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Liebeserklärung an die Broadway-Shows der 20er Jahre Von
Thomas Molke /
Fotos von Bettina Stöß Der Mann im Stuhl (Nito Torres, links) träumt sich in eine Welt, in der der reiche Robert Martin (Gero Wendorff, Mitte) den Broadway-Star Janet Van De Graaff (Maja Sikora) heiraten will. Die Handlung ist so albern, wie es für die amerikanischen Vaudevilles der damaligen Zeit üblich war. Janet Van De Graaff, ein berühmter Broadway-Star, will ihre Karriere beenden, um den Sohn eines Öl-Magnaten, Robert Martin, zu heiraten. Doch ihr Produzent Mr. Feldzieg will diese Hochzeit verhindern. Zum einen ist Möchtegern-Starlet Kitty kein adäquater Ersatz für Janet, zum anderen wird Mr. Feldzieg von einem stümperhaften Gangster-Duo bedroht, dessen ominöser Auftragsgeber befürchtet, dass seine Investitionen in die Show sich ohne Janet nicht mehr auszahlen. Da Janets Entschluss allerdings unweigerlich feststeht, muss eine List her. Der schmierige italienische Gigolo Aldolpho soll die Braut verführen, landet allerdings mit der beschwipsten Anstandsdame, der "Drowsy Chaperone", im Bett, woran ihr erhöhter Alkoholpegel nicht ganz unschuldig ist. Inzwischen kommt es allerdings zum Bruch zwischen Robert und Janet, da sie ihn für untreu hält, als er sie mit verbundenen Augen küsst, sie dabei allerdings für eine Französin namens Mimi hält. Doch mittlerweile haben sich andere Paare gefunden. Mrs. Tottendale, die in ihrem Haus die Hochzeit für die beiden ausrichten sollte, will ihren Diener Underling heiraten, Kitty überredet Mr. Feldzieg zur Ehe, um seine Show zu retten, und auch die Anstandsdame und Aldolpho wollen sich nach einer leidenschaftlichen Nacht das Ja-Wort geben. Janet ist schließlich nach einer kurzen Aussprache mit Robert bereit, ihm zu verzeihen, so dass es am Ende vier Brautpaare gibt. Doch leider ist der Pfarrer abhanden gekommen. Wie gut, dass die Fliegerin Trix aus dem Nichts auftaucht, die nicht nur alle Gäste mit ihrem Flieger nach Rio bringt, sondern als Kapitän auch das Recht hat, die Trauungen auf dem Flug durchzuführen. Mrs. Tottendale (Melanie Kreuter) und Underling (Lutz Laible) bereiten die Hochzeitsfeierlichkeiten vor. Die eigentliche Komik gewinnt das Stück durch die Rahmenhandlung. Nito Torres spricht als Mann im Stuhl einem Großteil des Publikums mit seinen bissigen Kommentaren aus der Seele, auch wenn es an der einen oder anderen Stelle erschrecken mag, wenn man sich als Zuschauer in dieser Figur eines Sonderlings wiedererkennt. Trotzdem macht es Spaß, wenn er das moderne Regietheater anprangert und sich vor Vorstellungsbeginn wünscht, das Licht werde überhaupt nicht angehen, weil man immer Angst haben müsse, was sich das Regie-Team dieses Mal wieder für einen Quatsch habe einfallen lassen. Auch der Vergleich des Musicals mit einem Pornofilm, wo die sinnfreien Dialoge auch nur dazu dienen, einen "Übergang" zum nächsten "Akt" zu schaffen, regt zum Schmunzeln an. Den deutschen Titel Hochzeit mit Hindernissen lässt Torres ebenfalls nicht ohne leicht ironischen Unterton durchgehen. Statt des Handys, das in den heutigen Vorstellungen häufig den Kunstgenuss im Theater stört, ist es hier das Telefon, das in der Wohnung klingelt und Torres jeweils die Geschichte unterbrechen lässt. Doch auch wenn er sich weigert, den Hörer abzunehmen und die Person am anderen Ende mit einem unfreundlichen Anrufbeantworter abfertigt, zieht er am Ende den Kürzeren. Kurz vor dem Finale gibt es nämlich einen Stromausfall, und der Anrufer war der Hausmeister, der eigentlich nur mitteilen wollte, dass er kurz die Sicherungen austauschen müsse. Aldolpho (Andreas Wolfram) verführt anstelle der Braut die Drowsy Chaperone (Kerstin Marie Mäkelburg). Das Regie-Team um Thomas Winter, der in den letzten Jahren hier auch City of Angels, Sunset Boulevard und Cyrano mit großem Erfolg inszeniert hat, setzt konsequent auf hohes Tempo mit Akrobatik, Slapstick, Comedy, Stepp, Tanz und Gesang