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Musiktheater
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Die Meistersinger von Nürnberg

Oper in drei Aufzügen
Musik und Text von Richard Wagner

Aufführungsdauer: ca. 5 Stunden, 45 Minuten (2 Pausen)

Premiere im Großen Haus des Südthüringischen Staatstheaters Meiningen am 7. April 2017  

Theaterlogo
(Homepage)

„Beckmesser, keiner besser!“

Von Bernd Stopka / Fotos: Staatstheater Meiningen

Wenn man in Meiningen ist, hat man immer wieder den Eindruck, die Stadt sei um das Theater herumgebaut und jeder Meininger hat eine ganz persönliche Beziehung zu seinem Theater. Das Meininger Theater hat aber nicht nur eine besondere Bedeutung für die Stadt, sondern auch eine besondere Bedeutung für das Theater allgemein. Hier wurde ab 1866 unter Georg II, weltlicher Herrscher und gleichzeitig Theaterleiter (später zusammen mit seiner dritten Ehefrau Ellen), der Grundstein für das heute sogenannte moderne Regietheater gelegt – das damals allerdings etwas anders aussah, als wir es heute im Allgemeinen verstehen. Georg II wollte eine naturgetreue, detailreiche und gern auch üppige Bühnenausstattung zusammen mit einer natürlich wirkenden Personenregie – unter besonderer Betonung der philosophischen und dramaturgischen Elemente – zu einem Gesamtkunstwerk vereinen. Das gelang so eindrücklich, dass es überregionale Beachtung fand und das Ensemble immer wieder zu internationalen Gastspielreisen aufbrach.

Seitdem zeigen sich die Theaterleitungen in Meiningen diesem Grundgedanken – der sich zunächst nur auf das Sprechtheater bezog – verpflichtet, sehen darin aber nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers (ein Zitat, das diversen Künstlern und Denkern zugesprochen wird).  So auch der derzeitige Intendant Ansgar Haag, der in den Bühnenbildern von Bernd Dieter Müller und den Kostümen von Annette Zepperitz Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg auf die Meininger Bühne gebracht hat. Ein Werk, das seinerseits Erneuerung und Neubefragung der Kunst zum Thema hat und damit auf ganz besondere Weise zu Meiningen passt.

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Walther von Stolzing (Ondrej Šaling), Meistersinger

In einem Beitrag zum Programmheft erklärt der Regisseur (neben einigen überraschenden Aussagen), dass er seine Inszenierung auf die Entwicklung Deutschlands in den letzten 100 Jahren beziehen möchte und das Regelwerk des Meistergesangs als politische Ordnung interpretiert. Da ist der Weg zur Rezeptionsgeschichte nicht weit und die Befürchtung, dass die Meistersinger einmal mehr nicht nur auf der Bühne, sondern auch auf dünnem Eis stehen nicht ganz unberechtigt. Tatsächlich zeigt sich die Umsetzung des Regiekonzeptes aber nur in zwei Szenen deutlich. Da dann aber überdeutlich, erst lästig, dann ärgerlich. Während des Vorspiels kommen Soldaten des Ersten Weltkriegs über eine schräge Spielfläche im Hintergrund durch reichlich Bühnennebel (Giftgas?) auf die Bühne gehumpelt (wir sind aber trotzdem in der richtigen Oper, auch wenn das eher nach Tannhäuser aussieht). An ein schräges großes Kreuz im Hintergrund wird ein Plakat mit der Aufschrift „Nie wieder Krieg“ geklebt, das von wütenden Söldnern schnell wieder abgerissen wird. Frauen suchen unter den Verletzten nach Vermissten, David verteilt Gesangbücher und so ist zu Beginn des Chorals der Chor auf der Bühne.
Der zweite Moment ist der Schlusschor. „Ehrt Eure deutschen Meister“ singt das Volk und marschiert in militantem Gleichschritt in den Vordergrund. Plakate und Spruchbanner mit Aufschriften wie „Ausländer raus“, „Multikulti stoppen“, „Meine Heimat bleibt deutsch“, „Ihr seid nicht das Volk“ usw. werden entrollt. Von der Seite kommen faschistisch anmutende Trommler auf die Bühne. Die Botschaft ist eindeutig. Die Meistersinger flüchten, Sachs erleidet einen Herzinfarkt und während das Volk auseinanderstiebt, kommt Beckmesser auf die Bühne zurück und schaut besorgt auf den Schusterpoeten.
Was hier passiert, ist eine Politisierung der Kunst, die so in den Meistersingern nicht wirklich das Thema ist. „Hier gilt’s der Kunst!“, nicht der Politik. Die Meisterregeln sind kein Grundgesetz und die Meistersinger keine konservativen Politiker, sondern die letzten Vertreter einer Kunstgattung, die diese erhalten wollen. Natürlich wurde das in den dunkelsten Jahren deutscher Geschichte anders interpretiert und schändlich missbraucht, das ist nun zur Genüge bekannt. Doch ist es wirklich nötig, diesen Teil der Rezeptionsgeschichte immer wieder zu zeigen und damit diese Oper noch mehr zu belasten, anstatt herauszuarbeiten, wie man sie auch sehen kann – vom Ballast ihres Missbrauchs befreit? Dazu sei nebenbei eine sehr aufschlussreiche und erhellende Abhandlung Marcel Reich-Ranickis zu den Meistersingern empfohlen (die übrigens im Programmheft der letzten Meininger Meistersinger-Inszenierung aus dem Jahr 1984 abgedruckt war).

