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Die Reise nach Reims oder
Das Hotel zur Goldenen Lilie

Dramma giocoso in einem Akt
Text von Luigi Balochi
Musik von Gioachino Rossini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Kooperation mit dem Theater Lübeck und der Fondazione Arena di Verona

Premiere in der Oper Kiel am 28. Januar 2017




Theater Kiel
(Homepage)
Reise ins Land des animierten Cartoons

Von Thomas Molke / Fotos von Olaf Struck

Rossinis Il viaggio a Reims nimmt im Kanon der wiederentdeckten Werke des Schwans von Pesaro eine besondere Stellung ein. Als "Cantata scenica" hatte Rossini das Stück eigentlich nur für die Krönungsfeierlichkeiten des französischen Königs Karl X. konzipiert und es nach nur vier Vorstellungen vom Spielplan genommen, um mehr als die Hälfte der Musik für seine spätere Oper Le Comte Ory zu verwenden. Als das Werk nach einer aufwendigen Rekonstruktion in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beim Rossini Opera Festival in Pesaro 1984 zum ersten Mal wieder präsentiert wurde, galt es eigentlich immer noch als unaufführbar, da bei insgesamt 18 Solisten-Rollen mindestens zehn sehr anspruchsvolle Partien zu besetzen sind, was fast jede Bühne an die Grenzen des Machbaren bringt. Dennoch etablierte sich das Werk als absolute Kultoper bei zahlreichen Festivals, Workshops, Akademien und Konservatorien und hat als "Gelegenheitskomposition" mit über 600 Aufführungen in mehr als 150 Produktionen mittlerweile einen unaufhaltbaren Siegeszug über die gesamte Welt angetreten. In Pesaro ist Il viaggio a Reims seit 2001 in jedem Sommer zweimal im Rahmen des alljährlichen Festival Giovane mit jungen Sängerinnen und Sängern der Accademia Rossiniana in einer Inszenierung von Emilio Sagi neu zu erleben. Nun fügt die Oper Kiel in Kooperation mit dem Theater Lübeck und der Fondazione Arena di Verona eine weitere Produktion hinzu.

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Die Reise nach Reims findet zwar nicht statt, aber gefeiert wird trotzdem: von links: Don Alvaro (Tomohiro Takada), Marquise Melibea (Tatia Jibladze), Don Prudenzio (Kemal Yaşar), Graf von Libenskof (Anton Rositskiy), Lord Sidney (Matteo Maria Ferretti), Baron von Trombonok (Ks. Jörg Sabrowski), Madame Cortese (Agnieszka Hauzer), Corinna (Lori Guilbeau), Chevalier Belfiore (João Terleira), Maddalena (Julie Caffier), Gräfin von Folleville (Mercedes Arcuri), Don Luigino (Fred Hoffmann), Delia (Milena Juhl) und Don Profondo (Timo Riihonen).

Eine Handlung im eigentlichen Sinne hat die Oper nicht. Eine illustre Reisegesellschaft aus ganz Europa macht im Badehotel "Zur Goldenen Lilie" in Plombières Zwischenstation, um von dort zu den Krönungsfeierlichkeiten des neuen französischen Königs Karl X. nach Reims aufzubrechen. Doch am Tag der Abreise sind keine Pferde aufzutreiben, und nach anfänglicher Enttäuschung machen die Gäste aus der Not eine Tugend und feiern im Garten des Hotels ihr eigenes Fest. Vorher kämpfen die leicht exaltierten Gäste allerdings noch mit ihren eigenen Problemen. Die modeverrückte französische Gräfin von Folleville ist verzweifelt, weil die Kutsche mit ihrer Garderobe verunglückt ist und sie nicht weiß, was sie nun zu den Feierlichkeiten tragen soll. Der russische General Graf von Libenskof ist rasend eifersüchtig auf den spanischen Grande Don Alvaro, der heftig mit der polnischen Marquise Melibea flirtet, und will den Rivalen zum Duell fordern. Der schüchterne Lord Sidney ist unsterblich in Corinna, eine römische Improvisationskünstlerin verliebt, bringt es aber nicht über sich, ihr offen seine Liebe zu gestehen, ganz im Gegenteil zu dem französischen Offizier Chevalier Belfiore, der, obwohl er eigentlich mit der Gräfin von Folleville liiert ist, Corinna unverhohlen den Hof macht. Der italienische Literat Don Profondo ist als leidenschaftlicher Sammler stets auf der Suche nach skurrilen Antiquitäten, und der deutsche Major Baron von Trombonok sieht sich mit "deutscher Gewissenhaftigkeit" als Schatzmeister für die Organisation der Reise in der Pflicht. Das alles ist für sich betrachtet ein netter Blödsinn, wenn da nicht die unglaubliche Musik von Rossini wäre, dem es gelingt, für jede dieser Figuren grandiose Arien und Szenen zu komponieren, die die Personen bei aller Verrücktheit liebenswert erscheinen lassen.

