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Musiktheater
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Paul Bunyan

Operette in zwei Akten und einem Prolog op. 17
Text von
W. H. Auden
Musik von Benjamin Britten

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 25' (eine Pause)

Premiere im Bockenheimer Depot am 9. Oktober 2016



Oper Frankfurt
(Homepage)
Amerikanischer Traum in Campbell's-Dosen

Von Thomas Molke / Fotos von Barbara Aumüller

Paul Bunyan gilt als eine der bekanntesten US-amerikanischen Legenden, die im Vergleich zu den europäischen Mythen und Sagen allerdings wesentlich später entstanden ist, nämlich erst nach dem Beginn der Industriellen Revolution. So entstand der eigentliche Mythos erst 1922 in einem Prospekt der Red River Lumber Company, die Bunyan als Ikone für Werbezwecke und zur Motivation der Holzfäller benutzte. Die Geschichten gingen zurück auf Erzählungen, die sich die Holzfäller in den schwierigen Jahren zwischen 1848 und 1898 wohl als Abwechslung zum rauen Lebensalltag ausgedacht hatten. Im Laufe der Zeit wurde aus Bunyan ein Riese, dessen Fußabdrücke nicht nur zahlreiche Seen in Minnesota erschaffen haben sollen, sondern der auch mit seiner Axt, die er hinter sich herschleifte, den Grand Canyon geformt haben soll. Dabei setzte seine Überzeugung, man könne alles schaffen, wenn man sich nur genügend anstrenge, nicht nur für die Generation der Pioniere Maßstäbe, sondern dieser "amerikanische Traum" hält im Bewusstsein der Amerikaner teilweise auch noch heute an. Als Benjamin Britten in die USA kam, reizte es ihn, gemeinsam mit Dichter W. H. Auden dieser Legende ein musikalisches Denkmal zu setzen, und so komponierte er seine erste Operette, die 1941 allerdings sehr unterkühlt aufgenommen wurde. Den Amerikanern war Brittens Bunyan nämlich"nicht legendenhaft genug", wie beispielsweise Virgil Thomson in einer Uraufführungskritik bemerkte. So geriet das Werk lange in Vergessenheit, bis Britten sich kurz vor seinem Tod 1976 erneut mit der Operette auseinandersetzte, nachdem Teile daraus ein Jahr zuvor beim Aldeburgh Festival mit Erfolg aufgeführt worden waren. Nun hat die Oper Frankfurt Brittens Erstling im Bockenheimer Depot auf den Spielplan gestellt, um dem zu Unrecht vernachlässigten Werk auch in Deutschland bekannt zu machen.

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Aufbruch in ein neues Zeitalter: Johny Inkslinger (Michael McCown) und die Holzfäller (Ensemble)

Das Stück handelt von der Errichtung eines neuen Amerikas. Dazu ruft Paul Bunyan eine Gruppe von Immigranten auf, sich als Holzfäller die Natur zunutze zu machen. Als Vorarbeiter wählt er den kräftigen, aber nicht ganz hellen Hel Helson aus. Den Einzelgänger Johnny Inkslinger macht er zum Buchhalter. Während Helson sich zunächst geschmeichelt fühlt, fügt sich Inkslinger nur unwillig und lässt sich schließlich nur von seinem Hunger überreden, den Posten anzunehmen. Die sich neu entwickelnde Gesellschaft macht schnell Fortschritte. Die beiden Köche Sam Sharkey und Ben Benny werden gegen den Cowboy Hot Biscuit Slim ausgetauscht, weil es die Holzfäller leid sind, immer nur Suppe und Bohnen vorgesetzt zu bekommen. Bunyans Tochter Tiny kommt nach dem Tod ihrer Mutter Carrie zu den Holzfällern und unterstützt Slim in der Küche. Dabei verlieben sich die beiden ineinander. Hel Helson wird von einigen Holzfällern aufgestachelt, gegen Bunyan zu rebellieren, und fordert ihn zum Zweikampf heraus, in dem Helson allerdings unterliegt. Inkslinger erkennt widerwillig, dass Bunyan die richtigen Entscheidungen zur Entwicklung der Gesellschaft getroffen hat, und söhnt sich mit ihm aus. Als die Gesellschaft beim Weihnachtsfest im Überfluss schwelgt, erkennt Bunyan, dass es für ihn nun Zeit ist weiterzuziehen. Tiny und Slim heiraten und eröffnen ein Hotel in Manhattan. Helson verschlägt es in die Politik, und Inkslinger erhält eine Einladung nach Hollywood. Während alle an den amerikanischen Traum glauben, warnen die beiden Katzen Moppet und Poppet und der Hund Fido vor den Gefahren, die die freie Gesellschaft für das Individuum mit sich bringt.

