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Alles nur ein Spiel
Sergej Prokofjews Die Liebe zu den drei Orangen zählt
zumindest in Westeuropa zu seinen bekanntesten Werken. Großer Popularität
erfreut sich vor allem der berühmte Marsch aus dem zweiten Akt, der sich durch
das ganze Stück zieht, und in seiner Eingängigkeit mit Prokofjews Peter und
der Wolf zu vergleichen ist. Da Peter und der Wolf nahezu jedem Kind
im Lauf seiner Schulzeit im Musikunterricht begegnet, hat man sich in Wuppertal
wohl entschieden, Prokofjews drei Orangen nun als Oper für die ganze
Familie herauszubringen. Deswegen spielt man eine deutsche Textfassung von
Werner Hintze. Ob man damit die Oper familientauglich macht, ist allerdings
fraglich. Dafür ist die "märchenhafte" Handlung für Kinder eigentlich viel zu
grotesk und unverständlich. So konnte man in eine eigens eingerichtete
Vormittagsvorstellung in der Woche kurz nach der Premiere kaum Schulklassen
locken, und auch die dritte Aufführung am Mittwochabend war insgesamt nicht so
stark besucht, dass man sich genötigt gesehen hätte, die Garderoben auf beiden
Seiten des Parketts zu öffnen. Da nützt es auch nichts, wenn bereits vor der
Vorstellung im Foyer der oben erwähnte Marsch als Dauerschleife läuft.
Die Hohlköpfe (Chor) am Bett des kranken Prinzen
(Sangmin Jeon)
Die Geschichte geht auf eine Fabel aus der Märchensammlung Pentameron von
Giambattista Basile aus dem 17. Jahrhundert zurück. Carlo Gozzi griff diese
Geschichte ein Jahrhundert später auf und schuf daraus seine Komödie Die
Liebe zu den drei Pomeranzen. Während er als Metaebene ein Streitgespräch
mit seinem literarischen Kontrahenten Carlo Goldoni einführte, der im Gegensatz
zu Gozzi statt der Commedia dell' arte einen natürlicheren Zugang zum
Theaterspiel forderte, ging Wsewolod E. Meyerhold zu Beginn des 20. Jahrhunderts
noch einen Schritt weiter, indem er die Positionen von Gozzi und Goldoni von
einem Tragiker und einem Komiker diskutieren ließ. Aus den drei Pomeranzen
wurden die drei Orangen. Da für Meyerhold der Kern des Stückes in der
Auseinandersetzung um den "wahren Theaterstil" bestand, brachte er auch in den
Jahren 1914 bis 1916 eine gleichnamige Theaterzeitschrift heraus, wodurch
wiederum Prokofjew auf den Stoff aufmerksam wurde und die Idee entwickelte, die
Geschichte als Oper zu vertonen. Im Prolog geht Prokofjew dabei sogar noch einen Schritt weiter und lässt nun
die Tragischen, Komischen, Lyrischen und Hohlköpfe über das zu zeigende
Bühnenstück streiten. Durchsetzen können sich am Ende die Lächerlichen mit der
Liebe zu den drei Orangen.
Clarice (Catriona Morison) und Leander (Simon
Stricker, vorne) wollen den Prinzen (Sangmin Jeon, im Hintergrund) beseitigen.
Sebastian Welker lässt den Opern- und Extrachor in den vier Gruppen bereits vor
der Vorstellung im Foyer auftreten. Das ist in Wuppertal nichts Neues, hatte man
es doch schon in der letzten Premiere von Hoffmanns Erzählungen
praktiziert. Auch wenn die Idee nicht schlecht ist, muss man schon darauf
achten, dass sich der Gag nicht abnutzt. Doey Lüthi hat für den Chor sehr
fantasievolle Kostüme entworfen, so dass sich die vier Gruppen eindeutig
zuordnen lassen. Bezeichnend ist, dass die Hohlköpfe alle mit einem Handy durch
das Foyer laufen und zahlreiche Selfies von sich mit den Zuschauern machen. Wenn
es dann kurz vor Beginn in den Zuschauerraum geht, sorgt der Chor von den Rängen
mit Konfetti für Partystimmung, bevor dann im Prolog die eigentliche
Auseinandersetzung beginnt. Das Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic besteht aus
riesigen Buchstaben, die zusammengesetzt "Hahaha" ergeben. Es soll also gelacht
werden. Das an ein Ausrufezeichen erinnernde Element vor dem Vorhang mag diese
Aufforderung noch unterstützen. So platt wie dieser Einfall ist dann allerdings
auch der Humor, der auf der Bühne verbreitet wird.
Tschelio (Lucia Lucas, im mittleren Liegestuhl)
weist dem Prinzen (Sangmin Jeon, rechts) und Truffaldino (Mark Bowman-Hester, im
linken Liegestuhl) den Weg zu den drei Orangen (hinter den Stühlen: Smeraldina
(Nina Koufochristou), links: Farfarello (Vikrant Subramanian)).
