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Die Gezeichneten

Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Frnz Schreker

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

Premiere am 1. Juli 2017 an der Bayerischen Staatsoper München

Neuproduktion zu den Münchner Opernfestspielen




Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Ist das Kunst - oder muss das weg?

Von Roberto Becker / Fotos von Wilfried Hösl

So viele Vergleichsmöglichkeiten hat selbst das verwöhnte Münchner Opernpublikum im Falle von Franz Schrekers Die Gezeichneten nicht. Die Fans müssten schon in Stuttgart oder Salzburg gewesen sein. Die dortigen Inszenierungen von Martin Kusej und Nikolaus Lehnhoff liegen auch schon 15 bzw. 12 Jahre zurück. Im Nationaltheater wurden sie 1919 unter Bruno Walter das letzte Mal gespielt. Schreker gehört zu den durch die Verwerfungen des vorigen Jahrhunderts dauerhaft Benachteiligten. Die Rezeption wurde Anfang der Dreißiger Jahre abrupt und konsequent von den Nazis unterbrochen. Sie wurde auch nach dem Krieg durch die bewusste Hinwendung zu einer avancierten Avantgarde nicht wieder aufgenommen. Da bleibt ein Fremdeln des auf Richard Strauss fixierten, nachwachsenden Publikums einfach unausweichlich. Da wird jedes Anknüpfen an unterbrochene Tradition zu einem Wagnis.

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Unterkühlte Eleganz in der Vorhalle des Elysiums

Aber Häuser wie München können und müssen so was leisten. Im letzten Jahr hatte Nikolaus Bachler die Opernfestspiele, mit denen München jedes Jahr im Juli mit einer gewaltigen Kraftanstrengung das ganze Repertoire in Spitzenbesetzung aufgeboten wird, mit Calixto Bieitos Inszenierung von Fromental Halévys Jüdin eröffnet. In diesem Jahr ist es Krzysztof Warlikowskys Sicht auf Franz Schrekers Die Gezeichneten. Man könnte sich den Ausklang der Spielzeit auch komfortabler einrichten. Was heute immer noch nicht ohne Ausgrabungsehrgeiz auf die Bühne kommt, lag in den Jahren nach seiner Uraufführung 1918 so dicht am Zeitgeist, dass es populär war. Die Sinne waren wohl für die Untergangsaura und die Präsenz der Psychoanalyse im Denken empfänglich, die auch zum Aroma der Geschichte Schrekers von jenem Elysium gehören, in dem Grenzen überschritten werden.

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Carlotta gibt die Königin des Balls

In der Gestalt der Malerin Carlotta (mit grandios ausgespielter Reife: Catherine Naglestad) verbindet sich die Künstlerexistenz mit der Ambition der Therapeutin. Weil sie nicht das Äußere, sondern die Seelen malen will und sie das dem monströs entstellten Alviano Salvago glaubhaft zu vermitteln versteht, kommt es zu einer Annäherung der beiden. Für ihn, der sich damit abgefunden hat, allein zu bleiben, ein unvermuteter und einsamer Lichtstrahl am finsteren Horizont. Doch auch in ihr kochen die Leidenschaften hoch - hin zu dem mit seiner latent gewaltbereiten Ausstrahlung auf sie anziehend wirkenden Grafen Andrea Vitellozzo Tamare.

In Krzysztof Warlikowskis Inszenierung erörtern die beiden Konkurrenten um die Gunst Carlottas diese Mechanismen der Anziehung wie zwei Clubgänger nach einer durchzechten Nacht zwischen Designergestühl und Bartresen. Bis der tief verletzte Alviano zusticht. Hier laufen in der gespannten Ruhe des Diskurses nicht nur der fabelhaft kraftvolle Bariton Christopher Maltman, sondern auch der ansonsten gelegentlich angestrengt wirkende, aber immer intensiv gestaltende John Daszak zur Hochform auf. Daszak hatte übrigens nach der Pause mit einem mit rauchiger Sprechstimme wie nebenbei vorgetragenen ironischen Selbstbeschreibung Franz Schrekers beeindruckt. Was haargenau in das metaphorische Spiel mit der modernen Kunst passt, in das Warlikowski das Umfeld jenes geheimnisvollen Elysiums übersetzt, bei dem man genauso gut Assoziationen zu Stanley Kubricks Eyes Wide Shut, der Filmversion von Schnitzlers Traumnovelle, imaginieren könnte. Warlikowski spielt mit den klassischen Bildern von Frankenstein bis Abramowitsch. Und er verpasst den Bürgern von Genua, die nach dem Willen Alvianos Zugang zu diesem Elysium des Adels bekommen, Tiermasken. Bei diesem Tag der offenen Tür fliegt allerdings auf, wo (ohne Alvianos aktive Mitwirkung) die auf rätselhafte Weise verschwundenen Töchter der Stadt abgeblieben sind.