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Johnny (Michael McCown, rechts) und John Shears (Mikołai Trąbka, links) begrüßen Paul Bunyans Tochter Tiny (Elizabeth Sutphen) im Holzfäller-Camp (im Hintergrund: Hel Helson (Sebastian Geyer)).

Das Regie-Team um Brigitte Fassbaender hat für den Prolog ein sehr abstraktes Bild gefunden, während die beiden Akte eher plakativ gestaltet sind und an die Pop-Art von Andy Warhol erinnern. Im Prolog verkünden drei Wildgänse (Sydney Mancasola, Julia Dawson und Cecelia Hall), die später als Katzen Moppet und Poppet und als Hund Fido auftreten, den Bäumen die Geburt von Paul Bunyan. Vor der Bühne hängt ein schwarzer Vorhang, in dessen Mitte ein riesiger Baumstamm bis zur Decke reicht. Auf der linken Seite tritt langsam der Chor der alten Bäume auf, die mit ihren langen aus Laub bestehenden Bärten an eine graue Vorzeit erinnern. Die Wildgänse erinnern in ihren blauen beziehungsweise weißen Kostümen mit weißem beziehungsweise blauen Einstecktuch an Stewardessen, die nur durch die Federn an ihrem Hut als Vögel zu erkennen sind. Den Übergang zum ersten Akt schafft dann Biber Herrmann als Erzähler, der mit Gitarre im Country-Stil aus dem Zuschauerraum von der Geburt und dem Heranwachsen Paul Bunyans erzählt. Der Vorhang fällt und gibt den Blick frei auf zahlreiche Campbell's Dosen, aus denen ein gelber Inhalt herausquillt, der die ganze Bühne erfüllt. In der Mitte der Bühne steckt eine Dose, deren Deckel gewissermaßen als kleine Bühne inmitten der Bühne fungiert. Zwischen den Dosen sieht man noch vereinzelte Nadelbäume. Die Zivilisation hat also im Bild bereits die Natur verdrängt. Über der Bühne hängt noch ein Rest des Baums, in dem Bunyans Mund als Videoprojektion erscheint. Schließlich ist Bunyan als Riese so groß, dass er in seiner ganzen Größe nicht ins Bockenheimer Depot passen würde, und so ist lediglich seine Stimme zu hören, die mit einem Hall verstärkt wird und auf diese Weise etwas Übernatürliches erhält.

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Hund Fido (Sydney Mancasola, Mitte) mit den beiden Katzen Moppet (Julia Dawson, links) und Poppet (Cecelia Hall, rechts)

Muskelbepackt tritt nun der Chor der Holzfäller auf und träumt von einer besseren Zukunft. Ihre Hosen erinnern mit dem braunen Muster an die Bäumstämme, die sie fällen wollen. Um den Hals tragen sie ein dunkelblaues Band, das auch die Musiker des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters tragen, während der musikalische Leiter Nikolai Petersen wie die Holzfäller ebenfalls eine als Baumstamm gemusterte Hose trägt. So wird der Pioniergeist auch ins Orchester übertragen. Hel Helson hebt sich farblich durch ein gelbes Karohemd von den anderen Holzfällern ab. Sebastian Geyer gibt den künftigen Vorarbeiter als strotzenden Kraftprotz, der vor Muskeln kaum gerade laufen kann, und überzeugt stimmlich mit markantem Bariton. Michael McCown unterscheidet sich als Johnny Inkslinger optisch nicht zuletzt durch knallrote Schuhe von den übrigen Holzfällern. Er passt nicht in diese Welt der körperlichen Arbeit und möchte sich lieber mit ganz anderen Dingen beschäftigen, wie er in seiner Solonummer mit lyrischem Tenor verkündet. Aber der Hunger zwingt ihn, Pauls Jobangebot als Buchhalter anzunehmen. Bewegend gelingt der Moment, in dem er schließlich bereit ist, Paul doch mit dem Vornamen anzusprechen. Elizabeth Sutphen gestaltet Bunyans Tochter Tiny mit zartem Sopran und erinnert optisch mit der eng anliegenden Frisur und dem knallroten Kleid an eine Schauspielschönheit der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts.