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Madame Cortese (Agnieszka Hauzer) bei ihrem Auftrittsgesang

Diese "Nicht-Handlung" wird in der Inszenierung von Pier Francesco Maestrini mit großartigen Bildern umgesetzt. Der Cartoonist Joshua Held hat dazu einen Film erstellt, der als animierter Cartoon im Hintergrund läuft und die Solisten mit Zeichentrickfiguren, die im Stil an Mordillo oder Loriot erinnern, in Aktion treten lässt. Schon vor Beginn der Aufführung sieht man eine von zwei Pferden gezogene Kutsche mit zahlreichen Koffern auf dem Dach über die Leinwand eilen. Sie befindet sich wohl auf dem Weg nach Reims, stürzt allerdings einen Abhang hinab, so dass auch sie dort nicht ankommen wird. Im weiteren Verlauf des Abends sieht man immer wieder die Einzelteile der Kutsche, die Pferde und den Kutscher über die Leinwand fliegen. Einzelne Teile des Cartoons werden auch in die Ausstattung auf der Bühne übernommen. So scheucht Maddalena, die Hausdame des Badehotels die übrigen Angestellten zunächst mit einem riesigen Staubsauger über die Leinwand, bevor die Bediensteten dann mit den gleichen Puppenköpfen eben diesen Staubsauger über die Bühne ziehen. Auf eine Individualisierung der Angestellten wird dabei verzichtet, wohingegen die Gäste in fantasievollen Kostümen von Alfredo Troisi jeweils eine landestypische Nuance erhalten. Für die einzelnen Arien und Szenen hat sich Held dann in den animierten Cartoons amüsante Gags einfallen lassen, die die Komik auf der Bühne weiter auf die Spitze treiben. So schreitet zunächst Agnieszka Hauzer als Hotelbesitzerin Madame Cortese durch einen Park mit mehreren Vögeln, die bei den Koloraturen ihres Auftrittsgesangs "Di vaghi raggi adorno", in dem sie beklagt, dass sie die Gäste leider nicht zu den Krönungsfeierlichkeiten begleiten könne, ihre Haare in der Luft zu einem langen Zopf flechten. Mit welcher Präzision hier Animation und Realität ineinander übergehen, ist beachtlich. Leider ist Hauzers fülliger Mezzo für die Partie ein bisschen zu schwer, so dass sie in dem schnellen Parlando-Teilen kleine Probleme mit den Tempi bekommt.

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Don Profondo (Timo Riihonen, links) und Baron von Trombonok (Ks. Jörg Sabrowski, 3. von links) versuchen, ein Duell zwischen dem Grafen von Libenskof (Anton Rositskiy, rechts) und Don Alvaro (Tomohiro Takada, 2. von links) zu verhindern.

