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Jephtha

Oratorium in drei Teilen (HWV 70)
Text von Thomas Morell
Musik von Georg Friedrich Händel

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere in der Oper Halle am 26.05.2017
im Rahmen der Händel-Festspiele Halle (Saale) 

 

 



Opernhaus Halle
(Homepage)

Moderner Blick auf einen alttestamentarischen Mythos

Von Thomas Molke / Fotos von Tobias Kruse (© Theater, Oper und Orchester GmbH Halle)

Die meisten Oratorien Händels stellen eigentlich Opern in neuem Gewand dar, da Händel hier keine liturgische Musik komponierte, sondern biblische Stoffe dramatisierte und die in der Oper vorherrschenden Rezitative und Arien lediglich um große, vielstimmige Chorpassagen erweiterte. Weil diese Oratorien zur Unterhaltung dienten, wurden sie auch nicht in Kirchen aufgeführt, sondern fanden konzertant in Theatern statt. Folglich verwundert es nicht, dass man in Zeiten des Regietheaters immer mehr dazu übergegangen ist, Händels Oratorien szenisch auf die Bühne zu bringen. Da bietet es sich natürlich an, im Jahr des Reformationsjubiläums, in dem die Händel-Festspiele in Halle sowieso einen Schwerpunkt auf Händels Oratorien gelegt haben, auch in der Oper ein Oratorium in Szene zu setzen. Die Wahl ist dabei auf Jephtha gefallen, Händels letztes komplett neu verfasstes Oratorium, das er 1751 zur Zeit seiner fortschreitenden Erblindung komponierte. So dürften die zahlreichen Hinweise auf die Dunkelheit wie beispielsweise im Chor im zweiten Akt, "How dark, o Lord, are Thy decrees", nicht nur der düsteren Handlung geschuldet sein, sondern auch Bezug auf Händels Gesundheitszustand nehmen.

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Das Volk Israels (Chor und Extrachor der Oper Halle) fürchtet sich vor dem Angriff der Ammoniter.

Die Handlung ist dem 11. Buch der Richter im Alten Testament entnommen und greift das Thema Menschenopfer auf, das in ähnlicher Form in der griechischen Mythologie bei dem mykenischen König Agamemnon und seiner Tochter Iphigenie und bei dem kretischen König Idomeneo und seinem Sohn Idamante vorkommt. Jephtha, der Sohn des verstorbenen Richters Gilead und einer Ammoniterin, ist von seinen Halbbrüdern vertrieben worden und hat sich mit seiner Frau (Storgè) und seinem einzigen Kind, Iphis, in einem unwirtlichen, wüsten Landstrich niedergelassen. Als das Volk Israels erneut von den Ammonitern bedroht wird, bittet Zebul seinen Halbbruder Jephtha um Unterstützung. Jephtha willig unter der Voraussetzung ein, dass er bei einem Sieg das Amt des Richters übernehmen wolle. Bevor er in dem Kampf zieht, gelobt er Gott, ihm im Falle eines Sieges den ersten Menschen zu opfern, der ihm bei seiner Rückkehr begegnet. Doch dies ist seine Tochter Iphis, die voller Freude dem siegreichen Vater entgegeneilt. Während Storgè und Iphis' Bräutigam Hamor Jephtha anflehen, die Tochter zu verschonen, und Hamor sich selbst als Opfer anbietet, ist Jephtha davon überzeugt, den Schwur einhalten zu müssen. Anders als in der Überlieferung im Alten Testament wird das Opfer durch einen Engel verhindert, der verkündet, dass Iphis nicht getötet werden solle, sondern lediglich ihrer Liebe zu Hamor entsagen und fortan ein Leben als Jungfrau führen müsse.

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Hamor (Leandro Marziotte) liebt Jephthas Tochter Iphis (Ines Lex).

Das Regie-Team um Tatjana Gürbaca holt die alttestamentarische Geschichte in die Gegenwart und versucht, das Publikum Teil des Geschehens werden zu lassen. So beginnt beispielsweise die Ouvertüre mit offenen Türen zum Saal, da ein Teil des Orchesters im Foyer positioniert ist. Wenn die Frauen Jephthas siegreichen Kampf gegen die Ammoniter bejubeln, stehen sie im ersten Rang. Iphis tritt als geschmückte Braut im Parkett und schüttelt eifrig die Hände der Zuschauer, während die Damen des Chors mit Blumen gekränzt fröhlich tanzen und Konfetti auf das Publikum werfen. Wieso allerdings vorher von den Rängen Kondome fliegen, versteht man nicht. Wenn der Engel dann das Menschenopfer verhindert hat, ist der Chor für die abschließende Lobpreisung Gottes erneut in den Rängen positioniert. Das Bühnenbild von Stefan Heyne zeigt eine riesige schräg angebrachte Scheibe auf einer ansonsten leeren Bühne, die aufgrund ihrer Tiefe für die Solisten nicht immer vorteilhaft ist und bisweilen den Gesang etwas verschluckt. Oberhalb der Bühne ist ein scheibenförmiger Spiegel angebracht, der schräg herabgelassen werden kann und einen Blick von oben auf die Protagonisten werfen lässt. Wenn Jephtha mit Gott kommuniziert, wird eine leuchtende Leiter aus dem Schnürboden herabgelassen.

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Storgè (Svitlana Slyvia) fleht ihren Gatten Jephtha (Robert Sellier) an, die gemeinsame Tochter zu verschonen.

Besonderes Augenmerk legt Gürbaca in der Personenregie auf die Gefühle der Protagonisten. Wenn Jephtha nach seinem Sieg über die Ammoniter auf seine Tochter Iphis trifft, die ihm aus dem Parkett als Braut bekränzt entgegeneilt, verfällt er in Schockstarre, und Gürbaca nimmt sich die Freiheit, die zuvor noch fröhliche Musik für einen Moment zu unterbrechen. Storgè, die zu diesem Zeitpunkt die Zusammenhänge noch nicht erkennt, versucht das Publikum zu beruhigen: "Keine Sorge, es geht gleich weiter." Doch als sie erkennt, dass Jephtha ihr gemeinsames Kind opfern will, bleibt sie keine schwache, flehende Frau, sondern schwört dem allmächtigen Gott ab. Erneut holt sie die Götzen hervor, die zu Beginn des Stückes abgelegt worden sind, und versucht, das Volk zum erneuten Götzendienst zu überreden. Zebuls Versuche, sie daran zu hindern, scheinen zwecklos. Doch auch Jephtha fügt sich nicht gehorsam seinem Schicksal, sondern zerbricht daran. Nachdem er sich zunächst mit dem Messer, mit dem er die Tochter töten soll, scheinbar das Augenlicht genommen hat, irrt er etwas hilflos über die Bühne, und Zebul bleibt nichts anderes übrig, als ihm die Krone wieder abzunehmen. Doch auch wenn Zebul als kühl kalkulierender Machtmensch gezeichnet wird, will er selbst die Krone nicht tragen und blickt am Ende fragend ins Publikum, wer denn nun die Herrschaft übernehmen wolle.

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Der Engel (Tae-Young Hyun) inmitten des Volkes (Chor und Extrachor der Oper Halle)

Eine besondere Bedeutung kommt auch dem Engel in der Inszenierung zu. Gürbaca zeichnet ihn keineswegs als überirdisches Wesen, sondern als ein vom Krieg gezeichnetes Kind, das erkennt, dass Iphis' Opfer nur weiteres Blutvergießen hervorrufen würde. Blutüberströmt und leicht traumatisiert verkündet der Engel folglich die Fehlinterpretation des Gottesurteils und legt dabei großen Wert darauf, von niemandem berührt zu werden. Auch die Bekundungen der Dankbarkeit prallen an diesem Wesen ab. Iphis, die sich zuvor mit dem Opfertod abgefunden hat, reagiert nach dem neuen Urteil ähnlich verstört und lässt sich schließlich unter den zahlreichen Götzen begraben.

Musikalisch präsentiert das Händelfestspielorchester unter der Leitung von Christoph Spering Barockmusik vom Feinsten. Mit sensiblem Gespür arbeitet Spering die dramatischen Momente des Stückes differenziert heraus und macht deutlich, dass es sich hierbei aus musikalischer Sicht auf jeden Fall um eine Oper und kein Oratorium handelt. Der von Rustam Samedov einstudierte und um den Extrachor erweiterte Chor der Oper Halle weiß, musikalisch zu glänzen, und setzt auch darstellerisch als Volk die Dramatik des Stückes bewegend um. Gleiches gilt für die Solisten. Robert Sellier überzeugt in der Titelpartie mit hellem Tenor. Ob man ihn jedoch im Unterhemd mit wallender Mähne auftreten lassen muss, ist Ansichtssache. Genauso diskutabel ist der Einfall, ihn im Kampf mit einer Pistole russisches Roulette spielen zu lassen. Sein Entsetzen hingegen, wenn er erkennt, dass er seine Tochter opfern muss, geht genauso unter die Haut wie seine eindringliche Interpretation der Arie "Waft her, angels, through the skies" im dritten Akt, wenn er für seine Tochter ein glückliches Leben nach dem Tod ersehnt. Svitlana Slyvia überzeugt als Jephthas Frau Storgè mit dunklem Mezzosopran und großer Dramatik. Leider wird ihre Stimme bisweilen von der Tiefe der Bühne ein wenig verschluckt, was schade ist, da Händel für sie einige der schönsten Arien der Oper komponiert hat. Zu nennen sind ihre Arie im ersten Akt, "In gentle murmurs will I mourn", wenn sie Abschied von Jephtha nimmt und in einen wunderbaren Dialog mit der Flöte tritt, oder ihr verzweifeltes "Let other creatures die", wenn sie den Opfertod ihrer Tochter verhindern will. Ines Lex begeistert als Iphis mit mädchenhaftem, unschuldigem Sopran und rührt vor allem mit ihrer großen Abschiedsarie "Farewell, ye limpid springs and floods" im dritten Akt.

Leandro Marziotte stattet Iphis' Bräutigam Hamor mit warmem und weichem Countertenor aus und bewegt stimmlich und darstellerisch, wenn er sich für die Geliebte opfern will. Ki-Hyun Park punktet als Jephthas Bruder Zebul mit dunklem und beweglichem Bass und zeichnet die Figur als relativ kühlen Politiker. Großes Lob verdient Tae-Young Hyun, der mit strahlenden Höhen den Engel interpretiert. So gibt es am Ende großen und verdienten Jubel für alle Beteiligten, in den sich auch das Regie-Team einreiht.

FAZIT

Auch wenn nicht jeder Regieeinfall nachvollziehbar ist, gelingt es Gürbaca, Händels Oratorium als bewegende Oper umzusetzen. Auch musikalisch überzeugt der Abend.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christoph Spering

Regie
Tatjana Gürbaca

Bühne
Stefan Heyne

Kostüme
Silke Willrett

Choreinstudierung
Rustam Samedov

Dramaturgie
Ilka Seifert

 

Händelfestspielorchester Halle

Chor und Extrachor der Oper Halle


Solisten

*Premierenbesetzung

Jephtha
Robert Sellier

Storgè
Svitlana Slyvia

Iphis
Ines Lex

Hamor
Leandro Marziotte

Zebul
Ki-Hyun Park

Angel
*Tae-Young Hyun /
Philipp Schrade

 


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