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Lohengrin

Romantische Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 45' (zwei Pausen)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 4.Dezember 2016


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Auch die allerschönste Musik hilft diesen Frauen nicht

Von Stefan Schmöe / Fotos von Karl und Monika Forster

Die Verführbarkeit der Volksmassen hat ja schon so mancher Lohengrin-Regisseur zum Thema gemacht. Kein Wunder: Arg schnell und alles andere als reflektiert wechselt der Chor die Fronten, steht gerade noch hinter Telramund, knickt umgehend angesichts der so reinen Elsa ein und liegt ein paar Minuten später einem Unbekannten zu Füßen. Und Lohengrin als sektiererischer, populistischer Politiker - alles dagewesen. In diesem Terrain bewegt sich auch Tatjana Gürbaca, wenn sie den Heerrufer und die sächsisch-thüringische Gefolgschaft König Heinrichs in den Dienstuniformen der Bundeswehr aufmarschieren und auf eine brabantische Zivilgesellschaft treffen lässt, die sich schnell für den Krieg begeistert. Lohengrin als die das Volk einigende Projektion, die verbindende Idee, das ist ja weder falsch noch neu. Nur geht Tatjana Gürbaca intelligenter damit um als mancher Kollege.

Vergrößerung in neuem Fenster Ein Wunder: Was die Brabanter da auf Händen tragen, das ist der Schwan.

Die Chorszenen sind kunstvoll durchchoreographiert, immer wieder eingefroren oder in Zeitlupe, was den Realismus bricht. Trotz des an sich ausgesprochen schlichten Bühnenbilds von Marc Weeger - eine große weiße, recht enge Treppe (die noch dazu vom Ende des zweiten Aufzugs an verfremdend als hölzernes Bühnenelement gezeigt wird) - entstehen da ein paar eindrucksvolle Bilder, durch die heutigen, in der abenteuerlichen Farbwahl gleichwohl nicht alltagstauglichen Kostüme (Silke Willrett) in unsere Gegenwart versetzt. Man ahnt in der nach Orientierung gierenden Gesellschaft die unsrige, ohne dass das plakativ überzeichnet wäre. Am Ende steht ziemlich trostlos die Desillusionierung, dass es mit der vermeintlichen Lichtgestalt nichts war. Ein strahlender Held war dieser Lohengrin ohnehin nicht, mit Mantel und Hut eher ein Fremder und Außenseiter, der zufällig vorbei schaut. Eine Prise Joseph Beuys steckt in ihm, bis er die Uniform an und die Individualität ablegt. Und der Schwan? Der ist von Beginn an der kleine verschwundene Gottfried, der laut Libretto zum Schwan verzaubert wurde; hier ein sichtlich misshandeltes Kind, das am Ende blind seinen Weg sucht. Ein Anführer wird der bestimmt nicht.

Szenenfoto

Ortrud und Telramund

Das ist aber nur eine Geschichte, die die Regisseurin verfolgt. Die spannendere ist die von Elsa und Ortrud - zwei Frauen, die nach ihrer Rolle in der Männergesellschaft suchen und denen die Sympathien des Regieteams gehören. Elsa wandelt sich vom biederen Mädchen zur selbstbewussten Frau, die in der Hochzeitsnacht aktiv den Gatten zu verführen versucht, während der ungerührt von seiner edlen Herkunft singt - das muss sie in ihrem erwachenden Selbstwertgefühl furchtbar kränken. Inszeniert ist da kammerspielartig die Geschichte einer ganz gegenwärtigen Kommunikationskatastrophe, mit unterschwelligem bösem Witz. Ortrud wäre die geborene Anführerin, fanatisch im Anspruch auf ihren ererbten Platz als Fürstentochter, in ihrer Rationalität angesichts der Lohengrin-Hysterie nicht unsympathisch. Wie man auch ihrem Gatten Telramund am ehesten vorwerfen könnte, diese Frau unterdrücken zu wollen. Die Welt ist hier keineswegs so eindeutig in Gut und Böse unterteilt, wie man bei einer als "romantisch" titulierten Oper meinen mag. Ortrud und Elsa sind am Ende einen Moment lang Verbündete - Verliererinnen in dieser Männergesellschaft.

Vergrößerung in neuem Fenster Hochzeitsnacht (1): Elsa und Lohengrin. Schwan Gottfruied ist allgegenwärtig.

Man kann der in der Personenregie bestechend genauen Regie vorwerfen, eine Spur zu theoretisch geraten zu sein. Nicht zuletzt die heftigen Reaktionen am Ende der Premiere - die Zustimmung schien die Ablehnung leicht zu übertreffen - zeigen aber, dass die oft überraschenden, nur selten abwegigen Bilder etwas auslösen. Und die Regisseurin hört sehr genau auf die Musik (nebenbei: es wird durchweg mit exzellenter Textverständlichkeit gesungen). Mit Tomáš Netopil am Pult der ganz ausgezeichneten Essener Philharmoniker hat sie einen herausragenden Partner. Der hat in den Kammerspielszenen die Ruhe weg - in Elsas Auftritt im ersten, im Gespräch zwischen Elsa und Ortrud im zweiten, in der Brautgemachszene des dritten Aufzugs kostet er mit betörender klanglicher Schönheit diese Musik aus, ohne den Spannungsbogen zu verlieren. Umgekehrt haben die Massenszenen viel Energie, ohne je lärmend zu werden - mit brillanten Blechbläsern auf der obersten Galerie des Zuschauerraums. Und vielleicht das Schwierigste: Die Übergänge von der einen Sphäre zur anderen gelingen ganz organisch ohne Bruch. Wenn man mäkeln wollte, dann vielleicht, dass das Vorspiel noch zu wenig entmaterialisiert, das "gesegnet sollst du schreiten" zu wenig überirdisch gerät, aber das ist Kritik auf sehr hohem Niveau. Dirigent und Orchester müssen mit dieser Interpretation kaum einen Vergleich scheuen, auch nicht den mit der Vorgängerproduktion unter Stefan Soltesz (hier nachzulesen) - Soltesz' technische Perfektion hatte ja mitunter etwas Steriles, Undramatisches. Netopil lässt die Holzbläser "atmen", gibt ihnen mehr Freiheiten, hat viel Gespür für die dramatische Entwicklung und auch für den großen Spannungsbogen, und er "trägt" die Sänger.

Szenenfoto

Hochzeitsnacht (2).

Dazu gehören auch der von Jens Bingert sehr gut vorbereitete Chor und Extrachor, (fast) immer sehr präzise, nie mit festem Klang, sondern auch im kraftvollen Fortissimo noch nuanciert. Daniel Johansson ist ein leichter, nicht zu heller Lohengrin mit einer leicht melancholischen Einfärbung, was gelegentlich ein wenig an Operette erinnert. Er hat aber Kraft und Höhe und gewinnt vor allem im Brautgemach an stimmlichem Format - gleichwohl muss man am Ende ein wenig um seine Stimme bangen. Jessica Muirhead gibt ein eindrucksvolles Rollendebut als Elsa mit hoher Intensität im Bereich von Pianissimo bis Mezzoforte; darüber fehlen ein wenig die dramatischen Reserven, wobei sie sicher in diese Partie weiter hineinwachsen wird, und die Bühnenpräsenz besitzt sie sowieso. Katrin Kapplusch hat für die Ortrud eine recht kleine Stimme, singt die Partie aber mit großer Energie und ohne zu forcieren. Heiko Trinsinger ist ein hell timbrierter, dramatischer Telramund, ein wenig eindeímensional auf Forte-Attacken setzend. Almas Svilpa singt einen soliden König Heinrich, Martijn Cornet ist ein leichtgewichtiger, in der Höhe enger Heerrufer.


FAZIT

Spannender Wagner-Abend: Eine Regie mit vielen bemerkenswerten Momenten, ein akzeptables Ensemble und ein großartiges Orchester, Chefdirigent Tomáš Netopil eingeschlossen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Tomáš Netopil

Inszenierung
Tatjana Gürbaca

Bühne
Marc Weeger

Kostüme
Silke Willrett

Licht
Stefan Bollinger

Choreinstudierung
Jens Bingert

Dramaturgie
Markus Tatzig



Opernchor des Aalto-Theaters

Statisterie des Aalto-Theaters

Essener Philharmoniker


Solisten

Heinrich der Vogler
Almas Svilpa

Lohengrin
Daniel Johansson

Elsa von Brabant
Jessica Muirhead

Friedrich von Telramund
Heiko Trinsinger

Ortrud
Katrin Kapplusch

Der Heerrufer des Königs
Martijn Cornet

Vier brabantische Edle
Joo Youp Lee
Mateusz Kabala
Mario Tardivo

Vier Edelknaben
Christina Hackelöer
Kyung-Nan Kong
Astrid Pitzner
Younghui Seong






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Da capo al Fine

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