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Viagra vom Nil mit Nebenwirkung und ohne Risiken
Von Roberto Becker / Fotos von Iko Freese - drama-berlin.de
Wenn der Australier Barrie Kosky, der es in seinen Jahren an der Komischen Oper längst zum Lieblingsintendanten der Berliner geschafft hat, das Operetten-Tanzbein schwingen lässt und seine Stars über die echte oder imaginäre Revuetreppe schickt, dann bleibt kein Auge trocken. Außer, man ist resistent gegen eine Art Vergnügen, das mitreißt, ohne gleich allen Übeln der Welt oder den Untiefen der menschlichen Psyche nachzuspüren.
Und obwohl die Operette von Oscar Straus (1870-1954) Die Perlen der Cleopatra heißt, kommt Ägypten nur als Klischee vor. Also weder das historische Pharaonenreich, noch das seiner gegenwärtigen Erben spielen wirklich eine Rolle. Sondern das Spiel mit unseren Bildern davon. Als diese ausgemacht Berliner Operette 1923 (inflationsbedingt in Wien) uraufgeführt wurde, war Ägypten in Europa große Mode, der gerade "erweckte" Pharao Tutanchamun ein Star in den Unterhaltungsspalten. Außerdem wusste jeder Operngänger seit Verdis Aida, wie es am Nil "wirklich" zuging. Ungefähr so, wie wir wissen, dass Cleopatra Liz Taylor verdammt ähnlich gesehen haben muss. Für Victoria Behr (die auch für Herbert Fritschs Bühnenverrücktheiten die quietschbunten Kostüme schneidert) ist das für dieses Stück die halbe Miete: Was Todschickes für die Königin. Samt weißem Pfauenrad für einen Auftritt mit Szenenapplaus. Mit der Kunst des Weglassens (also Hinguckens) bei den Männern und Frauen des Balletts. Mit einem Tuntenfummel (samt Parfümiersklaven) für den fabelhaften Dominique Horwitz als Minister für fast alles. Dessen Name Pampylos klingt sowieso schon verdächtig nach Pampel. Außerdem mit einer quasi barocken Kreation für den Prinzen von Persien, dessen schönen Namen Beladonis Johannes Dunz nicht nur bei seinem Hit "Meine kleine Liebesflöte" stimmlich und optisch bestens beglaubigt. Im Berlin der 1920er-Jahre war das genauso anzüglich gemeint, wie es heute noch immer klingt. Es wird nur noch vom "Anton, steck den Degen ein" übertroffen, mit dem sich die mannstolle erste Frau im Staate mit dem Römer Markus Antonius (herrlich hingetorkelt und berlinert von Peter Renz, der als Zweitrolle den Putschisten Kophra mit Che-Mütze gibt) arrangiert, der an ihr beim Finale hängen bleibt.
Wenn man die Herren so vergleicht - dann kann das nur die Staatsräson gewesen sein. Denn der erste Römer, der ihr Schlafzimmer stürmt (mit einer Warnung vor einem drohenden Staatsstreich), dann aber sogleich zum Kommandanten der Palastwache und zum amtierenden Liebhaber ("Liebessklave" sagt er) ernannt wird, hatte da mehr zu bieten. Er hätte die Liebespille (die titelgebenden Perlen der Cleopatra sind nichts anderes als Viagra-Vorläufer) wohl nicht gebraucht. In der Richard-Tauber-Rolle des Silvius glänzt Dominik Köninger stimmlich und im Brad-Pitt-Look. An seiner Seite, quasi in Reserve fürs Happyend: die eigentlichen Geliebte Charmian. Talya Lieberman kann das nicht nur schön singen, sondern auch englisch schimpfend aus der Rolle fallen. Der "Klu vons Janze", wie der Berliner sagen würde, ist allerdings Dagmar Manzel. Sie ist in den letzten Jahren Barrie Koskys Muse bei seiner Entdeckungsreise in die Welt der Berliner Operette der Zwanzigerjahre geworden. Nach Paul Abrahams Ball im Savoy stand auch von Oscar Straus schon dessen Frau, die weiß, was sie will auf dem Programm. Jetzt sind es die mit Fritzi Massary und Richard Tauber berühmt gewordenen Perlen der Cleopatra.
Dagmar Manzel ist freilich eine sehr heutige Cleopatra eigenen Rechts. Die ohne weiteres ihr gelegentliches Aussteigen aus der Rolle so souverän verkauft, als gehöre es dazu und es nicht in den Verdacht einer Publikumsanmache kommt. Dazu passt Dominique Horwitz als jederzeit zum Wortslapstick bereiter Sparringspartner, mit dem sie sich die Bälle nur so zuspielt. Das flutscht. Vor allem fügt es sich in das Tempo, das zum Erfolgsgeheimnis einer Koksy-Inszenierung gehört. So wie die maßgeschneiderte Choreographie, die Otto Pichler den fabelhaften Tänzern verpasst hat. Die abstrakt gemusterten Schiebewände und das große königliche Staatsbett liefern einen Rahmen, der das szenische Feuerwerk nicht konterkariert, sondern aufs eigentliche konzentriert. Man braucht die Übertitelung diesmal an keiner Stelle.
Alles fängt mit einem Coup an, wenn der Chor, als wäre er gradewegs aus einem Hollywood-Schinken entkommen, über den Zuschauerraum die Bühne entert. Von da an geht es Schlag auf Schlag. Trotz der eher dünnen Geschichte. Cleopatra hat alles und langweilt sich. Mag Männer. Ihr Minister will ihr aus politischen Gründen einen unterjubeln: den Prinzen Beladonis. Dann stürmt der Römer Silvius das Schlafzimmer der Königin. In seinen Wein lässt sie die erste der titelgebenden (Liebes-)Perlen plumpsen. Die zweite kriegt nach einigen Hindernissen Beladonis, die dritte schließlich Mark Anton. So toll ist die Story nicht. Aber die Musik ist schmissig, anspielungsreich (Aida kommt natürlich vor - gleiche Welle, gleiche Stelle sozusagen). Die Parodie verbindet die Zeiten. Und Cleo ist immer mittendrin. Samt ihrer Handpuppen-Katze namens Ingeborg, die bei der Manzel kein bisschen peinlich wirkt. Das alles funktioniert als Gesamtkunstwerk nicht zuletzt deshalb, weil Adam Benzwi dazu im Graben mit dem offensichtlich vom häufigen Szenenapplaus angefeuerten Orchester der Komischen Oper den passenden Sound liefert.
Kosky hat mal wieder einen Volltreffer gelandet. Und kniete am Ende (stellvertretend für sein Publikum) vor Dagmar Manzel. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Cleopatra
Pampylos, Minister
Silvius
Beladonis, Prinz von Persien
Marcus Antonius / Kophra
Charmian, Hofdame
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