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Romeo und Julia

Tanzabend von Hans Henning Paar nach der Tragödie von William Shakespeare
Musik von Sergej Prokofjew

Aufführungsdauer: ca. 2h 10' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Theater Münster am 15. Oktober 2016

Logo: Theater Münster

Theater Münster
(Homepage)
Tragische Liebesgeschichte in bewegenden Bildern

Von Thomas Molke / Fotos von Oliver Berg

Prokofjews Romeo und Julia zählt zwar neben Tschaikowskys Schwanensee, Nussknacker und Dornröschen zu den bekanntesten Handlungsballetten, steht allerdings im Gegensatz zu Tschaikowsky nicht in der Tradition des klassischen Spitzentanzes. So sollen die Tänzerinnen und Tänzer zunächst von der Neuartigkeit des mit der Musik verbundenen Bewegungsapparats nicht begeistert gewesen sein und den berühmten Shakespeare-Vers "For never was a story of more woe, than this of Juliet and her Romeo" etwas spöttisch auf Prokofjews Musik übertragen haben, da diese viel mehr Grund zur Trauer gegeben haben soll als die eigentliche Geschichte. Den Siegeszug des Balletts konnten diese Bedenken trotzdem nicht aufhalten. Hans Henning Paar, der sich mit dem Stück erstmals 2005 am Staatstheater Kassel beschäftigt und es anschließend für Braunschweig und das Staatstheater am Gärtnerplatz in München überarbeitet hat, hat nun auch unter Beibehaltung des damaligen Konzeptes eine Fassung für das Tanztheater Münster erstellt.

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Liebe auf den ersten Blick: Romeo (Mirko De Campi) und Julia (Maria Bayarri Pérez) auf dem Maskenball

Dabei hält er sich stark an Shakespeares Vorlage und baut auch das gesprochene Wort in seine Inszenierung ein. Bevor die Musik beginnt, sieht man Keelan Whitmore als Pater Lorenzo in einem hellen Anzug verzweifelt auf der Stelle laufen. Ist es der Versuch, den im Exil weilenden Romeo rechtzeitig zu erreichen, um ihn zu informieren, dass Julia nur in einem todesähnlichen Schlaf liegt, und um den beiden auf diese Weise eine gemeinsame Flucht zu ermöglichen? Flieht er vor seinen eigenen Dämonen, die ihm eine Mitschuld am tragischen Ausgang der Geschichte geben? Während er rennt, prasselt der Prolog aus Shakespeares Originaltext erbarmungslos auf ihn ein. Zunächst hört man einen Tänzer über Lautsprecher den englischen Originaltext sprechen. Dann zitieren plötzlich mehrere Tänzerinnen und Tänzer in ihrer jeweiligen Muttersprache den Prolog gleichzeitig und das Stimmengewirr wächst zu einem ohrenbetäubenden Orkan an, der die Kluft zwischen den beiden verfeindeten Familien spürbar macht. Wenn der Lärm kaum noch zu ertragen ist, setzt Prokofjews Musik ein und übernimmt mit dissonanten Tönen die Disharmonie der Stimmen. Whitmore erkennt, dass er den Kampf verloren hat, und zieht sich niedergeschlagen von der Bühne zurück.

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Heimliche Trauung: Pater Lorenzo (Keelan Whitmore, hinten) mit Romeo (Mirko De Campi, davor) und Julia (Maria Bayarri Pérez)

Anna Siegrot hat für die Geschichte ein düsteres Bühnenbild entworfen. Der Boden ist mit dunklen Schnipseln übersät, die sowohl für totes Laub als auch für verrottetes oder verbranntes Papier stehen können. Wenn sich die Tänzer über die Bühne bewegen, verkündet bereits das dabei entstehende Rascheln das tragische Ende. Auf der rechten und linken Seite befinden sich Tore, die sich über eine Art Flaschenzug mit einer riesigen Kugel an einem Faden öffnen und schließen. Die Rückwand auf dem Platz in Verona besteht aus beweglichen Platten, hinter denen die Tänzer nahezu magisch auftauchen und verschwinden können. Der Fürst (Gerhard Mohr) erscheint nur in einer Videoprojektion als überdimensionaler Mund. Man sieht, dass sich seine Lippen bewegen, aber man hört ihn nicht, so wie seine Worte an die Capulets und Montagues trotz aller Warnungen ebenfalls ungehört und ohne Konsequenz bleiben. Für die berühmte Balkonszene bedarf es lediglich eines Stegs im Hintergrund, an dem eine Stange herabführt. Auch die Kirche, in der Pater Lorenzo die beiden Liebenden traut, ist mit einem Gerüst, das im Vordergrund aus dem Schnürboden herabgelassen wird, relativ abstrakt und schlicht gehalten. Nur die Kostüme beim Maskenball, für die Siegrot ebenfalls verantwortlich zeichnet, sind opulent gehalten und verbinden eine Vielzahl unterschiedlicher Epochen.

Als zusätzliche Figur führt Paar einen Bühnenarbeiter (Tomasz Zwozniak) ein, der als Queen Maab im Programmheft bezeichnet wird. Als "Königin der Träume" oder "Schicksalsgöttin" - so nennt Paar die Figur in seinen Anmerkungen zur Inszenierung - stellt Zwozniak gewisse Requisiten bereit, die die Handlung vorantreiben. Zu Beginn bemalt er beispielsweise die Rückwand, so dass die von Romeo angebetete Rosalinde in einer riesigen Projektion wie eine Werbe-Ikone auftaucht, als Bild dabei natürlich unerreichbar bleibt. Auch bei der Bereitstellung des geheimnisvollen Schlaftrunkes ist der Bühnenarbeiter beteiligt. Während Julia sich nämlich Hilfe suchend an Pater Lorenzo wendet, weil sie keinesfalls mit Paris vermählt werden will beziehungsweise kann, tritt der Bühnenarbeiter im Hintergrund mit einer Schubkarre auf, die zahlreiche Gläser enthält, und macht erst einmal Pause, während er genüsslich ein Butterbrot verspeist. Lorenzo blickt nun in die Schubkarre und findet den Trank, den er Julia als Lösung ihres Problems anbietet.

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Lady Capulet (Elizabeth Towles) mit ihrem Mann (Matthias Markstein, Mitte) und Paris (Thanh Pham, links)

Eine besondere Rolle kommt in Paars Choreographie Julias Mutter Lady Capulet (Elizabeth Towles) zu. Paar zeigt sie als exaltierte Frau, für die nur Äußerlichkeiten von Bedeutung sind. Schon bei der Vorbereitung auf den Ball spielt Towles diese Oberflächlichkeit mit fratzenhafter Mimik und ausladender Gestik komödiantisch aus. Doch während man zu Beginn noch geneigt ist, über diese Figur zu lachen, schlägt dieses Gefühl sehr bald um. Wenn Towles als Lady Capulet den Tod ihres Neffen Tybalt beklagt, deutet ihre große Trauer an, dass ein viel engeres Band zwischen den beiden bestand, als man zwischen Neffe und Tante annehmen sollte, und wenn es im zweiten Teil darum geht, dass Julia Paris heiraten soll, zeigt sich Towles dem Weigern ihrer Tochter gegenüber absolut herz- und kompromisslos. Geradezu brutal wirft sie ihre Tochter in die Arme des werbenden Bräutigams Paris, der von Thanh Pham mit Merkel-Raute aalglatt dargestellt wird. Nicht weniger bedrohlich gebart sich auch Matthias Markstein als Julias Vater Capulet, der seiner Tochter drastisch klarmacht, was die Familie von ihr erwartet. Bei aller Bedrohlichkeit, die von diesem Trio in dieser Szene ausgeht, gelingt es den dreien dennoch, in anderen Auftritten eine marionettenhafte Komik zu entfalten.

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Mercutio (Alessio Sanna, Mitte) als Pinocchio auf dem Maskenball der Capulets (im Hintergrund: Ensemble)

