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Die Großherzogin von Gerolstein

Opéra bouffe in drei Akten
Text von Henri Meilhac und Ludovic Halévy, deutsche Fassung von Wolfgang Böhmer
Musik von Jacques Offenbach

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 50 Minuten (eine Pause)

Premiere im Opernhaus des Staatstheaters Kassel am 29. Oktober 2016

 



Staatstheater Kassel
(Homepage)

Mit Ketchup und Majo

Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger

Hoffmanns Erzählungen, Orpheus in der Unterwelt, Die schöne Helena, Pariser Leben, vielleicht noch La Péricole und Ritter Blaubart sind Bühnenwerke von Jacques Offenbach, die dem fleißigen Opern- und Operettenbesucher geläufig sind. Die Großherzogin von Gerolstein gehört dagegen zu den vielen Werken Offenbachs, die nur sehr selten auf den Spielplänen der deutschen Musiktheater zu finden sind. Sehr zu unrecht, was die Produktion dieser satirischen Operette – genauer: Opéra bouffe – am  Staatstheater Kassel ahnen lässt. Die wilde Skurrilität und leichte Frivolität des Librettos von Henri Meilhac und Ludovic Halévy steht im kongenialen Verhältnis zur geistreichen, humorvollen, ironischen, quicklebendigen, herrlich leichten, aber nicht leichtgewichtigen und einfach Spaß machenden Musik, die einen aus allen möglichen und unmöglichen Ecken verschmitzt angrinst.

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Gideon Poppe (Fritz), Herren des Opernchores

Die Großherzogin führt Krieg aus Langeweile, unterstützt vom die Staatsgeschäfte führenden Baron Puck, der befürchtet, dass die Dame sich ansonsten langweilen und auf den dummen Gedanken kommen könnte, selbst zu regieren. Sie verliebt sich in den einfachen Soldaten Fritz, protegiert ihn eigenwillig und brüskiert damit seinen Rivalen Bumm. Der war bis dahin Fritzens Vorgesetzter und hat ihn gern schikaniert, weil er ebenfalls in dessen Freundin Wanda verliebt ist. Im Kriegsrat kann Fritz mit seinem Schlachtplan überzeugen und wird zum Oberbefehlshaber ernannt. Als General, nun über Bumm stehend, zieht er in den Krieg. Die Großherzogin wehrt inzwischen die Avancen des lächerlichen, über seinen schlechten Stand in der Presse jammernden Prinzen Paul mit der Begründung ab, gerade keine Zeit zum Heiraten zu haben und vertröstet ihn auf später.
Der Krieg wird gewonnen, aber trotz des großherzoglichen Säbels hat Fritz den Krieg nicht im Kampf, sondern dadurch verloren, dass er den Feind betrunken gemacht hat. Bei einer Privataudienz begreift er nicht, was die Großherzogin wirklich von ihm will und verärgert die Liebende mit der Bitte um die Erlaubnis,  Wanda heiraten zu dürfen derart, dass sie sich einem Mordkomplott der beleidigten Militärs anschließt. Fritz entgeht dem Tod, weil sich die Großherzogin nun in den ankommenden Grog, einen Brautwerber für Prinz Paul, verliebt. Nachdem sie über das Leben im Allgemeinen und Besonderen sinniert hat, entschärft sie ihre Rache an Fritz und wandelt sie in ein perfides Verhindern des Ehevollzugs von Fritz und Wanda um: zunächst begleiten die Höflinge das junge Ehepaar ins Schlafzimmer und zögern dann das Alleinlassen heraus bis Fritz unverrichteter Dinge in den nächsten Kriegseinsatz gerufen wird. Das ist allerdings eine weitere Intrige, denn Fritz wird zum Haus einer von Bumms Geliebten geschickt, wo ihn deren gehörnter Ehemann nebst schlagkräftigen Knechten als vermeintlichen Liebhaber seiner Frau erwartet und kräftig verprügelt.
Derart derangiert erscheint Fritz bei den Hochzeitsfeierlichkeiten der Großherzogin, die nun doch Paul geheiratet hat, um Grog, dem (für eine Heirat nicht standesgemäßen) Brautwerber und Freund Fritzens in ihrer Nähe zu behalten. Fritz wird von ihr nicht mehr benötigt und verlässt das Militär, um mit Wanda in Frieden zu leben. Nun soll Grog befördert werden, der aber dankend ablehnt und – zum Erschrecken der Großherzogin – zu Frau und Kindern zurückkehrt. Bumm erhält seinen vorherigen Rang zurück und alle sind zufrieden. Fast alle. Denn die Großherzogin bleibt auf dem dusseligen Prinzen Paul sitzen.

