Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



AscheMOND oder The Fairy Queen

Oper in drei Teilen, einem Prolog und einem Epilog
Konzeption und Libretto von Stefanie Wördemann mit Texten von William Shakespeare, Heinrich Heine,
Adalbert Stifter und Helmut Oehring
Studiokonzeption und -produktion von Torsten Ottersberg
Musik von Helmut Oehring unter Verwendung von Musik von Henry Purcell

In englischer und deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Wuppertal am 29. Januar 2017


Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Wartesaal der Langeweile


Von Thomas Molke / Fotos: © Wil van Iersel

Wer Gioachino Rossinis Il viaggio a Reims kennt, weiß, dass eine Oper auch ohne nennenswerte Handlung knapp drei Stunden dauern kann, ohne dass dem Publikum die Zeit lang wird. Mit Rossinis Meisterwerk hat die Premiere in Wuppertal zwei Dinge gemeinsam: die Dauer und die fehlende Handlung. Einen entscheidenden Unterschied gibt es dann allerdings doch. Bei Helmut Oehrings AscheMond oder The Fairy Queen können die zwei Stunden und 50 Minuten verdammt lang werden, für zahlreiche Zuschauer auch viel zu lang. Was Opernintendant Berthold Schneider voller Stolz als Teiluraufführung in Wuppertal präsentiert, mag dem Haus vielleicht überregionale Aufmerksamkeit verschaffen. Als Zuschauermagnet dürfte sich das Stück jedoch nicht erweisen, und so bleibt zu befürchten, dass die Platz-Auslastung in den Folgevorstellungen noch dürftiger ausfällt als in der Premiere, bei der ebenfalls schon vor der Pause zahlreiche Plätze frei blieben. Auch wenn der 1961 in Berlin geborene Komponist in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden ist, kann die 2013 an der Staatsoper im Schiller Theater Berlin uraufgeführte Oper AscheMond oder The Fairy Queen nicht gerade als großer Wurf bezeichnet werden.

Bild zum Vergrößern

Hagen Matzeit am Anfang und am Ende mit Purcells "Music for a while"

Nachdem sich Oehring 2013 an der Deutschen Oper am Rhein in seiner Oper SehnSuchtMEER mit Richard Wagners Der fliegende Holländer auseinandergesetzt hatte (siehe auch unsere Rezension), wandte er sich Henry Purcells Barockmusik zu und schuf auf ein Libretto von Stefanie Wördemann mit Texten von William Shakespeare unter dem Titel AscheMond oder The Fairy Queen ein abstraktes Stück Musiktheater, in dem Purcells Musik durch moderne Klänge ergänzt und teilweise auch unterbrochen wird. Für die Premiere in Wuppertal hat Oehring nicht nur die Partitur und die Besetzung überarbeitet, sondern auch zusätzliche Musikstücke von Purcell und neue Texte eingefügt. Im Prolog und Epilog eingerahmt wird der Abend von Purcells "Music for a while", einer Komposition zu John Drydens und Nathaniel Lees Schauspiel Oedipus. Hier wird die tröstende Kraft der Musik beschworen, die in der Lage sein soll, den Kummer der Menschen zu stillen. Ist sie aber nicht, zumindest nicht in Oehrings Oper. Denn der Countertenor Hagen Matzeit darf dieses wunderschöne Stück nicht einfach mit weichen Höhen präsentieren, sondern wird direkt zu Beginn in seinem Gesang von dissonanten Geräuschen gestört. Zunächst hat man den Eindruck, ein Handy klingele im Zuschauerraum oder bei einem Hörgerät müssten die Batterien gewechselt werden. Erst allmählich merkt man, dass diese störenden Klanggeräusche bewusst eingesetzt werden und dem Publikum keine Chance geben sollen, sich in Purcells Musik fallen zu lassen.

Bild zum Vergrößern

Die Fairy Queen (Kassandra Wedel) im Wartesaal des Lebens

Während Claus Guth bei der Uraufführung in Berlin die Komposition mit einer Geschichte über einen Mann unterlegt, der nach den Gründen für den Selbstmord der Mutter forscht, bleibt Immo Karaman in der Wuppertaler Inszenierung sehr abstrakt und erfindet keine konkrete Handlung. Stattdessen konzentriert er sich auf die Vergänglichkeit des Lebens. Menschen betreten einen großen Wartesaal und verlassen ihn auf unterschiedlichen Wegen wieder. Eine Frau wirft immer wieder einen Kaffeebecher in einen Mülleimer, der bereits so überfüllt ist, dass auf der anderen Seite jedes Mal ein Becher wieder herausfällt. An der Rückwand deutet eine unaufhaltsam laufende Uhr das Verrinnen der Zeit an. Irgendwann wird dort ein großer Kreis sichtbar, der sich im weiteren Verlauf aus der Rückwand löst und den Weg in eine andere Sphäre öffnet. Was hat das mit dem Stück zu tun? Vielleicht ist das der Mond, der seine Bahn verlässt, um neue Wege zu gehen. So wird es zumindest im Epilog erklärt. Der Mond will die Funktion der verschwundenen Sonne übernehmen und springt ins Feuer. Dabei verbrennt er sich aber und ist fortan von Asche überzogen, deshalb wohl AscheMond. Wieso die zusammengesetzten Wörter auch in den Übertiteln mit anfangenden Großbuchstaben geschrieben werden, wird nicht wirklich klar. Soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass in einer Welt des Individuums nichts richtig zusammenpasst? Oder ist diese Deutung genauso abgehoben und symbolisch überfrachtet wie der ganze Abend?