und lässt in dem Wohnzimmer mit einfachen Mitteln und nostalgischen Show-Kostümen von Beatrice von Bomhard eine längst vergangene Zeit aufleben. Da stört es auch nicht weiter, wenn die Figuren durch den Kühlschrank auftreten. Schließlich spielt sich ja alles nur im Kopf des Erzählers statt, und wenn dieser die Schallplatte anhält, friert auch die Handlung mit ihren Darstellern ein. Besonders komisch gelingt auch der Moment, in dem Torres die Nadel des Plattenspielers zurücksetzt und die Szene für einen kurzen Moment rückwärts läuft. Auch auf eine Pause wird verzichtet, weil - so Torres - es nichts Schlimmeres als diese zwanghaften Pausengespräche gebe. Da er sich selbst aber eine Pinkelpause gönnen wolle, solle sich das Publikum schon einmal das Intro zum zweiten Akt anhören. Allerdings hat Torres eine falsche Platte aufgelegt, und das Publikum befindet sich plötzlich in einem Musical über einen chinesischen Kaiser und eine Nachtigall. Auch hierfür hat von Bomhard bezaubernde Kostüme entworfen. Eine Besonderheit ist in Bielefeld auch die Besetzung der Trix, die das Finale einleitet. Hier hat man in Bielefeld insgesamt 11 Damen engagiert, die in den letzten Jahren in Bielefeld in den Musicalproduktionen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben. Das Publikum darf sich jeweils überraschen lassen, welche Dame am Abend die Partie übernehmen wird. Am Premierenabend ist es Roberta Valentini. "Plunder Surprise": von links: Mr. Feldzieg (Carlos H. Rivas), Gangster 2 (Arne David), Kitty (Michaela Duhme) und Gangster 1 (Tobias Berroth) Auch die übrigen Partien sind hochkarätig besetzt. Gero Wendorff begeistert als Robert Martin mit strahlendem Zahnpastalächeln und einer atemberaubenden Steppeinlage mit Jens Janke als George bei dem Song "Kalte Füße" ("Cold Feets"), in dem Robert seine Nervosität vor der Hochzeit äußert. Auch auf Rollschuhen macht er mit verbundenen Augen eine gute Figur. Maja Sikora verkörpert mit hellblonder Marilyn-Frisur ein bezauberndes Show-Girl Janet und überzeugt einerseits mit strahlendem Gesang, andererseits mit akrobatischen Einlagen. Wunderbar ironisch gelingt ihr der Song "Schlicht" ("Show Off"), in dem sie ihrer Karriere angeblich abschwört, während ihre Körpersprache genau das Gegenteil andeutet. Kerstin Marie Mäkelburg besitzt als Drowsy Chaperone wunderbare Komik und glänzt mit zynischem Spiel. Ihre Nummer "Strauchelnd geht es voran" ("As We Stumble Along") entwickelt sich zu einem Ohrwurm, zumal der Song im Finale vom Ensemble auch wieder aufgenommen wird. Andreas Wolfram mimt den Gigolo Aldolpho als einen herrlich selbstverliebten Gecken, so dass bei seinem Auftritt kaum ein Auge trocken bleibt. Auch Michaela Duhme entfaltet als talentfreies Revue-Girl Kitty mit ihrem naiv-dümmlichen Spiel große Komik. Bei den beiden Gangstern Tobias Berroth und Arne David denkt man unweigerlich an Porters Kiss Me, Kate, auch wenn ihr Song "Plunder Surprise" in eine ganz andere Richtung als "Schlag nach bei Shakespeare" geht. Dabei erweisen sich Berroth und David als Meister des Slapstick. Ensemble-Mitglied Melanie Kreuter präsentiert sich als Mrs. Tottendale in lilafarbenem Kleid von ihrer komödiantischen Seite und Lutz Laible mimt den Diener Underling mit herrlich trockenem Humor. So gibt es am Ende stehende Ovationen für alle Beteiligten, und man muss bei allem Kitsch zugeben: Schön war sie doch, die alte Zeit. FAZIT Eingefleischte Musical-Fans sollten sich diese Produktion
nicht entgehen lassen, und auch Nostalgiker kommen bei dieser Hommage und
Parodie der "guten alten Zeit" auf ihre Kosten. |
Produktionsteam Musikalische Leitung Inszenierung Bühnenbild und Kostüme Choreographie Licht Dramaturgie
The Drowsy Band
Solisten*Besetzung der Premiere Mann im Stuhl Robert Martin The Drowsy Chaperone Mrs. Tottendale Aldolpho Underling George
Kitty Gangster 1 Gangster 2 Mr. Feldzieg Trix, the Aviatrix Hausmeister, Reporter, Personal
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