Amerikanischer Traum in Campbell's-Dosen
Von Thomas Molke /
Fotos von Barbara Aumüller
Paul Bunyan
gilt als eine der bekanntesten US-amerikanischen Legenden, die im Vergleich zu
den europäischen Mythen und Sagen allerdings wesentlich später entstanden ist,
nämlich erst nach dem Beginn der Industriellen Revolution. So entstand der
eigentliche Mythos erst 1922 in einem
Prospekt der Red River Lumber Company, die Bunyan als Ikone für Werbezwecke und zur
Motivation der Holzfäller benutzte. Die Geschichten gingen zurück auf
Erzählungen, die sich die Holzfäller in den schwierigen Jahren zwischen 1848 und
1898 wohl als Abwechslung zum rauen Lebensalltag ausgedacht hatten. Im Laufe der
Zeit wurde aus Bunyan ein Riese, dessen Fußabdrücke nicht nur zahlreiche Seen in
Minnesota erschaffen haben sollen, sondern der auch mit seiner Axt, die er
hinter sich herschleifte, den Grand Canyon geformt haben soll. Dabei setzte
seine Überzeugung, man könne alles schaffen, wenn man sich nur genügend
anstrenge, nicht nur für die Generation der Pioniere Maßstäbe, sondern dieser
"amerikanische Traum" hält im Bewusstsein der Amerikaner teilweise auch noch
heute an. Als Benjamin Britten in
die USA kam, reizte es ihn, gemeinsam mit Dichter W. H. Auden dieser Legende ein
musikalisches Denkmal zu setzen, und so komponierte er seine erste Operette, die
1941 allerdings sehr unterkühlt aufgenommen wurde. Den Amerikanern war Brittens
Bunyan nämlich"nicht legendenhaft genug", wie beispielsweise Virgil
Thomson in einer Uraufführungskritik bemerkte. So
geriet das Werk lange in Vergessenheit, bis Britten sich kurz vor seinem Tod
1976 erneut mit der
Operette auseinandersetzte, nachdem Teile daraus ein Jahr zuvor beim Aldeburgh Festival
mit Erfolg aufgeführt worden waren. Nun hat die Oper
Frankfurt Brittens Erstling im Bockenheimer Depot auf den Spielplan gestellt, um
dem zu Unrecht vernachlässigten Werk auch in Deutschland bekannt zu machen.
Aufbruch in ein neues Zeitalter:
Johny Inkslinger (Michael McCown) und die Holzfäller (Ensemble)
Das Stück handelt
von der Errichtung eines neuen Amerikas. Dazu ruft Paul Bunyan eine Gruppe von
Immigranten auf, sich als Holzfäller die Natur zunutze zu machen. Als
Vorarbeiter wählt er den kräftigen, aber nicht ganz hellen Hel Helson aus. Den
Einzelgänger Johnny Inkslinger macht er zum Buchhalter. Während Helson sich
zunächst geschmeichelt fühlt, fügt sich Inkslinger nur unwillig und lässt sich
schließlich nur von seinem Hunger überreden, den Posten anzunehmen. Die
sich neu entwickelnde Gesellschaft macht schnell Fortschritte. Die beiden
Köche Sam Sharkey und Ben Benny werden gegen den Cowboy Hot Biscuit Slim
ausgetauscht, weil es die Holzfäller leid sind, immer nur Suppe und Bohnen
vorgesetzt zu bekommen. Bunyans Tochter Tiny kommt nach dem Tod ihrer Mutter
Carrie zu den Holzfällern und unterstützt Slim in der Küche. Dabei verlieben
sich die beiden ineinander. Hel Helson wird von einigen Holzfällern
aufgestachelt, gegen Bunyan zu rebellieren, und fordert ihn zum Zweikampf
heraus, in dem Helson allerdings unterliegt. Inkslinger erkennt widerwillig,
dass Bunyan die richtigen Entscheidungen zur Entwicklung der Gesellschaft
getroffen hat, und söhnt sich mit ihm aus. Als die Gesellschaft beim
Weihnachtsfest im Überfluss schwelgt, erkennt Bunyan, dass es für ihn nun
Zeit ist weiterzuziehen. Tiny und Slim heiraten und eröffnen ein Hotel in
Manhattan. Helson verschlägt es in die Politik, und Inkslinger erhält
eine Einladung nach Hollywood. Während alle an den amerikanischen Traum glauben,
warnen die beiden Katzen Moppet und Poppet und der Hund Fido vor den Gefahren,
die die freie Gesellschaft für das Individuum mit sich bringt.
