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Musiktheater
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Betulia liberata -
Eine Kirchenbegehung

frei nach der Azione sacra
Text von
Pietro Metastasio
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart

in Italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (keine Pause)

Premiere im Bockenheimer Depot am 21. Juni 2017
(rezensierte Aufführung: 02.07.2017)



Oper Frankfurt
(Homepage)
Zeitreise in einer Kirche

Von Thomas Molke / Fotos von Barbara Aumüller

Obwohl Wolfgang Amadeus Mozart einen festen Platz im Repertoire des Musiktheaters hat, gibt es auch in seinem Werk noch Unbekanntes zu entdecken. Dazu zählt zum Beispiel das Oratorium Betulia liberata, das er als 15-Jähriger auf ein Libretto von Pietro Metastasio komponierte. Mozart weilte zu der Zeit mit seinem Vater in Padua und feierte gerade große Erfolge mit der Oper Mitridate, re di Ponto, als der Fürst von Aragona, Giuseppe Ximenes, ihm den Auftrag erteilte, Metastasios Libretto in Form einer Azione sacra zu vertonen. Ob es 1771 wirklich zu einer Aufführung kam, ist nicht belegt. In der Mozart'schen Familienkorrespondenz taucht das Werk erst 13 Jahre später wieder auf, als Mozart im Juli 1784 seine Schwester bittet, ihm "das alte Oratorium betulia liberata" zu schicken, und dann erst wieder nach Mozarts Tod in den Vertragsverhandlungen seiner Witwe Constanze mit dem Offenbacher Verleger Johann Anton André. Die Oper Frankfurt hat nun zum Ende der Spielzeit im Bockenheimer Depot dieses Werk auf den Spielplan gestellt, allerdings nicht im ursprünglichen Sinn als Azione sacra, sondern in einer szenischen Umsetzung.

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Judith (Ezgi Kutlu) nach der Ermordung des Holofernes (im Hintergrund: Vokalensemble)

Dabei scheint das Werk nicht für eine szenische Bearbeitung prädestiniert zu sein. Die Geschichte von der Ermordung des assyrischen Feldherrn Holofernes durch die jüdische Witwe Judith im Alten Testament liefert zwar eigentlich einen dramatischen Opernstoff, findet in Metastasios Libretto allerdings nicht auf der Bühne statt. Stattdessen spielt die Handlung, die auf dem Buch Judith basiert, nur in der fiktiven Stadt Betulia. Der erste Teil zeigt die Verzweiflung der eingeschlossenen Juden, die durch die Belagerung durch Holofernes zu verhungern drohen, und Judiths Aufbruch ins assyrische Lager. Der zweite Teil beschreibt Judiths triumphale Rückkehr und den Sieg der Juden über die Assyrer. Holofernes' Ermordung wird von Judith lediglich in einer Erzählung in mehr als 60 Rezitativversen abgehandelt. Überhaupt enthält das Oratorium mit fast 700 Rezitativversen enorme Längen, die für die Zuhörer wahrscheinlich sehr anstrengend wären, weshalb man sich in Frankfurt entschieden hat, die Rezitative komplett zu streichen und nur die 15 Arien, die Ouvertüre und zwei große Chorpassagen zu präsentieren. Von der erzählten Geschichte bleibt somit natürlich überhaupt nichts mehr übrig, da die Arien keine handlungsrelevanten Informationen enthalten. Um die Musikstücke zu verbinden, muss also eine neue Geschichte her, und so ist das Regie-Team um Jan Philipp Gloger auf die Idee gekommen, das Stück als eine Kirchenbegehung zu spielen. Das Publikum macht dabei eine Zeitreise durch in verschiedenen Jahrhunderten von der christlichen Kirche geprägten Ereignisse.

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Sprung durch die Zeiten: Eine Lehrerin (Ezgi Kutlu, Mitte) trifft auf eine religiöse Frau (Karen Vuong, rechts) und die Kreuzritter (Vokalensemble).