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Zur Kenntlichkeit entstellt: Das Volk darf vorbeischauen ... und gruselt sich

Was das sagenhafte Elysium selbst betrifft, so schaffen wir es nur bis in die große Lobby. Da trippeln zwar auch mal nackte, androgyne Schönheiten herum, schwingt eine beleibte, reifere von ihnen alles, was sich an ihr schwingen lässt, werden die Objekte männlicher Lust mal in einer Vitrine ausgestellt oder hinterm Tresen zum Blowjob genötigt. Wir gelangen nur bis in den mit Performance-Kunst einstimmenden (oder ihn ersetzenden?) Vorbezirk der entfesselten Lust. Den müssen wir uns diesmal schon selbst ausmalen. Wenn die moderne Kunst freilich, die Warlikowski zitiert, für ihn das pervers Dekadente sein sollte, dem der Herzog dann in einer donnernden Rede ein Ende bereitet, dann wäre sich der Regisseur selbst in die Falle gegangen. Die Kunstanstrengungen selbst, die wir zu sehen bekommen, bieten nämlich kaum genügend Stoff für das Verdikt Herzog Antoniotto Adornos, dem Tomasz Konieczny ein imponierendes stimmliches Format verpasst.

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Carola und Alviano - der Moment der Nähe zwischen den beiden war kurz.

Wirkt der erste Teil dieses Abends noch bewusst von der kühlen Raumoptik von Małgorzata Szczęśniak überformt, so gewinnt die Dynamik der evozierten Opulenz nach der Pause und dem gesprochenen Intermezzo von Alviano an Intensität. Nehmen die surrealen, rätselhaften Elemente zu. Das wird auch musikalisch befördert, wenn das Elysium für alle geöffnet wird und die Empörung über die dort triumphierende Dekadenz bei den (Mäuse-)Bürgern eskaliert. Am Pult des Bayerischen Staatsorchesters gelingt Ingo Metzmacher der Balanceakt zwischen dem Klangzauber der dosierten Opulenz zu schwelgen und der Liebe zum Detail zu frönen. Die musikalische Suggestionskraft von Schrekers Musik jedenfalls erwies sich als ungebrochen.

FAZIT

Die Bayerische Staatsoper München hat ihre alljährlichen Opernfestspiele großformatig eröffnet, was Ingo Netzmacher musikalisch überzeugender gelang, als Krzysztof Warlikowski mit seiner etwas verästelnd unterkühlten Inszenierung.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ingo Metzmacher

Inszenierung
Krzysztof Warlikowski

Bühne und Kostüme
Małgorzata Szczęśniak

Licht
Felice Ross

Choreographie
Claude Bardouil

Video
Denis Guéguin

Chor
Sören Eckhoff

Kinderchor
Stellario Fagone

Dramaturgie
Miron Hakenbeck



Chor und Kinderchor der
Bayerischer Staatsoper

Bayerisches Staatsorchester


Solisten

Herzog Antoniotto Adorno
Tomasz Konieczny

Graf Andrea Vitellozzo Tamare
Christopher Maltman

Lodovico Nardi
Alastair Miles

Carlotta Nardi
Catherine Naglestad

Alviano Salvago
John Daszak

Guidobaldo Usodimare
Matthew Grills

Menaldo Negroni
Kevin Conners

Michelotto Cibo
Sean Michael Plumb

Gonsalvo Fieschi
Andrea Borghini

Julian Pinelli
Peter Lobert

Paolo Calvi
Andreas Wolf

Capitano di giustizia
Tomasz Konieczny

Ginevra Scotti
Paula Iancic

Martuccia
Heike Grötzinger

Pietro
Dean Power

Ein Jüngling
Galeano Salas

Dessen Freund
Milan Siljanov

Ein Mädchen
Selene Zanetti

1. Senator
Ulrich Reß

2. Senator
Christian Rieger

3. Senator
Kristof Klorek

Diener
Milan Siljanov

Kind
Solist/en des Tölzer Knabenchors

Ein riesiger Bürger
Milan Siljanov

Dienerin
Niamh O'Sullivan

1. Bürger
Harald Thum

2. Bürger
Thomas Briesemeister

3. Bürger
Klaus Basten

Vater
Yo Chan Ahn

Mutter
Eleanor Barnard

1. Jüngling
Burkhard Kosche

2. Jüngling
Tobias Neumann

3. Jüngling
Sebastian Schmid


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter

 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



Da capo al Fine

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