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Weihrauch, Sex und Rock 'n Roll
Nachdem der neue Intendant der Wuppertaler Oper, Berthold
Schneider, in seiner ersten Spielzeit an der Wupper dem Publikum mit der
Video-Oper Three Tales von Steve Reich, Prokofjews Die Liebe zu den
drei Orangen und der Teiluraufführung von Helmut Oehrings AscheMond oder
The Fairy Queen bisher nicht gerade Mainstream geboten hat, steht nun mit
Richard O'Briens Rocky Horror Show ein Musical auf dem Spielplan, das
mittlerweile Kultstatus besitzt und durch eine große Fangemeinde fast überall,
wo es gespielt wird, für ausverkaufte Vorstellungen sorgt. Damit tritt Schneider
erneut den Beweis an, dass er auf eine vielfältige Spielplangestaltung setzt.
Dass es sich dabei um eine Übernahme-Produktion des Saarländischen
Staatstheaters handelt, die dort im Oktober 2015 eine umjubelte Premiere
feierte, ist ein weiteres Zeichen dafür, dass man bemüht ist, mit knappen
finanziellen Mitteln ein hochwertiges Programm zu bieten, zumal Saarbrücken auch
weit genug entfernt ist, so dass der größte Teil des hiesigen Publikums die
Produktion dort sicherlich nicht gesehen hat. Und wenn man ein so großer Fan ist,
dass man aus dem Bergischen Land bis nach Saarbrücken angereist ist, dann ist man
zumindest auf die neue Besetzung in Wuppertal gespannt. "Let's do the Time Warp again":
von links: Magenta (Anke Fiedler), Riff-Raff (Mark-Bowman-Hester) und Columbia (Mariyama
Ebel) Natürlich gibt es auch in Wuppertal vor Beginn der
Vorstellung eine Tüte für 4 Euro zu erwerben, in der eine kleine Wasserpistole,
ein Beutel Reis, Konfetti, eine Toilettenpapierrolle, ein Bierdeckel mit einem
aufgedruckten Toast, einem Knicklicht und das Programmheft als Zeitung, aus der
man sich dann einen Hut zum Schutz vor dem Regen basteln kann, als
Kult-Utensilien enthalten sind. Des Weiteren gibt es noch für Unkundige einen
Zettel mit Hinweisen dazu, wann die einzelnen Sachen in die Show einzubringen
sind und was es sonst noch an Mitmachaktionen gibt. Das funktioniert im Großen
und Ganzen dann ganz gut, auch wenn es bei den Einwürfen von "Sht" bei jeder
Erwähnung von Eddie oder dem "Uh!" bei Dr. Scott noch leichte
Koordinationsschwierigkeiten beim Premierenpublikum gibt, und bei Janet
eigentlich nur das "Ss" gezischelt wird, wenn auch ihr Nachname "Weiss" genannt
wird. Beim legendären "Time Warp" wird natürlich im Parkett und in den Rängen
mitgetanzt, und laut und heftig sind auch die "Boring"- und "Langweilig"-Rufe
beim Erzähler. Doch Simon Stricker
lässt sich mit blonder Lockenmähne à la Thomas Gottschalk davon nicht aus dem
Konzept bringen und schafft es sogar, seine Geschichte noch einigermaßen
verständlich gegen das lärmende Publikum vorzutragen. Noch ist die Welt von Brad
Majors (Dustin Smailes) und Janet Weiss (Johanna Spantzel) in Ordnung. Das Regie-Team um Sebastian Welker verlegt die Handlung in
die Kirche in Denton, in der die Geschichte mit der Hochzeit von Betty Munroe
und Ralf Hapshatt beginnt. Wie in der legendären Verfilmung von 1975 sind
Magenta und Riff-Raff in Verkleidung bereits hier anwesend, allerdings anders
als im Film als Nonne und als Mönch. Frank N'Furter ist der Priester, der das
Ehepaar zu Beginn des Stückes traut, auch wenn man ihn da in weißem Talar nur
von hinten sieht. Natürlich dürfen hierbei sexuelle Anspielungen nicht fehlen,
und so grapscht der Priester dem Ministranten immer wieder an den Hintern. Anke
Fiedler, die die Partie der Magenta auch in Saarbrücken schon interpretiert hat,
tritt als Nonne kostümiert auf die Kanzel und trägt den Prolog vor, der szenisch
eigentlich schwer in das Stück zu integrieren ist, da er inhaltlich in keinem
Zusammenhang zum weiteren Handlungsverlauf steht und die heutigen Zuschauer mit
den erwähnten Filmen oder Schauspielern auch kaum noch etwas verbinden.