Dazu hat Bühnenbildnerin Franziska Bornkamm das Bockenheimer Depot zu einem riesigen Kirchenraum umgestaltet. Der eigentliche Zuschauerraum ist durch Kirchenbänke ersetzt und dient als Bühne für die Solisten und das Vokalensemble, während die Reihen für das Publikum in dem Bereich aufgebaut worden sind, in dem sich normalerweise die Bühne befindet. Das Orchester befindet sich vom Publikum aus gesehen auf der rechten Seite. Über dem Eingang, der an diesem Abend für die Zuschauer verschlossen bleibt, hängt als eine Art Kirchenfenster das berühmte Gemälde Judith und Holofernes von Giovanni Battista Piazzetta. So bleibt Judiths Geschichte durchaus noch Bestandteil des Abends, zumal auch Judiths Accompagnato-Rezitativ, in dem sie von der Ermordung des Holofernes erzählt, gespielt wird. Ansonsten springt man scheinbar zusammenhanglos von einer Szene in die nächste. Einzelne Figuren tauchen jedoch mehrmals auf und werden am Ende im jubelnden Schlusschor wieder zusammengeführt.

Es beginnt mit einem normalen Gottesdienst. Zur Ouvertüre verlassen die Besucher die Kirche und zelebrieren dabei ihren Abgang auf unterschiedliche Weisen. Da ist der Mann, der die Kirche mit großen Spenden bedenkt und dafür sicherlich einige Gegenleistungen erwartet, die Frau, die sich in der Kirche demütig gibt und nach dem Gottesdienst mit einer dunklen Sonnenbrille zu einer Femme fatale mutiert, und der Obdachlose, der die Kirche nutzt, um einen Schlafplatz zu finden. Im Anschluss gibt es einen Sprung in die Zeit der Kreuzzüge. Ein Priester (Tenor) schickt die Kreuzritter mit einer feurigen Gleichnisarie in den Kampf und schreckt auch nicht davor zurück, auch den jungen Messdiener mit einem Schwert in der Hand für den "rechten Glauben" kämpfen zu lassen. Da wirkt die folgende Szene, in der ein Kindersarg auf die Bühne getragen wird und eine verzweifelte Mutter (Sopran II) den Verlust ihres Kindes beklagt, beinahe schon wie eine Antwort auf die vorangehende Szene. Die weiteren Szenen wirken wie Mosaiksteine, die die Geschichte der Kirche über mehrere Jahrhunderte erzählt, ohne dabei den Anspruch zu erheben, eine chronologischen Reihenfolge einzuhalten. Irgendwann in der Mitte steht der Chor vor dem großen Gemälde und erinnert sich an die Befreiung Betulias durch Judith. Später tritt Judith (Mezzosopran) in einem dem Gemälde angepassten Gewand auf und berichtet mit großer Dramatik von Holofernes' Ermordung. Der anschließende Jubel erweist sich allerdings als keineswegs so freudig, wie es im eigentlichen Oratorium vorgesehen ist, sondern unterstreicht auch die zahlreichen Opfer, die der Kampf unter den Kreuzrittern gefordert hat. Am Ende wird die Kirche verkauft. Alle Tore werden geöffnet und ein schwarzer Wagen fährt in den Saal, dem eine reiche Dame (Sopran II) mit ihrem Schoßhund entsteigt. Die Sonnenbrille legt nahe, dass es die Dame aus der Ouvertüre ist, die vielleicht zu Beginn die Kirche nur in Augenschein genommen hat, um zu prüfen, ob sich das Gebäude als Investition lohnt.

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Akteneinsicht in der Kirche: Der Priester (Theo Lebow) wirkt besorgt.