Johnny (Michael McCown, rechts)
und John Shears (Mikołai Trąbka, links) begrüßen Paul Bunyans Tochter Tiny
(Elizabeth Sutphen) im Holzfäller-Camp (im Hintergrund: Hel Helson (Sebastian
Geyer)).
Das Regie-Team um
Brigitte Fassbaender hat für den Prolog ein sehr abstraktes Bild gefunden,
während die beiden
Akte eher plakativ gestaltet sind und an die Pop-Art von Andy Warhol erinnern. Im
Prolog verkünden drei Wildgänse (Sydney Mancasola, Julia Dawson und Cecelia
Hall), die später als Katzen Moppet und Poppet und als Hund Fido auftreten, den
Bäumen die Geburt von Paul Bunyan. Vor der Bühne hängt ein schwarzer Vorhang, in
dessen Mitte ein riesiger Baumstamm bis zur Decke reicht. Auf der linken Seite
tritt langsam der Chor der alten Bäume auf, die mit ihren langen aus Laub
bestehenden Bärten an eine graue Vorzeit erinnern. Die Wildgänse erinnern in
ihren blauen beziehungsweise weißen Kostümen mit weißem beziehungsweise blauen
Einstecktuch an Stewardessen, die nur durch die Federn an ihrem Hut als Vögel zu
erkennen sind. Den Übergang zum ersten Akt schafft dann Biber Herrmann als
Erzähler, der mit Gitarre im Country-Stil aus dem Zuschauerraum von der Geburt
und dem Heranwachsen Paul Bunyans erzählt. Der Vorhang fällt und gibt den Blick
frei auf zahlreiche Campbell's Dosen, aus denen ein gelber Inhalt herausquillt,
der die ganze Bühne erfüllt. In der Mitte der Bühne steckt eine Dose, deren
Deckel gewissermaßen als kleine Bühne inmitten der Bühne fungiert. Zwischen den
Dosen sieht man noch vereinzelte Nadelbäume. Die Zivilisation hat also im Bild
bereits die Natur verdrängt. Über der Bühne hängt noch ein Rest des Baums, in
dem Bunyans Mund als Videoprojektion erscheint. Schließlich ist Bunyan als Riese
so groß, dass er in seiner ganzen Größe nicht ins Bockenheimer Depot passen
würde, und so ist lediglich seine Stimme zu hören, die mit einem Hall verstärkt
wird und auf diese Weise etwas Übernatürliches erhält.
Hund Fido (Sydney Mancasola,
Mitte) mit den beiden Katzen Moppet (Julia Dawson, links) und Poppet (Cecelia
Hall, rechts)
Muskelbepackt
tritt nun der Chor der Holzfäller auf und träumt von einer besseren Zukunft.
Ihre Hosen erinnern mit dem braunen Muster an die Bäumstämme, die sie fällen wollen. Um den
Hals tragen sie ein dunkelblaues Band, das auch die Musiker des Frankfurter
Opern- und Museumsorchesters tragen, während der musikalische Leiter Nikolai
Petersen wie die Holzfäller ebenfalls eine als Baumstamm gemusterte Hose trägt.
So wird der Pioniergeist auch ins Orchester übertragen. Hel Helson hebt sich farblich durch ein gelbes Karohemd von den anderen
Holzfällern ab. Sebastian Geyer gibt den künftigen Vorarbeiter als strotzenden
Kraftprotz, der vor Muskeln kaum gerade laufen kann, und überzeugt stimmlich mit
markantem Bariton. Michael McCown unterscheidet sich als Johnny Inkslinger optisch nicht
zuletzt durch knallrote Schuhe von den übrigen Holzfällern. Er passt nicht in
diese Welt der körperlichen Arbeit und möchte sich lieber mit ganz anderen
Dingen beschäftigen, wie er in seiner Solonummer mit lyrischem Tenor verkündet.
Aber der Hunger zwingt ihn, Pauls
Jobangebot als Buchhalter anzunehmen. Bewegend gelingt der Moment, in
dem er schließlich bereit ist, Paul doch mit dem Vornamen anzusprechen.
Elizabeth Sutphen gestaltet Bunyans Tochter Tiny mit zartem Sopran und erinnert
optisch mit der eng anliegenden Frisur und dem knallroten Kleid an eine
Schauspielschönheit der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts.
Gesellschaft im Wohlstand:
Johnny (Michael McCown) und die Holzfäller mit ihren Frauen (Ensemble)
Die sprechenden
Tiere mögen als Reminiszenz an die Walt Disney Comics gedacht sein, weil sie
auch optisch in der Inszenierung menschliche Züge erhalten. So erinnern die
beiden Katzen in ihren braunen Kitteln mit dem Kopftuch an Putzfrauen. Nur die
kleinen Ohren und die Mäusetaschen erhalten ihnen wie bei den Disney-Figuren
einen Hauch von Animalität. Dass Ludwig Mittelhammer als Western Union Boy in
einem Superman-Kostüm die Telegramme überbringt, mag ebenfalls eine Anspielung
auf die Comics sein. Im Verlauf des Stückes unterliegt er einem gewaltigen
Alterungsprozess und tritt am Ende mit Rollator auf, was wohl
andeuten soll, dass mittlerweile eine Menge Zeit vergangen ist. Nicht ganz klar
hingegen wird, wieso kurz von Helsons Rebellion zwei homosexuelle Holzfäller
auftreten. Soll hiermit Helsons Aufbegehren gegen Bunyan motiviert werden, da er
nicht bereit ist, dieses Verhalten in der von Bunyan geschaffenen Gesellschaft
zu tolerieren?
Musikalisch deckt
das Stück eine große Bandbreite ab und lässt bereits Brittens spätere Werke
erkennen. Wenn beispielsweise der Chor Helson im Kampf gegen Bunyan anfeuert,
fühlt man sich unweigerlich an Peter Grimes erinnert. Nikolai Petersen
arbeitet mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester die unterschiedlichen
Musikstile detailliert heraus, so dass es am Ende großen Beifall für alle
Beteiligten gibt.FAZIT
Die Produktion im Bockenheimer Depot macht deutlich, dass Brittens Erstlingswerk
zu Unrecht vernachlässigt wird und einen Platz im Repertoire verdient.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Nikolai Petersen Regie
Brigitte Fassbaender Bühnenbild
Johannes Leiacker Kostüme
Bettina Munzer
Licht
Joachim Klein Choreographie
Marie Stockhausen Video
Bibi Abel Choreinstudierung
Ines Kaun
Dramaturgie
Mareike Wink Frankfurter Opern- und
Museumsorchester Chor aus Mitgliedern der Hochschule
für Musik und Darstellende Kunst
Frankfurt am Main und der Staatlichen
Hochschule für Musik und Darstellende
Kunst Mannheim sowie Gäste
Solisten
Erzähler
Biber Herrmann
Paul Bunyans Stimme
Nathaniel Webster
Johnny Inkslinger, Buchhalter
Michael McCown
Tiny, Paul Bunyans Tochter
Elizabeth Sutphen
Hot Biscuit Slim, ein guter Koch
Michael Porter
Sam Sharkey, ein schlechter Koch
Ingyu Hwang
Ben Benny, ein schlechter Koch
Jeremy Bowes
Hel Helson, Vorarbeiter
Sebastian Geyer
John Shears, ein Farmer
Miko łaj Trąbka
Fido, ein Hund / Wildgans
Sydney Mancasola
Moppet, eine Katze / Wildgans
Julia Dawson
Poppet, eine Katze / Wildgans
Cecelia Hall
Western Union Boy
Ludwig Mittelhammer
Vier Schweden
Isaac Lee
Julian Habermann
Mikołaj Trąbka
Miroslav Stricevic
Quartett der Geschlagenen
Sarah Mehnert
Ingyu Hwang
Ludwig Mittelhammer
Jeremy Bowes
Vier Kumpane von Hel Helson
Miroslav Stricevic
Hanqi Jiao
Xiao Feng Cai
Riccardo Romeo Vier junge Bäume
Julia Slavikova
Maren Schwier
Ingyu Hwang
Isaac Lee
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Oper Frankfurt
(Homepage)
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