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Eva (Camila Ribero-Souza), Stolzing (Ondrej Saling), Magdalene (Carolina Krogius), David (Siyabonga Maqungo), Sachs (Dae-Hee Shin)

Abgesehen von diesen Bildern erlebt man eine lebendige, detailreiche, brave, ja fast biedere Personenregie, die die Geschichte eins zu eins erzählt, angereichert mit ein paar seltsamen Mätzchen (z. B. Kothners Kinderstühlchen in der Singschule und Evas psychische Dekompensation zu Beginn der Festwiese) und einigen geistreichen und witzigen Ideen (z. B. wenn nach der Prügelfuge Beckmesser allein auf der Bühne bleibt, sich die Schuhe anzieht und ihm zum finalen Orchesterschlag der Schnürsenkel reißt). Vom 100-Jahre-Konzept erkennt man nur Andeutungen, die sich zeitlich auch schon einmal vermischen. Die Singschule wird aus der Unterbühne heraufgefahren und ist ein Klassenzimmer mit Bücherregal nebst Wagnerbüste, die Meister tragen Stresemann/Gehrock und Melonen, die sie beim Aufruf ihrer Namen mehr oder weniger erfolgreich auf Kleiderhaken werfen.  Den Bühnenbildrahmen bilden hellblaue, Häuserwände stilisierende, bühnenhohe Gebäudeteile mit verschieden großen Öffnungen, die im zweiten Akt so verschoben sind, dass man wirklich den Eindruck von verwinkelten kleinen Gassen bekommt. Rechts steht Pogners Haus, der unten seinen Laden hat, in dessen Schaufenstern reichlich Schmuck glänzt, aber auch beim Öffnen eines Fensters sieht man dahinter üppig goldene Spiegelrahmen. Dem Goldschmied geht es gut, das künftige Erbe dürfte beträchtlich sein. Eine gute Idee, das auf diese Weise zu zeigen.
Auf der linken Seite betreibt Hans Sachs eine eher bescheidene Schuhreparaturwerkstatt. Die Mitte des Platzes beherrscht eine Bismarck-Büste mit Pickelhaube, unter der irgendetwas wächst, das mit viel Fantasie fliederähnlich sein könnte. Zum Flieder-Monolog reißt Sachs einen ganzen Trieb heraus, den Eva und Stolzing später als dürftiges Versteck benutzen. Lehrbuben sind hier Dienstmädchen und sonstige Bedienstete aus den 20er Jahren. Eine quicklebendige Prügelfuge macht ihrem Namen alle Ehre.