Warum der König des nicht näher bestimmten Königreiches Kreuz König heißt und
nicht König Treff, obwohl die Inszenierung anders als in Essen vor einem Jahr,
gar keinen Bezug zu Spielkarten aufbaut, erschließt sich nicht. Der intrigante
Leander und die durchtriebene Prinzessin Clarice hausen in einem Wohnwagen im
Hintergrund, von wo aus sie ihre Ränke schmieden, um die Herrschaft im
Königreich zu übernehmen. Smeraldina tritt als Krankenschwester auf, die schon
vor der Suche nach den drei Orangen dem Prinzen näherzukommen scheint. Das
Aufeinandertreffen von Tschelio und Fata Morgana entpuppt sich als eine Art
Divenstreit, da beide mit ihrem Auftritt den an schweren Depressionen leidenden
Prinzen zum Lachen bringen sollen. Man scheint sich mit dem Engagement der Baritonistin Lucia Lucas verpflichtet zu fühlen, ihr auch weibliche Partien zu
geben. Leider geht dieser Versuch beim Magier Tschelio genauso wenig auf wie in Hoffmanns
Erzählungen. Vielleicht wäre die Partie der Köchin für Lucas passender gewesen. Ob die
Tatsache, dass Truffaldino Fata Morgana bei ihrem Auftritt mit Spaghetti
überschüttet, "ungewollt komisch" ist und damit den Prinzen zum Lachen bringen
kann, ist ebenfalls diskutabel und bewegt sich auf dem Niveau von Privatsendern
wie RTL 2.
Truffaldino (Mark Bowman-Hester mit Smeraldina
(Nina Koufochristou)) hat die erste Orange (Katrin-Heli Natalicio) geöffnet.
Auch die märchenhaften Elemente, die dem grotesken Stück noch einen
familientauglichen Charakter geben könnten, verweigert Welker in seiner
Inszenierung. Sebastian Campione als Kreuz König und Köchin auftreten zu lassen,
lässt sich zwar als psychologischer Einfall betrachten, da letztendlich
beide Figuren eine Bedrohung für den Prinzen darstellen. Die Köchin ist für den
Prinzen gefährlich, weil sie ihn bei dem Versuch, die drei Orangen zu stehlen,
erschlagen will. Der König hindert den Prinzen an seiner freien Entfaltung, vor allem, wenn er ihn am Ende zwingen will, die falsche Braut, Smeraldina, zu heiraten. Doch für die Jagd der Köchin auf Truffaldino und den
Prinzen überträgt die Inszenierung das Bühnenbild auf eine Torte,
die die Köchin auf einem Teewagen vor sich herschiebt und auf der die gleichen
Buchstaben angebracht sind wie auf der Bühne. Die Köchin konzentriert sich nur
auf die Torte, während Truffaldino sie mit einem
imaginären Bändchen ablenkt und der Prinz die drei Orangen aus einem Nest auf
dem Teewagen raubt. Die drei Prinzessinnen, die den Orangen entsteigen, kommen
aus dem Wohnwagen im Hintergrund und tragen die weißen Kostüme der Lyrischen aus
dem Prolog. Auch das Tod findet auf der Bühne nicht statt. Als die beiden
verdursteten Prinzessinnen von der Bühne getragen werden sollen, erheben sie
sich quicklebendig wieder. Es ist alles nur ein Spiel.
Musikalisch präsentiert sich das Wuppertaler Ensemble auf gutem Niveau. Ralitsa
Ralinova überzeugt als Prinzessin Ninetta mit mädchenhaftem Sopran, auch wenn
ihre Verwandlung in eine Ratte szenisch nicht ganz klar wird. Sebastian Campione
punktet als König und Köchin mit dunklem Bass. Lucia Lucas stattet den Magier
Tschelio mit kräftigem Bariton aus, auch wenn im Text nicht deutlich wird, wieso
der Zauberer eine Frau sein soll. Wenn Tschelio den Teufel Farfarello
herbeiruft, wird das von Lucas und Vikrant Subramanian als Farfarello zwar
musikalisch düster umgesetzt, verliert allerdings in Welkers Regie-Ansatz an
Bedrohlichkeit. Mark Bowman-Hester stattet Truffaldino mit leichtem Spieltenor
aus. Catriona Morison und Simon Stricker bleiben als Intrigantenpaar Clarice und
Leander etwas blass. Stars des Abends sind der Tenor Sangmin Jeon als Prinz und
Chariklia Mavropoulou als Fata Morgana. Jeons Tenor verfügt in den Höhen über
enorme Strahlkraft, und Mavropoulou begeistert mit dramatischem Sopran. Der von
Markus Baisch einstudierte Chor zeigt sich spielfreudig, und das
Sinfonieorchester Wuppertal rundet unter der Leitung von Michael Cook den Abend
musikalisch überzeugend ab, so dass es für alle Beteiligten großen Applaus gibt.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung
Bühne Kostüme Choreographie Chor Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Opernchor und
Extrachor der SolistenKreuz König Prinz Prinzessin
Clarice Leander Truffaldino Pantalone
/ Farfarello Tschelio Fata Morgana Linetta Nicoletta Ninetta Köchin Herold Smeraldina Zeremonienmeister
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- Fine -