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Alles Zombies
Von Joachim Lange
/ Fotos © Opera Vlaanderen / Annemie Augustijns
Im Moment hat Richard Wagners Fliegender Holländer Konjunktur. In Sachsen-Anhalt etwa haben alle drei große Opernhäuser des Landes Wagners ersten vom Meisters selbst akzeptierten Wurf auf dem Programm. Halle, Dessau und Magdeburg haben es sogar fertig bekommen, ein Ticket zu verabreden, mit dem man beim jeweiligen Folgekauf in den anderen beiden Städten 30% Ermäßigung beim Kartenpreis bekommt. Auch bei Regisseurin Tatjana Gürbaca scheint der Holländer beliebt zu sein, denn sie inszeniert ihn bereits zum zweiten Mal. Bei ihrem ersten Versuch vor sechs Jahren an der Deutschen Oper in Berlin setzte sie vor allem auf die kapitalismuskritische Karte. Da war die schwere See an den Ausschlägen der Kursverläufe auf den Bildschirmen im gestylten Börsensaal abzulesen und der Holländer gleichsam ein global player des Untergangs. Dass die Frauen alle in einen Todestaumel gezogen werden, Teil eines Untergangsszenarios sind, dabei ist sie jetzt auch bei ihrer Neuinszenierung in Antwerpen geblieben, die ästhetisch gleichwohl auf einen anderen, gereiften Zugang setzt.
Diesmal entkommen auch die Männer dem Untergang nicht. Schon das Anfangsbild, für das sich nach der stürmischen Ouvertüre der Vorhang hebt, macht Eindruck. Wie die Treidler hängen sie da in den Seilen. Keine Spur von lustiger Seefahrt. Dafür jede Menge von Schufterei und einer Art von Ausbeutung, die weiter geht als bis zu einer untertariflichen Bezahlung. Daland und der Steuermann halten die Truppe auch mit offener Gewalt im Zaum. Da wird auch mal brutal zuschlagen, wenn einer aus der Reihe tanzt. Wie sie den Lohn verteilen, gibt es durchweg lange Gesichter. Offenbar war ihnen mehr versprochen worden. Miese Stimmung bei Senta in rabiater Umgebung Das geht mit der musikalischen Militanz der Chorauftritte fabelhaft zusammen. Der Chor hat seinen szenischen Höhepunkt freilich, wenn die Leute des Holländers ausbrechen. In dem Falle muss er nicht aufgeteilt werden, denn hier brechen sie aus jedem einzelnen heraus. Das ist konsequent gedacht und atemberaubend umgesetzt. Wie die Besessenen werden sie alle geschüttelt. Es geht Tatjana Gürbaca diesmal ohnehin vor allem um die Folgen, die die Globalisierung für den einzelnen hat. Brutale Ausbeutung führt dazu, dass man sich auch untereinander nichts gönnt und der Steuermann ohne Skrupel seine Leute beklaut, wenn sich die Gelegenheit bietet. Oder dass man es für ziemlich normal hält, wenn Daland seine Tochter an den zahlungskräftigen Fremden verhökert. Als sie bei den Verkaufsverhandlungen schon mal wie eine Geisterbraut auftaucht, werden ihr für ein Tänzchen wie einer Tablestripperin Scheine ins Brautkleid gesteckt. Frau Mary hat in dieser Welt die Züge einer Wärterin, die Bräute benehmen sich wie ausgehungerte Insassinnen eines Frauenknastes.
Die Bühne von Henrik Ahr begrenzt eine abstrakte Spielfläche durch zwei vergoldet schimmernde bewegliche Türme im Hintergrund. Sie sind der Rahmen für den Auftritt eines ziemlich getrieben wirkenden und wirklich sein Ende suchenden Holländers. Über dieser Fläche befindet sich - wie ein Segel - ein riesiger Bildschirm für Live-Bilder der Szene aus der Vogelperspektive. Oder für eine schwarze Flüssigkeit die sich wie ein blutiges Menetekel ausbreitet. Den größten Effekt macht es allerdings, wenn er zum Finale alle am Boden liegenden Männer und Frauen zeigt und sich langsam aufrichtet. Dann wird das zu einer Erinnerung an die Gemälde vom jüngsten Gericht und löst sich im Licht auf. Des Untergangs? Der aufkommenden Vernunft? Eines Neuanfangs? Des Jenseits'? Man weiß es nicht. Erik hat jedenfalls keine Lust auf diese Variante einer unheimlichen Begegnung mit der dritten Art. Und flieht. Kurz vor dem großen Untergang Dass man hier am Ende erst einmal durchatmen muss, liegt an der schlüssig packenden Inszenierung, aber auch an dem musikalischen Furor, den Cornelius Meister im Graben mit dem Orchester der Flämischen Oper entfesselt. Das klingt stellenweise wie ein Sturm auf die festgefügten Grenzen des Tonalen. Das klingt sehr vorwegnehmend modern. Meister spielt hier seine diversen Holländererfahrungen aus und sortiert sie zugleich neu. Von ihm und der Regisseurin abgesehen überzeugen in Antwerpen durchweg Rollen-Debütanten. Das beginnt bei Iain Paterson als wohltimbriertem Holländer, geht weiter über die fabelhafte Liene Kinca als jugendlich verlorene Senta bis zu Ladislav Elgr als einem Erik, der sich nur in einem verzweifelten Kampf aus diesem Untergangsstrudel retten kann. Ziemlich viril und pragmatisch komplettieren der als Daland auftrumpfende Dmitry Ulyanov, Adam Smith als Steuermann und die junge Reahann Bryce-Davis als Frau Mary das exzellente Ensemble, bei dem auch der Chor in seiner Hauptrolle keine Wünsche offen lässt.
Mit ihrer zweiten Holländer-Inszenierung beschert Tatjana Gürbaca der Flämischen Oper (nach ihrem sensationellen Parsifal) erneut einen in sich stimmigen und packenden Psychothriller. Musikalisch garantieren Cornelius Meister am Pult und ein exzellentes Ensemble musikalische Spannung. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Der Holländer
Senta
Erik
Daland
Mary
Der Steuermann
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E-Mail: oper@omm.de