Bild zum Vergrößern

Auf der Suche: Christian Sturm (links), Manfred Böll als Erzähler (Mitte hinten) und Catriona Morison (Mitte vorne) mit dem Chor

Die Solisten und der Chor schlagen sich stimmlich gut, auch wenn die ständige klangliche Unterwanderung des barocken Gesangs verhindert, dass man die Musik genießen kann. In ihren beigefarbenen Kostümen erinnern die namenlosen Figuren des Stücks an Büroangestellte und bilden eine kaum unterscheidbare Einheitsmasse. Zu Beginn tragen zwei Solisten einen schwarzen Pyjama, den sie abstreifen, um die Bürokleidung anzulegen. Streben die Menschen in der Wartehalle unaufhaltsam ihrem Ende entgegen? Im letzten Teil, der mit "Auslöschung (Winter)" überschrieben ist, hat sich die Wartehalle nämlich in einen schwarzen leeren Kubus verwandelt, der in der Mitte ein schwarzes kreisrundes Loch und an den Seiten keine Türen mehr hat, und alle tauchen in schwarzen Pyjamas wieder auf, wie die beiden Solisten zu Beginn des Abends. Hagen Matzeit greift auch erneut Purcells "Music for a while" auf, womit gewissermaßen ein Zyklus angedeutet wird. Dieser Zyklus bewegt sich thematisch durch die einzelnen Jahreszeiten. Im ersten Teil nach dem Prolog tritt die im Untertitel genannte Fairy Queen auf, die von der gehörlosen Schauspielerin Kassandra Wedel eindrucksvoll interpretiert wird. In einem weißen Gewand mit weitem Schleier hebt sie sich deutlich von der Masse ab und erkennt sehr schnell, dass hier vieles falsch ist, was sie lauthals zur Musik herausschreit. Wenn dann auch noch Shakespeares berühmtes Sonnet "Shall I compare thee" klanglich verhunzt wird, lässt sich gut nachvollziehen, warum den Solisten auf der Bühne nichts anderes mehr übrig bleibt als zu weinen. Unklar bleibt, wieso die Fairy Queen im Herbst schwanger ist und alle anderen Frauen ihren Mantel wie ein Baby im Arm wiegen, bevor sie das vermeintliche Kind in einen vor ihnen liegenden Koffer packen.

Bild zum Vergrößern

Was will der Mann mit dem Gewehr (Simon Stricker) von der Fairy Queen (Kassandra Wedel)? Diese Frage stellt sich der Erzähler (Manfred Böll) wohl auch, während der Chor verzweifelt über den Boden robbt.

Musikalisch bleibt eigentlich nur Henry Purcell hängen, wobei die Musik stets durch dissonante Klänge verfremdet wird. Das mag als Idee nicht schlecht sein, trägt aber nicht über den ganzen Abend und wirkt nach einiger Zeit eintönig. Im Orchestergraben agieren ein leicht hochgefahrenes Barockensemble auf der linken Seite und das Sinfonieorchester Wuppertal in der Mitte des Orchestergrabens. Auf der rechten Seite sitzen ebenfalls erhöht Alexander Gabrys am verstärkten Solo Kontrabass, der auch noch stimmliche Geräusche beisteuert, und Daniel Göritz an der Solo-Gitarre. Die beiden begleiten abwechselnd mit dem Barockensemble Purcells Musik, die dann vom restlichen Orchester oder Sound-Einspielungen ergänzt wird. Stellenweise erinnert Oehrings eigene Musik an die Untermalung von düsteren Szenen eines Gruselfilms. In anderen Passagen verbreitet sie durch ihre Dissonanzen große Unruhe und Hektik und reißt Abgründe auf, in die man eigentlich nicht hineinblicken will. Ein Moment, der unter die Haut geht, gelingt Kassandra Wedel, wenn sie klagend in Matzeits emotionale Interpretation von Purcells "Let me weep" einfällt. Da möchte man im Zuschauersaal am liebsten mitweinen. Diesen Effekt hätte man allerdings auch mit einer wesentlich kürzeren Spieldauer erreichen können. So gehen diese Momente in dem auf knapp drei Stunden ausgedehnten Abend leider unter. Den Zuschauern, die bis zum Ende ausgeharrt haben, scheint es allerdings gefallen zu haben, und so wird das komplette Ensemble mit großem Beifall bedacht.

FAZIT

Es ist schon harte Kost, was dem Wuppertaler Publikum hier präsentiert wird, und es stellt sich die Frage, ob sich genügend Zuschauer darauf einlassen werden.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Jonathan Stockhammer /
Johannes Pell

Leitung Barockensemble
Michael Cook

Klangregie und Sounddesign
Torsten Ottersberg

Inszenierung und Bühnenbild
Immo Karaman

Bühne
Aida Guardia

Kostüme
Fabian Posca

Chor
Markus Baisch

Dramaturgie
Jana Beckmann
Berthold Schneider

 

Sinfonieorchester Wuppertal

Opernchor und Extrachor der
Wuppertaler Bühnen

Statisterie der
Wuppertaler Bühnen


Solisten

*Premierenbesetzung

Gebärdensolistin Fairy Queen / Mond
Kassandra Wedel

Erzähler
Manfred Böll

Sopran 1
Ralitsa Ralinova

Sopran 2
*Nina Koufochristou /
Leonor Amaral

Mezzosopran
Catriona Morison

Countertenor
Hagen Matzeit

Tenor
Christian Sturm

Bariton 1
Simon Stricker

Bariton 2
Hak-Young Lee

Solo Kontrabass / Stimme
Alexander Gabrys

Solo-Gitarren
Daniel Göritz

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Wuppertaler Bühnen
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2017 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -