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Jede(r) ist verführbar
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Klaus Lefebvre (© Theater Hagen)
Vorsicht Hochgeschwindigkeit: Dirigent Florian Ludwig gibt für die Ouvertüre der Hochzeit des Figaro ein rasantes Tempo vor, das auch höher dotierte Orchester ins Schwitzen bringen würde. Das Philharmonische Orchester Hagen schlägt sich nicht nur hier mehr als achtbar und folgt seinem Chef in einer ambitionierten Interpretation zuverlässig. Nicht, dass es nicht ein paar Patzer gäbe im Verlauf dieser kurzweilige dreieinhalb Stunden langen Aufführung, und im ersten Teil, vielleicht Premierennervosität der Sänger, fehlt noch die Abstimmung zwischen Bühne und Graben, und Ludwig trifft auch nicht immer das „richtige“ Tempo (Bartolos Arie „La vendetta“ tritt auf der Stelle, der ersten Arie der Gräfin „Porgi amor“ hätte man mehr Ruhe gewünscht). So etwas passiert nun mal, live, im Theater. Aber der Mut zum Risiko zahlt sich aus: Die Spritzigkeit dieses brillanten Ensemblestücks, die drängende Dynamik, die federnde Leichtigkeit, aber auch die plötzlichen Überraschungsmomente – das alles wird sehr präsent. Kampfansage an den nicht anwesenden Grafen: Figaro (Andrew Finden)
Auf der Bühne veranstaltet Regisseurin Annette Wolf das passend temporeiche Lustspiel dazu. In der Ausstattung von Imme Kachel verschwimmen die Zeiten; Rokoko-Gestühl trifft auf elektrisches Bügeleisen, und die Kostüme deuten die historische Situation ebenso an wie die Gegenwart – dieser Figaro soll ganz offensichtlich zeitlos sein. In jedem Fall ist er an vielen Stellen sehr witzig geworden. Da durchmisst Figaro mit seinen ersten Worten („Cinque … dieci...“) nicht den Raum, sondern zählt die Schrauben des Selbstbau-Bettes aus dem Sortiment eines bekannten schwedischen Möbelmarktes. Solche Pointen verwendet die Regisseurin aber fast beiläufig und wohldosiert, und auch wenn nicht jede zündet, ist der Unterhaltungswert groß. Die Geschichte wird geradlinig und flott erzählt, im Grunde recht konventionell (was soll man bei dieser Oper auch groß ändern?), dabei nicht altbacken und mit einem ausgesprochen spielfreudigen Ensemble, das zudem mit äußerst attraktiven Darstellern aufwartet. Hier werden Intrigen geplant: Figaro zwischen Gräfin und Susanna
Man glaubt sofort, dass dieser Cherubino, mit teilweise blondiertem Haar ziemlich maskulin (und von Kristina Larissa Funkenhauser kristallklar und mit großer Präsenz gesungen), sowohl die Gräfin als auch Susanna umgehend verführen könnte, stünde man in diesem Schloss (das auch ein Hotel sein könnte) nicht irgendwie ständig unter Beobachtung. Aber auch der nicht minder attraktive Graf (Kenneth Mattice mit schlanker, akkurat geführter Stimme) hat reelle Chancen bei Susanna. Es gibt viel Beinahe-Sex in dieser Inszenierung, die geschickt die erotischen Spannungen andeutet, ohne plump zu werden. Das ist alles keine Neudeutung der Oper, aber handwerklich durchweg sehr gut gemacht, sehr genau in der Personenregie. Nur das große „Contessa perdono“, die Bitte des Grafen um Verzeihung, bei der Mozart alle Verwicklungen und die Welt an sich für einen Augenblick anhält, der gerät allzu banal, da kann die Regie die Komödie nicht mehr stoppen. Vielleicht möchte Annette Wolf ja gar nicht so viel Pathos. Schade drum ist's trotzdem. Unerwartetes Familienidyll: Bartolo, Susanna, Figaro und Marcelline
Das Hagener Ensemble spielt viele Tugenden aus: Enormen Spielwitz in jeder Rolle, vom schmierigen Bartolo (Rainer Zaun mit fast übertriebenem komödiantischen Anti-Charme) bis zur koketten Susanna (Christina Piccardi mit anfangs soubrettenhaft leichtem, im Verlauf der Aufführung immer stabilerem und größerem Sopran). Andrew Finden als burschikoser Figaro gewinnt nach nervösem Beginn immer mehr an Statur. Stimmlich ein wenig enttäuschend ist Veronika Haller als Gräfin; in der ersten Arie (dem schon genannten „porgi amor“) schleift sie die Töne unschön von unten an, ist ungenau in der Intonation und durchgehend zu laut; die zweite („dove sono i bei momenti“) gelingt deutlich besser, schön im tragfähigen Piano, leider immer noch ungenau im schlecht kontrollierten Forte. In den Ensembles überzeugt sie durchweg, und mit ihrer Bühnenpräsenz ist sie ohnehin eine Idealbesetzung. Ganz unangenehm sind Susanna die Zärtlichkeiten des Grafen nicht; die Gräfin (hinten) schaut mit Recht skeptisch
Richard van Gemert ist mit markantem Spieltenor ein sehr amüsanter (und intriganter) Basilio und Don Curzio; Anna Lucia Stuck mit leuchtendem Sopran eine Entdeckung als Barbarina. Marylin Bennett spielt als facettenreiche Marcellina ihre ganze Bühnenerfahrung aus, die Stimme allerdings wabert allzu ungenau. Den klangschönen, von Wolfgang Müller-Saalow einstudierten Chor hätte die Regie bei der Reprise von „Giovani liete“ im ersten Aufzug nicht abwürgen müssen, auch wenn das dramaturgisch Sinn ergibt, weil sich der Graf diesen strategisch angelegten Huldigungsgesang nicht noch einmal anhören möchte – das ist einfach schön gesungen. Und nicht das Unwichtigste beim Figaro: Die vielen Enseblenummern gelingen homogen. Den Hagener Sängern scheint die Produktion Spaß zu machen. Dem Publikum auch.
Eine witzige, ausgesprochen engagiert gespielte Regie in einer insgesamt sehr ordentlichen musikalischen Umsetzung bescheren einen unterhaltsamen Figaro. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Choreographie
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Graf Almaviva
Gräfin Almaviva
Susanna
Figaro
Cherubino
Marcellina
Bartolo
Basilio
Don Curzio
Antonio
Barbarina
Blumenmädchen
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