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Musiktheater
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Der Kaufmann von Venedig
(Le Marchand de Venise)

Oper in drei Akten und fünf Bildern
Libretto von Miguel Zamacoïs nach der Komödie von William Shakespeare
Musik
von Reynaldo Hahn

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Bielefeld am 28. April 2017


 

Logo: Theater Bielefeld

Theater Bielefeld
(Homepage)

Das letzte Wort hat die Liebe

 Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöß

Reynaldo Hahn ist, wenn überhaupt, heute eigentlich nur noch als "Salonmusiker" der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekannt. Der 1874 in Caracas geborene Sohn einer strenggläubigen Katholikin und eines deutschen Juden kam bereits im Alter von vier Jahren nach Paris und avancierte dort bald zum musikalischen Wunderkind. Bereits mit 11 Jahren wurde er am Pariser Konservatorium aufgenommen und erhielt Unterricht bei Jules Massenet und Charles Gounod. Musikalisch orientierte er sich an der Tradition des 18. Jahrhunderts, wobei Mozart sein absolutes Vorbild war, und setzte vor allem im Bereich der Operette Akzente. Bei diesem Werdegang mag es verwundern, dass er sich ausgerechnet Shakespeares recht sperrigen Kaufmann von Venedig zur Vertonung vornahm. Die Idee dazu soll ihm nach eigenen Aussagen bereits im August 1906 in Salzburg gekommen sei, wo er Mozarts Don Giovanni dirigierte. Es sollte allerdings noch knapp 30 Jahre dauern, bis das Werk dann am 29. März 1935 an der Opéra de Paris zur Uraufführung gelangte, und auch wenn Hahn selbst es für das Beste hielt, was er je komponiert habe, war dem Werk kein großer Erfolg beschert. Zu sehr stand es im Gegensatz zur damals populären musikalischen Avantgarde. Das Theater Bielefeld, das sich seit vielen Jahren verstärkt auch Musiktheaterwerken abseits des gängigen Repertoires widmet, präsentiert diese Shakespeare-Vertonung nun als deutsche Erstaufführung.

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Die beiden Widersacher: Shylock (Bjørn Waag, oben) und Antonio (Moon Soo Park, unten)

Viel und kontrovers ist in der Literatur über Shakespeares Komödie diskutiert worden. Häufig wird an ihr Shakespeares Einstellung zum Judentum gemessen, da er in dem Juden Shylock, der dem Kaufmann Antonio einen Kredit gibt und als Zinsen kein Geld sondern ein Pfund von Antonios eigenem Fleisch einfordert, falls dieser den Kredit nicht fristgerecht zurückzahlen kann, einen absolut negativen Charakter entworfen hat. Selbst wenn man dieses Handeln als Konsequenz aus den permanenten Anfeindungen, denen Shylock ausgesetzt ist, zu erklären versucht, kann man kein wirkliches Verständnis dafür aufbringen und empfindet es beinahe als gerecht, dass Shylock am Ende sein Vermögen verliert. In einem Prozess tritt Portia nämlich als verkleidete Rechtsgelehrte auf und stellt fest, dass Shylock zwar einen Anspruch auf Antonios Fleisch erworben habe, bei der Einlösung aber keinen Tropfen Blut vergießen dürfe, da er sonst mit dem Tod bestraft werde. Da Shylock daraufhin von dem Vertrag zurücktreten möchte, wird ihm vorgeworfen, Antonio nach dem Leben getrachtet zu haben, so dass er als Strafe die eine Hälfte seines Vermögens an Antonio verliert und die andere Hälfte seinem ungeliebten Schwiegersohn Lorenzo vermachen muss, der zuvor mit Shylocks Tochter Jessica heimlich durchgebrannt war. Auch werden immer wieder die wahren Motive des Kaufmanns Antonio für die Kreditaufnahme hinterfragt. Was empfindet er wirklich für den jungen Bassanio, für den er die 3000 Dukaten leiht, damit dieser um die schöne Portia auf Schloss Belmont werben kann? Liegen hinter seiner Schwermut homosexuelle Neigungen, da er seine Gefühle für den jungen Bassanio nicht ausleben kann? Vermutet wird, dass Hahn, der der Vorlage bei Shakespeare relativ nah folgt, gerade deshalb dieses Stück ausgewählt habe, da er sich mit seinen eigenen nicht ausgelebten homosexuellen Neigungen sehr gut mit der tiefen Melancholie der Titelfigur habe identifizieren können.

