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Die Meistersinger von Nürnberg

Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache (keine Übertitel)

Aufführungsdauer: ca. 6 h (zwei Pausen)

Premiere im Theater Detmold am 18. September 2016
(rezensierte Aufführung: 20. November 2016)


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Landestheater Detmold
(Homepage)
Der Beckmesser wird sanft bei Shakespeare entsorgt

Von Stefan Schmöe / Fotos von Landestheater/Schomburg


Sie sind alles andere als ungefährlich, diese Meistersinger von Nürnberg, die sich anschicken als eine heimliche Nationaloper und am Ende so viel von "deutscher" Kunst reden. Walther von Stolzing, ein guter Kerl aus deutschen Landen, der mit gesunder Intuition gegen das erstarrte Establishment anrennt und in glücklicher Verbindung mit dem volkstümlich unverdorbenen Vorzeigekünstler Sachs kurzerhand zum Superstar gekürt wird - der Einfachheit halber durch Akklamation unter Umgehung störender demokratischer Gepflogenheiten, erst recht unter Vermeidung jeglichen intellektuellen Diskurses, das alles könnte so ganz nach dem Geschmack der Rechtspopulisten sein. Auf der anderen Seite Beckmesser, die Kritiker- und Judenkarikatur, den Wagner mit antisemitischen Zerrbildern überzogen hat, leicht verständlich für seine Zeitgenossen, wie zuletzt Ulrich Drüner in seiner kritischen, keineswegs einseitig undifferenzierten Wagner-Biographie deutlich herausgearbeitet hat - dessen nicht nur künstlerische, sondern auch physische Vernichtung in den Sprachbildern anklingt ("auf luft'ger Steige kaum - häng' ich am Baum"). Im kleinen Detmold fehlten die Meistersinger noch in der Reihe der Bayreuth-tauglichen Wagner-Opern, und diese Lücke wird jetzt geschlossen. Wie aber umgehen mit dem heiklen Stück in gefährlich falscher, von rechts nach nationaler Besinnung schreiender Zeit?

Szenenfoto Ehrenwerte Gesellschaft: Die Meistersinger (sitzend: Beckmesser)

Intendant und Regisseur Kay Metzger zieht sich recht geschickt aus der Affäre, wenn er die Handlung vordergründig in die 1950er-Jahre verlegt, eine Zeit zwischen Restauration und Aufbruch, historisch weit genug entfernt und doch auf absurde Weise wiedererkennbar: Beschwören doch die Höckes und Petrys gerade just diese spießig geordnete Behaglichkeit. Da ist Stolzing nur eine Spur rebellischer als die vornehme Handwerker- und Bürgergarde, und schnell hat Sachs ihn zum rechten Bürgertum bekehrt. Im Quintett des dritten Aufzugs, wenn Eva und Walther, David und Magdalene von ihren Morgenträumen und Hochzeitsplänen singen, dann blendet die Regie bitterbös' all' die Errungenschaften des modernen 1950er-Haushalts ein vom Staubsauger bis zum Mixer, und im Finale beziehen Walther und Eva ihr kleines Häuschen mit Jägerzaun, Geranien vor dem Fenster und der deutschen Fahne im Garten. Ein nationales Kleinbürgeridyll. Der Rebell, das bleibt Sachs, der aus der Handlung heraus tritt. Aber er ist ein Rebell im Stillen - einer, der sich innerlich seine Unabhängigkeit bewahrt hat, ohne nach außen groß anzuecken.

Szenenfoto

Mittsommernächtlicher Disput: Sachs (links) und Beckmesser

Am stärksten ist die Regie in den kleinen Szenen, bei denen es um die Figurenzeichnung geht und weniger um die großen Ideen. Sachs und Stolzing beim Tee in der 50er-Jahre-Küche, beide mit distanzierender Ironie gegen die Gesellschaft, mit der sie sich dann doch arrangieren, das ist großartig gelungen und von untergründiger Komik. Da zeigt Metzger viel Sympathie mit den Figuren und ihren Nöten, und er macht deutlich, dass die sich ein ganzes Stück weit vom wagner'schen Konzept emanzipiert haben, mehr sind als Ideenträger einer neuen Nationalkunst. Zumal beide prächtig singen: Heiko Börner den Stolzing mit nicht zu hellem, kraftvollem und höhensicherem Tenor; Derrick Ballard den Sachs mit Riesenstimme, klarer Diktion und vielen Zwischentönen - nur leider oft unnötig laut (davon wird später noch zu reden sein). Die Eva kann da nicht mithalten; Eva Bernhard tut sich keinen Gefallen mit der Partie - die Stimme ist zu klein, muss permanent forciert werden und bekommt dadurch ein unschönes Timbre, was leider auch besagtes Quintett musikalisch erheblich einschränkt. Dabei sind Stephen Chambers als agiler David und Gritt Gnauck als nicht mehr ganz frische, aber insgesamt solide Magdalene zwar recht konventionell gezeichnete, aber musikalisch ordentliche Besetzungen.