Im dritten Akt ist Sachsens Firma gewachsen, expandiert weiter und wirbt mit „sensationellen Umbau-Angeboten“. Im Wintergarten vor dem nunmehr auch Schuhhandelsgeschäft könnte er auch Kaffee und Kuchen anbieten. Letzteren verspeist Stolzing allein und räumt als guter Gast auch den Frühstückstisch ab. Sachs reicht ihm dann auch noch Geschirrtücher und Spülmittel, bevor er das Preislied für Beckmesser zurechtlegt, der nicht zufällig vorbeikommt, sondern erwartet wird, um seine Rechnung zu bezahlen. Wir befinden uns irgendwo zwischen Wirtschaftswunder und Jetztzeit, auf jeden Fall ist alles reichlich bieder – auch auf der Festwiese, auf der reges Treiben in bunten Kostümen herrscht. Die Meister werben mit Trauben von bunten Luftballons, mit dem jeweiligen Handwerksnamen bedruckt. Die schräge Spielfläche vom Beginn des ersten Aktes wird zur Tribüne, aus dem Kreuz ist ein Antennenmast mit Satellitenschüsseln geworden. Das Sängerpodium ist üppig mit schwarz-rot-goldenen Schleifen und einem Lorbeerkranz geschmückt, Polizisten einer kürzlich vergangenen Zeit (in moosgrün/beige) ordnen und kontrollieren das Ganze. Der traurige Schluss ist oben bereits beschrieben.

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Hans Sachs (Dae-Hee Shin), Sixtus Beckmesser (Stephanos Tsirakoglou)

In der Charakterzeichnung fällt vor allem Beckmesser auf, der hier nicht als pedantischer, korrekter und nach außen hochkontrollierter Stadtschreiber gezeichnet ist, sondern als ein liebenswerter, leicht tüddelig-trotteliger Bär, dem dauernd etwas aus den Händen fällt und der mit dem Hinterteil umreißt, was er mit den Händen aufgebaut hat. Und das passiert ganz wörtlich genommen vor dem Ständchen, wenn er umständlich einen Notenständer aufbaut und ihn dann zweimal mit einem an seinen verlängerten Rücken geschnallten einbeinigen Melkschemel umwirft. Da sind wir dann auf Zirkusclown-Niveau angelangt.
Zur Pantomime, die ganz ausgezeichnet gelungen ist, renkt sich Beckmesser seine lädierten Glieder ein, legt den Rechnungsbetrag auf den Tisch, schnüffelt ein bisschen im Laden umher, bevor er das Preislied entdeckt. Auf der Festwiese macht er sich dann endgültig zum Trottel (bzw. wird von der Regie dazu gemacht), er erscheint in an Werther erinnerndem blauen Anzug mit gelber Weste, lässt seine Brille fallen, der dann ein Glas fehlt und gerät gänzlich in Unruhe, weil er dann noch nicht einmal mehr im Text nachlesen kann. Hier wird die Figur dann auch tragisch, nachdem man zuvor den Eindruck hatte, dass er über seine eigene Tolpatschigkeit durchaus auch schmunzelnd stöhnen kann. Stephanos Tsirakoglou ist ein Beckmesser, der keine Wünsche offenlässt, der schauspielerisch die geforderte Charakterisierung absolut überzeugend und wie selbstverständlich umsetzt. Auch stimmlich steht er mit absoluter Souveränität über der Partie und kann sie so mit feinsten Nuancen interpretieren. Sein Bariton klingt satt und rund, ausgewogen, kultiviert und in allen Lagen beweglich.

