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Kontraste

Choreographien von Richard Siegal, Johan Inger und Edward Clug

Unitxt
Choreographie von Richard Siegal, Musik von Carsten Nicolai

Rain Dogs
Choreographie von Johan Inger, Musik von Tom Waits

Hora
Choreographie von Edward Clug, Musik von Balanescu Ensemble

Aufführungsdauer: ca. 2h 5' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 25. Februar 2017
(rezensierte Aufführung: 31.03.2017)

 



Theater Dortmund
(Homepage)

Dreiteiliger Ballettabend der Gegensätze

Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöß (Stage Pictures)

Auch in Dortmund ist es mittlerweile Tradition, dass Ballettdirektor Xin Peng Wang mit einem breiten Spektrum von Handlungsballett und modernem Tanz einerseits die Vielseitigkeit seiner Compagnie unter Beweis stellt und andererseits unterschiedliche Interessen des Publikums abzudecken versucht. Außerdem bietet sich seinen Tänzerinnen und Tänzern durch das Engagement von Gastchoreographen die Möglichkeit, auch andere Stile zu erarbeiten und ihr eigenes Tanzvokabular zu erweitern. Nachdem in den letzten Jahren mit Drei Farben Tanz und Drei Streifen: Tanz die Trilogie des Abends bereits im Titel zu erkennen war, gibt es in diesem Jahr auch wieder einen dreiteiligen Ballettabend, der den schlichten Titel Kontraste trägt und in den einzelnen Choreographien kaum gegensätzlicher sein könnte. Mit Richard Siegal, Johan Inger und Edward Clug werden nicht nur drei Vertreter des modernen Tanzes an einem Abend zusammengeführt, deren Ausdruck im Tanz kaum unterschiedlicher sein könnte, sondern auch die Musikauswahl setzt von elektronischen Klängen über Songs von Tom Waits bis hin zu rumänischer Folklore im wahrsten Sinne des Abends Kontraste. So sind an diesem Abend drei völlig unterschiedliche Choreographien zu erleben, bei denen jeder Zuschauer nur für sich feststellen kann, ob er in der Gegensätzlichkeit irgendwelche Zusammenhänge erkennt oder ob sie unverbunden für ihn nebeneinander stehen.

Den Anfang macht Unitxt, eine Choreographie von Richard Siegal, die er in der Spielzeit 2012/2013 für die Junior Company des Bayerischen Staatsballetts kreierte und mit der er im April 2015 die BallettFestwoche in dem Dreiteiler Portrait Richard Siegal eröffnete. Siegal, der als Schüler des bedeutenden zeitgenössischen Choreographen William Forsythe auch als geistiger Verwandter mit Blick auf dessen Tanzstil gilt, ist stets bemüht, mit Künstlern und Wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen dem zeitgenössischen Tanz ein neues Gesicht zu geben. In diesem Zusammenhang hat er 2005 in Berlin und Paris eine Plattform namens The Bakery gegründet, die es Tänzern, Musikern, bildenden Künstlern, Architekten und Entwicklern von Software ermöglicht, in kreativem Austausch gemeinsame Projekte zu entwerfen. Hierbei entwickelte er auch die "If-Then-Methode", die Choreographien auf logische Gleichungen aus Naturwissenschaft und Technik zurückführt und jede Bewegung als Versuchsanordnung betrachtet und damit aus der Tradition des Tanzes löst. Für Unitxt wählt Siegal elektronische Musik des gleichnamigen fünften Albums des Komponisten Carsten Nicolai, das dieser unter dem Künstlernamen Alva Noto 2008 veröffentlichte.