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Gesellschaft im Wohlstand: Johnny (Michael McCown) und die Holzfäller mit ihren Frauen (Ensemble)

Die sprechenden Tiere mögen als Reminiszenz an die Walt Disney Comics gedacht sein, weil sie auch optisch in der Inszenierung menschliche Züge erhalten. So erinnern die beiden Katzen in ihren braunen Kitteln mit dem Kopftuch an Putzfrauen. Nur die kleinen Ohren und die Mäusetaschen erhalten ihnen wie bei den Disney-Figuren einen Hauch von Animalität. Dass Ludwig Mittelhammer als Western Union Boy in einem Superman-Kostüm die Telegramme überbringt, mag ebenfalls eine Anspielung auf die Comics sein. Im Verlauf des Stückes unterliegt er einem gewaltigen Alterungsprozess und tritt am Ende mit Rollator auf, was wohl andeuten soll, dass mittlerweile eine Menge Zeit vergangen ist. Nicht ganz klar hingegen wird, wieso kurz von Helsons Rebellion zwei homosexuelle Holzfäller auftreten. Soll hiermit Helsons Aufbegehren gegen Bunyan motiviert werden, da er nicht bereit ist, dieses Verhalten in der von Bunyan geschaffenen Gesellschaft zu tolerieren?

Musikalisch deckt das Stück eine große Bandbreite ab und lässt bereits Brittens spätere Werke erkennen. Wenn beispielsweise der Chor Helson im Kampf gegen Bunyan anfeuert, fühlt man sich unweigerlich an Peter Grimes erinnert. Nikolai Petersen arbeitet mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester die unterschiedlichen Musikstile detailliert heraus, so dass es am Ende großen Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Die Produktion im Bockenheimer Depot macht deutlich, dass Brittens Erstlingswerk zu Unrecht vernachlässigt wird und einen Platz im Repertoire verdient.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Nikolai Petersen

Regie
Brigitte Fassbaender

Bühnenbild
Johannes Leiacker

Kostüme
Bettina Munzer

Licht
Joachim Klein

Choreographie
Marie Stockhausen

Video
Bibi Abel

Choreinstudierung
Ines Kaun

Dramaturgie
Mareike Wink

 

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester

Chor aus Mitgliedern der Hochschule
für Musik und Darstellende Kunst
Frankfurt am Main und der Staatlichen
Hochschule für Musik und Darstellende
Kunst Mannheim sowie Gäste

Solisten

Erzähler
Biber Herrmann

Paul Bunyans Stimme
Nathaniel Webster

Johnny Inkslinger, Buchhalter
Michael McCown

Tiny, Paul Bunyans Tochter
Elizabeth Sutphen

Hot Biscuit Slim, ein guter Koch
Michael Porter

Sam Sharkey, ein schlechter Koch
Ingyu Hwang

Ben Benny, ein schlechter Koch
Jeremy Bowes

Hel Helson, Vorarbeiter
Sebastian Geyer

John Shears, ein Farmer
Miko
łaj Trąbka

Fido, ein Hund / Wildgans
Sydney Mancasola

Moppet, eine Katze / Wildgans
Julia Dawson

Poppet, eine Katze / Wildgans
Cecelia Hall

Western Union Boy
Ludwig Mittelhammer

Vier Schweden
Isaac Lee
Julian Habermann
Mikołaj Trąbka
Miroslav Stricevic

Quartett der Geschlagenen
Sarah Mehnert
Ingyu Hwang
Ludwig Mittelhammer
Jeremy Bowes

Vier Kumpane von Hel Helson
Miroslav Stricevic
Hanqi Jiao
Xiao Feng Cai
Riccardo Romeo

Vier junge Bäume
Julia Slavikova
Maren Schwier
Ingyu Hwang
Isaac Lee


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







Da capo al Fine

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