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Ensemble Festwiese

Dae-Hee Shin singt einen edlen, hochkultivierten und stimmschönen Sachs, wirkt aber irgendwie immer ein bisschen abwesend. Auch fehlt ein Stück des Charismas, das man sich für diese Rolle wünscht. Ondrej Šaling hat einen klaren strahlenden Tenor, den er geradlinig führt, solange er nicht forciert, was das Finale des ersten Aktes geradezu herausfordert. Im Preislied auf der Festwiese lässt er sich nicht dazu verleiten und singt es wunderschön. Artikulation und Diktion sind noch ausbaufähig, aber es ist schön, wieder einmal einen echten strahlenden Tenor in dieser Partie zu hören und keinen hochgepeitschten Bariton. Siyabonga Maqungo ist ein wunderbarer David, mit ganz hellem, ja, glasklarem, beweglichem und exakt geführtem, jungenhaftem Tenor. Sicher macht es Spaß, ab und zu mal mit der Stimme aufzutrumpfen, aber das hat er doch gar nicht nötig. Camila Ribero-Souza singt eine selbstbewusste Eva, kein naives Mädchen (auch, wenn sie ständig ihr Kleid am Schoß zusammenknüllen muss) und zeigt wunderschöne Klangfarben und Ausdrucksnuancen mit der richtigen Dosierung von Seele in der Stimme. Carolina Krogius singt eine klangvolle, souveräne Magdalene und komplettiert das geradezu überirdisch schön gelungene Quintett. Ernst Garstenauer dröhnt herrlich als Pogner und Marián Krejčík hinterlässt als Kothner guten Eindruck.

Meiningens GMD Philippe Bach leitet das engagiert und leidenschaftlich mitgehende Orchester mit viel Elan und Sinn für Nuancen, beginnt gleich mit einem deutlich akzentuierten Meistersinger-Motiv und beherrscht den Spagat zwischen vollem Gesamtklang und Transparenz. Immer wieder lässt er Orchesterstimmen aufblühen und Details hören, ohne dabei den großen Bogen zu vernachlässigen. Ab und zu klappert es im Orchester, noch viel häufiger aber zwischen Bühne und Graben. Da sollte sich im Laufe der nächsten Aufführungen etwas mehr Einigkeit insbesondere über die Tempi und Einsätze einstellen. Zweimal hörte man in der Premiere den Ablauf gefährdet, aber man fand noch rechtzeitig wieder zusammen – und die Prügelfuge gelang geradezu vorbildlich. Ärgerlich war im ersten Akt ein knarzendes Nebengeräusch, das die Musik geradezu vergällen konnte. Ein mit Holzkeilen etwas notdürftig auf dem Dirigentenpodium befestigtes Dirigentenpult konnte als Ursache ausgemacht und in der Pause kräftig und erfolgreich geölt werden.

FAZIT

Meiningen ist immer ein Erlebnis, nicht zuletzt auch wegen der exzellenten Akustik des Hauses. Sieht man vom Anfang und Ende ab, erlebt man eine überwiegend lebendige und ideenreiche Inszenierung, die die Geschichte in stilisierten aber ästhetischen Bildern erzählt, wie sie im Libretto steht. Das elanvolle Dirigat und Stephanos Tsirakoglou als Beckmesser sind die musikalischen Höhepunkte der Produktion. 


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
GMD Philippe Bach

Inszenierung
Ansgar Haag

Bühne
Bernd-Dieter Müller

Kostüme
Annette Zepperitz

Choreographie
Zenta Haerter

Chor
Martin Wettges

Dramaturgie
Ansgar Haag / Aldona Farrugia

 

Meininger Hofkapelle

Chor und Extrachor 
des Meininger Theaters,
Meininger Kantorei,
Chor des evangelischen
Gymnasiums Meiningen

Bürgerbühne Meiningen

Statisterie
des Meininger Theaters


Solisten

Hans Sachs
Dae-Hee Shin

Veit Pogner
Ernst Garstenauer

Kunz Vogelgesang
Xu Chang

Konrad Nachtigall
KS Roland Hartmann

Sixtus Beckmesser
Stephanos Tsirakoglou

Fritz Kothner
Marián Krejčík

Balthasar Zorn
Matthias Grätzel

Ulrich Eisslinger
Alexander Günther

Augustin Moser
Stan Meus

Hermann Ortel
James Moellenhoff

Hans Schwarz
André Eckert

Hans Foltz
Mikko Järviluoto

Walther von Stolzing
Ondrej Šaling

David
Siyabonga Maqungo

Eva
Camila Ribero-Souza

Magdalene
Carolina Krogius

Nachtwächter
Lars Kretzer


Weitere Informationen
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Da capo al Fine

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