Mit glockenklarem Sopran begeistert hingegen Mercedes Arcuri als exaltierte Gräfin von Folleville. In ihrer großen Arie "Partir, oh ciel! desio" lässt sie die Koloraturen nur so perlen. Auch hierfür hat sich Held eine großartige filmische Umsetzung ausgedacht. Nachdem zunächst ein Hut - natürlich mit einem Eiffelturm als Schmuck - von einem "Deus ex machina" mit einem Fingerschnipsen aus einem Baum gerettet werden konnte und der Gräfin auf der Bühne überreicht worden ist, stimmt sie einen Lobgesang auf die Götter an und bringt mit ihren schillernden Koloraturen nicht nur Jupiter mit seinen Blitzen und Apollo mit seiner Leier in Wallung, sondern lässt auch noch Neptun dafür sorgen, dass das Meer über die Ufer tritt. Danach philosophiert Kammersänger Jörg Sabrowski als deutscher Baron von Trombonok mit kräftigem Bass über die Verrücktheit der Menschen und kommt zu dem Schluss, dass es wohl daran liege, dass die Welt eine Kugel sei. Mit dieser Kugel auf der Leinwand spielt er dann im weiteren Verlauf mit Don Profondo und Don Alvaro Volleyball, bevor Graf von Libenskof in seiner Eifersucht auf der Leinwand Feuer speit und mal eben den Globus verglühen lässt. Schließlich gibt ihm seine Geliebte Marquise Melibea allen Grund dazu, an ihrer Treue zu zweifeln. Tatia Jibladze präsentiert die polnische Edelfrau mit samtig-weichem Mezzo. Tomohiro Takada stattet den Spanier Don Alvaro mit markanten Tiefen aus, und Anton Rositskiy glänzt als Graf von Libenskof mit strahlenden tenoralen Höhen. Verhindert wird das Duell zwischen den beiden Streithähnen durch den engelgleichen Gesang der Improvisationskünstlerin Corinna. Der die Sängerin unterstützende Klang der Harfe lullt dabei die Figuren auf der Bühne ein, bevor ein weiterer Gag die Figuren aus den himmlischen Sphären wieder auf den Boden der Realität zurückholt. Lori Guilbeau hat als Corinna die zarte Kavatine "Arpa gentil, che fida" mit weichem Sopran und klaren Höhen auf dem WC gesungen. Als sie verstummt, entwickelt sich bei den anderen der Drang, ebenfalls das stille Örtchen aufzusuchen, was in Kombination mit der Wiederholung der Schlusspassage in rasendem Tempo eine irrwitzige Slapstick-Komik entwickelt.

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Chevalier Belfiore (João Terleira) umwirbt die schöne Künstlerin Corinna (Lori Guilbeau).

Auch das Duett zwischen Corinna und dem Chevalier Belfiore ist gespickt mit zahlreichen Gags. João Terleira umschwirrt als Belfiore die begehrte Künstlerin mit machohaftem Gehabe und hat unter seinem weißen Mantel einiges zu bieten. Zunächst versucht er es auf die romantische Tour, indem ein riesiger Blumenstrauß unter seinem Mantel auf der Leinwand hervorsprießt. Doch damit lässt sich Corinna nicht beeindrucken und die Blumen verwelken. Dann probiert er es mit einer Sektflasche, aus der rote Herzen perlen, doch auch diese Aktion kann Corinna nicht umstimmen. Sein anschließender Versuch, ihr mit einer Kanone buchstäblich die Sterne vom Himmel zu holen, bleibt genauso erfolglos wie der Rüssel, der sein Liebesklagen übernimmt. Stattdessen legt Corinna Feuer an die Auswüchse auf der Leinwand, und alles explodiert mit einem gewaltigen Knall. Während Guilbeau und Terleira im Duett auch stimmlich begeistern, bleibt Don Profondos folgende Arie "Io! Medaglie incomparabili", in der er die Wertgegenstände für die Reise auflistet und dabei die einzelnen Nationalitäten karikiert, ein bisschen blass. Zwar ist auch hier die Kombination zwischen Animation und realem Spiel großartig, wenn die genannten Gegenstände mit zahlreichen Anspielungen über die Leinwand fliegen und dann in dem vom jeweiligen Gast aufgestellten Koffer landen. Aber Timo Riihonen gelingt es als Don Profondo leider nicht, die Komik der Arie stimmlich herauszuarbeiten, da er zum einen den einzelnen Nationalitäten keine persönliche Note gibt und ihm zum anderen beim rasend schnellen Parlando-Stil ein wenig die Luft ausgeht. Zum weiteren Höhepunkt entwickelt sich hingegen das große Finale zu 14 Stimmen, das sich aus dem anfänglich traurigen "Ah! A tal colpo inaspettato", wenn alle verzweifelt sind, dass die Reise nach Reims abgesagt werden muss, zu einem stimmlichen und musikalischen Feuerwerk entwickelt, nachdem Madame Cortese die glückliche Nachricht gebracht hat, dass man am nächsten Tag die Feierlichkeiten in Paris nachholen könne, und die Gräfin von Folleville zu diesem Zweck ihr Haus zur Verfügung gestellt hat.

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Treue sieht anders aus: Marquise Melibea (Tatia Jibladze) und Graf von Libenskof (Anton Rositskiy).