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Ensemble in Unitxt

Der Titel versteht sich als Zusammensetzung aus den beiden Begriffen "unit", gemeint ist hier ein rhythmisches Muster, und "text", was weitestgehend für Information steht, und der Entwicklung, die sich aus diesen beiden Einheiten ergibt. Siegals Ausgangspunkt für seine Choreographie war Nate Silvers The Silence and the Noise, ein Buch, das sich mit dem Thema Voraussage beschäftigt und Thesen von Alvin Toffler und Nassim Taleb aufgreift. Siegal ergänzt in seiner Arbeit die beiden Begriffe "Noise" und "Silence" um den Begriff "Signal" und durchleuchtet sie mit elektronisch pulsierenden rhythmischen Klängen, die beim Zuhörer im wahrsten Sinne durch Mark und Bein gehen und den Körper des Publikums im Saal zum Schwingen bringen. Die Bühne arbeitet mit dem Kontrast zwischen Schwarz und Weiß und einem beeindruckenden Lichtdesign, das die sieben Tänzerinnen und fünf Tänzer stellenweise wie schwarze Schatten vor einer klinisch weißen Leinwand erscheinen lassen. Wie präzise und punktgenau das Ensemble die harten Schläge dabei in Bewegungen umsetzt, ist beeindruckend. Wahrscheinlich wären die Geräusche ohne die Musik kaum zu ertragen, aber durch die moderne Ausdruckssprache erhält die Choreographie eine Ästhetik, die in der enormen Geschwindigkeit begeistert. Die Tänzerinnen überzeugen dabei mal in ganzen Ensembles, dann wieder in kleineren Formationen und setzen zumindest die Begriffe "Noise" und "Signal" verständlich um. Auf "Silence" hofft man in dieser Choreographie allerdings vergeblich.

Der zweite Teil des Abends, Rain Dogs, entstand 2011 für das Ballett Basel. Johan Inger machte zunächst am Nederlands Dans Theater als Tänzer Karriere, bevor er auch als Choreograph unter anderem mit dieser Compagnie zahlreiche Erfolge feierte. Rain Dogs erzählt die Geschichte eines Hundes, der aus Neugier über die Grenzen seines gewohnten Lebensraums hinausgeht, seinen Weg zurück aber nicht mehr findet, da der Regen jede Spur weggespült hat. Um dieses Mikrodrama im Tanz wiederzuerkennen, bedarf es allerdings sehr großer Phantasie und wahrscheinlich auch des vorherigen Lesens dieser Handlung. Zu Beginn betritt nämlich Francesco Nigro sprechend und clownesk tanzend die Bühne und steuert auf einen Kassettenrecorder zu. Ihn als Hund zu betrachten, der seinen Weg verliert, ist keineswegs naheliegend. Mit einem Druck auf den Play-Knopf setzt er die Musik von Tom Waits in Gang, und im weiteren Verlauf werden zu unterschiedlichen Songs kleine Geschichten erzählt. Irgendwann steht mal ein weißer Stoffpudel auf der Bühne, um den während des Songs weißer Rauch aufsteigt. Vorher rieseln aus dem Schnürboden kleine dunkle Partikel herab, die auf dem Bühnenboden wie Ruß oder Asche eine Spur hinterlassen. Das sind aber auch schon die einzigen Bezüge, die sich zum Titel und der genannten Geschichte herstellen lassen.

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Geschlechtertausch bei Rain Dogs (Ensemble)

Ansonsten geht es Inger in seiner Choreographie eher um zwischenmenschliche Beziehungen, Identität und Geschlechterrollen. Zu größtenteils komödiantischen Bewegungen sind die vier Tänzerinnen und fünf Tänzer in bunten Kostümen im modernen Ausdruckstanz zu Waits knorriger Musik zu erleben, mal als Ensemble, dann in kleineren Gruppen. Am Ende tragen die Männer die Kleider der Frauen und die Frauen die Anzüge der Männer. Was dieser Geschlechtertausch aber letztendlich bedeuten soll und mit dem Hund zu tun hat, der seinen Weg verloren hat, bleibt unklar. Bedeutet die Suche nach einer neuen Identität, weil man sich aus seinen gewohnten Bahnen herausbewegt hat, dass man in ein anderes Geschlecht schlüpft? Hier werden dem Publikum zahlreiche Deutungsmöglichkeiten gelassen. Das Ensemble, das größtenteils auch schon in Unitxt aufgetreten ist, begeistert jedenfalls mit großartigem Wechsel der Tanzsprache.