Komische Akzente setzt auch Anna Caviezel als Amme, wenn sie hektisch das Bettlaken unter ihrem Kleid verbirgt, damit Julias Eltern nicht erkennen, dass Julia in der Nacht nächtlichen Besuch gehabt hat, und anschließend mit dem Bettlaken zwischen den Beinen von der Bühne hüpft. Besondere Komik entfaltet sie auch in ihrem Monolog, wenn sie Romeo über die Planungen für die heimliche Hochzeit informiert. Hier plappert Caviezel in herrlichem Schwitzerdütsch, das man zwar kaum verstehen kann, aber gerade deshalb in Caviezels Intonation das Publikum zum Lachen bringt. Doch Caviezel überzeugt auch in den tragischen Momenten, wenn sie zusehen muss, welchen Druck die Capulets auf Julia ausüben oder wenn sie ihren Schützling am Morgen vor der Hochzeit vermeintlich tot in ihrem Bett findet. Alessio Sanna begeistert als Mercutio durch kraftvolle Sprünge und changiert ebenfalls gekonnt zwischen Komik und Tragik. Bis zu seiner tödlichen Verletzung hat man das Gefühl, dass das Leben für ihn nur ein großes Spiel ist, was von Sanna mit grandioser Leichtigkeit im Tanz ausgedrückt wird. Auch die kämpferische Auseinandersetzung mit Tybalt (wunderbar bedrohlich: Adam Dembczyński) wird von ihm nicht wirklich ernst genommen. Erschreckend realistisch holt Dembczyński dann zum tödlichen Schlag aus. Eine ganze Zeit lang gaukelt Sanna dann noch vor, dass alles in Ordnung ist, bevor er schließlich leblos zu Boden sinkt. Jetzt gibt es für Romeo kein Halten mehr, und es kommt zu einem bewegend choreographierten Kampf zwischen Romeo und Tybalt, an dessen Ende Tybalt ebenfalls tot ist.

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Kurzes Glück einer Nacht: Romeo (Mirko De Campi) und Julia (Maria Bayarri Pérez)

Eine Idealbesetzung stellen Maria Bayarri Pérez und Mirko De Campi für das Titelpaar dar. Bayarri Pérez begeistert als Julia mit leicht aufmüpfigem Spiel und versucht, sich deutlich von ihrer Mutter abzuheben. Wenn sie dann auf Romeo trifft, scheint ein Traum in Erfüllung zu gehen. Mit wunderbarer Innigkeit harmoniert sie mit De Campi bei ihrem ersten Treffen auf dem Maskenball. Auch das Pas de deux der beiden in der Balkonszene wird bewegend umgesetzt. De Campi gibt einen nachdenklichen, leicht verträumten Romeo, der in seinen Gefühlen zu Julia zu Höchstform aufläuft. Besonders innig gestalten die beiden ihre erste und leider auch letzte Liebesnacht, die in unschuldigem Weiß auf einem weißen Laken stattfindet. Es ist dasselbe Laken, unter dem dann am Ende beide den Tod finden. Bayarri Pérez scheint sich des tragischen Ausgangs der Geschichte bereits bewusst zu sein, wenn Romeo sie nach der gemeinsamen Nacht verlässt, um in die Verbannung zu gehen. Hier sprechen ihre Blicke Bände. Wenn sie dann in der Gruft später erwacht und den toten Romeo neben sich findet, ist die Tragik kaum zu überbieten. Julia öffnet sich die Pulsadern und stirbt in den Armen des Geliebten, während der Vorhang langsam zu den letzten Tönen von Prokofjews Musik fällt. Das Sinfonieorchester Münster rundet unter der Leitung von Stefan Veselka den Abend großartig ab, so dass es für alle Beteiligten frenetischen Beifall gibt.

FAZIT

Diese Fassung von Romeo und Julia sollte man sich nicht entgehen lassen. Paar hat wieder einmal unter Beweis gestellt, dass Münster im Bereich des Tanzes in NRW in der oberen Liga mitspielt.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Veselka

Inszenierung und Choreographie
Hans Henning Paar

Bühne und Kostüme
Anna Siegrot

Dramaturgie
Esther von der Fuhr

 

Sinfonieorchester Münster

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Romeo
*Mirko De Campi /
Jason Franklin

Benvolio
*Jason Franklin /
Adrián Pla Cerdán

Mercutio
Alessio Sanna

Julia
*Maria Bayarri Pérez /
Melanie López López

Lady Capulet
Ako Nakanome /
*Elizabeth Towles

Capulet
Matthias Markstein

Tybalt
Adam Dembczy
ński

Amme
*Anna Caviezel /
Priscilla Fiuza

Paris
Thanh Pham

Pater Lorenzo
Keelan Whitmore

Queen Maab
Tomasz Zwozniak

Der Fürst
Gerhard Mohr

Volk und Ball
Maria Bayarri Pérez
Mirko De Campi
Anna Caviezel
Adam Dembczy
ński
Priscilla Fiuza
Jason Franklin
Melanie López López
Matthias Markstein
Ako Nakanome
Tri Thanh Pham
Adrián Pla Cerdán
Alessio Sanna
Anna Schneider
Pauline Stöhr
Elizabeth Towles
Keelan Whitmore


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