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Musiktheater
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Manon Lescaut

Oper in vier Akten
Text von Ruggero Leoncavallo, Marco Praga, Domenico Oliva, Luigi Illica, Giuseppe Giacosa,
Giulio Ricordi, Giuseppe Adami und Giacomo Puccini nach der Histoire du chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut (1731) von Abbé Prévost

Musik von Giacomo Puccini

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 30 Minuten (eine Pause)

Premiere in der Staatsoper Hannover am 10. September  2016

 



Staatsoper Hannover
(Homepage)

Berechnende Leidenschaften einer unmöglichen Person

Von Bernd Stopka / Fotos von Jörg Landsberg

Manon Lescaut war Giacomo Puccinis erster großer Opernerfolg. Zwiespältigen Charakteren mit tobenden Leidenschaften in einer Geschichte, die von Amiens über Paris und Le Havre bis in eine amerikanische Wüste führt, haucht Puccini musikalisch Leben ein – hochemotional, aber nicht kitschig, wozu auch das mit ironischen Bemerkungen gewürzte Libretto beiträgt, das ansonsten nicht zu den besten der Opernwelt gehört. Hier sind Szenen aneinandergereiht, die in sich effektvoll und bühnenwirksam sind, aber im Gesamtzusammenhang viele Fragen offen lassen, wenn man den zu Grunde liegenden Roman nicht kennt. Mit dieser, Puccinis dritter Oper, eröffnet die Staatsoper Hannover die Opernsaison 2016/2017.

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Sung-Keun Park (Edmondo, l.), Ricardo Tamura (Des Grieux), Chor, Statisterie

Frank Philipp Schlößmanns Bühnenbilder sind in schwarz gehalten und fokussieren damit  zusätzlich den Blick und die Konzentration auf die Darsteller. Im ersten Akt gibt es buntes Marktgetümmel, rechts die im Libretto beschriebene Treppe, links Tische und Stühle der Außenbewirtschaftung des Gasthauses. Eckige, basaltartige Säulen verbinden den schwarz glänzenden Bühnenboden mit der ebenso gestalteten Decke und den Hintergrund bildet eine bühnenhohe und bühnenbreite schwarze stilisierte Hochhauswand mit erleuchteten Fenstern. Manon tritt nicht auf, sondern sie erscheint vor einem blauen Hintergrund, wenn sich der  Hochhausprospekt in der Mitte teilt. Schwarze, silbrig glitzernde Vorhänge umgrenzen Manons Gemach im zweiten Akt, hochelegant – aber eiskalt, so wie sie ihr Leben dort  empfindet. Wenn Geronte sie als Diebin entlarvt, fallen die Vorhänge und die Hochhauswand aus dem ersten Akt wird sichtbar. Das Spiel ist vorbei und sie ist nicht nur da, wo sie einmal war, sondern ist noch tiefer gesunken. Das wird im dritten Akt noch deutlicher, der vor demselben Hintergrund eine breite Treppe zeigt, die zu einem geradezu archetypischen Gittertor hinaufführt. Manons Gefängnis links oben wirkt wie aus einer anderen (Bühnen-)Zeit und einen Moment lang fragt man sich, ob hier vielleicht doch auch ein bisschen Ironie mit im Spiel ist. Die Bilder des vierten Aktes erscheinen stilisiert, fast schon surreal. Auf der Bühne steht eine Spielfläche, die einem Tisch oder Altar ähnelt und eine Steinwüste andeutet. Wenn Des Grieux nach Wasser sucht, wälzt er sich geradezu von der hinteren Seite hinunter und taucht dann später wie aus einer anderen Welt wieder auf. Zunächst sieht man im Hintergrund einen bedrohlichen Wolkenhimmel, der aber nach und nach hinter sich zusammenschiebenden schwarzen Wänden verschwindet und im Moment, in dem Manon „Allein, verloren“ singt, wird wieder die Hochhauswand  sichtbar.

Gesine Völlm hat üppig ausgestattete Kostüme des 18. Jahrhunderts gestaltet, wobei Manon, Des Grieux, Edmondo, die Musikertruppe, die Dienerschaft und das fröhliche Volk des ersten Aktes Farbe tragen. Die anderen sind schwarz gekleidet, schließen sich damit dem Effekt des Bühnenbildes an und werden auf diese Weise auch kategorisiert.

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Karine Babajanyan (Manon), Brian Davis (Lescaut, M.), Ricardo Tamura (Des Grieux)

In diesen Bildern erzählt Olivier Tambosi die Geschichte eins zu eins, ohne Mätzchen, ohne Aktualisierungen. Das mag für Freunde des modernen Regietheaters langweilig klingen – ist es aber nicht, ist es keinesfalls. Denn einerseits zeigt der Regisseur höchst lebendiges Theater mit vielen, zuweilen nebenbei laufenden, witzigen Details wie den Wirt, der auf dem Tisch ein schmutziges Messer entdeckt, seine Kellner echauffiert zurechtweist und damit versucht, die hohen Ansprüche seiner neu angekommenen edlen Gäste zu imitieren. Aber auch mit Gesten wie dem Schluss des zweiten Aktes: Nachdem Geronte Manon mit Des Grieux in flagranti ertappt hatte, hält sie ihm einen Spiegel vor das Gesicht, um ihm die Lächerlichkeit seiner Person und seines Gehabes deutlich zu machen und vor allem, um ihm zu zeigen, wer er wirklich ist. Nachdem Geronte die Flucht verhindert, Manon als Diebin entlarvt und den Gendarmen ausgeliefert hat, wirft er ihr nicht nur den schwarzen Koffer und ihr schwarzes Kleid aus dem ersten Akt (in dem sie ins Kloster gesteckt werden sollte) vor die Füße, sondern hält nun ihr den gleichen Spiegel vor. „Was jetzt du bist, das sage dir selbst!“ hört das geistige Ohr Wotan im dritten Akt der Walküre höhnen. Der Regisseur verzichtet auch auf brutal sexualisierte Überzeichnungen wie sie andernorts üblich sind: Die verurteilten Frauen im dritten Akt werden brutal behandelt und vor ihrer Strafverschiffung nach Amerika im wahrsten Sinne des Wortes gebrandmarkt, indem ihnen wie Rindern mit glühendem Eisen Brandzeichen gesetzt werden – aber sie sind nicht nackt und werden nicht auf offener Bühne vergewaltigt.

Vor allem aber erfüllt Tambosi die Figuren durch eine klug durchdachte und detaillierte Personenregie mit Leben und arbeitet die Charaktere und ihre Entwicklungen subtil aber immer nachvollziehbar heraus. Er gönnt sich trotzdem auch eine karikierte, an die Commedia dell’arte erinnernde Überzeichnung des alten Geronte, des Vecchio, der sich mit Schminke und Kleidung so sehr bemüht jugendlich zu erscheinen – und dem dies genauso wenig gelingt wie seinen Freunden, die allesamt aus dem Tanz der Vampire entsprungen zu sein scheinen. Michael Dries spielt diesen eitlen Geck, diesen „gepuderten Pluto“, wie Edmondo ihn nennt,  sehr überzeugend und besteht die Herausforderung, als junger Sänger einen alten Mann darzustellen, der sich als jung gebärdet. Er zeichnet diesen Charakter auch gesanglich mit formvollendetem, aber nicht zu üppigem Bass nach.

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Michael Dries (Geronte), Karine Babajanyan (Manon)

Lescaut lebt in Gerontes Palast ziemlich gut auf (emotionale) Kosten seiner Schwester und offenbart ihr die noch immer lodernde Liebe Des Grieux erst, als dieser im Spiel viel Geld zu gewinnen beginnt. Er ist ein berechnender Trittbrettfahrer, der mit aller Berechtigung zu den Schwarztragenden dieser Inszenierung gehört. Brian Davis kann diese Charakterzeichnung  mit erfolgsbezogen berechnetem Charme szenisch sehr gut umsetzen und mit gewohnt kultiviertem, sattem und wohlklingendem Bariton gesanglich interpretieren.

Des Grieux findet seine anfängliche Zurückhaltung gegenüber Frauen in Manons zweifelhaftem, wankelmütigem, egozentrischem Charakter, der nur auf die eigene Befriedigung von Wünschen und Lüsten des Augenblicks gerichtet ist, schmerzlich bestätigt, ist ihr aber doch mit seiner unbedingten Liebe geradezu hörig verfallen. Seine Liebe, seine Leidenschaft sind ganz und gar ehrlich und nicht berechnend. Er ist der klassische emotionale Verlierer, der viel Energie daransetzt, es nicht zu sein. So ist auch die Gesangspartie angelegt und so gestaltet Ricardo Tamura diese Figur auch höchst überzeugend mit hell strahlendem, kraftvollem, exakt intoniertem Tenor, der über leuchtende Spitzentöne verfügt.

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Karine Babajanyan (Manon)

