Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Wartesaal der Langeweile
Wer Gioachino Rossinis Il viaggio a Reims kennt, weiß,
dass eine Oper auch ohne nennenswerte Handlung knapp drei Stunden dauern kann,
ohne dass dem Publikum die Zeit lang wird. Mit Rossinis Meisterwerk hat die
Premiere in Wuppertal zwei Dinge gemeinsam: die Dauer und die fehlende Handlung.
Einen entscheidenden Unterschied gibt es dann allerdings doch. Bei Helmut
Oehrings AscheMond oder The Fairy Queen können die zwei Stunden und 50
Minuten verdammt lang werden, für zahlreiche Zuschauer auch viel zu lang. Was
Opernintendant Berthold Schneider voller Stolz als Teiluraufführung in Wuppertal
präsentiert, mag dem Haus vielleicht überregionale Aufmerksamkeit verschaffen.
Als Zuschauermagnet dürfte sich das Stück jedoch nicht erweisen, und so
bleibt zu befürchten, dass die Platz-Auslastung in den Folgevorstellungen noch
dürftiger ausfällt als in der Premiere, bei der ebenfalls schon vor der Pause
zahlreiche Plätze frei blieben. Auch wenn der 1961 in Berlin geborene Komponist
in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden ist, kann
die 2013 an der Staatsoper im Schiller Theater Berlin uraufgeführte Oper
AscheMond oder The Fairy Queen nicht gerade als großer Wurf bezeichnet
werden. Hagen Matzeit am Anfang und am
Ende mit Purcells "Music for a while" Nachdem sich Oehring 2013 an der Deutschen Oper am Rhein in
seiner Oper SehnSuchtMEER mit Richard Wagners Der fliegende Holländer
auseinandergesetzt hatte (siehe auch
unsere Rezension),
wandte er sich Henry Purcells Barockmusik zu und schuf auf ein Libretto von
Stefanie Wördemann mit Texten von William Shakespeare unter dem Titel
AscheMond oder The Fairy Queen ein abstraktes Stück Musiktheater, in dem
Purcells Musik durch moderne Klänge ergänzt und teilweise auch unterbrochen
wird. Für die Premiere in Wuppertal hat Oehring nicht nur die Partitur und die
Besetzung überarbeitet, sondern auch zusätzliche Musikstücke von Purcell und
neue Texte eingefügt. Im Prolog und Epilog eingerahmt wird der Abend von
Purcells "Music for a while", einer Komposition zu John Drydens und Nathaniel
Lees Schauspiel Oedipus. Hier wird die tröstende Kraft der Musik
beschworen, die in der Lage sein soll, den Kummer der Menschen zu stillen. Ist
sie aber nicht, zumindest nicht in Oehrings Oper. Denn der Countertenor Hagen
Matzeit darf dieses wunderschöne Stück nicht einfach mit weichen Höhen
präsentieren, sondern wird direkt zu Beginn in seinem Gesang von dissonanten
Geräuschen gestört. Zunächst hat man den Eindruck, ein Handy klingele im
Zuschauerraum oder bei einem Hörgerät müssten die Batterien gewechselt werden. Erst
allmählich merkt man, dass diese störenden Klanggeräusche bewusst eingesetzt
werden und dem Publikum keine Chance geben sollen, sich in Purcells Musik fallen
zu lassen. Die Fairy Queen (Kassandra
Wedel) im Wartesaal des Lebens Während Claus Guth bei der Uraufführung in Berlin die Komposition mit
einer Geschichte über einen Mann unterlegt, der nach den Gründen für den
Selbstmord der Mutter forscht, bleibt Immo Karaman in der Wuppertaler
Inszenierung sehr abstrakt und erfindet keine konkrete Handlung. Stattdessen
konzentriert er sich auf die Vergänglichkeit des Lebens. Menschen betreten einen
großen Wartesaal und verlassen ihn auf unterschiedlichen Wegen wieder. Eine Frau
wirft immer wieder einen Kaffeebecher in einen Mülleimer, der bereits so überfüllt ist, dass auf der anderen Seite jedes Mal ein Becher wieder herausfällt. An der Rückwand
deutet eine unaufhaltsam laufende Uhr das Verrinnen der Zeit an. Irgendwann wird dort
ein großer Kreis sichtbar, der sich im weiteren Verlauf aus der Rückwand löst
und den Weg in eine andere Sphäre öffnet. Was hat das mit dem Stück zu tun?
Vielleicht ist das der Mond, der seine Bahn verlässt, um neue Wege zu gehen.
