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Musiktheater
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b.31

Obelisco

Ballett von Martin Schläpfer
Musik von Marla Glen, Salvatore Sciarrino, Franz Schubert, Domenico Scarlatti, Wolfgang Amadeus Mozart, Giacinto Scelsi und Richard Heuberger

Adagio Hammerklavier

Ballett von Hans van Manen
Musik von Ludwig van Beethoven (Adagio aus der Sonate Nr.29 B-Dur op.106

SH-BOOM!

Ballett von Sol León & Paul Lightfoot
Turner Layton und Clarence Johnstone, José Armandola und Olavi Virta, Arturo Cuartero, The Mills Brothers, Vera Lynn, James Keyes, Claude und Carl Feaster, Floyd F. McRae und James Edwards

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (zwei Pausen)

Premiere am 1. April 2017 im Opernhaus Düsseldorf


Homepage

Ballett am Rhein / Rheinoper
(Homepage)
Der Zwang zum Entertainment und der Zwang zur Kunst

Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt

Wahnwitzige sieben Minuten lang muss Marlúcia do Amaral auf Spitze tanzen. So lange - genauer: Sieben Minuten und sieben Sekunden - dauert Anâgâmin für elf Streicher von Giacinto Scelsi, komponiert 1965. Einmal kurz darf die Tänzerin absetzen, auf dem Außenrist des Fußes, an anderer Stelle stützt sie sich mit den Händen am Boden ab. Der Spitzentanz wird zum bedrohlichen Gewaltakt, hat seine himmelstürmende Ästhetik verloren. Wie unter Zwang agiert die Tänzerin, zur Spitze verurteilt, schwankend und um den Halt ringend, nicht einmal aufrecht, sondern immer wieder in gekrümmten Posen, ein Kampf gegen die Schwerkraft. Marlúcia do Amaral bewältigt das imponierend, gibt dafür sogar den ihr sonst so typischen Gestus der Überlegenheit auf. Scelsis rätselhafte, den Klängen distanziert nachhörende Musik schützt sie ebenso wenig wie die kühle direkte Beleuchtung, in der sie bleich sich allein überlassen ist.

Vergrößerung Obelisco: Ensemble

Die Zahl Sieben hat besondere Bedeutung in Martin Schläpfers Choreographie Obelicsco, 2007 am ballettmainz uraufgeführt und für diese Düsseldorfer Premiere in einigen Teilen grundlegend revidiert. Sieben kurze Sätze mit ganz unterschiedlicher Musik, einigermaßen symmetrisch angeordnet, bilden das musikalische Gerüst. Es beginnt mit dem Song Travel von Marla Glen, den Schläpfer komplett neu eingesetzt und choreographiert hat, und er gibt dem insgesamt rund 40-minütigen Werk so etwas wie ein Motto vor - eine Reise, ein Stationendrama oder Roadmovie, auf das Ballett übertragen. Einer Gruppe von sechs Tänzern (drei Frauen, drei Männer) ist diese erste Station überlassen, und sie tanzen auf grotesk hohen Plateauschuhen, wodurch die Proportionen der Körper verzerrt werden. Schläpfer arrangiert das lässig-rockig, und zwischendurch gibt es auch Momente der Gewalt, wenn einem der Tänzer die Beine weggetreten werden. Ganz friedlich geht es auf Marla Glens Reise also nicht zu, und auf der folgenden Station, dem aus sehr kurzen, bruchstückhaften Klangereignissen aufgebauten Il tempo con l'obelisco von Salvatore Sciarrino (*1947) versuchen zwei Tänzerinnen, auf Spitze zu stehen, kippen aber immer wieder weg und werden von ihren Partnern aufgefangen und in die nächste Position gebracht - ausgesprochen fragile Gleichgewichtssstudien, bei denen die beiden Paare nie Kontakt zueinander finden.

Vergrößerung

Obelisco: Julie Thirault, Philip Handschin

Ein introvertiertes Solo mit beinahe turnerischen Elementen, in denen sich der Körper aufbäumt, tanzt Marcus Pei mit großer Eleganz auf Schuberts Lied Du bist die Ruh nach einem Gedicht von Friedrich Rückert, und auf einen aberwitzigen Prestissimo-Satz für Klavier von Domenico Scarlatti (aus der Sonate d-Moll K517) reagieren Camille Andriot sowie Rashaen Arts und Eric White, die ihr mehr assistieren als partnerschaftlich entgegen treten, mit einiger Ironie. Mozarts Klavierfantasie d-Moll KV397(385g) ist noch so ein ausgefallenes Musikstück, kleinteilig zerrissen - Schläpfer geht sehr genau auf die ständigen Veränderungen ein, antwortet mit wechselnden Konstellationen auf die fast sprunghafte Komposition. Obelisco schließt, nach dem oben erwähnten siebenminütigen Scelsi-Spitzentanz, mit einer Operettenarie: "Geh'n wir ins Chambre separée" aus Richard Heubergers Opernball (in einer hinreißenden Einspielung von Elisabeth Schwarzkopf). Yuko Kato und Friedrich Pohl tanzen - beide - in High Heels, was dem Stück den Charakter einer Transvestienummer gibt. (Bei allem Respekt vor Friedrich Pohl: Man hätte sich hier schon den unvergleichlichen, so ganz anderen Jörg Weinöhl gewünscht, der die Partie in Mainz getanzt hat und in Schläpfers ersten Düsseldorfer Jahren auch dieser Compagnie angehörte.) Schläpfer trifft es auf den Punkt, wenn er im Programmheftinterview angibt, dass Marla Glen und Richard Heuberger wie zwei Buchdeckel die hochkomplexe Kunstmusik dazwischen einrahmen. Schläpfers virtuose Choreographie verhindert, dass Obelisco den Charakter einer Revue annimmt. Es ist eine Reise von einem Geheimnis zum nächsten - immer wieder unergründlich und faszinierend.

Vergrößerung Adagio Hammerklavier: Marcos Menha, So-Yeon Kim

Im Zentrum des Abends steht Hans van Manens Adagio Hammerklavier von 1973, und dieses Werk taugt zum Klassiker. Die Musik, das Adagio aus Beethovens Sonate Nr.29 "für das Hammerklavier", spricht von letzten Dingen, zumal in Christoph Eschenbachs sehr langsamer Einspielung. Drei Paare bilden zunächst eine Gruppe, tanzen dann jeweils einen pas de deux. Großartig, wie van Manen die unverbindliche Schönheit der danse d'ecole bei enormer Konzentration der Mittel in unbedingte künstlerische Notwendigkeit überführt. Über allem schwebt ein blassblaues Tuch, das sich im Wind leicht wellt. Es ist ein bestechend schönes, berührendes Werk. Allerdings trifft hier zu, was Schläpfer im Programmheft über die Notwendigkeit von Überarbeitungen sagt: Dass Einstudierungen älterer Werke immer Gefahr laufen, museal zu werden. Der Respekt vor dem Phänomen van Manen (der persönlich die Endproben begleitete) merkt man den akkurat tanzenden Doris Becker und Vincent Hoffmann, Sonja Dvorák und Alexandre Simoes, So-Yeon Kim und (noch am ehesten frei davon) Marcos Menha an, deren tänzerische Persönlichkeiten hinter der Choreographie zurück treten. Aber trotz dieser Einschränkung bildet Adagio Hammerklavier in seinem unbedingten Ernst die künstlerische Achse, an deren Rändern sich der ironisch gebrochen sinnsuchende Obelisco wie auch das slapstickhafte SH-BOOM! entfalten können.