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Freude in Belmont: Bassanio (Frank Dolphin Wong) hat die richtige Tasche geöffnet (oben von links: Nérissa (Nohad Becker) und Portia (Sarah Kaffner)).

Das Regie-Team um Klaus Hemmerle interessiert sich bei dieser Parabel über Ausgrenzung und Vorurteile vor allem für die Zeitlosigkeit der Geschichte. So lässt Hemmerle die Figuren des Stückes während der Ouvertüre in klassische Kostüme schlüpfen, die wohl an die Elisabethanische Zeit erinnern sollen. Im weiteren Verlauf der Akte werden die Kostüme immer moderner. Die über diverse Bildschirme flimmernden Börsenkurse und die grauen Anzugsträger in der Gerichtsszene im dritten Akt deuten an, dass man in der Gegenwart angekommen ist. Ob man bei der Ouvertüre eine "Reise nach Jerusalem" benötigt, bei der dem jeweiligen Verlierer von den drei Frauen Portia, Nérissa und Jessica die Rollen mit der Ausgabe des jeweiligen Kostüms übertragen werden, ist Geschmacksache. Soll damit die Zufälligkeit ausgedrückt werden, mit der man in eine Außenseiterposition geraten kann? Den musikalischen Fluss stört es jedenfalls ein wenig, wenn die Ouvertüre zur Durchführung des Spiels immer wieder kurz unterbrochen wird. Andreas Wilkens nutzt die Drehbühne für die unterschiedlichen Orte der Handlung. Venedig wird dabei auf zwei Ebenen dargestellt. In der oberen Ebene sieht man ein pittoreskes Foto der Stadt. In dieser Fotowand befindet sich auch die Tür zu Shylocks Haus. Die untere Ebene steht mit großen Leuchtbuchstaben wohl für die Karnevalssaison in der Stadt. Das Schloss Belmont im zweiten Akt ist recht abstrakt gehalten. Die drei Kästchen, aus denen die Bewerber um Portias Gunst das Kästchen auswählen müssen, in dem sich Portias Bild befindet, werden durch drei Handtaschen in Gold, Silber und Grau dargestellt. Anstelle eines Bildes enthalten die Taschen allerdings kleine Püppchen. Bei den beiden Verlierern, den Prinzen von Aragon und Marokko, sind dies kleine Tiere, während Bassanio in der "Blei"-Tasche eine Art Engel vorfindet und damit weiß, die richtige Tasche geöffnet zu haben.

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Gerichtsverhandlung: Shylock (Bjørn Waag, links) will Antonios (Moon Soo Park, rechts) Fleisch (in der Mitte von links: Bassanio (Frank Dolphin Wong), der Doge (Caio Monteiro), Portia (Sarah Kuffner) und der Opernchor).

Hahns Musik plätschert musikalisch größtenteils sehr gefällig dahin. Man hat das Gefühl, dass es hier wenige Ecken und Kanten gibt, was der Musik aber auch eine gewisse Beliebigkeit gibt. Im Gedächtnis bleiben eigentlich nur Bassanios Liebesbekenntnis im ersten Akt, wenn er seinem Freund Antonio von Portia erzählt, ein rührendes Duett der beiden, nachdem er das richtige Kästchen geöffnet hat und sie nun wissen, dass einer glücklichen gemeinsamen Zukunft nichts mehr im Weg steht, und zwei Arien des Juden Shylock, die seinen Hass auf Antonio und die Venezianer im ersten Akt und die Verzweiflung über seine Niederlage im dritten Akt zum Ausdruck bringen. Gerade in den letzten beiden Szenen stellt Hahn unter Beweis, dass er eben nicht nur der "Salonmusiker" ist, als der er von vielen Zeitgenossen gesehen wurde. Die erste Arie des Shylock, "Je les hais", soll Hahn bereits im Schützengraben während des Ersten Weltkriegs entworfen haben. In die Verzweiflung und Wut, die Shylock darin zum Ausdruck bringt, heißt es, habe Hahn seine schlimmen Kriegserfahrungen zu verarbeiten versucht. Hier durchbricht er den sonst so lieblichen musikalischen Stil des Stückes. Gleiches gilt für Shylocks große Szene vor dem zweiten Bild des letzten Aktes. Während für die glücklichen Paare am Ende die Liebe das letzte Wort hat, lässt Shylock als gebrochener Mann seiner Verzweiflung hier freien Lauf. Musikalisch bewegend werden auch Antonios Gefühle für Bassanio eingefangen, die genau wie Hemmerles Personenregie eine homosexuelle Neigung des Kaufmanns zu dem jungen Mann andeuten.

