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Eine gottlose Familiensaga
Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans Jörg Michel
Ist es eine ironische Kapitulation vor dem mächtig bedeutungsschweren Ring, die Regisseur Dietrich W. Hilsdorf seiner Inszenierung voranstellt? "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten", zitiert Loge den Spötter Heinrich Heine, noch bevor der erste Ton erklungen ist. Da steht der Strippenzieher Loge, ein Zauberer oder Dompteur, vor dem Vorhang, der ein Varietévorhang ist. Natürlich spielt die Gedichtszeile auf den Rhein an, um den es gleich gehen wird, auch auf die unheilvolle Verführbarkeit der Männer durch schöne Frauen, die man dann miterleben kann. Loge wiederholt dann noch einmal das Wörtchen "es". Ein Verweis auf Sigmund Freud? Das steht im Raum, aber viel konkreter ist das "Es" der mythenumwobene erste Ton im Ring des Nibelungen, Es-Dur als musikalische Chiffre für den Urzustand vor dem Sündenfall des Rheingoldraubs. Wissen wir nicht (weiß der Regisseur nicht), worum es sich bei diesem Urzustand handelt, den der Revolutionär Wagner sich vorgestellt haben mag, als er noch ein wenig anarchistisch an eine andere Welt glaubte als die, die er bei der Komposition der Götterdämmerung (die nicht mehr zu diesem Es-Dur zurückfinden wird) rund 20 Jahre später vor Augen hatte? "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" - Loge gibt sich vor dem ersten Orchestereinsatz ratlos.
Es ist eine Regie der vielfältigen Querbezüge, die Dietrich Hilsdorf entwickelt. Bühnenbildner Dieter Richter hat einen schmucklosen, halbhoch holzgetäfelten Saal gebaut, den die Götter erobern wie Kolonialisten eine fremde Welt, und wenn von "Walhall" die Rede ist, dann gehen im Zuschauerraum die Lichter an. Walhall - ein Theater? (Wagner wollte ursprünglich sein für den Ring zu bauendes Festspielhaus abreißen nach der ersten Aufführungsserie.) Die Rheintöchter sind hübsche, frivole Mädchen, der Welt des Moulin Rouge und der Pariser Bordelle entsprungen, Alberich ein armer und unansehnlicher Krüppel, der es mit dem Raub des Goldes zu geschäftsmännischer Eleganz bringt. Die Riesen - zwei gestandene Handwerker, die zwischendurch gerne mal in ihre Stulle beißen (ausgesprochen zynisch wird das, wenn Fafner nach dem Mord Fasolt erst einmal frühstückt). Das Wirtschaftssystem dieser Gesellschaft basiert offenbar auf dem Bergbau, und die Nibelungen brechen mit Macht ein in die bürgerliche Welt des 19. Jahrhunderts (das die Regie ziemlich nah an unserer Gegenwart ansiedelt). Nur die allwissende Erda entsteigt der Vergangenheit, dem elisabethanischen Zeitalter vielleicht (ganz sauber ist ihr Kleid beim Zeitensprung nicht geblieben), und mahnt die Gegenwart, als könne man aus der Vergangenheit lernen. Die Rheintöchter Wellgunde und Woglinde haben ihr dubioses Wissen, das sie hier Alberich mitteilen, offenbar beim Kartenlegen erlangt.
