Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Die vier Jahreszeiten

Ballett von Regina van Berkel, Young Soon Hue und Ricardo Fernando
Musik von
Antonio Vivaldi, John Adams und John Luther Adams

Aufführungsdauer: ca. 1 h 25' (keine Pause)

Premiere im Theater Hagen am 22. Oktober 2016


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Jahreszeiten mit minimalistischer Naturbeschreibung

Von Thomas Molke / Fotos von Klaus Lefebvre

Dreiteilige Ballettabende haben in Hagen unter Ballettdirektor Ricardo Fernando bereits seit mehreren Spielzeiten Tradition. Dabei hat die kleine Compagnie an der Volme jeweils die Möglichkeit, ihre Vielseitigkeit im modernen Ausdruckstanz in Stücken von unterschiedlichen Choreographen vorzustellen, die untereinander in keinem größeren inhaltlichen Zusammenhang stehen. Zu Beginn der neuen Spielzeit präsentiert Fernando nun ein Novum für Hagen. Zwar hat er erneut zwei Gast-Choreographinnen eingeladen, stellt allerdings nicht drei einzelne Stücke nebeneinander, sondern erarbeitet mit ihnen gemeinsam eine Choreographie zu Vivaldis berühmten vier Jahreszeiten, die in Hagen bisher noch nie vertanzt worden sind. Bei der Choreographie übernimmt jeder eine Jahreszeit, während der Winter dann als Gemeinschaftswerk von allen dreien präsentiert wird. Zwischen die einzelnen Jahreszeiten sind noch Stücke der amerikanischen Komponisten John Luther Adams und John Adams gestellt, die im Stil der Minimal Music ebenso die Natur beschreiben, wie Vivaldi in seiner programmatischen Musik den Lauf des Jahres. Musikalisch begleitet wird der Abend vom Philharmonischen Orchester Hagen.

Dietmar Janeck hat für den Abend ein die Bühne beherrschendes Objekt entworfen, das in seiner Form an das Gestell eines überdimensionalen Regenschirms erinnert. Dabei führen insgesamt 12 dicke Drähte von der Mitte nach außen, die entweder für die 12 Stunden eines Tages oder die zwölf Monate eines Jahres stehen können. Verbunden werden sie teilweise durch schienenartige Stränge, so dass man das Gefühl haben kann, man durchlaufe auf diesem Objekt die Zeit. Im Verlauf der vier Jahreszeiten wird dieser Schirm einmal komplett über die Bühne gedreht, um auch hier den Kreislauf deutlich zu machen. Durch die unterschiedlichen Positionen des Schirms und eine geschickte Lichttechnik, für die ebenfalls Janeck verantwortlich zeichnet, entstehen so für jede Jahreszeit ganz neue Bilder.

Als eine Art Prolog stellen die Choreographinnen Regina van Berkel, Young Soon Hue und Hausherr Ricardo Fernando ein Stück von John Luther Adams voran, das er 1974 in seiner Sammlung songbirdsongs komponierte. Als junger Mann, so Adams, habe er in Georgia intensiv den Stimmen der Vögel gelauscht und sich davon inspirieren lassen, diesen Klang mit Piccoloflöten und Schlagwerkzeug zu vertonen. Insgesamt entstanden auf diese Weise neun Birdsongs. Mit dem ersten, Wood Thrush, wird der Abend eröffnet. Die beiden Piccoloflöten sind dabei auf den Rängen verteilt, so dass der Klang nicht nur aus dem Orchestergraben kommt, sondern das ganze Haus erfüllt. Auch die Tänzerinnen und Tänzer befinden sich nicht nur auf der Bühne. So tanzt ein Paar zu den Naturklängen im ersten Rang. Für die Sicht bringt das einige Probleme mit sich, da die Zuschauer aus dem zweiten Rang und aus dem Parkett das Geschehen im ersten Rang nicht verfolgen können. Wenn bei einem späteren Birdsong, August Voices, dann Akane Tanaka und Sofia Romano in fantasievollen Vogelkostümen im Parkett auftreten, sind diese wiederum von den Rängen aus nicht zu sehen, so dass den meisten Zuschauern nur der Blick auf die Bühne bleibt. Beim modernen Ausdruckstanz des Prologs sind die unterschiedlichen Handschriften der drei Choreographen noch nicht genau zu unterscheiden.