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf hohem Niveau. Da die Solisten in unterschiedliche Rollen schlüpfen, werden sie im Programm nur mit ihrer Stimmlage geführt. Ezgi Kutlu begeistert mit samtweichem Mezzosopran und dunklen Tiefen. Ihre Erzählung der Judith wird mit großer Dramatik umgesetzt. Hervorzuheben ist auch ihre Szene als Sterbende, die mit ihrem Bett in die Kirche gefahren wird und im Angesicht des Todes neue Kraft findet. Amüsant sind hier die seichten Jazz-Klänge, die Titus Engel mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester in die Partitur einbaut und die in dieser Interpretation sicherlich nicht von Mozart so gedacht waren. Am Ende der Oper wird das Bett mit der sterbenden Frau erneut in die Kirche geschoben, aber dieses Mal steigt Kutlu im Kostüm der triumphierenden Judith aus dem Bett. Komödiantisches Talent beweist sie auch, wenn sie als strenge Lehrerin den Kindern ein Gleichnis über die Unfruchtbarkeit des Ufers beibringt, wenn der Fluss zu viel oder zu wenig Wasser führt. Theo Lebow meistert die anspruchsvolle Partie des Tenors mit strahlenden Höhen und großer Beweglichkeit in den Läufen. Dabei wirkt er als Priester, der die Kreuzritter in den Krieg schickt, absolut bedrohlich, während er als Pfarrer, der den Reizen einer Frau erliegt, verzweifelt gegen seine Gefühle ankämpft. Wenn die Steuerfahndung einige Unregelmäßigkeiten bei den Geldflüssen der Kirche aufdeckt, spielt er die eigene Unsicherheit überzeugend aus.

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Eine Frau (Karen Vuong) trennt sich von ihrer strenggläubigen Familie (Marek Sarnowski als Vater mit drei Kinderstatisten).

Karen Vuong stattet die Partie des Sopran I mit großer Strahlkraft aus und überzeugt in den halsbrecherischen Koloraturen, die ein wenig bereits an die Königin der Nacht erinnern. Als Geliebte des Pfarrers gibt sie sich absolut hartnäckig und uneinsichtig. Da fliegt auch schon einmal ein Kreuz durch den Saal. Bewegend gestaltet sie auch die Geschichte der streng gläubigen Frau, die sich zunächst aus dem Gefängnis ihrer Ehe befreit, um dann nach einer Begegnung mit Judith gestärkt und selbstbewusst in den Kreis ihrer Familie zurückzukehren. Sydney Mancasola überzeugt als Sopran II ebenfalls mit leuchtenden Höhen. Als verzweifelte Mutter, die ihr Kind verloren hat, rührt sie darstellerisch und stimmlich zu Tränen und begeistert auch als verwundete Kreuzritterin, die am Altar zusammenbricht. Wieso sie am Ende wie Judith das Schwert ergreift und den Schauspieler (Marek Sarnowski) als Soldaten köpft, wird allerdings nicht ganz klar. Brandon Cedel verleiht dem Martin Luther mit profundem Bass große Autorität und sorgt für komische Momente, wenn er nach Judiths Sieg gegen die Assyrer eine Flasche Wein vergöttert. Das von Felice Venanzoni einstudierte Vokalensemble überzeugt durch große Homogenität und enorme Bühnenpräsenz. Titus Engel lotet mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester die vielschichtige Partitur in all ihrem Glanz differenziert aus und legt ein Zeugnis dafür ab, welch großartige Musik Mozart hier in jungen Jahren komponiert hat. So gibt es am Ende frenetischen Jubel für alle Beteiligten.

FAZIT

Es verwundert nicht, dass diese Produktion auch bei der Derniere noch ausverkauft ist. Es bleibt zu hoffen, dass diese Produktion schon allein wegen der hervorragenden Musik in einer der nächsten Spielzeiten wieder aufgenommen wird.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Titus Engel

Inszenierung
Jan Philipp Gloger

Bühnenbild
Franziska Bornkamm

Kostüme
Katharina Tasch

Licht
Jan Hartmann

Vokalensemble
Felice Venanzoni

Dramaturgie
Zsolt Horpácsy

 

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester

Vokalensemble

Statisterie der Oper Frankfurt


Solisten

Tenor
Theo Lebow

Mezzosopran
Ezgi Kutlu

Sopran I
Karen Vuong

Bass
Brandon Cedel

Sopran II
Sydney Mancasola

Schauspieler
Marek Sarnowski


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







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