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Glückliches Ende in Belmont: in der Mitte von links: Gratiano (Mark Adler), Nérissa (Nohad Becker), Portia (Sarah Kuffner) und Bassanio (Frank Dolphin Wong) mit Mitgliedern des Opernchors

Für den Juden Shylock hat man den Bariton Bjørn Waag als Gast verpflichten können, der der Figur darstellerisch und stimmlich mit markanten Tiefen Würde verleiht. Bei allem Unverständnis für den geschlossenen Vertrag versteht es Waag, dem Shylock menschliche und durchaus nachvollziehbare Züge zu geben. Seine beiden großen Arien gehen in Waags Interpretation unter die Haut. Sarah Kuffner überzeugt als Portia mit rundem Sopran und macht darstellerisch glaubhaft, dass sie größtenteils die Zügel in der Hand hat. So will sie bei Bassanios Wahl der richtigen Tasche eigentlich auch nichts dem Zufall überlassen und stellt die graue Tasche kurzerhand etwas anders als die anderen beiden Taschen auf. In der Gerichtsszene punktet sie durch strenges Auftreten. Frank Dolphin Wong legt ihren Geliebten Bassanio mit weichem Bariton und schwärmerischem Spiel an. Moon Soo Park verleiht der Titelfigur Antonio mit dunklem Bass-Bariton eine tiefe Melancholie und macht darstellerisch deutlich, dass dieser Kaufmann für Bassanio mehr als nur väterliche Liebe empfindet. Mark Adler und Nohad Becker harmonieren als Paar Gratiano und Nérissa ebenso wie Lianghua Gong und Nienke Otten als Lorenzo und Jessica. Dabei setzt Gong auch als von Portia abgewiesener Prinz von Aragon komische Momente. Pawel Poplawski lotet mit den Bielefeldern Philharmonikern die größtenteils recht weich klingenden Melodiebögen differenziert aus und rundet mit den weiteren Solisten und dem von Hagen Enke einstudierten Opernchor den Abend klangschön ab, so dass es am Ende verdienten Applaus gibt.

FAZIT

Eine Erstaufführung ist für das Publikum stets etwas Besonderes und für ein Theater immer ein gutes Aushängeschild. Hahns Kaufmann von Venedig besitzt musikalisch allerdings nicht die Strahlkraft, um den Sprung ins Repertoire zu schaffen.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Pawel Poplawski   

Inszenierung
Klaus Hemmerle   

Bühne
Andreas Wilkens

Kostüme
Yvonne Forster

Choreographie
Dirk Kazmierczak

Licht
Ralf Scholz

Choreinstudierung
Hagen Enke

Dramaturgie
Anne Christine Oppermann

 

Bielefelder Philharmoniker

Bielefelder Opernchor


Solisten

*Besetzung der Premiere

Portia
Sarah Kuffner

Nérissa
Nohad Becker

Jessica
Nienke Otten

Shylock
Bjørn Waag

Bassanio
Frank Dolphin Wong

Antonio
Moon Soo Park

Gratiano
Mark Adler

Lorenzo / Der Prinz von Aragon
Lianghua Gong

Tubal / Der Prinz von Marokko
Yoshiaki Kimura

Die Maske
Melanie Kreuter

Der Doge von Venedig
Caio Monteiro

Der Gerichtsdiener /
Ein Grande von Venedig
*Paata Tsivtsivadze /
Tae Woon Jung

1. Venezianerin
*Michaela Ataalla /
Eteri Kochodze-Büttemeier

2. Venezianerin
Orsolya Ercsényi /
*Sofio Maskharashvili

1. Jude
*Yun Geun Choi /
Ramon Riemarzik

2. Jude
*Mark Coles /
Lutz Laible

3. Jude
Young Sung Im /
*Vladimir Lortkipanidze

Salarino
In Kwon Choi /
*Krzysztof Gornowicz

Zwei Frauenstimmen
Annika Brönstrup
Christin Enke-Mollnar

 

Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Bielefeld
(Homepage)




Da capo al Fine

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