Szenenfoto Prügelfuge; Beckmesser sucht Schutz unter der bundesrepublikanisch streng eingefassten Linde

Dem Beckmesser gibt Andreas Jören mit schlanker, aber kraftvoller Stimme und differenzierter Gestaltung, dazu szenisch bestechender Eleganz die erforderliche Würde, um ihn von der Karikatur zum ernst zu nehmenden und keineswegs unsympathischen Gegenspieler von Sachs aufzuwerten (als Heiratskandidat für Eva gäbe er vielleicht die bessere Partie ab als der eigenwillige Schuster), wenn auch immer mit einem gewissen Maß an Ironie. Man erlebt seinen Zusammenbruch bereits vor dem Finale. Die Festwiese mit dem Umzug der Zünfte verweigert Metzger szenisch, lässt das quasi als Hörspiel ablaufen, während er Beckmesser zeigt, der im Festzelt seinen Text lernen will und unter Panikattacken realisiert, dass sein Scheitern unvermeidlich ist. Die Szene bleibt ambivalent: Man kann beinahe Mitleid haben mit diesem Mann, der so realitätsfremd und dummdreist in die Falle tappt. Metzger überlässt, nicht das Schlechteste, dem Publikum das abschließende Urteil.

Szenenfoto

Sich doppelt anbahnendes Ehehglück im Quintett: Links Magdalene und David, dann Eva und Walther, umgeben von den Verlockungen des modernen Haushalts, rechts Sachs

Nicht ganz so überzeugend ist eine andere Leitlinie der Regie. Metzger stellt die Meistersinger, des sommernächtlichen zweiten Aufzugs wegen, in die Tradition von Shakespeares Midsummer Night's Dream und fügt die Figur eines Kobolds hinzu, der allgegenwärtig Schabernack treibt und die Menschen in diesem Nürnberg zu allerlei Unsinn verleitet - das geht zwischendurch auch schon mal ziemlich auf die Nerven und hätte wohl mehr Proteste als ein paar vereinzelte Buhs in der hier besprochenen Aufführung abbekommen, würde Tänzer Gaëtan Chailly die Rolle nicht mit großem Charme ausspielen. Metzger verschiebt auf diese Weise die bei Wagner ja recht grob geratene Komödie auf eine andere Ebene als das Künstler- und Ideendrama und löst die Beckmesserfigur mindestens im Finale davon ab - nicht ohne Grund, denn nachdem Walther ja zuvor bereits "verbürgerlicht" wurde und damit die entscheidende Hürde zum Aufstieg in den Meistersinger-Stand genommen hat (auch im Sinne Beckmessers), ist der Sängerwettkampf dramaturgisch nicht mehr erforderlich. Beckmesser wird also ideologisch unbedenklich ins Shakespeare-Theater verschoben. Keine ganz falsche Lösung, aber eben eine, die sich nicht mehr kritisch mit Wagners Intentionen auseinander setzt.

Szenenfoto Finale: Die Ordnung ist wiederhergestellt, der Neutöner heim ins Künstlerreich geholt.

Dann ist da ja noch die Musik, die erst Hans Richter und nach ihm Ernst Bloch als "Stahlbad in C-Dur" bezeichnet haben, was auch im Programmheft zitiert wird. Dirigent Lutz Rademacher mit dem in den filigranen Passagen keineswegs sattelfesten Detmolder Orchester wählt zwar zügige Tempi, aber bleibt im Klang arg massig - dabei böte doch gerade die reduzierte Besetzung im kleinen Detmolder Orchestergraben die Chance, einen entschlackten Klang zu musizieren. Statt dessen ist vieles deutlich zu laut, insbesondere auf der Bühne, wo offenbar ein Meistersinger den anderen an Kraft zu übertreffen müssen meint. Schön klingt das oft nicht. Christoph Stephinger als Pogner etwa verfügt über einen mächtigen und resonanzreichen Bass, den er aber derart unter Druck setzt, dass einem Angst und Bange um die immer wieder ins Fahle abgleitende Stimme wird - nicht nur da müsste der Chefdirigent des Hauses doch irgendwann einschreiten. Im Gegensatz dazu sind die Chöre an vielen Stellen nuanciert und keineswegs zu laut durchgestaltet. Die Prügelfuge allerdings läuft ziemlich aus- und durcheinander, was auch ein dröhnendes Fortissimo nicht überdecken kann.


FAZIT

Auch wenn nicht alles überzeugt, bietet Kay Metzgers Regieansatz eine durchaus bemerkenswerte Lösung für die schwierigen Meistersinger. Musikalisch stemmt das kleine Haus das riesige Stück mit manch hellem Licht neben einigen dunklen Schatten.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Lutz Rademacher

Inszenierung
Kay Metzger

Ausstattung
Petra Mollérus

Lichtkonzept
Henning Streck

Choreinstudierung
Marbod Kaiser

Dramaturgie
Elisabeth Wirtz



Statisterie und Chor des
Landestheater Detmold
Symphonisches Orchester des
Landestheater Detmold


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Hans Sachs
Derrick Ballard

Veit Pogner
Christoph Stephinger

Kunz Vogelsang
Max Friedrich Schäffer

Konrad Nachtigall
Markus Köhler

Sixtus Beckmesser
Andreas Jören

Fritz Kothner
Insu Hwang

Balthasar Zorn
Markus Gruber

Ulrich Eißlinger
Norbert Schmittberg

Augustin Moser
Uwe Gottswinter

Hermann Ortel
Haeyeol Han

Hans Schwarz
Michael Zehe

Hans Foltz
Bartolomeo Stasch

Walther von Stolzing
Heiko Börner

David, Sachsens Lehrbube
Stephen Chambers

Eva, Pogners Tochter
Eva Bernard

Magdalena, Evas Amme
Gritt Gnauck

Ein Nachtwächter
Michael Zehe

Ein Kobold
Gaëtan Chailly



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Landestheater Detmold
(Homepage)



Da capo al Fine

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