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Opernchor des Staatstheaters Kassel

Soweit die Handlung im Überblick, die als solche nicht wirklich außergewöhnlich oder bedeutend ist. Das wird die ganze Sache erst durch das Libretto, das voller ironischer Anspielungen, pathetischer Überzeichnungen und unendlich viel feinem, geistreichem Witz ist – und natürlich in Verbindung mit der in's gleiche Horn stoßende Musik. Urkomisch, wie sich Offenbach über die Triller des Operngesangs lustig macht, wie er pathetische Emotionalität karikiert, wie er Pathos und Bedeutsamkeit auf Nebensächliches oder Selbstverständliches legt („Das Messer muss scharf sein“), wie er ein Verschwörerterzett karikiert, das Bejubeln der Gerolsteiner Erbwaffe („Der Säbel, der Säbel“) überhöht oder auch wie er beim Postverteilen mit fugierten Einsätzen die Barockmusik persifliert.

Regisseurin Adriana Altaras hat die Geschichte vom Gerolstein der 1720er-Jahre in die Bundeshauptstadt der 1960er-Jahre verlegt und zwar ganz konkret in, auf und unter den Bonner Kanzlerbungalow, durch dessen drei Spielebenen sich ein kräftiger Baum (der aber keine „deutsche Eiche“ ist) zieht. Auf dem Dach sieht seine Krone zunächst aus wie eine Hecke, im Wohnzimmer  erinnert der Stamm an den ersten Akt der Walküre – ein Schwert sucht man aber vergebens – und im Kellerschlafzimmer hängen die Wurzeln in der Luft. Ein schönes Bild, dass Bühnenbildnerin Yashi da entworfen hat, die auch für die passend biederen Kostüme verantwortlich zeichnet. Bei denen ist sie auch sehr realistisch geblieben und hat sich nicht zu Übertreibungen verführen lassen. Das gilt auch für die Uniformen der damals noch jungen Bundeswehr, die hier für das Militärische herhalten muss und mit Spott und Ironie übergossen wird. Die gezeigten Fahnen haben schwarz-rot-goldene Streifen, die aber einmal längs und einmal quer nebeneinander liegen. Auch eine Europafahne, die ja bereits 1955 vom Europarat eingeführt wurde, ist zu sehen. Protektion, degenerierte Herrscher und deren Willkür, Lächerlichmachung des Militärs und dessen irrsinnigen Vorschriften und Befehlen, Waffengefuchtel (hier sind es folgerichtig  Pistolen und Maschinengewehre) und „Hurra“-Militarismus geht ja irgendwie immer und so hinkt dieser Vergleich nicht mehr, als es die meisten Vergleiche tun – aber er hinkt nur, er stolpert nicht.

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Jaclyn Bermudez (Wanda), Gideon Poppe (Fritz), dahinter: Bernhard Modes (Baron Grog), Daniel Holzhauser (Baron Puck), Tobias Hächler (Prinz Paul), Marc-Olivier Oetterli (General Bumm), Damen des Opernchores

Dass die Inszenierung letztlich aber doch auf die Nase fällt, die sie eigentlich anderen drehen sollte, liegt an einem altbekannten Problem: Wenn man versucht etwas Komisches noch komischer zu machen wird es schnell albern, im schlimmsten Fall peinlich. Wenn man Komisches ernst nimmt, wird es wirklich komisch und vor allem kann man dann jede geistreiche Nuance, jeden feinen Witz, jeder freche Ironie deutlich werden lassen. Kleistert man ein fein gewürztes Menü mit Majo und Ketchup zu, kann man keine raffinierten Nuancen mehr schmecken. Und genau das passiert hier auf der Bühne.

Dabei bedient sich die Personenregie albernster Gags, die noch nicht einmal (mehr) komisch sind. Fritzens schmerzhaftes Hackenzusammenschlagen beim militärischen Gruß ist ein Beispiel für einen sich schnell totlaufenden running Gag. Dass Fritz und Wanda dezent über das Küssen singen, sich aber auf der Bühne bis zur Beischlafbereitschaft ausziehen, ist ebenso ein Beispiel für die vielen kontraproduktiven Überverdeutlichungen wie die Szene des persönlichen Gesprächs mit Fritz, in der die Großherzogin die Kontrolle über sich verliert, sich auf der Sitzgruppe wälzt und Fritz schließlich leidenschaftlich küsst. Die Großherzogin sehnt sich danach, bewahrt aber Haltung und Contenance – würde das auch so dargestellt, wäre es komisch. Wenn die Verschwörer ihr Terzett ernst- und gern auch überernstnehmen würden, wäre auch das komisch. Cancan-Tanzen und Polonäse-Schieben ist es nicht. Dass die Frauen im Nachthemd die Feldpost entgegennehmen, ist ein ebenso schwacher Gag wie die Zeichnung des Prinzen Paul als holländischen eitlen Geck mit blonder Mähne, der der Gräfin rote Tulpen mitbringt und ihr nach deren Jawort in Unterhosen nachläuft. Was einen insbesondere deshalb wundert, weil die Großherzogin als eingebildete, unbeherrschte Zicke gezeichnet ist, der alles Aristokratische und Damenhafte fehlt. Die Grenze zum Peinlichen überschreitet die verstaubte Idee, Soldaten über ihre Uniformen BH und Mieder tragen zu lassen. Obendrein wird das Ganze mit wildem Aktionismus so überladen, dass man die wenigen guten Einfälle leicht übersieht. So zum Beispiel der Moment, in dem Fritz bei seiner Strategieerklärung kurz die Hände zur „Merkel-Raute“ formt oder das Abendkleid der Großherzogin mit dezentem Flecktarnmuster. Auch der nur dezent auf den Vorhang projizierte Bundesadler, der vor dem zweiten Akt zum Bundespostwappen wird und vor dem dritten Akt auf dem Kopf steht, hat seinen optischen Reiz.

