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Zu viel Sex macht einsamVon Stefan Schmöe / Fotos: Wil van IerselPowder her Face ist bekannt für „die erste auf der Opernbühne dargestellte Fellatio-Szene“. So steht‘s zumindest bei Wikipedia. Sex sells? Jedenfalls ist das 1995 für das Every Man Theatre im westenglischen Cheltenham geschriebene Oper ziemlich oft nachgespielt worden. Komponist Thomas Adés (*1971) und Librettist Philip Hensher haben mit gehöriger Ironie die skandalumwitterte Herzogin Argyll, wegen ihres ausschweifenden Liebeslebens ein kapitaler Fall für die englische Regenbogenpresse, zum Sujet gemacht. In einem über vier Jahre dauernden Scheidungsprozess wurden die von ihrem Ehemann vorgebrachten 88 (!) Affären abgehandelt und die Dame schließlich für schuldig befunden. Die Oper erzählt in acht historisch nicht unbedingt exakten Bildern ihren Lebensweg von der Hochzeit mit dem Herzog über den Scheidungsprozess bis zum Auszug aus dem Hotel, in dem sie Jahre verbrachte und das sie am Ende verarmt verlassen musste (sie starb einige Zeit später in einem Altersheim). Der schräge Blick auf den britischen Adel übt offenbar über die Grenzen hinaus Faszination aus. Gemeinsam glücklich werden sie nicht: Herzogin und Herzog
Die kleine Besetzung mit nur vier Sängern und 15 Instrumentalisten (einfach besetzte Streicher, Blechbläser, drei Klarinetten, Harfe, Akkordeon, Klavier und umfangreiches Schlagwerk), die aber durchaus nach großer Oper klingt, macht das Stück auch für kleinere Häuser spielbar. Adés‘ moderat moderner Tonfall, der zu den historischen Stationen zeittypische Tanzmusik raffiniert verarbeitet, ohne deshalb anbiedernd zu wirken, hat genug theatralische Qualitäten, um auch von einem breiteren Publikum verstanden zu werden. Um die zentrale Partie der Herzogin herum wechseln die anderen Sänger mehrfach die Rollen: Der Bass singt den Herzog, Richter und Hotelmanager und verkörpert damit die Gegenspieler der Herzogin; der Tenor stellt einen Elektriker, einen Salonlöwen, einen Passanten und den zur besagten Fellatio verführten Kellner dar, die Sopran-Soubrette das Zimmermädchen, eine Journalistin, eine Geliebte des Herzogs und andere. Bart Driessen mit sehr präsentem Bass, Patricio Arroyo mit beweglichem Tenor und vor allem Jelena Rakic mit interessant timbrierten, leuchtendem Sopran singen und spielen das ganz ausgezeichnet. Eva Bernard in der umfangreichen Hauptpartie der Herzogin hat eine immer wieder fahle Mittellage und eine mitunter angestrengt klingende Höhe, gestaltet die Partie aber mit großer Expressivität sehr nuanciert und ist eine überzeugende Diva, die noch im Absturz bis zum letzten Takt um ihre Würde kämpft. Ein eindrucksvolles Rollenportrait ist das in jedem Fall. Die Herzogin
Regisseur Ludger Engels verdoppelt die Rolle durch eine Schauspielerin, die die alte Herzogin darstellt (Elisabeth Ebeling wandert wie ein Geist durch die Szene), während die Sängerin eine Frau in den besten Jahren ist. Man kann die Inszenierung als Rückblick der greisen Frau auf ein bewegtes Leben sehen, aber eine Spur Uneindeutigkeit bleibt bewusst erhalten, auch weil das Bühnenbild (Ausstattung: Moritz Junge) keinen historischen Bilderbogen aufspannt, sondern auf der Drehbühne prototypische Räume zwischen Salon und tristem Hotelzimmer zeigt. Die von einer Person dargestellten verschiedenen Rollen werden wieder zusammengezogen, am deutlichsten da, wo der Richter unverkennbar der Herzog ist, der sich (noch ohne Hose nach dem eigenen Liebesakt im Bild zuvor) Morgenmantel und Richterperücke überwirft. So wird aus der historischen Figur der „Dirty Duchess“ exemplarisch eine Frau, die moralisch von einer Männerwelt abgeurteilt wird, die ihrerseits keineswegs anders handelt. Die Herzogin, verdoppelt - als alte und junge Frau
Engels zeigt die Herzogin als eine um Liebe ringende Frau, und das Verlangen nach Sexualität ist der nach außen gekehrte Ausdruck dieses Verlangens. Engels mildert nichts ab, und von seinen Darstellern verlangt er hohen Körpereinsatz bei mitunter situationsbezogen spärlicher Kleidung. Die durchdachte und genaue Personenregie und das Gespür für die Situation, für Beschleunigung und Momente der Ruhe, das alles trägt dazu bei, dass Powder her Face sich in dieser Regie als faszinierendes und repertoiretaugliches Werk erweist. Bei der Ausweisung aus dem Hotel, dem endgültigen Absturz, zitiert Adés Schuberts Der Tod und das Mädchen - es ist auch ein Ende der Jugend und Schönheit an sich, und nicht zuletzt dadurch gewinnt die Oper eine Fallhöhe weit über das Sex-Skandal-Stück hinaus. Kapellmeister Justus Thorau dirigiert umsichtig die Musiker des Sinfonieorchester Aachen. Er glättet die Musik nicht, sondern lässt Tanzrhythmen erratisch aufblitzen oder schwenkt kurz in deren Gestus um, ohne die Modernität der Musiksprache abzumildern.
Spannende und spannend inszenierte Oper auf musikalisch hohem Niveau. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Licht
Dramaturgie
Solisten
Herzogin
Die alte Herzogin
Zimmermädchen u.a.
Hotelmanager u.a.
Elektriker u.a.
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- Fine -