Die Titelheldin entwickelt sich von einer unglücklichen 18jährigen, die ins Kloster gesteckt werden soll und sich zunächst mädchenhaft sträubt, vor diesem Schicksal bewahrt und von Des Grieux entführt zu werden, zunächst zu einer blasierten Geliebten des alten Geronte, die aus dem luxuriösen, aber für sie emotional kalten Leben zur leidenschaftsheißen Liebe des Des Grieux zurückfliehen will, den sie so schmählich und verletzend verlassen hat. Mehr aus Langeweile denn aus echter Liebe. Seine Verzeihung erwirkt sie, aber ihren Schmuck, ihren Luxus will sie nicht zurücklassen und vergeudet beim Einpacken desselben so viel Zeit, dass sie verhaftet und als Diebin verurteilt in eine amerikanische Strafkolonie verbannt wird. Auch hier kann sie mit Des Grieux entfliehen, wenn auch nur, um in öder Weite zu verdursten. Und selbst hier bleibt sie immer auf sich fixiert, auf ihren Durst, auf ihr Leiden, darauf, dass Des Grieux sie nicht verlässt. Auch, wenn sie momentweise Sorge um Des Grieux zeigt, drängt sich der Eindruck auf, dass sie eine sehr egoistische Liebe empfindet, ein Verliebtsein ins eigene Verliebtsein und dass er sich nur retten soll, um später sie retten zu können, dass er nur nach Wasser suchen soll, um es ihr zu bringen usw. Eine unsympathische, unmögliche Person. Erst im Angesicht des Todes, als es nichts Irdisches mehr zu verlieren, nichts mehr zum Verzichten gibt, ahnt sie, was wahre Liebe ist – auch, wenn sie selbst da noch auf ihre vergangene Schönheit in glänzender Jugend verweist. Dabei sind ihre Gefühle im jeweiligen Moment von ihr echt und tief empfunden, so haarsträubend das dem Beobachter auch vorkommen mag.
So, wie die Figur, ist auch die Partie die einer Primadonna assoluta. Keine Seconda, keine Zofe, keine Liebesrivalin stiehlt ihr die Schau (der mit einem Sopran besetzte Musiker zählt diesbezüglich nicht wirklich). Karine Babajanyan gestaltet diese Partie hinreißend mit vielfarbigem, substanzreichem, stets exakt fokussiertem und kontrolliertem Sopran, der bei den grandiosen Spitzentönen wunderbar aufleuchtet. Es gelingt ihr, sowohl die ehrlichen Gefühle des Momentes überzeugend zu vermitteln, als auch die berechnenden Gedanken und die Verwirrung der Gefühle, des Hin-und-Her-Gerissenseins, insbesondere im zweiten Akt bis hin zur Verzweiflung im dritten Akt, die mehr das Jammern über das eigene Scheitern ist und weniger das Unglück, die Liebe mit Des Grieux nicht mehr leben zu können. Und neben diesen großen Gefühlen setzt sie dezente Akzente wie zum Beispiel den nur fein angedeuteten Spott, wenn sie singt „Geronte schreibt Madrigale“. Eine großartige Leistung einer begnadeten Sängerin und Darstellerin.

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Michael Dries (Geronte), Karine Babajanyan (Manon)

Der fröhliche, zu jedem neckischen Spaß aufgelegte Edmondo (von Sung-Keun Park mit hellem Tenor gesungen und mit viel Spielfreude dargestellt), der Tanzmeister mit Fußprothese (Edward Mout), der quirlige, dienstbeflissene Wirt (Volkhard Oberdalhoff), der grimmige Sergeant (Woo-Jung Kim), der ernste Kommandant (Valentin Kostov) und nicht zuletzt die Musikertruppe (mit Mareike Morr als Gesangsstimme) ergänzen als kleinere Partien das Ensemble.

Hannovers neuer GMD Ivan Repušić konnte aufgrund einer Erkrankung bereits an beiden Eröffnungskonzerten nicht teilnehmen und musste auch die erste Opernpremiere absagen. Für ihn ist als Gastdirigent Alexander Drcar eingesprungen, der auch die nächsten Aufführungen von Manon Lescaut dirigieren wird. Puccinis farbenreiche und emotionsexplosive Partitur  liegt bei ihm in den allerbesten Händen. Er gestaltet die feinen Passagen ebenso hinreißend wie die Ausbrüche großer Leidenschaften und hält die musikalischen Fäden auch bei den diffizilen Ensembleszenen, in denen Chor und Solisten unabhängig voneinander singen, musikalisch aber doch ein Ganzes bilden, fest und geordnet in den Händen. Das Staatsorchester ist außerordentlich gut disponiert und folgt dem Dirigenten nahezu makellos mit klangvollem Elan und konzentriertem Engagement. Ebenso der von Dan Ratiu einstudierte Chor, der stimmstark, aber nicht dröhnend, homogen und kultiviert klingt.

FAZIT

Ein nicht nur musikalisch hinreißender Abend, der beweist, dass spannende und emotional packende Personenregie auch in ästhetischen Bildern und klassischen Kostümen nicht nur möglich ist, sondern auch optisch genussvoll zum Nachdenken anregen kann.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Drcar

Inszenierung
Olivier Tambosi

Bühne
Frank Philipp Schlößmann

Kostüme
Gesine Völlm

Licht
Susanne Reinhardt

Chor
Dan Ratiu

Dramaturgie
Klaus Angermann

 

Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover

Chor der
Staatsoper Hannover

Statisterie der
Staatsoper Hannover

Solisten

Manon Lescaut
Karine Babajanyan

Lescaut, ihr Bruder
Brian Davis

Chevalier Renato Des Grieux
Ricardo Tamura

Geronte de Ravoir
Michael Dries

Edmondo
Sung-Keun Park

Ein Musiker
Mareike Morr

Tanzmeister/Lampenanzünder
Edward Mout

Wirt
Volkhard Oberdalhoff

Sergeant
Woo-Jung Kim

Kommandant
Valentin Kostov

Vier Musikanten
Anna Moser
Eunjeong Song
Diana Piticas
Hyunyoung Kim



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)




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