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Ballett ist cool, Mann
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Bettina Stöß Es geht um Rhythmus. Das klingt banal, denkt man, im Ballett ist das schließlich so, aber bei Alexander Ekmans Choreographie Tuplets, 2012 am New Yorker Joyce Theater uraufgeführt, ist die Sache komplexer. Ekman verwendet keine Musik im konventionellen Sinn, sondern arbeitet im Wesentlichen mit einer von Mikael Karlsson erstellten Klangcollage, die Sprache, die Geräusche der Füße auf dem Boden oder Klatschen auf den Körper einbindet. Auch gibt es immer wieder gesprochene Anweisungen per Lautsprecher aus dem Off. In einer Szene stehen die sechs Tänzerinnen und Tänzer auf der ansonsten schwarzen Bühne nebeneinander auf weißen Quadraten und reagieren als Gruppe mit komplexen Bewegungsfolgen auf Kommandos. In einer anderen hat jeder individuell eine Geste, mit der er in blitzartig den Aufruf seines Namens beantwortet. Julia Schalitz, Mariya Tyurina, Liam Blair, Yehor Hordiyenko, Wataru Shimizu und Dennis Untila tanzen mit beeindruckender Energie und Präzision. Tuplet
Tuplet ist die im amerikanischen Englisch übliche Bezeichnung für die Unterteilung einer Note in gleiche (kleinere) Werte, die nicht dem eigentlichen Taktmaß entsprechen - wie Triolen oder Quintolen in einem Vierviertel-Takt (oder Duolen im Dreivierteltakt). Das "Gegen-den-Takt-Laufen" auch im Sinne des Spannungsverhältnisses von Steuerung und Gegenpuls bildet das Thema des 18-minütigen Werks. In einer Szene sieht man einen Tänzer als Silhouette virtuos Bewegungsfolgen ausführen, die auch hier wieder durch Anweisungen aus dem Off ausgelöst werden. Die Individualität, selbst das (kaum noch erkennbare) Geschlecht der Tänzer in den blauen Hosen und graublauen schulterfreien Oberteilen (man tanzt barfuß) spielt keine Rolle, vielmehr hat der Tanz etwas Maschinenhaftes. Der unterkühlte Gestus der Choreographie und das immer wieder überrumpelnde Tempo sind von großer Faszination. Flockwork
In der Umbaupause präsentiert sich Ekman in einem kurzen Videoclip als sympathischer Spaßmacher, der im Foyer des Aalto-Theaters herumtollt und nichts als tanzen möchte. Man habe die Ehre, als erste Compagnie einen Abend nur mit Werken von Ekman zu zeigen, betont Essens Ballettchef Ben van Cauwenbergh. Künstlerisch spannender wäre es wohl, den 1984 in Schweden geborenen Tänzer (getanzt hat er in Stockholm, beim Nederlands Danse Theater 2 und im Cullberg Ballett) und Choreographen anderen Choreographen unmittelbar gegenüber zu stellen. Bei diesem reinen Ekman-Programm wird mit seiner "Handschrift" eben auch deutlich, dass diese in der Ausdruckspalette (noch) begrenzt ist. Flockwork, kreiert 2006 für das NDT 2, bezeichnet der Beitrag im Programmheft als die Choreographie, mit der Ekman der Durchbruch in der Tanzszene gelangte - immerhin ist das ebenfalls etwa 20 Minuten lange (oder kurze) Stück mehrfach von anderen Compagnien übernommen worden. "Flock" bedeutet übersetzt "Herde", und um die Gruppe geht es auch. Wechselnde Formationen treten an, teilweise in direkter Gegenüberstellung. Die Musik ist hier weniger geräuschhaft als letztendlich eine Folge "traditioneller" Nummern, wenn auch in wilder Mischung. Wenn sie plärrend aus einem Abspielgerät ertönt, das über der Bühne geschoben wird, erinnert das an Pina Bausch, ohne dass Ekman deren Ruhe und Abgeklärtheit hätte. In diese Richtung geht auch die Verwendung einiger Blecheimer, die in der Schlusssequenz von der Decke hängen und aus denen Wasser heraus und auf die Tänzer herab läuft. Es gibt spannende Momente in Flockworks, wobei die strukturelle Ähnlichkeit zu Tuplets unübersehbar ist. Ekman montiert Szenen nebeneinander, die für sich eine oft beeindruckende Wirkung haben, aber wenig Entwicklung zeigen, kurzatmig bleiben und keinen durchgehenden Spannungsbogen halten: Ruhelose Geistesblitze sozusagen. Flockwork
Auch Tyll ("Tüll", 2012 an der Stockholmer Oper uraufgeführt) besteht auf einer Abfolge einzelner, im Grunde isolierter Szenen, obwohl die Ausgangslage eine andere ist: Ekman setzt sich ganz konkret mit dem klassisch-romantischen Ballett auseinander. Die Szene spielt zunächst auf Schwanensee an, die weißen Schwäne, das ikonographische Bild für das Ballett schlechthin. Offenbar ist Probe, auf Anweisungen aus dem Off (schon wieder) beginnt das Corps de Ballett zu tanzen. Eine Tänzerin stürzt, wird ausgelacht. Ekman zeigt das mit Witz, lässt eine Frau (die Ballettdirektorin?) immer wieder im geschäftsmäßigen Kostüm, aber ganz unpassend auf Spitze durch den Raum trippeln. Die Tänzerinnen pfeifen das Schwanensee-Motiv. Das alles schafft viel ironische Distanz, ohne die Schönheit des Tanzes aufzugeben - eine amüsante Liebeserklärung an die Ballett-Tradition unter dem Blickwinkel der Gegenwart. Tyll
Ekman bezeichnet sich in diesem Stück ein wenig kokett als "Ballettograph" (und nicht als "Choreograph"), weil er hier keine neuen Bewegungsfolgen erschafft, sondern die tradierte Tanzsprache nur neu zusammensetzt. Neu ist die Idee nicht, vor ein paar Monaten hat das Ballett am Rhein in Düsseldorf und Duisburg Jerome Robbins' ungleich komischere Choreographie The Concert als ein "Ballett über Ballett" getanzt (unsere Rezension), gegen die Tyll im Verlauf der etwa 40 Minuten zunehmend müde wirkt. Auch hier wirken die neben- bzw. nacheinander montierten Bilder bald austauschbar. Ein Circus Couple - ein Paar in clownesken Kostümen - zeigt jede Menge Sprünge und Pirouetten zum Selbstzweck. Das Auftreten eines Paares im Kostüm des höfischen Absolutismus bleibt ein angestrengter Kommentar zu in englischer Sprache in die Szene gesprochenen Ausführungen zur Geschichte des Balletts. Gleichzeitig fährt Ekman riesige Bildschirme an den Seiten und im Hintergrund auf, die auch noch in Schrägstellung gebracht werden können - das trägt wenig zum künstlerischen Gewinn bei, sieht aber total schick (und teuer) aus. Aber nicht nur diese Bildwände, auch die Choreographie gerät zunehmend in eine Schieflage. Es ist, als wolle Ekman zeigen, wie cool Ballett ist, wenn man nur eine lässig-ironische Distanz dazu behält - und beschließt das Stück mit einer Sequenz, die das Schwanenensemble noch einmal hervor holt, jetzt zur zeitgemäßen elektronischen Musik von Mikael Karlsson. Schwanensee up to date, ohne Tschaikowsky, dafür mit modernen Klängen - da verliert sich Ekman im bemüht publikumswirksamen, aber leider nur noch dekorativem Kitsch. Getanzt wird (wie auch in Flockwork) ganz ordentlich, ohne die Brillanz von Tuplet zu erreichen.
Ein Abend mit spannenden Momenten und manchem, was noch unausgereift erscheint. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Choreographie, Bühne, Video
Dramaturgie Tuplet
Musik
Kostüme
Licht
Einstudierung Tänzerinnen und TänzerJulia SchalitzMariya Tyurina Liam Blair Yehor Hordiyenko Wataru Shimizu Dennis Untila Flockwork
Musik
Kostüme
Licht Tänzerinnen und TänzerPaula Archangelo-ÇakirYusleimy Herrera León Yuki Kishimoto Isabelle Ménard Ana Carolina Reis Yulia Tikka Yulia Tsoi Marie Van Cauwenberg Armen Gevorgian Ige Cornelis Armen Hakobyan Davit Jeyranyan Qingbin Meng Moisés León Noriega Tomáš Ottych Aidos Zakan Tyll
Musik
Kostüme
Licht Tänzerinnen und Tänzer
3 Couples
Circus Couple
Louis Quatorze Couple
Lady in black
Tourist
Ensemble
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