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Musiktheater
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Faust

Oper in fünf Akten
Libretto von Jules Barbier und Michel Carré
Musik von Charles Gounod


in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

Premiere am 30. Oktober 2016, Staatstheater Stuttgart


Homepage Staatstheater Stuttgart

(Homepage)
An der Metrostation Stalingrad

Von Roberto Becker / Fotos © A. T. Schaefer

Allein schon Jossi Wielers Entschluss, den scheidenden Volksbühnenchef Frank Castorf (65) als Opernregisseur zu engagieren und ihm alles, was sein fabelhaft aufgestelltes Haus so zu bieten hat, für Charles Gounods Faust zu überlassen, macht Stuttgart tatsächlich zum "Opernhaus des Jahres". Aber nicht, wie man meinen könnte, für besonderen Revoluzzer-Mut vor den Erwartungshaltungen des Opernpublikums. Sondern für den richtigen Instinkt, dass in Castorf eben auch ein nach wie vor überraschender und grandioser Theatermann steckt. Einer, der das Schauspielpublikum nicht nur mit den schier unendlichen Weiten traktieren kann, die in seine Dramatisierungen von Romanwälzern stecken. Sondern auch einer mit Gespür für die eigenen Zeitmaße der Oper, der kein Problem damit hat, die vermeintlichen dramatischen Leerstellen zu füllen, die eine musikalische Schwelgerei a la Gounod so mit sich bringt.

Szenenfoto

Adam Palka glänzt in der Rolle des verführerisches Flaneurs Mepistopheles

Dass Castorf damit auskommt, nur das hinzuzufügen, was sowieso in einem Stück wie der französischen Faust I- Version von Gounod aus dem Jahre 1859 steckt, demonstriert er in Stuttgart mit geradezu meisterlicher Perfektion. Was freilich nur ein halb so großes Kunststück ist, wenn man einen Raum-Magier wie Aleksandar Denić (der sich auch außerhalb der Bayreuther Ring-Welt zunehmend als Glücksfall für das Theater des Frank Castro erweist) an der Seite hat. Der setzt ein Erinnerungs- und Traumparis auf die Drehbühne, in dem jeder Paris-Liebhaber wiederfindet, was sein Herz begehrt oder was er an Paris-Feeling gerne hätte. Die Wasserspender von Notre Dame, die Enge der Metrostationen (in dem Falle Stalingrad), die straßenzugewandten Bistroplätze mit den kreidebeschriebenen Preistafeln, enge Hauseingänge. Mit einem Wort: Dieses ganze Es-war-einmal-Paris zwischen schmalen Haustüren und der weitschweifigen Federboa des sagenhaften Pariser Lebens.

Szenenfoto

Faust (lässig) und Margarethe (beeindruckt)

Über einer mit Brettern vernagelten Schlachterei prangt ein rotes Ornament, das man bei näherem Hinsehen als spiegelverkehrt gedoppelten "Coca Cola"-Schriftzug enträtseln kann. Klar, dass der Teufel hier zur Walpurgisnacht lädt. Dass hinter den Gauben Margarethe und Frau Marthe ihre Zimmer haben und dass über den sprichwörtlichen Dächern von Paris genügend Platz für das Stelldichein mit dem Teufel und seinem Kumpanen ist, der sonst in Frau Marthes Garten spielt besteht sich von selbst.

Dieses Paris imaginiert (vor allem in den opulenten Kostümen von Adriana Braga Perteziki) die Uraufführungszeit der Oper von 1859, vor allem in den Filmaufnahmen und diversen Plakaten auch die Zeit des Algerienkrieges hundert Jahre später. Und dazwischen gibt es immer wieder die "Paris leuchtet" - Stadtansichten von heute. Zu dieser traumhaften Erinnerungs-Realität, die immer noch lebendig ist, gehört auch der Name der Metrostation Stalingrad, die in dieses Bühnenbildwunder integriert ist. Dass der Schriftzug zum hurrapatriotischen Soldatenaufmarsch, der den blutigen Algerienkrieg heraufbeschwört, mit "Algerien ist französisch" (in französisch) blutrot übermalt wird, ist hier keineswegs aufgesetzt, sondern geradezu zwingend. Und überfrachtet oder konterkariert die mit psychologischer Präzision erzählte Geschichte von zwei genusssüchtigen Flaneuren und der verführten jungen Frau, die die Zeche bezahlt, nicht, sondern vertieft sie. Das ist so wie der Einsatz der für Castorf typischen Live-Kameras und die Übertragung von Nahaufnahmen auf zwei große Leinwände, die immer wieder von oben in das Bühnenbild gelassen werden. Diesmal ist das ausnahmslos triftig und erhellend. Und so wie es Tobias Dusche und Daniel Keller machen und wie Martin Andersson es in seiner Videoregie mit vorgefertigten Sequenzen mischt, ein Lehrbeispiel für diese Methode!

