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Clowns vor Flusslandschaft
Von Stefan Schmöe
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Fotos © Oliver Berg, Theater Münster Die Kölner Oper hatte die Messlatte hoch gelegt mit ihrem Falstaff, der eine Woche zuvor in der Regie von Dietrich H. Hilsdorf und dem Dirigat von Will Humburg zur Premiere kam. Das Theater Münster (wo Humburg von 1992 bis 2004 sehr erfolgreich als Generalmusikdirektor wirkte) hat nicht die Möglichkeiten wie an der ungleich größeren Kölner Oper - aber musikalisch schlägt sich das Haus sehr achtbar. Chefdirigent Fabrizio Ventura entlockt dem zuverlässigen Sinfonieorchester der Stadt Münster nicht den Klangreichtum und die Differenzierung wie Humburg dem Gürzenich-Orchester (und er kann auch nicht verhindern, dass die komplexen Ensembles im zweiten Bild wie so oft auseinander driften), aber die Aufführung hat Schwung und rhythmische Präzision, die Sänger werden gut getragen, und auch wenn Ventura sich ein wenig in Kleinteiligkeit verliert, spielt er den Witz dieser Musik schön aus. Falstaff umwirbt Alice Ford, Mrs. Quickley schaut aus dem Hintergrund nicht ohne Skepsis zu.
Und dann steht mit Gregor Dalal ein sehr eindrucksvoller Falstaff mit großer, (fast immer) strahlender Stimme auf der Bühne (ein paar wenige Spitzentöne bleiben eng), souverän in der musikalischen Gestaltung und imposant in jeder Hinsicht. Auch sein Gegenspieler Ford ist mit Gary Martin gut besetzt, mit metallisch glänzender Höhe (die tiefe Lage bleibt mitunter blass). Hans Kittelmann ist mit leichtem, aber markantem Spieltenor ein überzeugender Dr. Cajus, Youn-Seong Shim mit ein wenig ungelenkem, noch ausbaufähigem lyrischen Tenor ein recht biederer Fenton, Cameron Becker und Plamen Hidjov ein sehr solides Dienerpaar Bardolfo und Pistola. Die Damenriege ist nicht ganz so überzeugend: Sara Rossi Daldoss singt die Alice Ford tadellos mit schönem und leuchtenden, aber ein wenig zu leichtem Sopran, Lisa Wedekind bleibt als Meg Page unscheinbar, Suzanne McLeod zeigt als Mrs. Quickley komödiantischen Gespür, die Stimme zeigt im Forte aber erhebliche Verschleißerscheinungen. Eva Bauchmüller hat als Nanetta eine hübsche, in der Höhe sichere Sopranstimme, aber wenig Stilsicherheit - das klingt mit ziemlich pauschalem Vibrato allzu sehr nach deutscher Spieloper und zu wenig nach spätem Verdi. Von der zarten Utopie, die der dem jungen Liebespaar komponiert hat, bleibt leider nicht viel übrig. Intrigante Damen: (von links) Meg Page, Nanetta, Alice Ford und Mrs. Quickley
Auch szenisch nicht. Es inszeniert der Hausherr und Intendant Ulrich Peters persönlich, und Fenton und Nanetta werden (ziemlich unverständlich) zu Karikaturen degradiert - sie als naives Dummchen mit Teddybär, er und beständig mit Notizbuch, in das er eifrig schreibt. Shim allerdings zeigt sich schauspielerisch nicht allzu begabt, sodass der tiefere Sinn unkenntlich bleibt. Zunächst trägt er das bekannte Wagner-Barett, das mag auf die künstlerische Rivalität zwischen Wagner und Verdi anspielen, bleibt aber ohne weitere Konsequenzen. Verdi selbst dagegen ist als Bühnenfigur ziemlich präsent. Es ist eine mehr stimmungsvolle als die Konzeption tragende Idee, die Aufführung mit Zitaten des Komponisten über den Falstaff zu rahmen; den Komponisten immer wieder nach dem Rechten sehen zu lassen, wirkt dann aber doch alsbald arg manieriert. Intrigante Herren: Falstaff (Mitte) mit Ford (links) und Dr. Cajus
Peters hält in der Schwebe, was Realität ist und was Spiel oder Einbildung. Sein Falstaff ist eigentlich ein Schauspieler, der den Falstaff in Shakespeares Hinrich IV. spielt und alsbald zwischen Realität und Spiel nicht mehr unterscheiden kann (das muss man freilich im Programmheft nachlesen). Aus dem Gasthof ist die Theaterkantine geworden, allerdings nur angedeutet, und dahinter verbirgt sich Backsteinarchitektur des 19. Jahrhunderts und ein Ausblick auf moderne Hafenanlagen, womöglich in Münster (Ausstattung: Christian Floeren). Dadurch ist eine historische Einordnung vermieden. Vielmehr gibt Peters der Oper Züge einer bunten Revue. Die Personenregie ist detailverliebt, wirkt aber reichlich antiquiert - vor 40 Jahren hätte das auch nicht wesentlich anders ausgesehen. Hier ist Rettung nötig: Falstaff im Nebel
Die Kostüme rücken die Figuren, zumindest die Männer, in die Nähe von Clowns. Ford trägt, wenn er sich bei Falstaff unter falschem Namen vorstellt, eine quietschgelbe Perücke. Dazu gibt es allerlei Slapstick. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen dieser und der Kölner Produktion: Hilsdorf zeigte normale Menschen, die sich am Ende, das ist das Fazit der Oper, als Narren und Genarrte herausstellen. Das geht uns an. Bei Peters und Floeren sind es von Beginn an Knallchargen, die uns mehr oder weniger gut unterhalten - aber uns darüber hinaus nichts angehen. Peters mutet dem Publikum (das in dieser Premiere offensichtlich sehr zufrieden damit ist) nichts zu. Bei Hilsdorf war Falstaff das großes Welttheater. Bei Peters ist Falstaff ein boulevardtauglicher Schwank. Das ist ziemlich wenig.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne und Kostüme
Chor
Dramaturgie
SolistenSir John FalstaffGregor Dalal
Bardolfo
Pistola
Ford
Alice Ford
Nannetta
Miss Quickly
Meg Page
Fenton
Dr. Cajus
Giuseppe Verdi
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- Fine -