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Wechselbad der Gefühle Von Thomas Molke / Fotos von Klaus Lefebvre Mit dem Titel Satisfaction macht der scheidende Ballettdirektor in Hagen, Ricardo Fernando, einerseits sehr deutlich, was das Publikum an diesem Abend erwarten kann: Musik von den Rolling Stones. Andererseits fasst der Titel auch sehr gut zusammen, was Fernando seinen Zuschauern in den letzten nahezu 14 Jahren stets geboten hat und was der kleinen Compagnie in dieser Zeit an der Volme eine stets wachsende Fangemeinde beschert hat. Vielleicht hat man jedoch auch den kompletten Refrain des Rolling-Stones-Titels im Kopf, in dem es ja heißt "I can't get no satisfaction, and I try, and I try..." Auch das sollte zum Ende von Fernandos Engagement in Hagen nicht verschwiegen werden. Immerhin war es die ständige Planungsunsicherheit in der vom rigiden Sparzwang gebeutelten Stadt, die letztendlich dazu geführt hat, dass Fernando sich entschlossen hat, seinen Fans in Hagen den Rücken zu kehren und in Augsburg einen Neuanfang zu wagen. Nun hat man in Hagen mit Alfonso Palencia einen Nachfolger gefunden, der Fernando bereits seit der Spielzeit 2014/2015 als Trainingsleiter und Choreograph zur Seite steht und somit die Hagener Verhältnisse gut kennt. Auch in Fernandos letztem Ballettabend hat er den ersten Teil als choreographischer Assistent begleitet. Wie es in Hagen nämlich mittlerweile schon Tradition ist, besteht der Ballettabend aus insgesamt drei Teilen mit unterschiedlichen choreographischen Handschriften. Den Anfang macht dabei die Uraufführung Black Snow von Stéphen Delattre, der zum ersten Mal mit der Hagener Ballett-Compagnie zusammenarbeitet. Nach seiner Karriere als Solo-Tänzer am Staatstheater Mainz hat er dort 2012 die Delattre Dance Company gegründet, deren Hauptanliegen es ist, in Verbindung von Elementen des klassischen und modernen Balletttanzes das Publikum mit aktuellen Konflikten zu konfrontieren, die uns in unserer Gesellschaft begegnen. Black Snow erzählt ein Drogenschicksal, das Delattre in seinem persönlichen Umfeld erlebt hat und nun künstlerisch auf der Bühne umsetzt. Ein junger Mann aus behüteten Verhältnissen gerät an die falschen Freunde und rutscht in einen Drogensumpf hinab, aus dem es für ihn am Ende keinen Ausweg mehr gibt. Seine Mutter hält zwar bis zum Schluss zu ihm, kann ihn allerdings trotzdem nicht retten. Die Musik stammt von dem kanadischen Tänzer und Musiker Davidson Jaconello, der schon häufiger mit Delattre zusammengearbeitet hat und sich stilistisch an der Minimal Music orientiert. Für Black Snow hat er neben neu komponierten Teilen auch Passagen aus bereits vorhandenen Stücken neu arrangiert. Black Snow: Der junge Mann (Miguel Esteves) steckt tief im Drogensumpf (im Hintergrund: Ensemble als Drogendealer). Zu Beginn sieht man die Mutter (Tal Eitan) in einem lilafarbenen weiten Kleid mit dem Rücken zum Publikum. Kurz darauf wird unter dem Kleid der junge Mann sichtbar, was wohl die Geburt andeuten soll. Zu friedlicher und zart anmutender Musik wird die Harmonie, die zwischen der Mutter und ihrem Sohn herrscht, deutlich. Miguel Esteves wirkt dabei in seinem strahlend weißen Oberteil absolut rein. Mit dem Heranwachsen wird die Musik etwas unruhiger. Die Freunde, auf die der junge Mann trifft, sind farblich nicht ganz so strahlend weiß gezeichnet, stellen allerdings noch keine wirkliche Bedrohung dar. Die kommt dann durch einen Drogendealer (Gustavo Barros), der sich fast unbemerkt über einen Freund dem jungen Mann nähert und ihn das erste Mal mit Rauschmitteln, die als schwarzer Schnee in die Luft gewirbelt werden und im Licht glitzern, in Versuchung führt. Noch genießt der junge Mann den Rausch, der ihn im Tanz mit der Freundin (Eunji Yang) noch lebhafter macht. Doch die Erfahrungen bleiben natürlich nicht positiv. Peer Palmowski und Martin Oppelt haben mehrere Bühnenelemente auf Rollen konstruiert, die durch eine leicht milchige Scheibe in eine verzerrte Realität blicken lassen. Zunächst steht der junge Mann noch vor diesen Elementen, doch am Ende wird er von ihnen eingeschlossen. Dann rieselt aus dem Schnürboden unaufhörlich der "schwarze Schnee" auf ihn herab. Im Verlauf des Stückes legt der junge Mann auch ein Kleidungsstück nach dem anderen ab, bis er sich schließlich nackt auf den Boden kauert und der Sucht erliegt. Aus dem Drogendealer wird eine ganze Gruppe, die in dunklen Kostümen mit Maske auftritt und im weiteren Verlauf schließlich mit grellen Lampen in schwarzen Kostümen ausgestattet wird, um deutlich zu machen, dass die Täter kaum greifbar sind. Malasombra: von links: Eunji Yang, Jiwon Kim Doede, Gustavo Barros, Ana Isabel Casquilho, Nikolaos Doede und Toshitaka Nakamura Nach diesem pessimistischen Auftakt geht es keineswegs so traurig weiter, wie der Titel des zweiten Stückes, Malasombra, was soviel bedeutet wie "dunkle Schatten", oder der Choreograph Cayetano Soto vermuten lassen. Soto dürfte vielen in Hagen noch mit seinem Stück Fugaz in Erinnerung sein, in dem vier Frauen einen Kampf mit dem Tod führen und das in der letzten Spielzeit im Rahmen des Ballettabends Tanzquartett zu erleben war (siehe auch unsere Rezension). In Malasombra, das 2015 als Auftragswerk für das Luzerner Theater entstand, widmet er sich Songs der kubanischen Sängerin La Lupe, die mit ihrem exzentrischen Auftreten und ihrer ungewöhnlichen Stimme in den 60er Jahren in New York zur "Queen of Latin Soul" aufstieg und Rock'n'Roll- und Popsongs mit lateinamerikanischen Rhythmen verband. In den 70er Jahren geriet sie jedoch allmählich in Vergessenheit und starb schließlich 1992 völlig verarmt in New York. Aufmerksam wurde man auf sie erst wieder durch ihren Song "Puro teatro", den Pedro Almodóvar als Schlusslied in seinem Film Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs verwendet. Soto erzählt in seinem Stück aber nicht die traurige Lebensgeschichte dieser schillernde Persönlichkeit, sondern untermalt sieben ihrer Songs mit grotesker Komik, die mit Vorurteilen und Klischees spielt. So lässt er die Tänzer in kurzen Röcken und mit nacktem Oberkörper auftreten. Die Bewegungen sind dabei übertrieben angesetzt, um den außergewöhnlichen Charakter jenseits der Norm zu unterstreichen. Der Rhythmus geht dabei auf das Publikum über, und man möchte am liebsten aufstehen und mittanzen. (I Can't Get No) Satisfaction: Ensemble Diese ausgelassene Stimmung greift dann auch Ricardo Fernando in seinem "Abschiedsgeschenk" an das Hagener Publikum in (I Can't Get No) Satisfaction auf. Peer Palmowski hat für dieses letzte Stück fünf klassisch rote Telefonzellen auf die Bühne gestellt, die bei den einzelnen Songs in den Tanz einbezogen werden. Zu Beginn steht Nikolaos Doede mit der E-Gitarre auf der Bühne und lässt den ersten Lauf des Songs "Satisfaction" erklingen. Schon da ist das Publikum aus dem Häuschen. Wenn dann der komplette Song vom Band eingespielt wird, gibt es fast kein Halten mehr. Doch bei aller Begeisterung der Stones-Fans für die Musik springt die Faszination auf den Tanz bei diesem Teil nicht über. Gerade im ersten Song wirken die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer ungewöhnlich brav. und erinnern eher an klassische Ballettposen, die mit der rockigen Musik der Stones nichts gemeinsam haben. Während im vorherigen Stück Malasombra zwischen Tanz und Musik eine untrennbare Einheit herrschte, wirkt bei Satisfaction alles sehr beliebig. Die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer sind zwar schön anzusehen und von Fernando phantasievoll choreographiert, aber den Ton der Stones treffen sie nur bedingt. Eine Ausnahme bildet "Little Red Rooster", in dem die Tänzer mit machohaftem Gehabe und übertriebenen Bewegungen eines Gockels für herrliche Komik sorgen. So hat man im letzten Teil des Abends den Eindruck, dass Fernando vielleicht bewusst "I Can't Get No" in Klammern vor den Titel Satisfaction setzt. Das Publikum der besuchten zweiten Aufführung scheint es jedoch nicht zu stören, feiert auch die letzte Choreographie mit frenetischem Jubel und bedankt sich damit noch einmal bei Fernando für alles, was er in den fast 14 Jahren seiner Leitung für die Ballettsparte in Hagen erreicht hat. FAZIT Der letzte Ballettabend von Ricardo Fernando enthält mit einem traurigen Handlungsballett, einem grotesk komischen Stück und Rockmusik noch einmal alles, wofür Fernando in seiner Zeit als Hagener Ballettdirektor stand: Vielseitigkeit auf hohem tänzerischen Niveau. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamBühne Kostüme Dramaturgie
Ballett Hagen
Black Snow Choreographie, Dramaturgie und Lichtdesign Bühne Kostüme Tänzerinnen und Tänzer *rezensierte Aufführung
Der junge Mann
Die Mutter
Der Drogendealer
Die Freundin
Freunde / Drogendealer
Malasombra
Choreographie, Bühne und Kostüme
Einstudierung Tänzerinnen und Tänzer
Ana Isabel Casquilho
(I Can't Get No) Satisfaction
Choreographie und Inszenierung Tänzerinnen und Tänzer
(I can't get no) Satisfaction
Not Fade Away
Paint It Black
Play With Fire
Lady Jane
Gitarre
Little Red Rooster
Honky Tonk Woman
As Tears Go By
Sympathy For The Devil
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