An die folgende Versöhnung der Marquise Melibea und des Grafen von Libenskof glaubt Maestrini nicht wirklich, und so lässt er Jibladze als männermordenden Vamp im Duett mit Rositskiy während ihrer Liebesschwüre den Hausmeister Antonio und einen weiteren Diener vernaschen. Die anschließenden Feierlichkeiten am Abend vor der geplanten Abfahrt nach Paris stehen dann ganz im Zeichen Europas. Da dürfen natürlich auch aktuelle Anspielungen nicht fehlen. Wenn Matteo Maria Ferretti als Lord Sidney mit kräftigem Bariton zur Hymne "God Save the King" ansetzt", sieht man auf der Landkarte auf der Leinwand, wie sich Großbritannien Irland über die Schulter schmeißt und in Richtung der neben der Karte eingeblendeten Brexit-Tür marschiert. Mit großem Kraftaufwand fangen die Solisten das marschierende Land mit einem Lasso wieder ein und versuchen, es auf seinem Platz zu halten. Dieser Gag ruft beim Publikum spontane Begeisterung hervor. Die Büste des zu krönenden Königs Karl X. erweist sich bei Corinnas abschließender Hymne als keineswegs ehrenvoll. So begrapscht er zunächst die Gräfin von Folleville, als sie sich vor ihm verbeugt, und schläft anschließend genauso wie die anderen Gäste eingelullt von Corinnas lieblichem Gesang ein. Da bedarf es schon der auffahrenden Kutsche, um die Gäste aus ihrer Lethargie zu holen. Nun kann man doch noch endlich aufbrechen. Doch auch diese Kutsche wird nicht ankommen. Auf der Leinwand sieht man sie am Ende erneut einen Abhang hinabstürzen.

Daniel Carlberg arbeitet mit dem Philharmonischen Orchester Kiel den Charme von Rossinis effektgeladener, spritziger Musik differenziert heraus und entzündet mit den eingängigen Melodien ein Feuerwerk der guten Laune. Dabei begleitet er die Aufführung auch noch selbst am Hammerklavier. Der von Lam Tran Dinh einstudierte Opernchor präsentiert sich stimmgewaltig und auch in den rasend schnellen Tempi sicher, auch wenn er mit den Puppenköpfen darstellerisch etwas unbeweglich agieren muss. So gibt es am Ende frenetischen und lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Dieses als "Gelegenheitswerk" konzipierte Stück ist ein absolutes Meisterwerk aus Rossinis Feder. Die Inszenierung von Pier Francesco Maestrini mit den animierten Cartoons von Joshua Held macht einfach nur Spaß und lässt vergessen, dass es eigentlich keine Handlung gibt. Selbst wenn man noch kein Rossini-Fan ist, wird man spätestens hier einer werden. (Termine in Kiel noch bis Juni 2017)



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
und Hammerklavier

Daniel Carlberg

Regie und Konzeption
Pier Francesco Maestrini

Cartoon und Konzeption
Joshua Held

Ausstattung
Alfredo Troisi

Choreinstudierung
Lam Tran Dinh

Lichtgestaltung
Carsten Lenauer

Dramaturgie
Cordula Engelbert

 

Philharmonisches
Orchester Kiel

Opernchor des Theaters Kiel


Solisten

*Premierenbesetzung

Corinna,
römische Improvisationskünstlerin

Lori Guilbeau

Marquise Melibea,
polnische Edelfrau

Tatia Jibladze

Gräfin von Folleville,
junge französische Witwe
Mercedes Arcuri

Madame Cortese, Hotelbesitzerin
Agnieszka Hauzer

Chevalier Belfiore,
französischer Offizier

João Terleira

Graf von Libenskof,
russischer General

Anton Rositskiy

Lord Sidney, englischer Oberst
Matteo Maria Ferretti

Don Profondo, italienischer Literat

Timo Riihonen

Baron von Trombonok,
deutscher Major

Ks. Jörg Sabrowski

Don Alvaro,
spanischer Grande, Admiral

Tomohiro Takada

Don Prudenzio,
Arzt des Badehotels

Kemal Yaşar

Don Luigino,
Cousin der Gräfin von Folleville

Fred Hoffmann

Delia, Corinnas Reisebegleiterin
Milena Juhl

Maddalena,
Hausdame des Badehotels

Julie Caffier

Antonio, Hausmeister
Ronaldo Steiner

Ein Faun
*Isaak Thiesen /
Denis Adutwum

Ein Kutscher und Jongleure
Lasse Burmester /
*Jörg Herrmann /
*Lasse Petzold


Weitere Informationen
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Theater Kiel
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