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La Clemenza di Tito (Titus)

Opera seria in zwei Akten
Libretto von Caterino Tommaso Mazzolá nach Pietro Metastasio
Musik von Wolfgang A. Mozart

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 3. Juni 2017


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Der Flugbetrieb wird nur geringfügig beeinträchtigt

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu

Eine Römeroper? Ein Witz. So sitzt, noch bevor die ersten Töne der Oper erklingen, ein Statist im römischen Gewand vor dem Vorhang und blättert gelangweilt in einem Magazin. Man denkt wahlweise an Donizettis Viva la Mamma, eine witzige Parodie (auch) auf die Historienoper, oder an die Filmkomödie Hail, Cesar der Coen-Brüder, eine schräge Hommage (auch) an das Historienkino. Weil beides eher schlecht auf Mozarts ziemlich ernste Oper La Clemenza di Tito passt, hat sich Regisseur Frédéric Buhr mit dieser Szene (bei der er schließlich den Römer von ein paar Bier trinkenden Statisten per Polonaise hinaus geleiten lässt) den Preis für die unsäglichste Verhunzung einer Ouvertüre in der laufenden Saison verdient. Und das bei seiner ersten Operninszenierung überhaupt. Eigentlich ist er am Aalto-Theater für szenische Einstudierungen (so für David Böschs packende, zuerst in Antwerpen gespielte und dann nach Essen übernommene Elektra) zuständig. Bei allem Respekt für Nachwuchspflege: Muss ein ambitioniertes Haus wie Essen mit einer allerdings überschaubaren Zahl von Premieren einem Regieneuling eine davon überlassen? Und muss es dann auch noch ausgerechnet der in seinem verquasten Pathos sperrige, ja fast uninszenierbare Titus sein?

Vergrößerung in neuem Fenster Benimmt man sich so im Wartebereich eines Flughafens? Vitellia jedenfalls setzt bewährte Mittel ein, um Sesto gefügig (soll heißen: zum Attentäter) zu machen.

Hoffnungslos altmodisch muss der auf ein seinerzeit ausgesprochen populäres Libretto Metastasios zurück gehende Text um den römischen Kaiser Titus (39 - 81, Kaiser ab 79 n. Chr.) schon gewesen sein, als Mozart es 1790 vertonte. Treue, Verrat und überaus edle Vergebung, das alles steht in merkwürdigem Gegensatz zur respektlosen Ironie gegenüber dem Adel in der ein paar Jahre zuvor vertonten Hochzeit des Figaro. Um den Stoff in die Gegenwart zu transportieren, hat Buhr (der auch für das "Raumkonzept" verantwortlich ist) ihn, kaum ist er seinen Römer losgeworden, in die Wartehalle eines modernen Flughafens verlegt, durch dessen riesige rückwärtige Glasfront man das Geschehen auf dem Flugfeld quasi in Echtzeit miterleben kann. Vitellia ist eine Schicki-Micki-Geschäftsfrau, die mit Männern umzugehen weiß, und den in sie verknallten Sesto kann sie mit allerlei erotischen Avancen dazu bringen, ein Attentat auf Titus vorzubereiten. Der ist ein Superstar, von dem alle ein Handy-Foto haben wollen. Wer er wirklich ist, bleibt allerdings ziemlich unklar. Ein Filmstar? Oder ein charismatischer Politiker? (Im zweiten Akt jedenfalls wendet er sich direkt ans Opernpublikum, um mitzuteilen: Den harten Law-and-Order-Politiker, den bekommt ihr in mir nicht.)

Szenenfoto

Huch, ein Anschlag. Servilia und Annio sind irritiert, das Flughafenpersonal nimmt's vergleichsweise gelassen.

Der erste Akt verläuft krampfhaft bemüht um Aktualität und ist doch keinen Deut glaubwürdiger als der Originaltext, im Gegenteil: Ohne historische Distanz wirken die Figuren noch viel klischeehafter als ohnehin. Der vermeintliche Realismus im Flughafenambiente hat nicht eine Sekunde lang etwas mit der Realität zu tun. Höhepunkt der Absurdität ist Sestos scheiterndes Attentat auf Titus: Laut Libretto geht das Kapitol in Flammen auf, hier gibt es ein paar Detonationen, und von der Decke rieselt Staub. Nach der Pause sind noch ein paar Stühle umgefallen. Die Diskrepanz zu einer Wirklichkeit, die zunehmend von Attentaten geprägt ist, schreit zum Himmel. Bei Buhr werden die Trümmer von den Bediensteten im Stewardessen-Look mit Handfeger und Kehrschaufel beseitigt. Ein Attentat im Spielzeugformat? Das ist nicht nur dümmlich, es ist auch respektlos. In dem Maße, wie Buhrs Theater aktuell sein möchte, verliert es in seiner gnadenlos verharmlosenden Naivität den Aktualitätsbezug.

Vergrößerung in neuem Fenster Superstar Titus hat den Anschlag überlebt.

Der zweite Akt ist immerhin einigermaßen solide gelungen. Buhr konzentriert sich auf die Personenregie, die zwar weder originell noch besonders ausgefeilt ist, aber einigermaßen glaubwürdig die inneren Konflikte der Personen aufzeigt. Denkt man sich den Flughafen (auf dem zwischen dem Attentat und der Entscheidung des Kaisers, keine Strafe zu verhängen, die Zeit stehen bleibt) einfach weg und die zentrale Treppe in einen abstrakten Raum, so zeigt sich ein konventionelles, aber deshalb nicht falsches Tableau. Fragwürdig bleibt die Rolle des Titus, der gleichzeitig Politiker und oberster Richter ist - von Gewaltentrennung keine Spur. Sollte der Regisseur im Sinn gehabt haben, den idealen Politiker zu zeigen, so wäre der Personenkult höchst bedenklich. Dieser Titus, vom blendend aussehenden Dmitry Ivanchey verkörpert, hat bei aller Güte und Milde in seinem umfassenden Machtanspruch unter Verzicht auf jede unabhängige Gerichtsbarkeit weitaus mehr mit einem Despoten wie Erdogan gemein als mit einer Angela Merkel oder Martin Schulz. Thematisiert wird das nicht. Wenn im Finale zu Böllerschüssen goldene Papierschnipsel auf das Publikum herunter rieseln, wird leider auch nicht klar, wie viel Ironie hinter diesem Festtag des netten Diktators steht.

Szenenfoto

Freunde oder Feinde? Titus und Sesto.

Gerettet wird der Abend durch das hohe musikalische Niveau, und dafür stehen in erster Linie die ganz ausgezeichneten Essener Philharmoniker und ihr Chefdirigent Tomáš Netopil. Mit bestechend schönem, oft ungeheuer leisem Klang geben sie der Musik eine Aura, die allen Flughafenunsinn vergessen lässt. Exzellent die Holzbläser, allen voran die beiden Klarinettisten, die großartiges leisten, aber diese Interpretation ist so "rund", bis ins Detail ausgehört, dass man eigentlich niemanden hervorheben möchte. Sehr schön singt der von Jens Bingert einstudierte Chor (ziemlich überflüssig und klanglich nicht gerade geschickt, den im Finale in den Zuschauerraum zu schicken).

Dmitry Ivanchey hat einen nicht allzu großen, beweglichen und durch leichte metallische Schärfe durchsetzungsfähigen Tenor. Bettina Ranch als sein ungetreuer Freund Sesto verfügt über ein schönes Piano; im Forte ist die Stimme leicht angestrengt, aber gesungen ist das mit mitreißender Emphase. Jessica Murhead gibt der Intrigantin Vitellia ein interessantes Timbre in der Mittellage; in der Höhe wird die Stimme etwas matt, in der Tiefe fehlt es an Substanz - aber das ist eben auch eine Partie, die einen gewaltigen Stimmumfang, Kraft und dann auch noch Geläufigkeit in den Koloraturen einfordert. Vieles, nicht alles davon kann die Sängerin einlösen, besticht aber durchgehend mit ihrer Präsenz. Fast knabenhaft leuchtend singt Liliana de Sousa den Annio, und Christina Clark bewältigt mit kleinformatiger Stimme klangschön die Partie der Servilia. Baurzhan Anderzhanov rundet als Publio ein gut miteinander harmonierendes Ensemble ab.


FAZIT

Über die in ihrem wichtigtuerischen Modernisierungswahn belanglose Regie muss man hinwegsehen; musikalisch ist es ein großer Abend, insbesondere wegen der famosen Orchesterleistung.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Tomáš Netopil

Inszenierung und Raumkonzept
Frédéric Buhr

Bühne
Thorsten Macht

Kostüme
Regina Weilhart

Licht
Bernd Hagemeyer

Choreinstudierung
Jens Bingert

Dramaturgie
Christian Schröder



Opernchor des Aalto-Theaters

Statisterie des Aalto-Theaters

Essener Philharmoniker


Solisten

Tito
Dmitry Ivanchey

Sesto
Bettina Ranch

Vitellia
Jessica Muirhead

Servilia
Christina Clark

Annio
Liliana de Sousa

Publio
Baurzhan Anderzhanov






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Da capo al Fine

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