus mediterran aufgeladener Opernemotion, leicht übertreibender Verfremdung und einer psychologisierenden Erstarrung oder roboterartigem slow motion für den Chor. Immerhin ist die weibliche Heldin den größten Teil des Abends über nicht ganz bei Sinnen. Offenbar soll unser Verständnis dafür durch ihren Blick auf die für sie seltsame Umgebung geschärft werden. Das ist nachvollziehbar, nutzt sich aber schnell ab, so wie die permanenten Veränderungen des Raumes durch die Bewegung der Wände. Da wird mehr doppelter Boden geraunt als wirklich entwickelt. Der Kampf der Rivalen um Elviras Liebe
Natürlich steigen Wieler und Morabito ein, um die tiefer liegenden Schichten freizulegen, die auch diese Oper bietet. Wie sie den frömmelnden Alltags-Fundamentalismus der Puritaner und den Umgang mit den Frauen zeigen, das ist so abschreckend wie allgemeingültig. Wenn die Frauen etwa zu Beginn des zweiten Aktes die Räume fanatisch von der Aura des geflohenen Arturo reinigen und die Männer während dessen im Kreis sitzen und den geistigen Teil dieser "Reinigung" übernehmen, dann erinnert das sehr an Sekten aller Arten. In dieser beklemmenden Enge musste der mit dem Federhut geschmückte und auch sonst herausgeputzte Auftritt von Elviras Liebstem Arturo wie eine Befreiung aus der selbstgewählten geistigen Enge der bibel- und ritualversessenen Puritaner wirken. Wohl die einzige Chance, der erzwungenen Verbindung mit dem militanten Musterpuritaner Riccardo zu entgehen. Dass sich Elvira in den Wahnsinn flüchtet, als sie annehmen muss, ihr Liebster und Wunsch-Bräutigam Arturo sei mit einer anderen Frau an seiner Seite, die er obendrein unter ihrem Brautschleier verborgen hat, auf und davon, ist in diesem Umfeld gut nachvollziehbar. Wieso ausgerechnet ihr väterlicher Freund und Onkel Giorgio wie ein Therapeut im heutigen Zivil auftaucht, erschließt sich nicht so ohne weiteres. Woran auch seine Doppelung als Puppe nichts ändert. Ein Raum mit festem Glauben und beweglichen Wänden
Dass die Regie hier die Schattenseiten der Partei im historischen Konflikt aufzeigt, auf deren Seite die Oper insgesamt steht, und damit eine Reibung zwischen Musik, Szene und historischem Kontext erzeugt, gehört zu ihren Vorzügen. Dass Wieler im Detail immer wieder auch auf szenischen Witz und Ironie setzt, ist von der bewusst gewählten zeitlichen Unschärfe gleichsam vorgegeben, gehört aber nicht zu seinen größten Stärken als Regisseur, bleibt also eher bemüht. Und so dominiert die Eigendynamik der Musik Bellinis, deren Auf- und Ausschwingen, das sich Übertrumpfen, Appellieren und Mitreißen als das offensichtlich Wichtigste an diesem Abend. Dieser Musik verhilft Giuliano Carella am Pult des Staatsorchesters Stuttgart denn auch mit Temperament zu ihrem Recht. Wenn der religiöse Eifer wütet ...
Als Intendant ist Wieler gut beraten aufs oft gemiedene Belcanto zu setzen, weil er ein Ensemble zur Verfügung hat, das nur durch einen Tenorgast ergänzt werden muss, um den Anforderungen des Puritaner-Quartetts auf hohem Niveau gerecht zu werden. Der mörderischen Tenorartie des Lord Arturo stellt sich der uruguayische Tenor Edgardo Rocha mit bewundernswerter Kondition und leichtem Schmelz mit Bravour und nicht ohne die höchsten Gipfel der Partie zumindest anzusteuern. Er ist der loyale Retter der um ihr Leben fürchtenden Witwe des enthaupteten Stuart-Königs. Diana Haller verkörpert diese Enrichetta von Frankreich mit Herzblut und Brillanz, die der ritterliche Arturo vor dem fundamentalistischen Furor der Puritaner rettet. Die mazedonische Sopranistin Ana Durlovski ist mit ihrer tadellosen, scheinbar mühelos erreichten Höhe jene Elvira, die vokal und mit ihrem vor allem im Wahnsinn geforderten Spiel besticht. Um deren Liebe und um die Macht über die Puritaner kämpft der albanische Bariton Gezim Myshketa mit kraftvollen Ausbrüchen und gelegentlich auch mit der Axt in der Hand. Dass man in Stuttgart auch die kleineren Partien (wie den Lord Gualtiero mit Roland Bracht oder Sir Bruno mit Heinz Göhrig) rollendeckend besetzten kann und der Chor seiner Quasi-Hauptrolle mehr als gewachsen ist, versteht sich von selbst.
Auf hohem musikalischen und vokalen Niveau holen Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock aus Bellinis Puritanern in Stuttgart auch szenisch heraus, was rauszuholen ist. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Chor
Solisten
Lord Valton
Sir Giorgio
Lord Arturo
Sir Riccardo
Sir Bruno
Enrichetta von Frankreich
Elvira
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