Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
Frühling mitten im WinterVon Joachim Lange / Fotos: © Theater, Oper und Orchester GmbH Halle, Anna Kolata
Spring Awakening ist das passende Broadway-Musical von Steven Sater und Duncan Sheik zu Frank Wedekinds einstigem Skandalstück Frühlings Erwachen. An der Oper Halle schlägt's damit 14. Es ist nämlich die Nachfolgeproduktion des Musicalerfolgs 13. Damit hatte das Haus jeden Verdacht, dass die Jugend von heute mit dem Theater rein gar nichts mehr am Hut hat, mit Aplomb vom Platz verwiesen. Die damals komplett gecasteten Teenager hatten damit einen so durchschlagenden Erfolg, dass die Wiederholung eines solchen Projektes wie von selbst auf der Agenda der neuen Opernleitung landete.
Bei der Premierenfeier war dem Intendanten Florian Lutz die Freude darüber ins Gesicht geschrieben, dass er sich von den Initiatoren Hansjörg Zäther und Peter Schedding, die beharrlich hinter dieser so nachhaltigen und beim Publikum zündenden Art von Nachwuchsarbeit für die Oper bzw. das Musiktheater stehen, so schnell überzeugen ließ. Auch wenn deutlich mehr Probenaufwand, Training und Logistik drin steckt, als manch einer denkt. Und als man sieht. Die beiden können denn auch als Regisseur und als musikalischer Leiter einen Hauptteil des Erfolges für sich verbuchen. Neben den jungen Akteuren zwischen 14 und 20, versteht sich, von denen zur ersten Premiere die eine Hälfte (Ensemble Rot) auf der Bühne zu erleben war. Die komplette Alternativbesetzung (Ensemble Grün) folgte Tags darauf. Dass dieser durch Spenden finanzierte Kinder- und Jugendchor der Oper ein 40köpfiges Ensemble für zwei gleichwertige Besetzungen aufbieten und ein ganzes Jahr - neben der Schule - bei der Stange halten kann, ist an sich schon eine Leistung!
Nun ist ein am Broadway erprobtes Musical per se eine sichere Bank, inklusive der Herz-Schmerz-Kitschgrenzen, die da oft touchiert werden. Wovor im Falle dieser 2006 uraufgeführten Version, zu der Steven Sater Buch und Liedtexte und Duncan Sheik die Musik beigesteuert haben, der scharfzüngige, notorische Majestätsbeleidiger Frank Wedekind (1864-1918) schützt. Wer im Operncafe den "kulinarischen Abend" über diesen Autor und sein Verhältnis zur Musik erlebt hat, der weiß, dass Wedekind nicht nur (im Lied, versteht sich) seine Tante geschlachtet, sondern es auch auf die damals "Heiligen Kühe" abgesehen hatte. Das Erwachsenwerden auch als Erwachen der Sexualität in einer autoritären Gesellschaft ohne Aufklärung so offen zu thematisieren, war 1891 ein Skandal. Rein historisch ist die Geschichte der Pubertierenden, mit einem Selbstmord als Flucht vor dem Leistungsdruck und dem Tod bei einer heimlichen Abtreibung, aber nicht. Und das keineswegs nur, weil sich Patriarchat und voremanzipatorisches "Augen zu!" via Parallelgesellschaften längst wieder eingeschlichen haben. Für einen Teil der Generationskonflikte, die es auch heute (und wohl immer) zwischen "den" Erwachsenen und "den" Heranwachsenden gibt, liefert Wedekind hier die archaische Urform.
Dazu passt der szenische Rahmen. Sebastian Hannak hat ein verschachteltes, nüchtern weißes Haus auf die Drehbühne gestellt. Wie Marie Ronninger mit sehr dosierten Videozugaben, so schlägt auch Cordula Erlenkötter mit ihren Retrokostümen eine Brücke zwischen den Zeiten. Da lenkt kein historisches Bilderbuchrascheln von der Geschichte ab, die durchaus von ihrer Fallhöhe zwischen kindlicher Unbekümmertheit und tödlicher Gefahr beim Erwachsenwerden lebt. Sie führt nicht nur, wie für Melchior und Wendla, ins einschwebende Kornfeld, sondern sogar auf den Friedhof, wo Melchior den Geistern von Moritz und Wendla begegnet, die beide auf der Strecke geblieben sind. Ein wenig erinnert das an den Schluss vom Zauberberg, wo der Held in den Ersten Weltkrieg zieht.
Es ist eine Geschichte mit Substanz und Anspruch. Und die bringt einen Altersdurchschnitt ist Theater, den man sich gar nicht zu schätzen traut. Natürlich ist der Text in der Version von Nina Schneider dem heutigen Jugendslang angepasst. Ein Abend, bei dem einem das Herz aufgeht. Denn alle machen hier ihre Sache fantastisch - sie sprechen einfach gut, singen sicher und trauen sich, dabei auch Pathos in die Stimme zu packen. Für das tänzerische Musicalniveau und Tempo hat Rafal Zeh gesorgt. Anton Huschka als Melchior, Rebekka Scheufler als Wendla, Fabian Krystossek als Moritz und Lia Weiß als Ilse stehen da nur stellvertretend. Klar, dass die beiden erfahrenen nt-Schauspieler Barbara Zinn und Joachim Unger das gute Dutzend Erwachsenen-Rollen in atemberaubendem Wandel ebenso präzise beisteuern wie die "Staats(kapellen)band" des Opernhauses ihren Part. Bravo!
Mit diesem Musical ist der Oper in Halle das zweite Mal ein Coup gelungen, den man in seiner Wirkung auf den Nachwuchs fürs Musiktheater man gar nicht unterschätzen kann. Das Gesamtergebnis überzeugt mehr als so manches mit Profis produzierte Exemplar des Genres. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Choreographie
Bühne
Kostüme
Video Art
Theaterpädagogik
Dramaturgie
Solisten
Melchior Gabor
Wendla Bergmann
Moritz Stiefel
Hänschen Rilow
Ernst Robel
Ilse Neumann
Martha Bessel
Otto Lämmermeier
Georg Zirschnitz
Anna
Thea
Greta
Karl/Rupert
Ludwig/Dieter
Hermann/Albrecht
Heinrich/Reinhold
Amalia
Luise
Paula
Frieda
Elisabeth
Johanna
Erwachsene Frau (alle Rollen)
Erwachsener Mann (alle Rollen)
|
- Fine -