Bild zum Vergrößern

Aufkeimendes Leben im Frühling (von links: Toshitaka Nakamura, Ana Isabel Casquilho, Sofia Romano, Eunji Yang, Miguel Esteves und Leszek Januszewski)

Im Anschluss folgt Vivaldis Frühling in einer Choreographie der Niederländerin Regina van Berkel, die erstmals am Theater Hagen arbeitet. In fantasievollen farbenfrohen Kostümen, die sie selbst entworfen hat, setzt sie mit zahlreichen Hebefiguren die Leichtigkeit und Freude des einbrechenden Frühlings um. So versucht sie, das Schmelzen des Schnees genauso zu visualisieren wie den plötzlichen Schnee, der im letzten Aufbäumen des Winters im April noch einmal die aufkeimenden Frühlingsblüten bedeckt. Dabei lässt sie in den einzelnen Sätzen nicht das ganze Ensemble auftreten, sondern beschränkt sich jeweils auf vier bis sieben Tänzerinnen und Tänzer, die in unterschiedlichen Paarkonstellationen die verschiedenen Eindrücke des Frühlings auf der Bühne umsetzen. Vor dem Übergang zu Vivaldis Sommer folgt ein weiterer Birdsong von John Luther Adams, der thematisch genau zwischen die beiden Jahreszeiten Frühling und Sommer passt: Mourning Dove. Hier hört man die leise klagenden Rufe eines Vogels, einer Taube?, nach dem Sonnenuntergang, während das grüne Korn langsam durch die warme Erde bricht. Dieser Song wird von Fernando choreographiert, und er setzt dafür das 12-köpfige Ensemble ein.

Bild zum Vergrößern

Hitzige Gefühle im Sommer (von links: Gustavo Barros, Miguel Esteves und Jiwon Kim Doede)

Vivaldis Sommer wird dann von Young Hoon Sue in Szene gesetzt, die in Hagen keine Unbekannte mehr ist. Nach Glashaus 2009, Wave of Emotions 2011 und Touch 2013 ist sie nun zum vierten Mal als Choreographin in Hagen zu Gast. Wie in ihren früheren Choreographien geht es Sue erneut um Beziehungen, die sie in den drei Sätzen in eine kleine Geschichte einbettet. Im mittleren Teil steht ein Paar, Tal Eitan und Gustavo Barros, dessen Gefühle im Allegro entdeckt worden sind und nun im Adagio gehörig durcheinander geraten, bevor es sich dann im Presto fast zu einem richtigen Drama entwickelt. Eitan und Barros setzen die heißen Emotionen, die die Jahreszeit heraufbeschwört, in starkem Ausdruck um, und das Ensemble muss im dritten Satz eine Katastrophe vermeiden. Einen starken Kontrast bildet dazu der folgende dritte und letzte Birdsong, August Voices, der von van Berkel umgesetzt wird und einen heißen Nachmittag in der Ecke eines Kiefernwaldes beschreiben soll. Während Toshitaka Nakamura auf der Bühne den Schirm erkundet, imitieren Tanaka und Romano im Zuschauerraum weitere Vögel.

Bild zum Vergrößern

Ausgelassene Feier im Herbst (Ensemble)

Im Anschluss folgt Vivaldis Herbst, für den nun der Hausherr persönlich verantwortlich zeichnet. Laut eigenem Bekunden handelt es sich hierbei um Fernandos Lieblingsjahreszeit, was er auch mit durchweg positiven und fröhlichen modernen Bildern zum Ausdruck bringt. Schon im ersten Satz lässt er das Ensemble in grünen Kostümen fröhlich im Morgengrauen zur Jagd aufbrechen, während das Adagio die Tänzerinnen und Tänzer zur Ruhe einlädt, bevor dann im abschließenden Allegro die Freude erneut durchbricht und das Ensemble mit Tanz und Gesang die eingebrachte Ernte feiert. Fernando nimmt an dieser Stelle auch den Gesang ernst. So lässt er seine Tänzerinnen und Tänzer beim Abgang die Melodie des Allegros wieder aufnehmen, was vom Publikum mit Applaus goutiert wird. Warum im Anschluss an den Herbst der Regenmacher gestellt wird, ist inhaltlich nicht ganz klar. Mit dem Klang von Bambushölzern soll nun der Regen beschworen werden. Das hätte inhaltlich eigentlich besser an das Ende des Sommers gepasst. Aber da dieser Teil wieder von Sue choreographiert wird, sollte er vielleicht von ihrer Sommer-Choreographie getrennt werden.