Vergrößerung

SH-BOOM!: Rubén Cabaleiro Campo

SolLeón und Paul Lightfoot haben das Stück 1994 ursprünglich im Rahmen eines Workshops entwickelt, bei dem jeder Teilnehmer etwas einbringen sollte - das erklärt den dezidiert revuehaften Charakter. 2004 wurde das weiterentwickelte Werk dann ins Repertoire des Nederlands Dans Theater übernommen. Auf Schlager der 1920er- bis 1950er-Jahre, "Sh-boom" ist der Titel eines davon, mit dem charakteristischen Knistern der Langspielplatte (nicht nur das erinnert an die frühen Werke von Pina Bausch) ersteht eine beinahe nostalgische und gleichermaßen zwanghafte Welt des Entertainments. Zunächst steht Rubén Cabaleiro Campo am Bühnenrand vor dem Vorhang und wiederholt in Endlosschleife immer den gleichen Ablauf: Zwei Schritte zurück, den Kopf zum Publikum drehen, ein breites schmieriges Lachen. Hinreißend gibt der Tänzer hier, aber auch in späteren Nummern eine Art Conférencier und Vortänzer und avanciert zum Star des Stückes.

Vergrößerung SH-BOOM!: Ensemble

Die Herren im weißen Anzug (von dem immer weniger übrig bleibt, es gibt sogar ein gänzlich unbekleidetes Solo im Halbdunkel), die Damen im schwarzen Kleid, und wenn ein Tänzer einen Dialog zwischen Mann und Frau spielt, ist er halb weiß, halb schwarz. Dass SH-BOOM! bei allem Klamauk keineswegs oberflächlich ist, liegt an den bestechenden tänzerischen Mitteln, die León und Lightfoot einsetzen. Immer wieder entwickeln sie ebenso abstruse wie Atem raubende Bewegungsfolgen. Natürlich verweist das auf Jerome Robbins' (witzigeres) The Concert, in dieser Saison im Ballettabend b.29 gezeigt (unsere Rezension). SH-BOOM! hat nicht dessen unmittelbaren Witz, ist bitterer in seinem unbarmherzigen Unterton "The Show must go on", aber ebenfalls eine wunderbare Hommage an den Tanz.


FAZIT

Drei unterschiedliche, auf ihre Weise faszinierende Choreographien mit vielen Querverbindungen ergeben einen großartigen, inspirierenden Ballettabend.


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Produktionsteam

Obelisco

Choreographie
Martin Schläpfer

Bühne und Kostüme
Thomas Ziegler

Licht
Thomas Diek

Uraufführung: 2007,
ballettmainz

Tänzerinnen und Tänzer

Marlúcia do Amaral
Camille Andriot
Alexandra Inculet
Kailey Kaba
Yuko Kato
So-Yeon Kim
Asuka Morgenstern
Claudine Schoch
Virginia Segarra Vidal
Elisabeta Stanculescu
Julie Thirault Rashaen Arts
Brice Asnar
Yoav Bosidan
Philip Handschin
Rubén Cabaleiro Campo
Sonny Locsin
Bruno Narnhammer
Marcus Pei
Friedrich Pohl


Adagio Hammerklavier

Choreographie
Hans van Manen

Bühne und Kostüme
Jean-Paul Vroom

Licht
Jan Hofstra

Choreographische Einstudierung
Igone de Jongh

Uraufführung: 1973,
Het Nationale Ballett Amsterdam


Tänzerinnen und Tänzer

1. Paar
Doris Becker
Vincent Hoffman

2. Paar
Sonia Dvorák
Alexandre Simões

3. Paar
So-Yeon Kim
Marcos Menha


SH-BOOM!

Choreographie,
Bühne und Kostüme
Sol León
Paul Lightfoot

Licht
Tom Bevoort

Choreographische Einstudierung
Valentina Scaglia
Bastien Zorzetto

Uraufführung: 1994,
Nederlands Dans Theater


Tänzerinnen und Tänzer

Rubén Cabaleiro Campo
Boris Randzio
Marcus Pei
Sonny Locsin
Marcos Menha
Alexandre Simões
Wun Sze Chan
Marlúcia do Amaral
Norma Magalhães
Yuko Kato



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Ballett am Rhein
(Homepage)



Da capo al Fine

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