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Luca Ghedini, Victor Rottier (Tänzer, Soldaten), Belinda Williams (Großherzogin von Gerolstein), Challenge Gumbodete, Safet Mistele (Tänzer, Soldaten)

Ob man die Vor- und Zwischenspiele wirklich mit Ballett vertanzen muss, ist Geschmackssache. Dass dieses Ballett aus vier frisch kriegsverwundeten Soldaten besteht, will wohl zeigen, dass der hier besungene Kriegsjubel die Schrecken des Krieges völlig ignoriert. In die gleiche Kerbe hauen auch Rauch, Schüsse und die „kriegswirre“, im Bombenhagel immer wieder aufflackernde Hintergrundprojektion. Nun, wenn man die textliche und musikalische Ironie ignoriert, muss man wohl auf diese Weise zeigen, dass man auch intellektuell sein kann...  Die letzte Balletteinlage mit Travestiecharakter zeigt dann wieder genau das Gegenteil.

Die musikalische Seite sieht dagegen sehr viel erfreulicher aus. Belinda Williams singt die Großherzogin mit sehr schön timbriertem Mezzo, geläufigen Koloraturen und einer betörend schönen, vollen Tiefe. Mit sanftem, klarem Tenor begeistert Gideon Poppe als Fritz, insbesondere, wenn er blitzsauber und exakt artikulierend selbst die irrwitzigsten Tempi bewältigt. Jaclyn Bermudez ist mit warmem, beseeltem Sopran eine wundervolle Wanda. Tobias Hächler überzeugt als Prinz Puck und Marc-Olivier Oetterli als General Bumm. Daniel Holzhauser als Baron Puck und Bernhard Modes in der Doppelrolle als Nepomuk und Baron Grog runden zusammen mit den Chorsolistinnen als Ehrendamen das Ensemble ehrenvoll ab. Alexander Hannemann leitet das gut disponierte Staatsorchester mit Umsicht und Verve, setzt besondere Aufmerksamkeit auf die ruhigen emotional-ironischen Passagen und trägt die Sänger gerade bei den aberwitzigen Tempi auf Händen. Stellenweise könnte die Musik aber durchaus noch ein bisschen frecher klingen. Der Chor wurde von Marco Zeiser Celesti bestens einstudiert und klingt vollstimmig und homogen.

FAZIT

Und wieder einmal wird aus einem geistreichen, feinsinnig gewitzten und niveauvoll komischem Werk eine alberne Klamotte gemacht. So löblich die Ausgrabung dieses Werkes ist, so groß ist der Bärendienst, der ihm szenisch damit geleistet wird. Musikalisch macht die Aufführung aber viel Freude. Daher der Tipp: hinfahren, zuhören – aber nicht die Augen schließen, sondern die Übertexte mitlesen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Alexander Hannemann /
Adrian Pavlov /
Xin Tan

Inszenierung
Adriana Altaras

Regie Mitarbeit
Sonja Trebes

Bühne und Kostüme
Yashi

Licht
Dirk Thorbrügge

Chor
Marco Zeiser Celesti

Choreografie
Rhys Martin

Dance Captain
Victor Rottier

Dramaturgie
Jürgen Otten

 

Staatsorchester Kassel

Opernchor
des Staatstheaters Kassel


Solisten

*Premierenbesetzung

Großherzogin von Gerolstein
Maren Engelhardt /
Stefanie Schaefer /
*Belinda Williams

Fritz
Johannes An /
*Gideon Poppe

Wanda
*Jaclyn Bermudez /
Lin Lin Fan

General Bumm
*Marc-Olivier Oetterli /
Dieter Hönig

Prinz Paul
*Tobias Hächler /
Daniel Jenz

Baron Puck
*Daniel Holzhauser /
Hansung Yoo

Baron Grog / Neopmuk
Bernhard Modes

Charlotte
Caterina Paz Cartes Alarcon /
*Nayeon Kim

Amélie
*Sabine Roppel /
Angelika Schumann

Olga
*Ann-Christin Förste /
Tae Ozaki

Iza
*Anja Lang /
Elisabeth Rogers

Tänzer
*Luca Ghedini
*Challenge Gumbodete /
Shafiki Sseggayi
*Safet Mistele
*Victor Rottier


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