Hilfreich ist daher, dass im Programmheft nicht nur der Liedtext abgedruckt ist,
sondern auch in einer Glosse unter dem Titel "DVD-Tipps" die einzelnen Filme mit
einer kurzen Inhaltsangabe erklärt werden. Welker nutzt in seiner Inszenierung
das Lied lediglich für die Hochzeit. Im Anschluss treten dann Brad Majors und Janet Weiss auf. Janet hat den Brautstrauß
zwar nicht gefangen, hebt ihn aber vom Fußboden
auf, was Brad dazu veranlasst, ihr sofort einen Heiratsantrag zu machen. Dustin Smailes, der als Brad ebenfalls bereits in Saarbrücken zu erleben war,
begeistert als wunderbar spießiger Brad mit hervorragenden Slapstickeinlagen,
wenn er während des Songs "Damn It, Janet" auch noch den Ring verliert. Johanna
Spantzel beweist als verklemmte Janet Weiss ebenfalls großartiges
komödiantisches Talent. Die Autofahrt zu Dr. Everett Scott, dem die beiden von
ihrer geplanten Hochzeit erzählen wollen, wird dann auf eine Leinwand
projiziert. Währenddessen können sich die Zuschauer dann auch mit den
Wasserpistolen vergnügen und mit den Programmzeitungen vor den Wasserspritzern
aus allen Richtungen schützen. Kurz vor der Panne sieht man dann das Auto auf
die Bühne fahren. Der Unfall wird dann von Riff-Raff verursacht, der sich vor
das Auto wirft. Und nun scheinen sie statt in einem Schloss bei einer Art Sekte
angekommen zu sein. Magenta und Columbia streifen zum "Time Warp" ihre
Nonnenkostüme ab, und präsentieren sich fortan wie die Statisterie und das
Bewegungsensemble der Wuppertaler Bühnen im schrillen Outfit. Frank N'Furter (Andreas
Wolfram) als "Sweet Transvestite" Andreas Wolfram hat dann einen großartigen Auftritt als Frank
N'Furter zu "Sweet Transvestite". Zunächst erscheint er in der weißen
Priesterrobe, unter der er dann glitzernde Strapse präsentiert. Wolfram punktet
nicht nur stimmlich als charismatischer Frank N'Furter, sondern legt die Figur
auch darstellerisch lasziv und verführerisch an. So ist das im weiteren Verlauf
des Stücks als Prospekt heruntergelassene Bild der Schlange,
die Adam (Brad) und Eva (Janet) verführt, absolut treffend. Die Verführungsszene wird
dabei nicht, wie so oft, als Schattenspiel inszeniert. Die getrennten
Schlafzimmer von Brad und Janet befinden sich dabei auf zwei Balkonen auf der
rechten und linken Bühnenseite. Frank N'Furter nähert sich den beiden zunächst
hinter einem weißen Vorhang, bevor man ihn dann deutlich im Liebesspiel mit Brad
beziehungsweise Janet auf dem Balkon sehen kann. Christian Schöne ist als
erschaffener Rocky ein absoluter Hingucker, der sich vor allem durch ein
riesiges unter seinem knappen Lendenschurz bedecktes Geschlechtsteil
auszeichnet, das Frank vor allen anderen mit einem Keuschheitsschloss zu
schützen versucht. Doch Janet ist letztendlich diejenige, die vom Erzähler den
Schlüssel erhält und sich selbst und Rocky dadurch sexuell befreit. Für das
wilde Liebesspiel wählen die beiden einen Beichtstuhl in der Kirche. Makabre Geburtstagsfeier: am
Tisch von links: Columbia (Mariyama Ebel), Dr. Everett Scott (Sebastian Campione),
Frank N'Furter (Andreas Wolfram), Rocky (Christian Schöne), Brad (Dustin Smailes)
und Janet (Johanna Spantzel), hinter dem Tisch von links: Riff-Raff (Mark
Bowman-Hester), Erzähler (Simon Stricker) und Magenta (Anke Fiedler) Im Gegensatz zu den sexuellen Anspielungen kommen die
Horror-Elemente ein bisschen kurz. Eddy Ebeling hat zwar als Eddie einen
grandiosen Auftritt als Elvis-Verschnitt, wobei seine rechte Kopfhälfte deutlich
zeigt, dass ihm ein Teil seines Gehirns zur Erschaffung von Rocky entnommen
worden ist, und auch die mit ihm auftretenden Zombies verbreiten eine gruselige
Atmosphäre, aber Eddies Ermordung durch Frank bleibt dann doch eher blass. Auf
die Kettensäge oder das Beil wird hierbei verzichtet, und lediglich ein paar
Blutspritzer auf Franks Kittel deuten an, dass er Eddie getötet hat. Bei Rockys
Geburtstagsfeier im zweiten Akt finden unter dem Tisch derartig viele Blowjobs
statt, dass fast übersehen wird, dass Eddie hier als Mahlzeit aufgetischt wird.
Aber auch diese kleinen Kritikpunkte mindern den Spaß und die allgemeine
Begeisterung an diesem Abend nicht. Mariyama Ebel glänzt als Columbia mit
rockiger Stimme und steppt mit Spantzel nach Janets sexueller Befreiung um die
Wette. Die beiden Ensemble-Mitglieder Sebastian Campione und Mark Bowman-Hester
stellen als Dr. Everett Scott mit genüsslich rollendem "Rr" und als unheimlicher
Riff-Raff ihr vielseitiges Talent unter Beweis. So gibt es am Ende frenetischen
Jubel und den "Time Warp" zweimal als Zugabe, bevor das Publikum gut gelaunt den
Saal verlässt.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung
Bühne Kostüme Choreographie
United Rock Orchestra Statisterie und Bewegungsensemble Solisten*Premierenbesetzung Frank N'Furter Riff-Raff Brad Majors Janet Weiss Eddie Rocky Magenta Columbia Dr. Everett
Scott Erzähler
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- Fine -