Bild zum Vergrößern

Winter (Ensemble)

Der Winter wird dann zunächst mit dem ersten Satz aus John Adams' Shaker Loops eingeleitet. Adams hatte es ursprünglich 1978 für ein Streich-Septett unter dem Titel Wavemaker komponiert und es fünf Jahre später in eine Version für ein komplettes Streichorchester umgewandelt, mit der er dann seinen ersten Welterfolg hatte. Adams versucht in diesem Stück die Wellenbewegungen im Wasser mit seiner Musik nachzuempfinden, indem die Streichinstrumente die sich wiederholenden Wellen intonieren. Shaker steht dabei auch noch für die amerikanische Freikirche, deren Namen sich vom rituellen Schütteltanz herleitet, der als eine Form der Gottesverehrung gilt. Diese Deutung passt dann wieder gut zum Übergang vom Herbst zum Winter, wenn beim Erntedankfest für das erfolgreiche Einbringen der Ernte gedankt wird. Der Winter wird dann wie Wood Thrush am Beginn des Abends von allen drei Choreographen in Szene gesetzt, wobei sich hierbei die unterschiedlichen Handschriften ein kleines bisschen deutlicher ablesen lassen als im Prolog. Das Philharmonische Orchester Hagen setzt unter der Leitung von Ana-Maria Dafova den Esprit von Vivaldis sprudelnder Musik überzeugend um und bringt auch die differenzierte Klangsprache der anderen beiden Komponisten gut zum Ausdruck, so dass es am Ende frenetischen Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Ricardo Fernando gelingt es mit seiner kleinen Compagnie immer wieder, neue und spannende Wege zu gehen. Wer kein Freund von modernem Ausdruckstanz ist, dürfte zumindest musikalisch bei Vivaldi auf seine Kosten kommen.



Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ana-Maria Dafova

Choreographie und Inszenierung
Regina van Berkel
Young Soon Hue
Ricardo Fernando

Bühne und Licht
Dietmar Janeck

Kostüme
Regina van Berkel

Dramaturgie
Maria Hilchenbach

 

Ballett Hagen

Philharmonisches Orchester Hagen

Solovioline
*Shotaro Kageyama /
Henry Kreuter

 

Tänzerinnen und Tänzer

*Premierenbesetzung

John Luther Adams: Wood Thrush
Jiwon Kim Doede
Tal Eitan
Nikolaos Doede
Leszek Januszewski
Sofia Romano
Akane Tanaka

Antonio Vivaldi: Frühling
Allegro
Ana Isabel Casquilho
Sofia Romano
Eunji Yang
Gustavo Barros
Miguel Eseteves
Toshitaka Nakamura
Leszek Januszewski

Largo
Tal Eitan
Ricardo Campos Freire
Jiwon Kim Doede
Nikolaos Doede
Leszek Januszewski

Allegro
Akane Tanaka
Miguel Esteves
Sofia Romano
Gustavo Barros
Toshitaka Nakamura
Leszek Januszewski

John Luther Adams: Mourning Dove
Ensemble

Antonio Vivaldi: Sommer
Allegro
Tal Eitan
Jiwon Kim Doede
Gustavo Barros
Nikolaos Doede
Miguel Esteves

Adagio
Tal Eitan
Gustavo Barros

Presto
Ensemble

John Luther Adams: August Voices
Toshitaka Nakamura
Akane Tanaka
Sofia Romano

Antonio Vivaldi: Herbst
Allegro
Ensemble
Sofia Romano
Nikolaos Doede

Adagio
Ensemble

Allegro
Ensemble

Regenmacher
Jiwon Kim Doede
Gustavo Barros

John Adams: Shaker Loops
Ensemble

Antonio Vivaldi: Winter
Allegro
Ensemble

Largo
Eunji Yang
Nikolaos Doede
Miguel Esteves
Toshitaka Nakamura

Allegro
Ensemble

Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2016 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -