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Die Liebe zum Chanson Von Thomas Molke / Foto: © Nadja Klier
Gudrun Landgrebe Obwohl Némirovsky nach ihrer Flucht aus Russland in Paris zum Star der Literaturszene avancierte, gelang es ihr nicht, die französische Staatsbürgerschaft zu erlangen. 1939 konvertierte sie sogar aufgrund des sich auch in Frankreich ausbreitenden Antisemitismus zum Christentum, was ihre Verhaftung und Deportation nicht verhindern konnte. Bis kurz vor ihrem Tod schrieb sie an ihrem Roman Suite Française, den ihre beiden Töchter, die den Krieg überlebten, als Fragment in einem Koffer retten konnten. Erst 2004 wurde dieses Manuskript veröffentlicht und führte zu einer Wiederentdeckung der Autorin. An diesem Abend werden die beiden 1940 und 1941 entstandenen Erzählungen Monsieur Rose und La confidente vorgestellt. Für die Lesung konnte die renommierte Schauspielerin Gudrun Landgrebe gewonnen werden, die unter anderem mit Platzer auch in Bonjour Tristesse - Bonjour Piaf zu erleben ist. Landgrebe findet mit ihrer warmen Stimme und einer kontemplativen Diktion einen bewegenden Zugang zu den beiden Geschichten, die jeweils einen sehr melancholischen Unterton besitzen. Monsieur Rose erzählt von einem Mann, der zwar durch den ausbrechenden Zweiten Weltkrieg auf der Flucht sein gesamtes Hab und Gut verliert, aber am Ende erkennt, doch die richtige Entscheidung getroffen zu haben, indem er nicht in einen Wagen steigt, der ihn vor der Sprengung einer Brücke über die Loire bringen soll, sondern stattdessen bei seinem verwundeten Freund ausharrt. Als die Brücke zu früh gesprengt wird und die Menschen in dem Wagen dabei ums Leben kommen, erkennt Monsieur Rose, dass er zwar alles verloren, aber dafür sein Leben nun neu gewonnen hat. In La confidente muss ein Musiker nach dem Tod seiner 20 Jahre jüngeren Frau Florence allmählich erkennen, dass seine Liebe eine bloße Illusion gewesen ist, und dieser Verlust wiegt für ihn wesentlich schwerer. Während er zu einem Gastspiel nach Südamerika aufgebrochen war, war seine Frau zu einer Freundin in ein Dorf gezogen, die in Florences Namen alle Briefe an ihn schrieb, während Florence sich selbst mit einem jüngeren Liebhaber absetzen wollte und bei einem Autounfall auf der Fahrt nach Paris gemeinsam mit ihrem Geliebten starb. Die beiden bewegenden Erzählungen rahmt Platzer nun mit Chansons von Barbara ein, die zwar in keinem inhaltlichen Zusammenhang zu den Geschichten stehen, im melancholischen Grundton allerdings Parallelen aufweisen. Ein weiterer Aspekt für die Verbindung dieser beiden Künstlerinnen mag sein, dass Barbara, mit bürgerlichem Namen Monique Serf, ebenfalls Jüdin war. Im Gegensatz zu Némirovsky gelang ihr allerdings aus dem besetzten Frankreich die Flucht. Platzer beginnt den Abend mit einem von Barbaras größten Erfolgen, dem Chanson "Göttingen". Barbara schrieb dieses Lied nach ihrem Aufenthalt in Göttingen 1964. Deutsche Studenten hatten sie dorthin zu einem Konzert eingeladen. Sie kam mit den Gastgebern ins Plaudern über das Leben in Deutschland und Frankreich, und so entstand eine großartige Hymne der deutsch-französischen Völkerverständigung.
Platzer überzeugt in den Liedern mit eindringlicher Interpretation. Besonders
hervorzuheben sind die beiden Chansons "Nantes" und "Ich liebe dich". "Nantes"
handelt wie die Némirovskys folgende Geschichte von einem Verlust. Eine Frau
erfährt zu spät vom Verbleib ihres Vaters und schafft es nicht mehr, vor seinem
Tod zu seinem Sterbebett zu gelangen. Platzer lotet hier die Trauer der Frau
bewegend aus. In "Ich liebe dich" erklärt sie ihrem Freund, dass sie diese drei
Worte nicht über die Lippen bringen kann und lieber das Klavier mit der Musik
sprechen lässt. Immer wieder unternimmt Platzer den Versuch, die Gefühle
der Frau zu offenbaren, doch immer wieder stockt sie, bis sie sich ganz dem
wogenden Klang des Klaviers hingibt und am Ende doch noch die drei Worte aushaucht.
Das letzte Chanson präsentiert Platzer dann auf Französisch und rundet mit einer
Liebeserklärung den Abend wunderbar ab. Oliver Räumelt, Ronald Güldenpfennig und
Dirk Sobe begleiten Platzer eindringlich am Akkordeon, Bass und Klavier und
präsentieren auch zwischen den Chansons und den Lesungen kurze
Instrumentalstücke. So vergehen zweieinhalb Stunden wie im Flug, und das
Publikum bedankt sich bei den Solistinnen mit herzlichem Applaus.
FAZIT Christa Platzer und Gudrun Landgrebe
bilden bei dieser musikalischen Lesung ein wunderbares Team und setzen Irène
Némirovsky und Barbara ein würdiges Denkmal.
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AusführendeRezitation Gesang Band Bass Klavier
Werke Barbara "Sag, wann bist du bei mir" Irène Némirovsky Barbara "Die Einsamkeit" "Wenn schon sterben, dann schon sterben" "Eine winzige Kantate" "Nantes" Irène Némirovsky Barbara "Ich liebe dich" "Parce que je t'aime"
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