Hilsdorf, Bühnenbildner Dieter Richter und Kostümbildnerin Renate Schmitzer zeigen sehr genau und in durchdachter, unangestrengt nuancenreicher Personenregie, wie sich eine arrogante Götterclique korrumpiert und wohl schon am Ende dieses Rheingolds realisiert, dass ihr Ende nahe ist. Sie erzählen eine Familiensaga wie in den Romanen Emile Zolas, in der das mythische Personal aus Göttern, Riesen und Zwergen vollständig vermenschlicht und das Elend der Kohlebergwerke nah ist. Rezeptionsgeschichtlich steht die Regie damit in der Tradition von Patrice Chereaus "Jahrhundert"-Rings von 1876. Wofür sie sich da ein paar "Buh"-Rufe bei der Premiere einhandelte, ist unklar; der Ansatz wirkt weder spektakulär neu noch besonders provokativ (Frank Castorfs Bayreuther Motel-Rheingold oder, um in geografischer Nähe zu bleiben, Tilman Knabes Sex-and-crime-Variante in Essen waren da weitaus radikaler). Am ehesten noch kann man fragen, ob das Konzept über vier Abende tragen wird oder sich irgendwann erschöpft. Jedenfalls deutet sich Kontinuität an: Das Schwert, das Siegmund in der Walküre finden und Siegfried später neu schmieden wird, das kommt schon zum bitterbösen Einsatz, wenn Wotan damit blutig die Hand Alberichs abschlägt, um an den Ring zu kommen. Verfahrene Situation: Loge und Wotan kümmern sich um Freia, Fricka schaut von hinten skeptisch zu.
Ganz fabelhaft greift Dirigent Axel Kober die genaue Erzählstruktur mit einer durch und durch transparenten Lesart der Partitur auf, die viele Details hörbar macht, die sonst im Gesamtklang untergehen, und die gleichzeitig große Spannungsbögen schlägt, aber auch die Initiative übernimmt und mitunter den Darstellern auf der Bühne wuchtig die Leitmotive hinwirft, über die Wotan & Co. In ihren abstrusen Plänen unweigerlich stolpern müssen. Alberichs Liebesentsagung und noch mehr der Fluch werden zu hochdramatischen Momenten, in denen Kober großformatig auftrumpft. Für das geradezu aufjubelnde Wogen des Rheines wie für das Gewitter des Finales findet Kober faszinierende Farben. Vieles von den Vorstellungen ihres Chefdirigenten können die Düsseldorfer Symphoniker gut umsetzen, im Detail bleiben ein paar Wünsche offen. So dirigiert Kober das orchestrale Vorspiel mit rhythmisch klaren Konturen und weit weniger verschwommen als viele seiner Kollegen - und da stört es eben auch, dass jedes Horn die Punktierungen ein klein wenig anders spielt. Man muss nicht den Vergleich zu Weltklasseorchestern in Dresden oder Berlin suchen; aber mit der Genauigkeit und Homogenität, die zuletzt von François-Xavier Roth und dem Kölner Gürzenich-Orchester oder Tomáš Netopil und den Essener Philharmonikern aus den Orchestergräben der Nachbarstädte zu hören war, können die "Düsseldorfer" nicht mithalten. Wie soll es nun weitergehen? Wotan ist ratlos.
Gesungen wird sehr überzeugend. Simon Neal ist kein wuchtig-markiger, dafür klug gestaltender und präsenter Wotan als Anführer einer vokal soliden Göttterfamilie (Donner: Torben Jürgens, Froh: Ovidiu Purcel, Freia: Sylvia Hamvasi, Fricka: Renée Morloc). Michael Kraus singt einen vorzüglichen, nicht grobschlächtigen, vielschichtigen Alberich, Cornel Frey einen agilen Mime. Norbert Ernst hat den Loge an vielen Häusern, auch bei Castorf in Bayreuth gesungen - keine Riesenstimme, aber außerordentlich wendig und souverän in der Gestaltung. Anke Krabbe, Maria Kataeva und Ramona Zaharia bilden ein klangschönes und gut aufeinander abgestimmtes Rheintöchter-Terzett, Susan Maclean gibt eine eher unauffällige Erda. Famos sind die Riesen: Thorsten Grümbel als Fafner, vor allem aber Bogdan Taloş als sonorer, stimmgewaltiger und dabei auch noch genau artikulierender Fasolt. Eine Entdeckung.
Ein szenisch nicht unbedingt spektakulärer, aber klug durchdachter und musikalisch wie darstellerisch sehr gut umgesetzter Auftakt zum neuen Ring. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Solisten
Wotan
Donner
Froh
Loge
Fricka
Freia
Erda
Fasolt
Fafner
Woglinde
Wellgunde
Flosshilde
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