Szenenfoto

Frau Marthe versucht, sich Mephisto zu angeln; Faust plaudert mit Margarethe auf dem Dachgarten

Die öffnet gleichsam eine weitere Dimension in dieser Paris-um-Mitternacht-Geschichte, die alle Register eines opulenten Musiktheaters zieht, das sich von der Musik tragen und inspirieren lässt. Wenn Castorf das Pathos bricht, dann mit triftigen (von den Schattenseiten des hochgejubelten Krieges) oder einem grinsenden Mephistopheles zum Liebesduett von Faust und Margarethe mit subtil witzigen Bildern. Auch das Schlussbild prägt sich ein. Da erhebt sich nach all dem "gerichtet-" und "Gerettet"-Gesang Margarethe wieder, geht ins Bistro und kippt sich Tabletten in ihr Sektglas. Man ahnt, wie das ausgeht. Aber man weiß es nicht. Man wird beim nächsten Parisbesuch (real oder im Traum) genauer hinsehen müssen.

Szenenfoto

Von wegen der Krieg ist lustig ...viele verlieren dabei den Kopf ...

Musikalisch wir der Abend wunderbar getragen von Marc Soustrot am Pult des Staatsorchesters. Das Ensemble, das Stuttgart aufbietet, fügt sich vokal und darstellerisch geradezu idealtypisch so zu einem Gesamtkunstwerk, wie es nur ganz selten so überzeugend gelingt. Iris Vermillion ist die dramatisch präsenten Frau Marthe. Aus dem Gretchen-Verehrer Siebel wird hier eine begehrende Freundin mit erheblichem Sexappeal, was Josy Santos spielend gelingt. Als Margarethe durchmisst Mandy Fredrich mit vokaler und darstellerischer Verve die ganze Tragödie einer jungen Frau, die wie immer die Zeche bezahlt. Mit wunderbar geschmeidiger Höhe ist Atalla Ryan ein Faust-Hallodri, der vor allem genießen will. Als Teufel schließlich ist Adam Palka mit jedem Ton, in jeder Grimasse eine Wucht. Ob nun im Nadelstreif ohne Hemd drunter, in Uniform oder halbnackt mit Kopfschmuck und allem möglichen Brimborium. Aber sie sind alle großartig - bis zum letzten Choristen. Der Jubel traf auch Frank Castorf. Und klang wie: mehr davon! Nehmen wir mal an, dass sein coole gelangweiltes Abwinken ein: na wenn Ihr meint! bedeuten sollte.


FAZIT

Die Oper Stuttgart hat die neue Spielzeit mit einem (wie zu erwarten) musikalischen und (manchen überraschenden) szenischen Wurf eröffnet! Dem suggestiven Charme dieses Faust von Castorf und Denić können sich selbst hartnäckige Castorf-Kritiker nicht entziehen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marc Soustrot

Inszenierung
Frank Castorf

Bühne
Aleksandar Denić

Kostüme
Adriana Braga Peretzki

Licht
Lothar Baumgarte

Video
Martin Andersson

Kamera und Bildgestaltung
Tobias Dusche
Daniel Keller

Dramaturgie
Ann-Christine Mecke



Staatsopernchor Stuttgart

Staatsorchester Stuttgart


Solisten

Faust
Atalla Ayan

Mephistopheles
Adam Palka

Valentin
Gezim Myshketa

Wagner
Michael Nagl

Margarethe
Mandy Fredrich

Siebel
Josy Santos

Marthe
Iris Vermillion



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Stuttgart
(Homepage)



Da capo al Fine

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