Den Abschluss bildet dann eine Uraufführung von Edward Clug, der 2003 zum Direktor des Slowenischen Nationalballetts Maribor ernannt wurde und der Compagnie eine neue künstlerische Ausrichtung gab. Seine Rückbesinnung auf die archaische Frühgeschichte des Tanzes begann bereits mit seiner Choreographie von Strawinskys Le Sacre du Printemps für seine Compagnie in Maribor. Auch seine Kreation Hora führt zurück zu den folkloristischen Wurzeln des Tanzes, die zeitlich weit vor der Entwicklung des Balletts liegen. Der Titel ist ein Sammelbegriff für verschiedene Kreis- oder Rundtänze in der Folklore des Balkanraums und wird heute häufig noch als Hochzeitstanz in dieser Region bezeichnet. Der Begriff geht zurück auf den altgriechischen Reigentanz "Choreo", der ursprünglich nicht instrumental, sonder vokal ausgeführt wurde und sich dann in der griechischen Dramenkultur zum Chorlied erhalten hat. Zur Untermalung wählt Clug Musik von Alexander Bateescu, der 1987 das Balanescu-Quartett gründete und sich musikalisch zwischen Avantgarde, Pop-Kultur und Folklore bewegt.

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Hora: Die Braut (Ida Kallanvaara, links) und die Hochzeitsgesellschaft (Ensemble, rechts)

Zu Beginn bilden die Tänzerinnen und Tänzer in den erdfarbenen Kostümen eine kaum zu unterscheidende Masse. Sowohl die Tänzer als auch die Tänzerinnen tragen die gleichen Kleider, um zu zeigen, dass der nun folgende Tanz alle Menschen unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung vereint. Gemeinsam formieren sie sich zu mehreren ineinander liegenden Kreisringen, in deren Mitte sich wohl das Brautpaar befindet. Mit weichen Bewegungen wird der Kreis in unterschiedliche Richtungen aufgebrochen und führt die Braut auf die linke und den Bräutigam auf die rechte Seite. Im Hintergrund befindet sich ein S-förmiges Gebilde in liegender Form, das der Braut später als Rutsche dient. Im weiteren Verlauf werden aus der Masse Individuen in bunten Kostümen. Hier finden sich nun unterschiedliche Paare, die dann auf dem Bogen des S-förmigen Gebildes Platz nehmen. Ein Tänzer dreht das Gebilde um seine Achse. Der moderne Ausdruckstanz erfolgt hier in fließenden, weichen Bewegungen und stellt damit einen starken Kontrast zu den harten Rhythmen des ersten Teils und den teilweise clownesken Bewegungen des zweiten Teils dar. Das Publikum feiert auch diesen Teil zu Recht mit großem Jubel.

FAZIT

Die Ballett-Compagnie stellt drei völlig unterschiedliche, teilweise auch konträre Ausrichtungen des modernen Tanzes vor und beweist damit große tänzerische Vielseitigkeit.


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Produktionsteam

Unitxt

Choreographie, Licht- und Videodesign
Richard Siegal

Kostüme
Konstantin Grcic

Einstudierung
Caroline Geiger
Diego Tortelli

Tänzerinnen und Tänzer

*rezensierte Aufführung

*Ida Kallanvaara
*Haruka Sassa
*Risa Terasawa
*Chantal Fink
Clara Sorzano
*Sae Tamura
*Madeline Andrews
*Denise Chiarioni

*Michael Blaško
*Giacomo Altovino
*Giuseppe Ragona
Andrei Morariu
*Javier Cacheiro
*Hiroaki Ishida

 

Rain Dogs

Choreographie, Bühne und Kostüme
Johan Inger

Lichtdesign
Peter Lundin

Einstudierung
Carl Inger

Tänzerinnen und Tänzer

*rezensierte Aufführung

Tess Voelker
*Sae Tamura
*Ida Kallanvaara
*Stephanine Ricciardi
*Denise Chiarioni

*Francesco Nigro
*Giacomo Altovino
*Hiroaki Ishida
*Giuseppe Ragona
*Michael Blaško

 

Hora

Choreographie
Edward Clug

Bühnenbild
Marco Japelj

Kostüme
Leo Kulaš

Tänzerinnen und Tänzer

*rezensierte Aufführung

Clara Sorzano
*Sae Tamura
*Ida Kallanvaara
*Stephanine Ricciardi
*Denise Chiarioni
*Karina Moreira
*Haruka Sassa
*Madeline Andrews
*Amanda Vieira

*Giacomo Altovino
*William Dugan
*Hiroaki Ishida
*Giuseppe Ragona
*Francesco Nigro
Andrei Morariu
*Dann Wilkinson
*Michael Blaško
*Javier Cacheiro


Weitere
Informationen

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Theater Dortmund
(Homepage)



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