So wird es zumindest im Epilog erklärt. Der Mond will die Funktion der
verschwundenen Sonne übernehmen und springt ins Feuer. Dabei verbrennt er sich
aber und ist fortan von Asche überzogen, deshalb wohl AscheMond. Wieso die
zusammengesetzten Wörter auch in den Übertiteln mit anfangenden Großbuchstaben
geschrieben werden, wird nicht wirklich klar. Soll damit zum Ausdruck gebracht
werden, dass in einer Welt des Individuums nichts richtig zusammenpasst? Oder
ist diese Deutung genauso abgehoben und symbolisch überfrachtet wie der ganze Abend? Auf der Suche: Christian Sturm
(links), Manfred Böll als Erzähler (Mitte hinten) und Catriona Morison (Mitte
vorne) mit dem Chor Die Solisten und der Chor schlagen sich stimmlich gut, auch
wenn die ständige klangliche Unterwanderung des barocken Gesangs verhindert,
dass man die Musik genießen kann. In ihren beigefarbenen
Kostümen erinnern die namenlosen Figuren des Stücks an Büroangestellte und bilden eine kaum unterscheidbare Einheitsmasse.
Zu Beginn tragen zwei Solisten einen schwarzen Pyjama, den sie abstreifen, um
die Bürokleidung anzulegen. Streben die Menschen in der Wartehalle unaufhaltsam
ihrem Ende entgegen? Im letzten Teil, der mit "Auslöschung (Winter)"
überschrieben ist, hat sich die Wartehalle nämlich in einen schwarzen leeren Kubus
verwandelt, der in der Mitte ein schwarzes kreisrundes Loch und an den
Seiten keine Türen mehr hat, und alle tauchen in schwarzen Pyjamas wieder auf,
wie die beiden Solisten zu Beginn des Abends. Hagen Matzeit greift auch erneut
Purcells "Music for a while" auf, womit gewissermaßen ein
Zyklus angedeutet wird. Dieser Zyklus bewegt sich thematisch durch die einzelnen
Jahreszeiten. Im ersten Teil nach dem Prolog tritt die im Untertitel
genannte Fairy Queen auf, die von der gehörlosen Schauspielerin Kassandra Wedel
eindrucksvoll interpretiert wird. In einem weißen Gewand mit weitem Schleier hebt sie sich
deutlich von der Masse ab und erkennt sehr schnell, dass hier vieles falsch ist,
was sie lauthals zur Musik herausschreit. Wenn dann auch noch Shakespeares
berühmtes Sonnet "Shall I compare thee" klanglich verhunzt wird, lässt
sich gut nachvollziehen, warum den Solisten auf der Bühne nichts anderes mehr übrig bleibt
als zu weinen. Unklar bleibt, wieso die Fairy Queen im Herbst schwanger ist
und alle anderen Frauen ihren Mantel wie ein Baby im Arm wiegen, bevor sie das
vermeintliche Kind in einen vor ihnen liegenden Koffer packen. Was will der Mann mit dem Gewehr
(Simon Stricker) von der Fairy Queen (Kassandra Wedel)? Diese Frage stellt sich
der Erzähler (Manfred Böll) wohl auch, während der Chor verzweifelt über den
Boden robbt. Musikalisch bleibt eigentlich nur Henry Purcell hängen, wobei
die Musik stets durch dissonante Klänge
verfremdet wird. Das mag als Idee nicht schlecht sein, trägt aber nicht über den
ganzen Abend und wirkt nach einiger Zeit eintönig. Im Orchestergraben agieren ein leicht hochgefahrenes
Barockensemble auf der linken Seite und das Sinfonieorchester Wuppertal in der
Mitte des Orchestergrabens. Auf der rechten Seite sitzen ebenfalls erhöht
Alexander Gabrys am verstärkten Solo Kontrabass, der auch noch stimmliche
Geräusche beisteuert, und Daniel Göritz an der Solo-Gitarre. Die beiden begleiten
abwechselnd mit dem Barockensemble Purcells Musik, die dann vom restlichen
Orchester oder Sound-Einspielungen ergänzt wird. Stellenweise erinnert Oehrings
eigene Musik an die Untermalung von düsteren Szenen eines Gruselfilms. In
anderen
Passagen verbreitet sie durch ihre Dissonanzen große Unruhe und Hektik und reißt Abgründe auf, in die man eigentlich
nicht hineinblicken will. Ein Moment, der unter die Haut geht, gelingt Kassandra
Wedel, wenn sie klagend in Matzeits emotionale Interpretation von Purcells "Let
me weep" einfällt. Da möchte man im Zuschauersaal am liebsten mitweinen. Diesen Effekt hätte man allerdings auch mit einer
wesentlich kürzeren Spieldauer erreichen können. So gehen diese Momente in dem
auf knapp drei Stunden ausgedehnten Abend leider unter. Den Zuschauern, die bis
zum Ende ausgeharrt haben, scheint es allerdings gefallen zu haben, und so wird
das komplette Ensemble mit großem Beifall bedacht.
FAZIT
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung Leitung Barockensemble Klangregie und Sounddesign Inszenierung und Bühnenbild
Bühne Kostüme Chor Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Opernchor und
Extrachor der Statisterie der Solisten*Premierenbesetzung Gebärdensolistin Fairy Queen / Mond Erzähler Sopran 1 Sopran 2 Mezzosopran Countertenor Tenor Bariton 1 Bariton 2 Solo Kontrabass / Stimme Solo-Gitarren
|
- Fine -