Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Der Vorstadt-Don Juan stirbt in der TodeszelleVon Stefan Schmöe / Fotos von Marco Borggreve © Nederlandse Reisopera
Es ist eine Hinrichtung: Mit der Giftspritze wird Don Giovanni ins Jenseits befördert, und alle sind mehr oder weniger aktiv daran beteiligt. Eine von höheren Mächten veranlasste Höllenfahrt, das war Regisseurin Jo Davies eine wohl allzu barocke Vorstellung. Wo jeder irgendwie Täter und Opfer zugleich ist, jedenfalls mit freiem Willen sein Handeln selbst bestimmt (auch und gerade die verführbaren und verführwilligen Frauen), muss man auch die unschönen Konsequenzen austragen. Und auf Mord (juristisch ganz einwandfrei geht es dabei wohl nicht zu, auch wenn Giovanni den Komtur per Handfeuerwaffe umgebracht hat) steht in diesem amerikanischen Bundesstaat, in das die Handlung kurzerhand verlegt ist, eben die Todesstrafe. Der Komtur erschossen:Donna Anna und Don Ottavio (hinten zwei Statisten)
Es geht der Regie darum, die Geschichte aus der fernen Historie in eine besser nachvollziehbare, also nicht ganz so ferne Vergangenheit zu übertragen, und das sind hier die 1970er-Jahre irgendwo in Amerika. Gezahlt wird in Dollar, wie die der Umdeutung maßvoll angepassten niederländischen Übertitel verraten, und aus den Bauern mit dem Hochzeitspaar Zerlina und Masetto werden Zigeuner. Das geht vor allem ästhetisch stilsicher auf, bleibt aber auch inhaltlich einigermaßen plausibel. Statt einer Marmorstatue singt hier in der Pathologie (in die sich Giovanni flüchtet) die Leiche des Komturs unter flackernden Neonröhren, was ein bisschen komisch wirkt – aber genau das zeichnet die Inszenierung aus: Dass der schnoddrig-ironische Erzählton sich souverän auf dem schmalen Grat zwischen Tragödie und absurder Komödie bewegt. Als Dramma giocoso haben Mozart und Librettist da Ponte schließlich den Don Giovanni bezeichnet und damit diese Ambivalenz vorgegeben.
"In Italien 1003": Leporello berichtet Donna Elvira vom ausschweifenden Liebesleben Don Giovannis.
So entfaltet Leporello das Liebesregister seines Herrn vor Donna Elvira an einer tristen Bushaltestelle, so verführt Giovanni maskiert Donna Anna bei einer Halloween-Party, und die Zigeunerin Zerlina möchte er zunächst in seinem schicken, innen in knalligen Orangetönen der Zeit gehaltenen Wohnwagen verführen, wechselt aber schnell in seine schicke, aber wohl nicht allzu große Designerwohnung. Die Bühnenmusik kommt vom topmodernen Radiorecorder, die letzte Mahlzeit bestecht aus Sandwiches aus der Krankenhauskantine. Kommuniziert wird mitunter per Telefon (natürlich schnurgebunden). Das atmet das Flair der gesichtslosen Vorstadt, auch wenn Giovanni sich mit Büchern und Schallplatten durchaus als Intellektueller verstehen dürfte. "Komm' auf mein Schloss mit mir": Don Giovanni verspricht Zerlina Liebesglück im Wohnwagen.
Sicher, neu ist der Ansatz nicht und manches Versatzstück schon anderswo gezeigt worden. Aber Jo Davies und das ungemein spielfreudige und auch stimmlich homogene und sehr gut aufeinander eingestellte junge Ensemble setzen das Konzept prächtig um. Aleš Jenis ist ein vergleichsweise jugendlicher Giovanni, schlank (und sehr präsent) in Stimme und Erscheinung und glaubwürdig als Womanizer, nicht nur wegen der sozialen Stellung für Zerlina allemal attraktiver als der ein wenig tumbe, von Matthias Hoffmann mit dem richtigen Maß an Komik gegebene und nicht zu poltrig gesungene Masetto. Nico Darmanin ist ein kühl kalkulierender Ottavio (die retardierende Arie „Dalla sua pace“ ist gestrichen, die zweite „Il mio tesoro“ in so flottem Tempo genommen, dass Ottavio als forscher Kämpfer erscheint – gesungen ist das sehr anständig). George Humphrey klingt als Leporello ein wenig unscharf, Lukas Jakobski fehlt es für den Komtur etwas an Wucht. Alles nur Einbildung? Jedenfalls sieht es so aus (und hört sich auch so an), als würde der Leichnam des Konturs auf Don Giovannis Essenseinladung hin singen.
Bei den Damen glänzt Anita Watson als Anna mit zwar nicht allzu großer, aber akkurat geführter Stimme und zupackender Gestaltung. Anna Grevelius, die Sängerin der Elvira, konnte wegen einer Erkältung nicht singen, sondern nur spielen (vom Bühnenrand aus übernahm Fenna Ograjensek mit kühl-klarem Sopran und pointiertem Zugriff den musikalischen Part), und musste nach einem Sturz schließlich durch den (zunächst nicht einmal kostümierten) Regieassistenten ersetzt werden – so etwas erlebt man nur im Theater, und auch das wurde vom Ensemble souverän aufgefangen. Silvia Moi als quirlige Zerlina im abenteuerlich fülligen Brautkleid hat eine angenehm volle, hier und da etwas verschattete Stimme. Durch die Bank hervorragend ist die Abstimmung untereinander, auch in den spritzigen, von William Shaw am Hammerklavier mit allerlei Freizügigkeiten brillant begleiteten Rezitativen. Der Chor Consensus Vocalis ist darstellerisch fast mehr gefordert als durch die kleine, souverän gesungene Chorpartie und trägt entscheidend zum temporeichen Ablauf mit vielen schnellen Umbauten bei. Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Julia Jones, wobei einige Aufführungen (auch die hier besprochene in Arnheim) von ihrer Assistentin Yura Yang dirigiert werden. Unter deren Leitung spielt das offensichtlich sehr gut vorbereitete Het Orkest van het Oosten nach ein paar anfänglichen Wacklern sehr zuverlässig und mit Wucht in den dramatischen, mit Leichtigkeit in den komödiantischen Passagen.
Ein dramatischer, aber gleichzeitig mit viel Spott erzählter Don Giovanni auf musikalisch sehr ordentlichem Niveau. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Licht
Kostüme
Solisten
Don Giovanni
Leporello
Donna Anna
Donna Elvira
Don Ottavio
Zerlina
Masetto
Il commendatore
Statisten
|
© 2017 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de